Deutsche Bibelgesellschaft

Andere Schreibweise: Harran; Karrhai (gr.); Carrhae (lat.)

(erstellt: März 2015)

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1. Haran als Ortsname

Haran 1

In der alttestamentlichen Überlieferung ist Haran der Ort, an dem sich → Terach und seine Familie niederließen, nachdem sie aus → Ur in Chaldäa ausgewandert waren (Gen 11,31), und von dem → Abraham nach Kanaan weiterzog (Gen 12,4).

1.1. Name

חָרָן Ḥārān „Haran“ ist die hebräische Form des akkadischen Ortsnamens Ḫarrānu(m), der bereits am Ende des 3. Jt.s v. Chr. in den Texten aus Ebla bezeugt ist (Bonechi, 176-177, Ḫarran). In den Texten aus Mesopotamien ist das Toponym durchgehend von der altbabylonischen (Groneberg, 92, Ḫarrānum) über die mittel- (Nashef, 120, Ḫarrānu) und neuassyrische (Parpola, 152-153, Ḫarrānu) bis zur spätbabylonischen Zeit (Zadok, 152, Ḫarrānu) belegt und erscheint auch in hethitischen Quellen (del Monte / Tischler, 90 u. del Monte, 287, Ḫarran). Keilinschriftlich wird Ḫarrānu(m) sowohl syllabisch als auch mit dem Logogramm KASKAL geschrieben. Akkadisch ḫarrānu(m) und sumerisch KASKAL bedeuten „Weg / Reise / Karawane“, was auf die strategische Lage der Stadt als Reise- und Handelsstation hindeuten könnte. Nicht auszuschließen ist aber, dass es sich um eine Volksetymologie handelt, die sich auf einen älteren Namen beziehen würde. In den aramäischen Quellen lautet der Name ḥrn. In der griechisch-lateinischen Überlieferung ist der Ortsname als Karrhai (gr.) bzw. Carrhae (lat.) bezeugt.

1.2. Biblische Überlieferung

Der hebräischen Bibel zufolge zog Terach zusammen mit seinem Sohn Abraham und seinem Enkel → Lot aus Ur in Chaldäa und ließ sich auf dem Weg nach Kanaan in Haran nieder (Gen 11,31), wo er im Alter von 205 Jahren starb (Gen 11,31). Abraham war 75 Jahre alt, als er mit Lot von Haran nach Kanaan zog (Gen 12,4) und alles mitnahm, was er dort erworben hatte (Gen 12,5). Die Familie seines Bruders → Nahor blieb dagegen in Haran, wo dessen Frau Milka acht Kinder gebar (Gen 22,20-22).

Um ihren jüngsten Sohn vor seinem Bruder → Esau zu schützen, riet → RebekkaJakob, er solle zu ihrem Bruder → Laban in Haran fliehen (Gen 27,43). Durch eine List gelang es Rebekka, dass → Isaak ihren Sohn segnete und nach Haran schickte, damit er dort eine Frau aus der eigenen Sippe nehme (Gen 28,1-5). Jakob machte sich von → Beerscheba auf den Weg nach Haran (Gen 28,10). Während der Reise schlief Jakob im Freien und sah im → Traum eine Leiter, die bis zum Himmel reichte (→ Himmelsleiter; Gen 28,12-15; → Bethel). Gleich bei seiner Ankunft in Haran traf Jakob Labans jüngste Tochter → Rachel an einem Brunnen (Gen 29,2-7). In Haran heiratete Jakob die beiden Töchter Labans, Lea und Rachel, die ihm mit ihren Sklavinnen → Silpa und → Bilha dort elf Söhne gebaren (Gen 29,1-30). Erst als Rachels erster Sohn Josef geboren wurde, bat Jakob Laban um Entlassung aus seinem Dienst, um nach Kanaan zurückkehren zu können (Gen 30,25).

