Haare / Haartracht (AT)
(erstellt: September 2020)
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1. Vokabular
Als relevante Nomina kommen im Alten Testament vor:
● Haar (hebr. שֵׂעַר śe‘ar, Gen 25,25
● Strähnen (hebr. מַחְלָפוֹת maḥlāfôt, Ri 16,13
● Bart (hebr. זָקָן zāqān, Lev 13,29-30
● Glatze (hebr. קָרְחָה qårḥāh, Lev 21,5
● Schnurrbart (hebr. שָׂפָם śāfām, Lev 13,45
● Augenbrauen (hebr. גַּבֹּת עֵינַיִם gabbot ‘ênajim, Lev 14,9
● Barbier / Friseur (hebr. גַּלָּב gallāv, Ez 5,1
Die Haare an den Beinen (hebr. שַׂעַר הָרַגְלַיִם śa‘ar hāraglajim, Jes 7,20
Verben, die den Umgang mit Haaren bezeichnen, sind:
● scheren, rasieren (hebr. גלח glḥ, Gen 41,14
● trimmen (hebr. כסם ksm, Ez 44,20
Einen Schnurrbart verhüllt man (hebr. עטה ‘ṭh, Lev 13,45
Adjektive sind haarig (hebr. שָׂעִיר śā‘îr, Gen 27,11
2. Haartrachten und -pflege in der Umwelt Israels
Frisuren, Haartrachten und Haarpflege unterliegen regionalen und zeitlichen Unterschieden, Entwicklungen und Moden. Insbesondere ikonografische Zeugnisse geben uns Auskunft darüber. Mittels der abgebildeten Haar- und Barttracht unterschied man Volksgruppen voneinander. Haarpflege, Haarschmuck und Haarkosmetik waren zur damaligen Zeit ebenfalls verbreitet.
2.1. Ägypten
2.2. Mesopotamien
Seit dem 3. Jt. v. Chr. informieren Funde von Rollsiegeln, Statuen, Stelen, Reliefs usw. über die Haarmoden und Haartrachten Mesopotamiens. Nach Zeit, Raum und Ethnie variieren diese sehr stark und auch innerhalb einer Kultur zu einer Zeit ist nochmals je nach sozialer Klasse ein Unterschied zu machen. Im Folgenden werden nur wenige Informationen aus diesen umfangreichen Funden wiedergegeben; diese beziehen sich aber dafür vorrangig auf die Entstehungszeit der Hebräischen Bibel.
→ Eunuchen
2.3. Levante
2.3.1. Israel und Juda
Unklar ist, ob Ri 5,2
Der Beruf des Barbiers (hebr. גַּלָּב gallāv) ist im Alten Testament nur in Ez 5,1
Haare spielen in der medizinischen Diagnostik eine Rolle. In den biblischen Anweisungen zum Umgang mit Hautaussatz ist die Farbe der Haare einer möglicherweise betroffenen Stelle von Bedeutung (Lev 13,1-46
2.3.2. Philister
3. Bedeutungsdimensionen von Haaren und Haartracht
Das Haupthaar und die Gesichtsbehaarung sind weithin sichtbar. Damit kommt ihnen eine bedeutende kommunikative Funktion zu. Haare und Haartracht können wie → Kleidung
Man kann Haare schnell und unkompliziert modifizieren. Man kann sie schneiden, teilweise oder komplett abrasieren, wachsen lassen usw. Diese Veränderungen sind im Unterschied zu anderen Körperveränderungen (wie etwa der Verstümmelung oder der Einritzung der Haut) zeitlich begrenzt, vollständig natürlich reversibel und schmerzlos. Von der Kleidung meist verdeckt sind Achsel- und Schamhaare; Letzteren kommt oft eine stark erotisch-sexuelle Bedeutung zu. Insgesamt zeigt sich, dass Haaren im kulturellen und religiösen Symbolsystem einer bestimmten Zeit und Kultur ein komplexes Spektrum an möglichen Bedeutungen auf mehreren Ebenen zukommen kann.
Grundsätzlich ist eine große Haarpracht und Haarfülle positiv konnotiert. Üppig wachsendes Haar verbindet man mit Kraft, Vitalität, Schönheit und – bei Männern – mit Maskulinität. Der Verlust von Haaren – meist unfreiwillig – ist dies hingegen nicht, insbesondere dann, wenn der Haarverlust durch eine Zwangsrasur erfolgt.
