Gruß / Grüßen
(erstellt: November 2011)
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1. Grußsituationen in Erzählungen
In den Erzählungen der Hebräischen Bibel finden sich an Grußformen einerseits bestimmte feste sprachliche Äußerungen und andererseits ein Repertoire verschiedener Gesten oder Handlungen wie entgegenlaufen, sich niederwerfen, sich umarmen, küssen und weinen. Die Letzteren gehen den Worten voraus oder werden nicht von Grußworten begleitet. Die häufige Erwähnung und genaue Schilderung der Grußgebärden in den Erzählungen der Hebräischen Bibel zeigt ihren großen Stellenwert im Erleben der damaligen Menschen. Dieser erklärt sich dadurch, dass Begegnungen unter verwandten und befreundeten Menschen aufgrund der geografischen Distanz manchmal selten waren und daher oft ein bewegendes, freudiges Ereignis darstellten.
1.1. Gesten
Entgegenlaufen (Gen 18,2
Alle vier Handlungen werden von der nach jahrelanger Trennung stattfindenden Begegnung zwischen → Esau
„Er selbst (Jakob) aber ging vor ihnen (seinen Mägden, Frauen und Kindern) her und warf sich siebenmal zur Erde nieder, bis er nahe an seinen Bruder herangekommen war. Da lief Esau ihm entgegen, umarmte ihn und fiel ihm um den Hals und küsste ihn; und sie weinten.“ (Gen 33,3-4
Der Akt des Sich Niederwerfens vor dem Gegenüber ist ein Ausdruck der Ehrerbietung. Er ist auch im ugaritischen (Fußfall vor Gottheiten, Verwendung von ḥwj Hišt., s.u.) und im akkadischen Schrifttum (Proskynese vor dem König, Gebrauch der Wendungen „die Füße küssen“, „zu Füßen fallen“, „sich niederwerfen“, vgl. Salinen, 668; Davies, 494) belegt.
Das weitaus häufigste mit „sich niederwerfen“ übersetzte Lexem in der Hebräischen Bibel ist חוה ḥwh Hišt. (traditionell: שׁחה šḥh Hitpalel; 170-mal). Es wird auch für die Anbetung JHWHs und anderer Gottheiten verwendet. Die Etymologie und die Bedeutung des Verbs sind umstritten (vgl. Albright, 197 mit Anm. 41; Emerton; Davies; Kreuzer). Die häufigen Prädikatsergänzungen „auf das Angesicht“ und „zur Erde nieder“ (insbesondere in Schilderungen von Begegnungen zwischen Menschen gebraucht, vgl. Gen 33,3
Der Akt ist oft durch den sozialen oder machtpolitischen Unterschied der aufeinandertreffenden Menschen bedingt (vgl. Gen 23,7
Auch in der Schilderung von Abschiedsszenen ist manchmal von bestimmten Grußgebärden die Rede. David verabschiedet sich vom greisen → Barsilai
Im Unterschied zum griechischen und römischen Brauch (vgl. Hurschmann, Gruß, I. Grußgebärden, A. Handreichung) scheint der Handschlag als Grußgeste in Israel (zur Zeit der Hebräischen Bibel) nicht verbreitet gewesen zu sein.
1.2. Worte
Anhand ihrer Bildungselemente können die in der Hebräischen Bibel begegnenden Grußformeln in drei Gruppen eingeteilt werden (vgl. Lande, 2-12).
1.2.1. Segen
Oft besteht der Gruß aus einem Segenswunsch (ausgedrückt durch ein Derivat der Wurzel ברך brk; → Segen
„Gesegnet sei Jhwh, der Gott Israels, der dich mir am heutigen Tag entgegengesandt hat. Und gesegnet ist deine Klugheit, und gesegnet bist du, dass du mich am heutigen Tag davon abgehalten hast, in Blutschuld zu geraten und mir mit eigener Hand zu helfen“ (vgl. auch 1Sam 15,13
Das Segenselement scheint für viele Grüße konstitutiv gewesen zu sein; das erklärt, dass als häufiges Verb für „(jemanden) grüßen“ das Lexem ברך brk Pi. wörtlich: „(jemanden) segnen“ verwendet wird (vgl. 1Sam 13,10
1.2.2. Schalom
Als ein zweites häufiges Element des gesprochenen Grußes begegnet der Ausdruck שָׁלוֹם šālôm „Wohlbefinden / Frieden“. An einzelnen dieser Stellen spricht der Grüßende dem Adressaten שָׁלוֹם šālôm zu. Dabei finden zwei verschiedene Formulierungen Verwendung: אַתָּה שָׁלוֹם ’attāh šālôm (1Sam 25,6
„Da ging Mose hinaus, seinem Schwiegervater entgegen, warf sich nieder und küsste ihn, und sie fragten einer den andern nach ihrem Wohlergehen und gingen ins Zelt. Da erzählte Mose seinem Schwiegervater alles, was Jhwh dem Pharao und Ägypten um Israels willen angetan hatte…..“ (Ex 18,7-8
Die konkrete Frage begegnet im Alten Testament in zwei gleichbedeutenden Formen: „Wie geht es dir?“ (הֲשָׁלוֹם אַתָּה hǎšālôm ’attāh [der Adressat folgt im Nominativ; vgl. 2Sam 20,9