1.3. Lage und Identifizierung

Haran war eine Stadt im Ğullāb-Tal im Balīḫ-Becken, die mit Altınbaşak (Koordinaten: N 36° 51' 53'', E 39° 01' 53'') in der heutigen Türkei, nah an der syrischen Grenze, etwa 40 km südöstlich von Urfa (dem antiken Edessa) identifiziert wird. Bis zum 20. Jh., als die Stadt in Altınbaşak umbenannt wurde, hieß die Stadt Ḥarrān, eine Bezeichnung, die seit dem Mittelalter bezeugt ist und in der der alte Name überlebte. Haran lag etwa auf halben Weg zwischen den wichtigen Zentren → Karkemisch (Jerablus) und Gosan (→ Tell Halaf), auf der östlich-westlichen Straße, die → Ninive mit der Levante verband. Die archäologische Untersuchung der Ruine von 1951 bis 1959 (Lloyd / Brice) konzentrierte sich auf die islamische Stadt, doch in einer Sondage wurden Schichten aus dem 3. Jt. v. Chr. erreicht (Prag). Die Identifizierung von Ḥarrān mit dem antiken Haran wurde durch den Fund von Fragmenten neubabylonischer Texte gesichert, in denen das Heiligtum des Mondgottes Sîn Eḫulḫul erwähnt ist (Saggs). Darüber hinaus wurden 1956 im Bereich der großen Moschee drei fragmentarisch erhaltene Stelen gefunden (H1 B, H2 A und H2 B), die zusammen mit einer weiteren Stele (H1 A), die bereits 1906 in der Nähe von Eski Ḥarrān (10 km nordöstlich von Ḥarrān) entdeckt worden war, dem babylonischen König → Nabonid (H2 A und H2 B) und seiner Mutter Hadad-ḥappe (H1 A und H1 B) gehörten (Schaudig 486-499 [Ḫarrān-Stele] und 500-513 [Adad-guppi-Stele]).

1.4. Geschichte

Haran kommt bereits in den Texten aus Ebla (24. Jh. v. Chr.) vor, was eine Entsprechung in den durch einen Tiefschnitt erreichten Schichten aus dem 3. Jt. v. Chr. findet. In der altbabylonischen Zeit ist Haran durch die Texte von → Mari (18. Jh. v. Chr.) am mittleren → Euphrat gut bezeugt. Die Stadt war eine der Hauptstädte von Zalmaqqum und zeitweise Teil des nordmesopotamischen Königreichs des Samsī-Addu. Im 16. Jh. v. Chr. wurde Haran in das hurritische Königreich von Mittanni integriert und im 14. Jh. v. Chr. vom hethitischen König Šuppiluliuma I. erobert. Seit dem 13. Jh. v. Chr. wurden Ḫarrānu und seine Umgebung wiederholt von den mittelassyrischen Herrschern angegriffen, doch die Stadt konnte nicht langfristig in assyrischen Händen gehalten werden. Adad-nārārī I. (RIMA 1, 136, 40-41) und Salmanassar I. (RIMA 1, 184, 84-85) rühmten sich, Ḫarrānu erobert zu haben. Tiglatpileser I. jagte im 11. Jh. Elephanten in der Region um Ḫarrānu (RIMA 2, 26, vi, 70-73) und einige Jahre später kämpfte Aššur-bēl-kala im gleichen Gebiet gegen die Aramäer (RIMA 2, 102, iii, 19-20). Die endgültige Eingliederung in das assyrische Reich (→ Assyrer) erfolgte wahrscheinlich während der Regierungszeit Salmanassars III. (858-824 v. Chr.), als Ḫarrānu Teil der „Provinz des Generals“ wurde. Später wurde Ḫarrānu von dieser Provinz abgetrennt und zur Hauptstadt der gleichnamigen Provinz gemacht, die das Gebiet östlich vom Balīḫ umfasste. Um → Hiskia einzuschüchtern, sagte Sanherib (704-681 v. Chr.), dass die lokalen Gottheiten von Ḫarrānu und anderen Städten nichts gegen die assyrischen Angriffe haben unternehmen können (2Kön 19,12; Jes 37,12). → Sargon II. (721-705 v. Chr.) stellte den privilegierten Status der Stadt Ḫarrānu wieder her, der seit langer Zeit in Vergessenheit geraten war (Fuchs, 343, 10-12). Mehrere Verwaltungsurkunden aus Ninive enthalten eine Volkszählung in der Region um Ḫarrānu, deren genauer Zweck unklar ist und wahrscheinlich während Sargons Regierungszeit durchgeführt wurde (SAA 11, Nr. 201-220). Diese Texte zeigen, dass das lokale Onomastikon zu dieser Zeit hauptsächlich aramäisch war. Während → Asarhaddons Regierungszeit (680-669 v. Chr.) war Ḫarrānu 671/670 in eine Rebellion gegen die Zentralmacht verwickelt (Baker 2002, 1092-1093, s.v. Sasî 7). Nach dem Fall von Ninive 612 v. Chr. wurde Ḫarrānu zur letzten Bastion des assyrischen Widerstands unter Aššur-uballiṭ II., bis die Stadt 609 v. Chr. von den → Babyloniern und ihren Verbündeten erobert und geplündert wurde. Ḫarrānu lag zeitweise in babylonischen und medischen Händen, bis → Kyros Sieg über die Meder (553 v. Chr.) dem babylonischen König Nabonid erlaubte, die Kontrolle über die Stadt zu übernehmen und sie zu restaurieren. Im Buch → Ezechiel wird Haran zusammen mit anderen Städten als bedeutendes kommerzielles Zentrum erwähnt (Ez 27,23). Die Stadt wurde nach dem Fall des neubabylonischen Reiches Teil des achämenidischen Herrschaftsbereichs. Sie konnte ihre relevante Rolle als strategisches und kommerzielles Zentrum erst in der islamischen Zeit wiedergewinnen. Im Jahr 53 v. Chr. fand bei Haran / Carrhae eine Schlacht statt, bei der der Triumvir Crassus zusammen mit über 25000 römischen Soldaten im Kampf gegen die Parther fiel, wodurch die Stadt eine besondere, tragische Bedeutung erlangte. Auch Kaiser Valerian erlitt im Jahr 260 eine vernichtende Niederlage gegen die Parther bei Carrhae, wo er gefangen genommen wurde.