3.1. Schönheitsideal und Erotik
Hhld 6,5
3.2. Männlichkeit
Üppiges Haar gilt als Zeichen von Männlichkeit und Virilität. Die Gegenüberstellung der beiden Brüder Jakob und Esau macht dies deutlich: → Esau
Körperliches Kennzeichen des Richters Simson (Ri 13-16
Die Vorstellung, Haare seien der Sitz von Kraft und auch Lebenskraft, ist im Alten Testament nur in der Simsonerzählung Ri 13-16 (Ri 16,17
3.3. Natur und Kultur
Steht der geregelte Umgang mit Haaren, z.B. durch bestimmte Frisuren usw., für Kultiviertheit und die Seite der Kultur, so steht übermäßige und ungeregelte Haarpracht und Haartracht für eine wilde, „natürliche“ Seite.
Ein Beispiel für die wilde und „natürliche“ Seite ist etwa Enkidu, die über und über haarige und wilde Gestalt aus dem Gilgamesch-Epos, der erst aus seiner Wildheit und „Natürlichkeit“ durch den Geschlechtsverkehr mit einer Prostituierten langsam in den Bereich der Kultur überführt wird. Ein biblisches Beispiel wäre der über und über mit Haaren bedeckte Esau, der ein Mann des Feldes und ein Jäger ist, der Kulturtechnik des Kochens wohl unkundig (Esau bereitet zwar das Fleisch für seinen Vater vor, Gen 27,31
Allerdings darf man die Gegenüberstellung von „Natur“ und „Kultur“ nicht allzu schroff sehen. Der sechslockige Held ist oftmals unbekleidet und Simson wohnt auch in Höhlen (Ri 15,8
Möglicherweise kann man dem Propheten → Elia
3.4. Kahlheit
Kahlheit kann unterschiedliche Bedeutungen haben. Es empfiehlt sich, zwischen natürlich-unfreiwilliger, künstlich-unfreiwilliger und künstlich-freiwilliger Kahlheit zu unterscheiden.
3.4.1. Natürlich-unfreiwillige Kahlheit
Mit fortschreitendem Alter verlieren Männer wie Frauen das Haupthaar in unterschiedlichem Maße. Der natürliche Haarverlust ist damals wie heute unerwünscht. In 2Kön 2,23-24
3.4.2. Künstlich-unfreiwillige Kahlheit
Hierzu zählt die Rasur oder Schur, die jemandem von einem anderen zugefügt wird. Diese gelten i.d.R. als entehrend und beschämend, da sie die körperliche Integrität beschädigen. Zugleich wird der individuelle Körper von außen modifiziert und in seinem Ausdrucksgehalt verändert. Die Kontrolle über Haare (gleich ob Haupt-, Bart- oder Schamhaare) ist ein Zeichen von Macht, die man über jemanden besitzt. Entsprechend kann die Modifikation von Haaren auch dazu dienen, jemanden zu beschämen. In 2Sam 10,1-5
In der Umwelt des antiken Israel gibt es Praktiken der Beschämung, die den Bart involvieren. Eckart Otto (Otto 2008, 235-236) sieht in den Mittelassyrischen Gesetzen §§ 18; 19 die Strafe der Zwangsrasur des Bartes bei Verleumdung, nicht der Kastration. Die Rasur der Schläfe ist eine Strafe im Codex → Hammurabi
„Wenn ein Bürger über eine entu-Priesterin oder die Gattin eines Bürgers üble Nachrede verbreitet, aber das nicht beweist, so soll man diesen Bürger vor die Richter schleppen und man rasiert ihm eine (Kopf)hälfte.“
Der Verleumder wird somit sichtbar für alle entehrt. Vor Assurbanipal erniedrigt sich der besiegte Rebell Tamarītu, der zuvor einen Vasallen Sargons II. vom Thron gestürzt hatte:
„Tamarītu, seine Brüder, Familie (und) der Same seines Vaterhauses flohen mit 85 Fürsten seines Gefolges vor Indabibi, seinem Diener, krochen nackt auf ihrem Bauch und kamen nach Ninive. Tamarītu küßte meine königlichen Füße und machte den Erdboden mit seinem Bart zurecht. Er faßte das Bodenbrett meines Wagens und überstellte sich selbst zur Sklaventätigkeit für mich.“ (TUAT.NF II, 79).
