(erstellt: September 2020)
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1. Belege und Name
Ham (חָם Ḥām) ist einer der drei Söhne → Noahs
Die Etymologie des Namens ist unsicher. Denkbar ist eine Verbindung mit dem ägyptischen ḥm „Diener“, das in Verbindung mit Götternamen als Personenname vom Typ „Diener des Gottes N.N.“ belegt ist. Ein anderer Vorschlag leitet den Namen von dem gleichlautenden hebräischen Wort für Schwiegervater, genauer für den Vater des Mannes ab (vgl. Gen 38,13.25
2. Ham in der Priesterschrift
Die Einordnung Kanaans (Kəna‘an) fällt ein wenig aus diesem geographischen Rahmen. Kanaan bezeichnet in keilschriftlichen und ägyptischen Texten der zweiten Hälfte des 2. Jt.s v. Chr. den südlichen, von Ägypten kontrollierten Teil der syrisch-palästinischen Landbrücke. Die ägyptische „Provinz Kanaan“ mit dem Verwaltungssitz Gaza reichte von → Byblos
Man hat die geographische Abweichung mit dem Rückgriff auf eine sehr alte Tradition erklärt, in der sich die politischen Verhältnisse der zweiten Hälfte des 2. Jt.s v. Chr. spiegeln (Westermann 1977, 682). Gegen diese Erklärung spricht, dass die Erinnerung an das „ägyptische Kanaan“ im Alten Testament sonst nicht greifbar ist. Vage ist auch die Auskunft, hinter der Zuordnung würden der Herrschaftsanspruch über die Levante in der 25. (kuschitischen) Dynastie stehen (Lipinśki 1992, 162-163; Malamat 2004). Eher trägt die Priesterschrift die im Alten Testament gängige Abgrenzung „Israels“ von „Kanaan“ in die ethno-geographische Ordnung der nachsintflutlichen Welt ein. Auch wenn das nachmalige Israel in historischer Perspektive aus „Kanaan“ hervorgegangen ist, so ist es in der Selbstwahrnehmung der biblischen Autoren ethnisch und kulturell von der autochthonen Bevölkerung des verheißenen Landes zu unterscheiden. Konsequenterweise ordnet die Priesterschrift Kanaan zu den Söhnen Hams und die Ahnherren des nachmaligen Israel zu den Söhnen Sems (Gertz 2018, 312-313).
3. Ham in der Erzählung von Noah und seinen Söhnen in Gen 9,18-29
4. Auslegungsgeschichte
Neben der Explikation des im biblischen Text nur angedeuteten Vergehens wurde in der antiken jüdischen, christlichen und islamischen Exegese vor allem die Frage diskutiert, warum Kanaan für die Tat seines Vaters Ham verflucht wurde. Nach einer schon in → Qumran
Darüber hinaus wurde Ham schon früh zum Ahnherrn von Menschen mit schwarzer Hautfarbe. Während die Bibel nichts dergleichen erwähnt, scheint im Frühjudentum die Frage aufzukommen, wie es bei der Abstammung von einem Menschenpaar so offenkundige äußere Unterschiede wie die unterschiedlichen Hautfarben geben kann. Wie wohl in allen Kulturen wird dabei das Andere als die Abweichung und das Eigene als die Norm angesehen, wobei diese Abweichung zumeist als Minderung bewertet wird. Ham bot sich für eine ätiologische Herleitung der schwarzen Hautfarbe daher vermutlich besonders an: Durch sein Vergehen an Noah war er ohnehin schon schlecht beleumdet und zudem galt er als Vater von Kusch, den Bewohnern des südlich von Ägypten gelegenen Nubien. So wusste eine bei den Rabbinen überlieferte und von islamischen Historikern aufgenommene Tradition zu berichten, dass Ham trotz des göttlichen Verbots auf der Arche mit seiner Frau geschlafen hat, weshalb er mit einer schwarzen Hautfarbe bestraft wurde (Babylonischer Talmud, Traktat Sanhedrin 108b; Jerusalemer Talmud, Traktat Taanit 7a [1,6]; Bereschit Rabba 36,7; Tanhuma 12; al-Ṭabarī [Rosenthal 1989, 365]). Nach Raschi (1040-1105) ging die dauerhafte Verfärbung dann allerdings auf seinen Sohn Kusch über.
Die Verbindung zur doppelten Verfluchung Hams (!) und seiner Nachkommen mit schwarzer Hautfarbe und Sklavenexistenz findet sich wohl erstmals explizit bei islamischen Historikern: „Kanaan ben Ham ben Noah heiratete Arsal ... und sie gebar ihm Schwarze, Nubier ... und das ganze Volk des Sudan. Gemäss Ibn Ḥumayd – Salamah – Ibn Isḥaq in der ḥadīth: Das Volk der Thora behauptet, dass dies nur wegen einer Anrufung Noahs gegen seinen Sohn Ham geschah. Das lag daran, dass, während Noah schlief, seine Genitalien entblößt waren, und Ham sah sie, bedeckte sie aber nicht ... Als er erwachte ... sagte er: ‚Verflucht ist Kanaan ben Ham. Sklaven werden sie seinen Brüdern sein!’“ (al-Ṭabarī [Brinner 1987, 11]). Im Hintergrund stehen die islamische Eroberung Afrikas und die daraus resultierende dramatische Zunahme der Versklavung von Schwarzafrikanern (Goldenberg 2017). Wie der Verweis auf das „Volk der Thora“ zeigt, scheint diese Verknüpfung implizit schon länger bestanden zu haben oder sich vor dem Hintergrund der verschiedenen Traditionen zu Ham exegetisch nahegelegt zu haben.