1.5. Die religiöse Bedeutung von Haran

Haran war zusammen mit Ur eines der wichtigsten Kultzentren des Mondgottes Sîn im Alten Orient und gewiss das bedeutendste Zentrum im syro-palästinensischen Raum (→ Mond). Das Heiligtum des Mondgottes von Haran, das Eḫulḫul („Haus, das Freude spendet“) ist bereits in den Texten aus Mari, die aus der Regierungszeit Zimrī-lims datieren (18. Jh. v. Chr.), bezeugt. Es fungierte zu dieser Zeit als Heiligtum der benjaminitischen Stämme (nicht zu verwechseln mit dem biblischen Stamm Benjamin), die in der Region wohnten. Im 14. Jh. v. Chr. wird der Gott Sîn von Ḫarrānu zusammen mit anderen Gottheiten im Vertrag zwischen Suppiluliuma I. von Ḫatti und Šattiwaza von Mittanni erwähnt. Als „Sîn, der große Herr, der in Ḫarrānu wohnt“ wird er auch im Vertrag zwischen Aššur-nērārī V. und Mati’-ilu von Arpad (8. Jh. v. Chr., SAA II, 2, iv, 4) genannt. Das Eḫulḫul wurde von Salmanassar III. (VAB 7, 170, 37-38) und Assurbanipal (VAB 7, 170ff, 37ff) rekonstruiert. Darüber hinaus wird das Emblem des Sîn von Ḫarrānu in einem Brief an Sargon II. erwähnt (SAA 1, 50). Assurbanipal setzte seinen jüngeren Bruder Aššur-etel-šamê-erṣeti-mubalissu als Priester des Sîn von Ḫarrānu ein (VAB 7, 250, 17-18). In einem Brief an Assurbanipal wird erwähnt, dass ein provisorisches Heiligtum aus Zedern für Sîn und den Feuergott Nusku außerhalb der Stadt gebaut wurde, als Esarhaddon Ḫarrānu auf dem Weg nach Ägypten besuchte (SAA 10, 174, 10-16). Im 1. Jt. v. Chr. war Sîn auch als „Herr von Ḫarrānu“ (bēl-ḫarrān) bekannt, eine Bezeichnung, die z.B. in einer Inschrift des Königs Barrakib von Samal (8. Jh. v. Chr., KAI Nr. 218; → Sendschirli) und oft im neuassyrischen Onomastikon (z.B. Bēl-ḫarrān-abu-uṣur „Herr von Ḫarrānu, schütze den Vater!“) vorkommt (Radner 1999, 300-304). In einer Stele des letzten babylonischen Herrschers Nabonid (Schaudig 486-499 [Ḫarran-Stele]) und in der seiner Mutter Hadad-ḥappe (Schaudig 500-513 [Adad-guppi-Stele]) wird berichtet, dass der König wichtige Restaurierungsarbeiten im Eḫulḫul durchführte und sich für den Kult des Mondgottes von Ḫarrānu, der Stadt, aus der seine Mutter stammte, einsetzte. Ḫarrānu war auch in der klassischen Antike ein bekanntes Kultzentrum des Mondgottes. Auf dem Weg von Edessa nach Carrhae, wo er das berühmte Heiligtum besuchen wollte, wurde der römische Kaiser Caracalla im Jahr 217 ermordet (Cassius Dio LXXIX, 5).

2. Haran als Personenname

Haran steht eigentlich für zwei Namen, die in der Hebräsichen Bibel חָרָן Ḥārān und הָרָן Hārān gechrieben werden und sich auf drei unterschiedliche Personen beziehen. Beide Namen werden in der Septuaginta mit Arrhan wiedergegeben. Der Personenname Haran (הָרָן Hārān) ist auch Bestandteil des Ortsnamens Bet-Haran, östlich vom Jordanfluss in Gad (Num 32,36; Variante Bet-Haram in Jos 13,27).