Ähnliches findet sich auch in einem Brief des Königs Midas von Phrygien an Sargon II.:
„Bezüglich dessen, was du mir geschrieben hattest: ‚Ein Bote aus Urpala kam zu mir mit dem phrygischen Boten‘ – lass ihn kommen und lass Assur, Schamasch, Bel und Nabu befehlen, dass alle diese Könige mit ihren Bärten deine Sandalen putzen sollen.“ (nach Parpola 6).
Bildlich dargestellt ist diese Form der Unterwerfung auch auf dem Schwarzen Obelisken (Abb. 4): Jehus Bart berührt den Boden vor den Füßen des assyrischen Königs. Ein Zeichen der Beschämung ist auch ein verhüllter Bart (Mi 3,7
Im Gerichtswort Jes 7,20
3.4.3. Künstlich-freiwillige Kahlheit
Im Alten Testament begegnet diese Form der Kahlheit vor allem in kultischen Kontexten. Die Leviten werden bei ihrer Weihe in Num 8,7
3.5. Trauer
Die Modifikation von Haaren gehört neben dem Ritzen der Haut, der Vernachlässigung der Körperpflege und dem Einreißen der Kleidung zum Komplex der → Trauerriten
Lev 19,27-28
Die Selbstminderungsriten, zu denen auch der entsprechende Umgang mit Haaren gehört, sind eine kulturell akzeptierte Antwort auf den Verlust eines Menschen. Möglicherweise soll durch sie die körperliche Integrität beschädigt werden, um einerseits den Schmerz über den Verlust eines Menschen nach außen hin sichtbar zu machen und andererseits durch das geminderte eigene Leben dem Toten ähnlich zu werden (Olyan 1994, 616-617). Zudem wird so nach außen von weitem sichtbar kommuniziert, dass die trauernde Person unrein ist (Olyan 2000, 183-184).
3.6. Alter
Spr 16,31
4. Haare in Kult und Kultpraxis
Insbesondere beim Kultpersonal oder Personen, die ein Gelübde ablegen, spielt die Haartracht eine Rolle. Mitunter wird mit den Haaren auch im Rahmen von Ritualen entsprechend verfahren.
4.1. Aussatz
Ein Aussätziger (→ Krankheit
Ist ein Mensch von seinem Aussatz genesen, so wird er schrittweise wieder in die Gemeinschaft reintegriert. Hierzu gehören Reinigungsrituale, Waschungen und offenbar auch die zweimalige vollständige Körperrasur während der zwei Wochen der schrittweisen Reintegration in die Gemeinschaft (Lev 14,8-9
4.2. Priester und Leviten
Nach Ez 44,20
Der Hohepriester soll sein Haupthaar nicht frei hängen lassen im Falle der Trauer (Lev 21,10
Olyan vermutet, das Verbot von Einritzungen und der Rasur der Haare verwische Statusgrenzen. Einige der Trauerriten, wie das Tragen bestimmter Kleidung, lassen sich sofort abstellen, wenn die Trauer vorbei ist; Hauteinritzungen und geschorene Körperteile sind aber nur sehr langsam reversibel. Insofern würde ein Priester auch nach seiner Trauerzeit Zeichen seiner Trauer an seinem Körper tragen. Die Sphäre des Todes, der Quelle der Unreinheit schlechthin, verträgt sich allerdings nicht mit der Sphäre der Heiligkeit. Deshalb ist Priestern das Trauern in bestimmten Formen untersagt (Olyan 2000, 184-187).