Allerdings legt die Gebrauch der entsprechenden Formel im Akkadischen nahe, dass die Wendung nicht immer im eigentlichen Sinn verwendet wird (vgl. Wiseman, 317-322): In neuassyrischen Texten bringt der Satz ana ša’al šulme „nach dem Frieden / der Befindlichkeit fragen“ als „diplomatische“ Formel zum Ausdruck, dass ein Herrscher mit dem andern eine Verbindung oder ein Bündnis eingehen bzw. bekräftigen will. Assurbanipal sendet einen Boten zu Ualli von Mannai, seinem Vasallen, „um nach seiner Befindlichkeit zu fragen“ (vgl. Piepkorn, 54, Linie 95). Umgekehrt erkundigt sich auch der Vasall nach der „Befindlichkeit“ seines „Herrn“. Eine entsprechende Bedeutung scheint in 2Sam 8,10
1.2.3. Gottes Beistand
Eine dritte Form des gesprochenen Grußes besteht aus dem Wunsch oder der Feststellung „JHWH sei / ist mit dir“ (vgl. Ri 6,12
1.2.4. Ohne Grußformel
Nicht bei allen Begegnungen wird als Gesprächseröffnung ein Gruß gewählt. Bei einer unerwarteten Begegnung wird die Frage nach den Umständen des Zusammentreffens oder nach der Absicht der besuchenden Person gestellt. In 1Sam 21,2
Häufiger allerdings wählen Bittsteller(innen) gegenüber der übergeordneten Autoritätsperson den Höflichkeitsausdruck בִּי אֲדֹנִי bî ’ǎdonî (Gen 43,20
Als Abschiedsgrußformel dient häufig der Satz „geh in Frieden!“ (vgl. Ex 4,18
2. Grußformeln in Briefen
Die in Erzählungen der Samuel- und Königsbücher eingebundenen Briefe (2Sam 11,15
Briefgrußformeln begegnen dagegen in den späteren Texten aus der persischen und hellenistischen Zeit. In den zwei Briefen des aramäischen Danielbuches, welche zwei königliche Erlasse an die Reichsvölker imitieren, lautet die Grußformel „Euer Frieden möge groß werden!“ (שְׁלָמְכוֹן יִשְׂגֵּא šəlāmkhôn jiśgê’, Dan 3,31
Von den fünf im Buch Esra als Originaldokumente deklarierten Briefschreiben verwenden einzig das Artaxerxes-Reskript sowie der Brief an König Darius Grußformeln. Sie lauten שְׁלָם šəlām „Frieden!“ (Esr 4,17
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
- Reallexikon der Assyriologie und vorderasiatischen Archäologie, Berlin 1928ff
- Biblisch-historisches Handwörterbuch, Göttingen 1962-1979
- Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff (Art. שׁאל)
- Lexikon der Ägyptologie, Wiesbaden 1975-1992
- Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
- Der Neue Pauly, Stuttgart / Weimar 1996-2003
2. Weitere Literatur
- Albright, W.F., The North-Canaanite Epic of ’Al’êyân Ba‘al and Môt, JPOS 12 (1932), 185-208
- Davies, G.I., A Note on the Etymology of HIŠtAḤAWĀH, VT 29 (1985), 493-495
- Emerton, J.A., The Etymology of HIŠtAḤAWĀH, in: Instruction and Interpretation, Oudtestamentische Studiën 20 (1977), 41-55
- Joüon, P. / Muraoka, T., A Grammar of Biblical Hebrew. Part One: Orthogra¬phy and Phonetics. Part Two: Morphology. Part Three: Syntax. Paradigms and Indices, 2. Aufl., Rom 1996
- Kreuzer, S., Zur Bedeutung und Etymologie von HIŠtAḤAWĀH / YŠTḤWY, VT 35 (1985), 39-60
- Lande, I., Formelhafte Wendungen der Umgangssprache im Alten Testament, Leiden 1949
- Lindenberger, J.M., Ancient Aramaic and Hebrew Letters (SBL Writings from the Ancient World Series 4), Atlanta 1994
- Müller, H.-P., Ursprünge und Strukturen alttestamentlicher Eschatologie, Berlin 1969 (BZAW 109), 132-160
- Pardee, D., Handbook of Ancient Hebrew Letters. With a chapter on Tannaitic letter fragments by S. David Sperling, Chico 1982
- Piepkorn, A.C., Historical prism inscriptions of Ashurbanipal (Assyriological Studies 3), Chicago 1933
- Salonen, E., Die Gruß- und Höflichkeitsformeln in babylonisch-assyrischen Briefen Helsinki (Studia Orientalia 18; Societas orientalis Fennica), 1967
- Salonen, E., Art. „Gruß“, in: RLA 3, Berlin 1971, 668-670
- Schwiderski, D., Handbuch des nordwestsemitischen Briefformulars. Ein Beitrag zur Echtheitsfrage der aramäischen Briefe des Esrabuches (BZAW 295), Berlin / New York 2000
- Wiseman, D.J., „It is Peace?“ – Covenant and Diplomacy, VT 32 (1982), 311-326
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