Deutsche Bibelgesellschaft

Haftungsrecht

(erstellt: Juni 2013)

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Recht

1. Begriffsbestimmung und Übersicht

Im Alten Testament ist die Haftung von Verschulden oder Fahrlässigkeit abhängig. Eine Erfolgshaftung (bloßer Eintritt eines rechtswidrigen Erfolgs) oder eine Gefährdungshaftung (Haftung durch die bloße Inbetriebnahme einer Einrichtung ohne Verschulden im konkreten Fall) kommt, anders als im heute geltenden Recht, nicht vor. Das Haftungsrecht greift nicht bei Körperverletzungen, die Menschen anderen Menschen unmittelbar beibringen. Abgedeckt werden Personen-, Tier-, Sach- und Flurschäden. Haftbar gemacht werden Tierhalter (Ex 21,28-32.35-36), Eigentümer von Häusern (Dtn 22,8), Feldern und Weidetieren (Ex 21,33-34; Ex 22,4-5), Depositare bzw. (bezahlte) Tierhüter (Ex 22,6-8.9-12; Lev 5,21-26) und Städte / Ortschaften als Kollektive (Dtn 21,1-9). Grundsätzlich ist relevant, ob und wer an einem Schaden die Schuld oder die Verantwortung trägt. Ist dies nicht evident, wird zum Mittel des → Ordals bzw. des → Eides gegriffen, um die Frage der Verursachung zu klären (Ex 22,7.10). Das Haftungsrecht des Alten Testaments und des Alten Orients unterscheidet dementsprechend zwischen Nichthaftbarkeit, einer Haftung, die einfachen oder mehrfachen Ersatz (der im Fall von Fahrlässigkeit oder schuldhafter Veruntreuung ein Strafelement beinhaltet) nach sich zieht, und der Todesstrafe (bei schwerer Fahrlässigkeit oder Eventualvorsatz). Mit der kollektiven Schuld und Haftung von Ortschaften, auf deren Gebiet oder in deren Nähe ein Mord von unbekannter Hand geschieht, gehen das Alte Testament (mit einem Sühneritual) und die altorientalischen Vergleichstexte (mit der materiellen Abfindung der Rechtsnachfolger) klar über unseren heutigen Haftungsbegriff hinaus, der von einem benennbaren Schuldner ausgeht.

Zwischen dem alttestamentlichen und dem übrigen altorientalischen Recht besteht der markanteste Unterschied dort, wo es um den Tod von Menschen geht. Während das Alte Testament bei der verschuldeten Tötung eines Menschen eine Todessanktion verhängt oder jedenfalls von Blutschuld spricht (Dtn 22,8), verhängen die altorientalischen Gesetze zumeist nur eine Geldbuße. Es ist die Inkommensurabilität menschlichen Lebens und das talionische Prinzip (→ Recht), die das Alte Testament somit tendenziell täterorientiert handeln lassen, während der sonstige Alte Orient von anderen Voraussetzungen, besonders dem Schutz der Klasse der freien Bürger, her eher opferorientiert verfährt.

Die Beziehung zwischen alttestamentlichem und altorientalischem Recht, die überlieferungsgeschichtlich und zum Teil literarisch in mehreren Gesetzen fassbar wird, hat über Schreiberschulen oder mehr noch in den Institutionen der staatlichen Zeit Israels stattgefunden. Strittig ist dabei, ob diese Beziehung schon für einzelne Gesetze gilt oder erst auf der Ebene der redaktionellen Sammlung besteht.

2. Tierhalterhaftung (Ex 21,28-32.35-36)

2.1. Rind tötet Menschen. Der auch sonst im Alten Orient mehrfach behandelte Fall des stößigen Rindes spricht zuerst den schwereren Fall der Tötung von Menschen durch ein Rind an und differenziert, ob die Aggressivität des Tieres bereits bekannt war oder nicht. War sie bisher unbekannt (Ex 21,28), geht der Tierhalter straffrei aus (נָקִי nāqî), doch soll das Rind gesteinigt, sein Fleisch aber nicht gegessen werden.

