Hass (AT)
(erstellt: Mai 2009)
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1. Einleitung
Als hebräisches Äquivalent für das deutsche Lexem „hassen / Hass“ findet sich im Alten Testament שׂנא śn’ / שִׂנְאָה sin’āh; darüber hinaus wird für „hassen“ keine andere Wurzel verwendet. Die → Septuaginta
Alttestamentlich bezeichnet „Hass / hassen“ allgemein einen „emotionalen Zustand der Aversion“ (Lipiński, 829). Dementsprechend kann „Hass“ im Hebräischen, anders als im Deutschen, in verschiedenen Härtegraden zum Ausdruck kommen: Während das Wort „hassen“ im Deutschen ein sehr massiver Ausdruck ist, wird שׂנא śn’ „hassen“ im Hebräischen auch als bloße Zurückweisung, als Gegenteil von Bevorzugung, als Widerwillen, aber auch als deutliche Feindschaft mit boshaften Absichten verwendet (vgl. Dietrich, 49).
„Hass“ ist ein Gefühl, das sich vornehmlich in der Beschreibung von Menschen findet. Das Alte Testament kennt allerdings auch die anthropomorphe Vorstellung, dass Gott hasst.
2. „Hass / hassen“ im Alten Testament
Insgesamt gibt es knapp über 160 Belege der Wurzel שׂנא śn’ „hassen“ in der Hebräischen Bibel, von denen sich die meisten (knapp 130) im Qal finden (vgl. Jenni, 2004, 835). Im Pi‘el kommt diese Wurzel nur als Partizip vor („Hasser“), und zwar fast immer als poetisches Parallelwort zu einem Begriff für „Feind“ (אוֹיֵב ’ôjev, צַר ṣar oder קָם qām; vgl. Jenni, 1968, 224). Bei → Jesus Sirach
Aus syntaktischer Sicht haben Aussagen über den Hass „meist eine einfache Struktur, genannt wird, wer hasst und auf wen oder was sich der Hass richtet“ (Wagner, 70). Auf Ausschmückungen und metaphorische Redeweise wird verzichtet. Im Unterschied zur deutschen Sprache kennt das Hebräische kein „Behälterkonzept“: Während im Deutschen ein Mensch „voll von Hass“ sein, er zu platzen drohen kann, findet sich im Hebräischen „kein einziger Hinweis auf eine Behältermetapher“ (Wagner 69). Dass die hebräische Wurzel שׂנא śn’ „hassen“ darüber hinaus ein größeres Bedeutungsspektrum hat als das deutsche „Hassen“, zeigen vor allem unterschiedliche Stellen im → Pentateuch
2.1. Der menschliche Hass
Im Alten Testament finden sich sowohl Geschichten, in denen eine Person von einem explizit genannten Gegenpart gehasst wird (→ Absalom
2.1.1. „Hass“ im Kontext von Recht und Gesetz
Ist im Pentateuch vom „Hass“ die Rede, so geht es in erster Linie darum, diesen zu vermeiden, um Regelungen für ein friedliches Zusammenleben zu treffen, sei es durch juristische oder ethische Forderungen.
Im rein juristischen Kontext wird die Wurzel שׂנא śn’ „hassen“ in Num 35,20
Ein weiterer juristischer Fall wird im deuteronomischen Gesetz verhandelt, allerdings in einem ehelichen Kontext. In Dtn 22,13-29
Im → Bundesbuch
- > Privilegrecht: Ex 22,28-29
- >> Gerichtsordnung: Ex 23,1-3
- >>> Gebot der Feindesliebe: Ex 23,4-5
- >> Gerichtsordnung: Ex 23,6-8
- > Privilegrecht: Ex 23,10-12
Neben der Nennung des „Hassers“ im Bundesbuch ist vom „Hassen“ auch im → Heiligkeitsgesetz
Zwar hält L. Schrader (45) fest, dass es im Alten Testament keinen „eindeutigen Beleg für Feindesliebe als reine Liebeszuwendung, die auf das Wohl des Feindes und die vollständige Zerstörung der Feindschaft zielt“, gibt, doch liefert 1Sam 24,18
Die beiden Verse des Liebesgebots, den Bruder nicht zu hassen und den Nächsten zu lieben, werden durch die „Ich-bin-Jahwe-Formel“ begründet. Diese „leistet eine Autorisierung der Gebote und durch die genannte Autorität ein Höchstmaß an Verbindlichkeit. […] Die Gebote werden in direkte Beziehung zu Jahwe gesetzt, das Befolgen bzw. Nichtbefolgen der Gebote wird damit in den Horizont des Gottesverhältnisses gestellt.“ (Diesel, 260f.).