Im Rahmen ihrer Weihe werden die → Leviten
Die Ganzkörperrasur stellt vielleicht einen Übergangsritus dar: Der geheilte Aussätzige wird durch Ganzkörperrasuren wieder in den Bereich der Reinheit reintegriert (Lev 14,8-9
Der Fall der kriegsgefangenen Frau in Dtn 21,10-14
4.3. Nasiräat (Num 6)
Für eine bestimmte Zeit kann ein Mann oder eine Frau sich in besonderer Weise weihen. Dieses zeitliche → Nasiräat
Es ist uneindeutig, in welchem Feuer das Haar des Nasiräers / der Nasiräerin in Num 6,18
Sind die Haare in Num 6 nur ein Zeichen des besonderen Status als Nasiräer / Nasiräerin? Oder sind sie heilig, besitzen also eine eigene Qualität? In Num 6 fällt auf, dass die Weihe offenbar mit dem Kopf und nicht mit den Haaren verbunden ist (רֹאשׁ נִזְרוֹ, z.B. Num 6,9
Zwar kennt die Umwelt Israels und Judas auch religiöse Schwüre und Gelübde, das Nasiräatsgelübde in Num 6 ist jedoch singulär. Die Geschichte der religiösen Institution ist nicht mehr sicher rekonstruierbar. Es ist unsicher, ob eine Kriegerweihe der Ursprung dieser Institution ist.
Nasiräer werden auch in Am 2,10
4.4. Eifersuchtsordal (Num 5)
Num 5,11-31
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
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Abbildungsverzeichnis
- In einem traditionellen Bildmotiv packt der Pharao die Feinde an den Haaren und erschlägt sie mit einer Keule (ptolemäischer Chnumtempel in Esna). © public domain (Foto: Klaus Koenen, 2004)
- Bartlose ägyptische Arbeiter mit schwarzer, gelockter Perücke bei der Schlachtung (Saqqara Grab des Kagemni; 24. Jh. v. Chr.). Aus: Wikimedia Commons; © Sémhur (talk), Wikimedia Commons, lizenziert unter Creative Commons
-Lizenz, Attribution-Share Alike 4.0 International ; Zugriff 26.10.2020 - Ankunft einer semitischen Familie, erkennbar an der Haartracht und Bärten (Grabmalerei aus Beni Hassan; 19. Jh. v. Chr.). Aus: H. Gressmann, Altorientalische Bilder zum Alten Testament, Berlin / Leipzig 2. Aufl. 1927, Tafel XXI
- König Jehu vor dem assyrischen König Salmanassar III., umgeben von Eunuchen (Schwarzer Obelisk von Nimrud; 9. Jh. v. Chr.). © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
- Der persische König Darius und dahinter Kronprinz Xerxes mit langen Bärten (Persepolis, Apadana, Nordtreppe; 5. Jh. v. Chr.). Aus: Wikimedia Commons; © alisamii, Wikimedia Commons, lizenziert unter Creative Commons
-Lizenz, Attribution-Share Alike 2.0 generic ; Zugriff 26.10.2020 - Assyrer häuten gefangene Judäer mit kürzeren Bärten und Haaren (Ausschnitt aus dem Lachisch-Relief aus Kalchu; um 700 v. Chr.). Mit Dank an © The Trustees of the British Museum; BM 124909 lizenziert unter Creative Commons
-Lizenz, Attribution-Share Alike 4.0 International ; Zugriff 26.10.2020 - Judäische Pfeilerfigurine (Eisenzeit IIc; Fundort unbekannt; BIBEL+ORIENT Datenbank Online
). © Stiftung BIBEL+ORIENT, Freiburg / Schweiz - Elfenbeinkamm aus Megiddo (13.-11. Jh. v. Chr.). © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
- Angehörige der Seevölker, glattrasiert und mit Federhelm (Ausschnitt aus dem Wandrelief von Medinet-Habu). Aus: Arthur Evans, The Palace of Minos at Knossos, Vol. I, London 1921, Fig. 489
- Die nackte Göttin Ischtar mit ausgearbeitetem Schamdreieck (altbabylonisch, ca. 1750 v. Chr.). Mit Dank an © The Trustees of the British Museum; BM 1994,1001.1 lizenziert unter Creative Commons
-Lizenz, Attribution-Share Alike 4.0 International ; Zugriff 26.10.2020 - Akkadisches Rollsiegel mit sechslockigen Helden im Kampf mit Bullenmensch und Löwen (2200-2400 v. Chr.). Mit Dank an © The Trustees of the British Museum; BM 121566,d lizenziert unter Creative Commons
-Lizenz, Attribution-Share Alike 4.0 International ; Zugriff 26.10.2020 - Statue des Königs Gudea von Lagasch (20. Jh. v. Chr.). Mit Dank an © The Trustees of the British Museum; BM C. 196 lizenziert unter Creative Commons
-Lizenz, Attribution-Share Alike 4.0 International ; Zugriff 26.10.2020
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