Die Sanktion gegen das Tier, zu der es im Alten Orient keine Parallelen gibt, hat verschiedene Erklärungen gefunden: eine Form der Lynchjustiz, die nicht einmal den Tod des Tiers erfordere, sondern nur seine Vertreibung, da die Tötung des Tiers nicht ausdrücklich erwähnt werde. Oder es gehe um die Verhinderung eines Opfermahls, das die Gottheit günstig stimmen sollte; nach anderer Ansicht ist das Tier tabu und muss getötet werden, ohne dass Menschen es berühren; oder es handle sich bei der Steinigung um die typisch israelitische Form der Hinrichtung, die eine Kompensationszahlung mit Geld verhindern sollte; oder man sieht in der Steinigung die Möglichkeit einer „emotional compensation“ für die Familie der getöteten Person.

Mit der Steinigung wird nicht eine angebliche „Schuld“ des Tieres geahndet, sondern auf seine dauernde Gefährlichkeit reagiert, die nach israelitischer Vorstellung auch in der religiösen Dimension des Blutvergießens bestand. Ein Mensch sollte nur getötet werden, wenn er eine todeswürdige Schuld begangen hatte.

Es folgt der Gegenfall, dass die Stößigkeit des Rindes schon einige Zeit bekannt war, dies dem Besitzer zur Kenntnis gebracht wurde, er das Tier jedoch nicht beaufsichtigt hat und es zu einem Angriff mit Todesfolge kam (Ex 21,29-32). Die Apodosis enthält die Steinigung des Rindes und die Tötung des Tierhalters.

Die Alternative zur Tötung des Tierhalters in Form einer Geldzahlung (Ex 21,30) dürfte Zusatz sein, der zumindest einen Teil der tatsächlichen Rechtspraxis beschreibt (s. die altorientalischen Vergleichstexte, die Ex 21,30 beeinflusst haben dürften). Denn schon Ex 21,29 spricht nur von יוּמָת jûmāt „er soll getötet werden“, und nicht von מוֹת יוּמָת môt jûmāt „er soll gewiss getötet werden“, scheint also nicht die unbedingte Tötung des Schuldigen zu verlangen.

Das Gesetz sieht vor, dass für Söhne und Töchter der freien Bürger nach demselben Recht zu verfahren ist. Nur im Fall männlicher oder weiblicher Sklaven werden 30 Schekel gezahlt, das Rind jedoch wiederum gesteinigt. Da der „Wert“ von Sklaven berechnet werden konnte, stand das Leben des Verursachers grundsätzlich nicht auf dem Spiel und trat in der Regel Geldstrafe ein (bzw. Freilassung, die eine reale Einbuße bedeutete).

2.2. Rind tötet Rind. Der minder schwere Fall der Tötung eines anderen Rindes durch ein Rind (Ex 21,35-36) sieht bei noch nicht bekannter Stößigkeit vor, dass der Tierhalter und der Geschädigte sich sowohl den Erlös aus dem Verkauf des stößigen Tieres als auch das getötete Rind untereinander teilen (Ersatzfreiheit). Bei bekannter Stößigkeit, die dennoch nicht zur Beaufsichtigung des Tieres geführt hat, ersetzt der Tierhalter dem Geschädigten das getötete Tier durch ein gleichwertiges, behält selber aber das verendete (einfacher Schadensersatz).