2.1. Haran, der Sohn der Efa

Haran (חָרָן Ḥārān) ist einer der Söhne von Kaleb und seiner Nebenfrau Efa sowie Vater von Gases (1Chr 2,46).

2.2. Haran, der Bruder Abrahams

Haran (הָרָן Hārān) ist Sohn des Terach, Bruder Abrahams und Vater des Lot (Gen 11,26-27; Gen 11,31). Haran starb, als sein Vater Terach noch lebte, in seiner Heimatstadt Ur in Chaldäa (Gen 11,28). Haran hatte eine Tochter namens Milka, die mit ihrem Onkel → Nahor verheiratet war (Gen 11,29).

2.3. Haran, der Sohn Schimis

Haran (הָרָן Hārān) heißt auch einer von → Schimis Söhnen, dem → Leviten aus dem Klan Gerschom, und wird in der zu Beginn von → Salomos Regierung durchgeführten Zählung der Leviten erwähnt (1Chr 23,9).

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Paulys Realencyclopädie, Stuttgart 1893-1978
  • Reallexikon der Assyriologie und vorderasiatischen Archäologie, Berlin 1928ff
  • Encyclopaedia Judaica, Jerusalem 1971-1996
  • The Anchor Bible Dictionary, New York 1992
  • Der Neue Pauly, Stuttgart / Weimar 1996-2003

2. Texteditionen und archäologische Quellen

  • Donner, H. / Röllig, W., 1964, Kanaanäische und aramäische Inschriften, Wiesbaden (KAI).
  • Fales, F.M. / Postgate, J.N., 1995, Imperial Administrative Records, Part II, Helsinki (SAA 11).
  • Fuchs, A., 1994, Die Inschriften Sargons II. aus Khorsabad, Göttingen.
  • Grayson, A.K., 1987, Assyrian Rulers of the Third and Second Millennium BC (To 1115 BC), Toronto (RIMA 1).
  • Grayson, A.K., 1991, Assyrian Rulers of the Early First Millennium I BC (1114-859 BC), Toronto (RIMA 2).
  • Lloyd, S. / Brice, B., 1951, Harran, AnSt 1, 77-111.
  • Parpola, S., 1993, Letters from Assyrian and Babylonian Scholars, Helsinki (SAA 10).
  • Parpola, S. / Watanabe, K., 1988, Neo-Assyrian Treaties and Loyalty Oaths, Helsinki (SAA 2).
  • Prag, K., 1970, The 1959 Deep Sounding at Harran in Turkey, Levant 2, 63-94.
  • Schaudig, H., 2001, Die Inschriften Nabonids von Babylon und Kyros’ den Großen, Münster.
  • Saggs, H.W.F., 1969, Neo-Babylonian fragments from Harran, Iraq 31, 166-169.
  • Streck, M., 1916, Assurbanipal und die letzten assyrischen Könige bis zum Untergange Niniveh’s, Leipzig (VAB 7).

3. Weitere Literatur

  • Baker, H.D., 2002, The Prosopography of the Neo-Assyrian Empire. Part 3/I, P-Ṣ, Helsinki.
  • Bonechi, M., 1993, I nomi geografici dei testi di Ebla, Wiesbaden (=Répertoire Géographique des Textes Cunéiformes 12/1).
  • Del Monte, G., 1902, Die Orts- und Gewässernamen der hethitischen Texten. Supplement, Wiesbaden (=Répertoire Géographique des Textes Cunéiformes 6/2).
  • Del Monte, G. / Tischler, J., 1978, Die Orts- und Gewässernamen der hethitischen Texte, Wiesbaden (=Répertoire Géographique des Textes Cunéiformes 6/1).
  • Groneberg, B., 1980, Die Orts- und Gewässernamen der altbabylonischen Zeit, Wiesbaden (=Répertoire Géographique des Textes Cunéiformes 3).
  • Nashef, Kh., 1982, Die Orts- und Gewässernamen der mittelbabylonischen und mittelassyrischen Texte, Wiesbaden (=Répertoire Géographique des Textes Cunéiformes 5).
  • Parpola, S., 1970, Neo-Assyrian Toponyms, Neukirchen-Vluyn.
  • Radner, K., 1999, The Prosopography of the Neo-Assyrian Empire. Part 1/II, B-G, Helsinki.
  • Zadok, R., 1985, Geographical Names According to the New- and Late-Babylonian Texts, Wiesbaden (=Répertoire Géographique des Textes Cunéiformes 8).

Abbildungsverzeichnis

  • Karte zur Lage von Haran. © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart

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