Im christlichen Kontext ist der Doppelfluch „Schwarz und Sklave“ wohl erstmals im 16. Jh. bei dem in Peru wirkenden Dominikaner Francisco de la Cruz belegt (gest. 1578). Ihre steile und unheilvolle Karriere machte diese Auslegung allerdings erst vor und nach dem amerikanischen Bürgerkrieg (1861-1865), wo der „Curse of Ham“ als vermeintlich biblische Rechtfertigung der Sklaverei diente (Haynes 2002; Goldenberg 2017). Dass es sich dabei um eine vorwiegend populärtheologische Auslegung mit einer längeren inneramerikanischen Vorgeschichte handelt, zeigt ihre Widerlegung bereits im frühen 18. Jh. durch Cotton Mather, den seiner Zeit vielleicht wichtigsten Theologen und Intellektuellen Neuenglands (Mather 1663-1728 / 2010, 672).
Die Vorstellung der Verfluchung Hams mit schwarzer Hautfarbe und Sklavenexistenz begegnet noch in der gegenwärtigen Auseinandersetzung um Rassismus und Segregation in den USA. Andererseits haben sich afroamerikanische Autorinnen und Autoren um ein positives Bild von Ham, dem ersten schwarzen Menschen, bemüht: Der Fluch der Sklaverei habe Kanaan getroffen. Ham sei der Vater bedeutender Völker und früher Hochkulturen wie Babylonien (Kusch; vgl. Gen 10,8
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
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- Brinner, W.M., 1987, The History of al-Ṭabarī (Ta’rīḫ ar-Rusūl wa-l-Mulūk). Vol. II. Prophets und Patriarchs, transl. and annot. by. William M. Brinner, Albany, NY
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- Gertz, J.C., 2009, Hams Sündenfall und Kanaans Erbfluch – Anmerkungen zur kompositionsgeschichtlichen Stellung von Gen 9,18-29, in: R. Achenbach / M. Arneth (Hgg.), „Gerechtigkeit und Recht üben“ (Gen 18,19). Studien zur altorientalischen und biblischen Rechtsgeschichte, zur Religionsgeschichte Israels und zur Religionssoziologie (FS Eckart Otto; BZAR 13), Wiesbaden, 81-95
- Gertz, J.C., 2018, Das erste Buch Mose (Genesis). Die Urgeschichte Gen 1-11 (ATD 1), Göttingen
- Goldenberg, D.M., 2017, Black and Slave. The Origins and History of the Curse of Ham (SBR 10), Berlin / Boston
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- Origenes, Werke in deutscher Übersetzung Bd. 1/1. Die Kommentierung des Buches Genesis, eingeleitet und übersetzt von Karin Metzler, Berlin / Freiburg u.a. 2010
- Rosenthal, F., 1989, The History of al-Ṭabarī (Ta’rīḫ ar-Rusūl wa-l-Mulūk). Vol I: General Introduction and From the Creation to the Flood, transl. and annot. by Franz Rosenthal, Albany, NY
- Vervenne, M., 1995, What Shall We Do with the Drunken Sailor? A Critical Re-Examination of Genesis 9.20-27, JSOT 68, 33-55
- Westermann, C., 1977, Genesis Bd. 1 (BK AT I/1), Neukirchen-Vluyn
- Witte, M., 1998, Die biblische Urgeschichte. Redaktions- und theologiegeschichtliche Beobachtungen zu Genesis 1,1-11,26 (BZAW 265), Berlin / New York
Abbildungsverzeichnis
- Karte zur sog „Völkertafel“ in Gen 10. © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
- Die Trunkenheit Noahs (Giovanni Bellini; ca. 1515).
- Die Trunkenheit Noahs (Schedelsche Weltchronik; 1493). Aus: Hartmann Schedel, Liber chronicarum (Weltchronik), Nürnberg 1493, Blatt X.
- Eine der wenigen bildlichen Darstellungen, die Ham mit schwarzer Hautfarbe zeigt. Aus: Bilder-Pentateuch von Moses Dal Castellazzo, Venedig 1521. Vollständige Faksimile-Ausgabe im Originalformat des Codex 1164 aus dem Besitz des Jüdischen Historischen Instituts Warschau, hg. von Kurt Schubert und Ursula Schubert, Bd. 1, Wien 1983, Abb. 10.
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