2.3. Altorientalische Parallelen. Innerhalb der altorientalischen Parallelen gelten §§ 53-55 des Kodex Eschnunna (Beginn des 2. Jt. v. Chr.) und §§ 250-252 des Kodex → Hammurabi (um 1760-1750 v. Chr.) einerseits und Ex 21,28-36 andererseits als die engste Parallele zwischen altorientalischer und israelitischer Rechtstradition, wobei man für Ex 21,35 und Kodex Eschnunna § 53 sogar mit literarischer Abhängigkeit rechnen kann. Die Gesetze von Eschnunna gehen insofern über das Bundesbuch hinaus, als in § 56-57 noch der Fall eines bissigen Hundes behandelt wird. § 53 regelt den Fall, dass ein Rind das Rind eines anderen Besitzers stößt und tötet. Die Rechtsfolge entspricht genau der von Ex 21,35: Die beiden Besitzer teilen untereinander den Verkaufspreis des lebenden und das Fleisch des toten Tiers.

§§ 54-57 verhängen dagegen Geldzahlungen für den Fall, dass ein als stößig bekanntes Rind oder ein bissiger Hund einen Menschen tötet. Die Beträge sind danach gestaffelt, ob das Opfer ein freier Bürger oder ein Sklave ist.

Für Kodex Hammurabi §§ 250-252 gelten ähnliche Bestimmungen: Die unvorhersehbare Tötung eines Bürgers durch ein Rind zieht keinen Klageanspruch nach sich. Bei bekannter Stößigkeit werden wiederum gestaffelte Geldzahlungen angeordnet.

Die wahrscheinliche Todessanktion gegen den Baumeister (Kodex Eschnunna § 58) im Fall der einstürzenden Wand, die einen Bürger tötet, hat wohl damit zu tun, dass diese im Gegensatz zu Tieren keinen eigenen, unkontrollierbaren „Willen“ hat, das Geschehen also weitaus besser vorhersehbar war.

3. Haftung bei Fahrlässigkeit (Ex 21,33-34; 22,4-5)

3.1. Tierschäden (Ex 21,33-34)

Im Fall eines fahrlässig verursachten Tierschadens durch eine geöffnete oder offen gelassene Zisterne tritt nach dem jetzigen Text Schadensersatz durch eine Geldzahlung ein (יְשַׁלֵּם ješallem ist nicht zu streichen, sondern Parameter für den Betrag); das verendete Tier gehört dagegen dem Zisternenbesitzer, der offenbar auch dafür verantwortlich ist, ob seine Zisterne von anderen (Familienmitgliedern und anderen Personen unter seiner Verantwortung) korrekt abgedeckt wird.

In der Logik von Ex 21,36 (ein als stößig bekanntes Rind tötet das Rind eines anderen Eigentümers) müsste eigentlich statt der Geldzahlung der Ersatz durch ein anderes Tier erfolgen. Doch sind Ex 21,35-36 eher als ein Zusatz anzusehen, nachdem Ex 21,33-34 schon fest mit dem Vorangehenden verbunden waren. Vv.35-36 kombinieren in etwa beide Sachbereiche: Tierschaden und ein anderes Tier als Verursacher; sie bilden ein Zwischenstück, das zur ješallem-Reihe überleitet, wobei deren Terminologie aufgenommen wird.

3.2. Flurschäden (Ex 22,4-5)

Der schwer verständliche Text Ex 22,4-5 handelt wahrscheinlich davon, dass einmal Vieh, das andere Mal Feuer ein fremdes Feld schädigt. Ex 22,4: Vieh weidet ein Feld oder einen Weinberg ab und dringt in das Feld eines anderen ein; Ex 22,5: Durch das Abbrennen des eigenen Feldes, um die Rückstände der letzten Ernte zu beseitigen, wird ein Nachbarfeld vernichtet.

Die Apodosis ist in beiden Fällen jedoch unterschiedlich. In Ex 22,4 soll der haftbare Schädiger mit dem besten Teil seines Feldes / Weinbergs Ersatz leisten (oder „Ertrag für Ertrag“), in Ex 22,5 soll er vollen Ersatz (für die vernichtete Ernte) leisten. Der Unterschied könnte dadurch erklärt werden, dass im Fall des Brandschadens von Garben und stehendem Getreide die Rede ist, der Ertrag mithin absehbar war und entsprechend zu ersetzen ist. Die Abweidung geht offenbar von einem noch nicht vorhersehbaren Ertrag aus, so dass mit dem Ertrag des besten Teils der Anbaufläche gehaftet wird.

Innerhalb der altorientalischen Parallelen ist § 31 des Kodex Ur-Nammu (um 2100 v. Chr.) für die mesopotamische Bewässerungswirtschaft charakteristisch: Für ein Feld, das durch die Schuld eines anderen überflutet wurde, hat der Verursacher 3 Kor Getreide (900 L) für 1 Iku vernichtete Feldfläche (3500 m2) zu erstatten.

Kodex → Hammurabi spricht in den §§ 53-58 von Flurschäden; zuerst solchen, die durch fahrlässig herbeigeführte Überschwemmungen benachbarter Felder herbeigeführt werden (§§ 53-56, Rechtsfolge: voller Ersatz), dann solchen, die mit dem Abweiden fremder Felder zu tun haben (Rechtsfolge: Ersatz durch festgelegte Getreidemengen pro Flächeneinheit des vernichteten Ackerlands).

Der nicht ganz klaren Berechnungsgrundlage für die Entschädigung in Ex 22,4-5 (bester Teil des Feldes bzw. voller Ersatz für die vernichtete Ernte) steht hier ein einheitliches Maß gegenüber (das Kor Getreide); auf dieser Basis ließen sich wahrscheinlich auch monetäre Kompensationen berechnen.

§§ 105-107 der hethitischen Gesetze (um 1600) sprechen von Flurschäden durch Fahrlässigkeit, die Ex 22,4-5 nahe kommen, ohne dass eine literarische Abhängigkeit bestünde. Die landwirtschaftlichen Verhältnisse der beiden Kulturkreise sind eher miteinander vergleichbar als die mesopotamische Bewässerungswirtschaft. Die Rechtsfolge der hethitischen Gesetze besteht in festen Geldzahlungen pro Maßeinheit vernichteter landwirtschaftlicher Fläche bzw. im Ersatz eines vernichteten Feldes durch ein anderes.

4. Verwahrung und Tierhüte, Veruntreuung und Unterschlagung

4.1. Verwahrung und Tierhüte (Ex 22,6-7.9-12)

Die unvorsätzliche Schädigung von anvertrautem Gut wird in zwei gleich aufgebauten Bestimmungen geregelt: Ex 22,6-7 behandelt untergestelltes Geld bzw. Geräte, die aus dem Haus des Depositars gestohlen werden. Diese Protasis spaltet sich dann in die zwei Unterfälle auf, dass der Dieb ausfindig gemacht werden kann (Apodosis: Der Dieb leistet doppelten Ersatz), und dass er unbekannt bleibt (Apodosis: Der Depositar erscheint vor Gott, der durch ein → Ordal, nicht einen → Eid, „klärt“, ob der Depositar sich am Gut des Depositors vergriffen hat).

Ex 22,9-12 behandeln die Verwahrung von Nutztieren, die einen höheren, Stellenwert als Geld und Gerätschaften hatten, wobei eine Entlohnung für ihr Hüten wahrscheinlich ist. Die Protasis spaltet sich in drei Unterfälle auf: 1. Stirbt ein Tier, bricht es sich etwas oder wird es fortgetrieben, ohne dass es dafür Zeugen gibt, dann tritt nach einem assertorischen Eid des Depositars Ersatzfreiheit ein (höhere Gewalt). 2. Werden die Tiere gestohlen, muss voller, einfacher Ersatz geleistet werden (mangelnde Aufsicht des bezahlten Tierhüters). 3. Riss durch Raubtiere: Kann der Depositar den Riss als Zeugnis seiner Unschuld beibringen, tritt Ersatzfreiheit ein (höhere Gewalt).

Zusatz ist neben Ex 22,8 wahrscheinlich שׁבה šbh Nif. „weggetrieben werden“ in Ex 22,9: Das Verb meint eigentlich das Fortführen als Kriegsbeute, wofür es jedoch in jedem Fall Zeugen geben würde. Man kann vermuten, dass es sich dabei um einen Niederschlag gehäufter Kriegshandlungen im 8. Jh. handelt.

Zu Ex 22,13-14 s. → „Leihrecht“, auch wenn es dort ebenfalls um Haftung geht.

4.2. Veruntreuung und Unterschlagung (Ex 22,8; Lev 5,21-26)

Zwischen den beiden Blöcken der Sachdeposita und der Tierhüte bietet Ex 22,8 eine Generalregel zur Veruntreuung anvertrauten Eigentums, die von der voranstehenden Regelung zur unvorsätzlichen Schädigung der Deposita abgesetzt ist und sich formal von den folgenden kasuistischen Rechtssätzen abhebt. Durch כָּל־אֲבֵדָה kål ’ǎvedāh „alles Verschwundene“ wird neben dem Depositenrecht auch der Fall von Fundunterschlagung berücksichtigt. Die Schuld wird offenbar wieder durch ein Ordal oder einen sonstigen Gottesbescheid festgestellt. Die Rechtsfolgebestimmung besteht im Duplum, entspricht also der Bestimmung in Ex 22,6, die dem ausfindig gemachten Dieb untergestellter Gegenstände auferlegt wird.

Das Duplum ist ebenfalls in Ex 22,3 das Strafmaß, wobei es sich um einen Dieb handelt, in dessen Besitz sich die gestohlenen Tiere noch befinden. Die Spannung zum fünffachen Ersatz für Großvieh und vierfachen für Kleinvieh in Ex 21,37 erklärt sich am ehesten aus dem Unterschied ob das Diebesgut aufgefunden oder zuvor beseitigt wurde. Es kommt für das Strafmaß also auf die Identität der gestohlenen Gegenstände oder Tiere an.

In Lev 5,21-26 scheint Ex 22,8.10 rezipiert zu werden; allerdings werden hier fast ausschließlich die Verfehlungen und die entsprechende Ersatzleistung aufgezählt, während die Aufdeckung der Verfehlungen ausfällt. Auffällig ist dabei die explizite Erwähnung des Ableugnens von Depositen und Fundgegenständen sowie die Möglichkeit, dass hierbei ein Meineid geschworen wird, was der eigentliche Skopus der Bestimmung zu sein scheint. Ebenso fällt gegenüber Ex 22 der geringere Ersatz auf (voller Ersatz plus einem Fünftel), während weiterer „Ersatz“ in der kultischen Form des Schuldopfers (אָשָׁם ’āšām) an JHWH geleistet werden muss.

4.3. Altorientalische Parallelen

Kodex Eschnunna sieht in §§ 36-37 den Fall vor, dass ein Depositor einem Depositar sein Eigentum in Verwahrung gibt und dieser die Gegenstände hat verloren gehen lassen, obwohl sich an seinem Haus keinerlei Einbruchsspuren finden. Der Depositar hat in diesem Fall einfachen Ersatz zu leisten. Wurde das Haus des Depositars ausgeraubt, tritt nach einem Unschuldseid Ersatzfreiheit ein.

Kodex Hammurabi § 125: Gehen die Deposita aufgrund der Nachlässigkeit des Depositars durch Einbruch oder Diebstahl verloren, ist der Depositar haftpflichtig; das Duplum muss er erstatten, wenn er trotz eines Vertrags mit dem Depositor die Deposita abstreitet (§ 124).

Unterschlagung behandeln § 112 des Kodex Hammurabi (Transportgut, das einem Transporteur anvertraut wurde) und Tafel M § 3 der mittelassyrischen Gesetze (um 1100 v. Chr.; Kleider, die einem professionellen Wäscher übergeben wurden). Gelingt der Nachweis einer versuchten Unterschlagung, muss mehrfacher Ersatz geleistet werden.

Im Fall entgeltlicher Tierhüte durch einen Hirten (re’ûm) sind am eindeutigsten die §§ 262-267 des Kodex Hammurabi. Es geht dabei jedes Mal um Ersatz für die übergebenen, aber aus verschiedenen Gründen verloren gegangenen Tiere. Ersatzfreiheit tritt bei einer Viehseuche oder Riss durch einen Löwen ein. Im Fall einer anderen Krankheit (wohl Räude) und sonstigen Tierverlusts durch Nachlässigkeit muss vollständiger Ersatz geleistet werden. Bei betrügerischer Aneignung des fremden Viehbestands tritt bis zu zehnfacher Ersatz ein.

Ex 22,6-12 (mit Tierleihe und Tiermiete kommen noch Ex 22,13-14 hinzu) fassen mehrere Rechtsbereiche zusammen, die im Kodex Hammurabi an verschiedenen Orten stehen. Dadurch wird im Bundesbuch eine dichtere Systematik erreicht. Eine Behandlung der einzelnen Rechtsmaterien, die der redaktionellen Zusammenbindung voranging (Ex 22,6-7 als Kristallisationspunkt), könnte überlieferungsgeschichtliche Berührungspunkte mit Kodex Eschnunna und Kodex Hammurabi gehabt haben.

5. Kollektive Haftung (Dtn 21,1-9; 22,8)

Der Fall von kollektiver Schuld und Haftung von Ortschaften / Städten wird rituell durch den „Sündenkuhritus“ (M. Rose, J. Dietrich) gelöst. Die Ausgangslage spricht von jeglichem Toten, der nicht auf natürliche Weise ums Leben gekommen ist, nicht nur Kriegstote. Die Akteure sind „deine Ältesten und deine Richter“, wobei mit den Richtern eventuell an die Ämtergesetze (Dtn 16,18; → Verwaltung) angeglichen wird (mit gesamtisraelischer Perspektive); die Erwähnung der Priester ist als späterer, nachexilischer Zusatz zu betrachten.

Damit stellt sich der Vorgang in Dtn 21,1-9* im Grundbestand (deuteronomisch) folgendermaßen dar: Ein Erschlagener wird auf einem Feld aufgefunden, der Täter ist unbekannt. Die Ältesten messen den Abstand zu den umliegenden Ortschaften (falls die nächstgelegene nicht evident ist), die nächstgelegene wird in Haftung genommen, ihre Ältesten führen eine Jungkuh zu einem abgelegenen Bach, brechen ihr das Genick, waschen ihre Hände über ihr und erklären ihre Unschuld, sie seien weder Täter noch Zeugen.

Dass ein Rechtsfall durch eine Ritualhandlung gelöst wird, hängt damit zusammen, dass die Protasis als ein unheilvolles Omen gewertet wird. Auf dem Volk und seinem Land lastet Blutschuld, für die kollektive Haftung entsteht; Ordnung und Rechtsfrieden müssen wiederhergestellt werden. Da es nicht um ein Opfer geht, findet die Sühnehandlung nicht am Zentralheiligtum statt.

In den altorientalischen Vergleichstexten behandelt Kodex → Hammurabi § 24 den Fall eines Raubmordes. Die betreffende Stadt und ihr Vorsteher müssen der Opferfamilie eine Mine Silber zahlen, wodurch die Existenz der Familie gesichert wird.

Die hethitischen Gesetze haben im § 6 und im Paralleltext KBo VI 4 § IV [Keilschrifttexte aus Boghazköi] Bestimmungen für den Fall erlassen, dass ein Mann oder eine Frau in einer anderen Stadt durch Gewalteinwirkung stirbt. In diesem Fall muss der Eigentümer des Grundstücks, auf dem der Tote lag, den Hinterbliebenen Land bzw. Immobilen geben, die deren Existenzsicherung dienen. Falls der Tatort zu niemandes Boden gehört, werden drei Doppelmeilen (ca. 30 km) in jede Richtung abgemessen. Der Rechtsnachfolger kann die darin liegende Ortschaft haftbar machen. Liegt keine Ortschaft innerhalb dieses Radius, geht er seiner Ansprüche verlustig.

Außerhalb der sog. Gesetzeskodizes haben sich in → Ugarit auf Akkadisch verfasste zwischenstaatliche Verträge zwischen Ini-Teschub, dem hethitischen „Vizekönig“ von → Karkemisch, und den Männern (wohl der Bürgerschaft) von Ugarit erhalten (RS 17.230, RS 17.146, RS 18.115 [Ras Schamra], Mitte des 13. Jh.). Gemeinsam ist den Urkunden, dass für jedes Opfer eines Raubmords das Land, auf dessen Boden er begangen wurde, drei Minen Silber zahlt. Es kommt auch zu Reisen in das jeweils andere Land, sei es einer Delegation des „Täterlands“ in das Land der Rechtsnachfolger der Opfer oder umgekehrt der Rechtsnachfolger in das Land der Täter. Dabei kommt es auch zu Eidesleistungen entweder über die mitgeführten Güter und ihren Wert oder bezüglich der Unschuld an dem begangenen Raubmord.

Diese altorientalischen Bestimmungen dienen in erster Linie den Herrschaftsinteressen des Palastes: Die Könige sind an der öffentlichen Sicherheit und an der des überregionalen → Handels (→ Karawane) interessiert, da sie von den Kaufleuten Abgaben einnehmen. Die Haftung bei Raubüberfällen wird jedoch den Lokalgemeinden auferlegt. Damit erreicht der Palast auch, dass die Städte und Ortschaften für die Sicherheit in ihrem Gebiet sorgen und mit Räubern nicht paktieren. Zugleich wird das gestörte Recht wiederhergestellt, da die Kollektivhaftung die nicht mögliche Individualhaftung ergänzt. Dass diese Verträge nicht nur der Selbstdarstellung der Herrscher dienten, sondern geltendes und praktiziertes Recht widergeben, belegen Rechtsurkunden, in denen die Könige einzelnen Personen Kompensation zusprechen, deren von ihnen abhängige Kaufleute im Ausland getötet wurden. Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass die syrischen Staatsverträge die §§ III und IV der späteren Fassung der hethitischen Gesetze beeinflusst haben. Wegen der syrisch-israelitischen Handelsbeziehungen (1Kön 20,34) könnten ähnliche Abkommen auch zwischen Damaskus und Samaria bestanden haben und ein indirekter Einfluss auf Dtn 21,1-9 ausgegangen sein. Ansonsten ist mit Parallelentwicklungen und typologischen Ähnlichkeiten zu rechnen.

Dtn 22,8 erlässt die Bestimmung, bei einem Hausneubau das Flachdach mit einem Geländer (d.h. einer Umfassungsmauer) zu umgeben, damit nicht durch einen tödlichen Sturz Blutschuld „auf deinem Haus“ lastet. In einem gleichsam magischen Verständnis wird eine dauernde Blutschuld auf dem Gebäude gesehen, wodurch die jeweiligen Bewohner jedoch mit betroffen wären (es liegt ein eher unpersönliches Verständnis von דָּמִים dāmîm „Blutschuld“ vor).

Über eine Ahndung oder Sühnung der Blutschuld wird nichts gesagt, weil es sich zum einen in der Regel um eigene Familienmitglieder handelt, die vom Dach stürzen könnten. In diesem Fall würde keine „Strafverfolgung“ stattfinden, da es keine geschädigte Gegenpartei gibt. Zum anderen könnte der tödliche Unfall eine spätere Generation betreffen, so dass der nachlässige Hauserbauer nicht mehr haftbar gemacht werden kann.

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