Mit einer anderen Fokussierung, als dies im Bundesbuch und im Heiligkeitsgesetz der Fall ist, findet sich das Lexem „hassen“ im ersten Gebot des → Dekalogs
2.1.2. „Hass“ im Kontext der Gottesfurcht des Einzelnen
Anders als im Liebesgebot gefordert kann ein Psalmbeter durchaus von seinem „Hass“ auf andere sprechen, ohne dass dies ein schlechtes ethisches Verhalten impliziert. Wenn sich ein Beter als Gottesfürchtiger hervorheben möchte und seinen Glauben an Gott vor ihm beteuert, dann spricht er davon, dass er die Lügen-Wege (z.B. Ps 119,104
In der weisheitlichen Spruchliteratur gehört zur Gottesfurcht nicht nur das Hassen des Bösen (wie in den oben genannten Psalmen), sondern darüber hinaus auch das Lieben von Weisheit, Erkenntnis und Zucht (so beispielsweise Spr 1,7
2.2. Der göttliche Hass
Der göttliche Hass kann sich direkt gegen Menschen bzw. Völker richten, meist hat er jedoch das menschliche Verhalten im Blick, sei es im kultischen, mehrheitlich aber im ethischen Sinn. Spr 6,16ff
3. „Hass / hassen“ in den Schriften von Qumran
In den Schriften von Qumran findet sich ein ähnliches Spektrum des Lexems „hassen“ wie im Alten Testament, das heißt, es ist sowohl die Rede davon, dass Menschen andere Menschen hassen (z.B. in der sog. Sektenregel 1QS 1,3-10), dass Gott hasst (vor allem die Frevler), dass Menschen (bzw. konkret die Frevler / Söhne der Finsternis) Gott hassen und dass Beter von ihren „Hassern“ umringt sind (z.B. in 4Q381 Fragm. 24,8; Fragm. 31,5). Auch liegt der Hass in unterschiedlich starken Konnotationen vor, denn auch hier gibt es den Hass im Kontext der Ehe (insofern, als die Tempelrolle [11Q19 65,7ff.] Dtn 22,13-21 wiedergibt). Darüber hinaus lässt sich jedoch beobachten, dass in den Qumrantexten im Rahmen des Gegensatzes Gut und Böse häufig vom „Hass“ die Rede ist (vgl. Jenni, 1984, 837) und noch deutlicher expliziert wird, was und wen Gott hasst. Der Hass Gottes, „der sich gegen Menschen wendet, die dazu bestimmt sind, auf Abwege zu geraten, spielt in den Texten von Qumran eine relativ wichtige Rolle“ (Lipiński, 838). Die Personen, die auf Abwege geraten sind, werden in den Schriften von Qumran nun im Gegensatz zu den Bibeltexten konkret mit den Söhnen der Finsternis / den Frevlern identifiziert (vgl. exemplarisch 1QS 1,3ff. und 1QS 1,9ff.). So wie hier werden Bruderliebe und Feindeshass in den Schriften von Qumran oft gegenübergestellt, doch „zeigt ein genauer Blick auf die Texte, daß ein ausgesprochen gewaltloser Feindeshaß gepredigt wird. 1QS 10,17f verbietet Vergeltung gegenüber allen Menschen, auch den Frevlern, und fordert sogar, auf Böses immer mit Gutem zu reagieren – weil, Gericht zu halten, die absolute Prärogative Gottes ist. […] Der Haß gegenüber den Frevlern soll sich vielmehr ausschließlich in radikaler Absonderung von ihnen äußern (1QS 9,20 u.ö.)“ (Söding, 616). Daher lässt sich sagen, dass der Feindeshass in den Schriften von Qumran ebenso wie die Nächstenliebe „ein Ausdruck intensiver – freilich auch rigoroser – Frömmigkeit“ ist (Söding, 618).
Zudem finden sich in Qumran auch Auslegungen der in Lev 19,17-18a ausgesprochenen Verbote des Hasses, der Rache und des Nachtragens (z.B. in CD 9,2-8); diese zeigen schon „Ansätze zu deren späterer Verfeinerung und Verinnerlichung in der rabbinischen Exegese“ (Nissen, 304).
4. „Hass / hassen“ in den Schriften der hellenistisch-römischen Zeit
Drei Schriften treten in hellenistischer Zeit besonders hervor, wenn von „hassen“ (griechisch: μισέω miseō und μĩσος misos) die Rede ist: Es handelt sich um → Jesus Sirach
4.1. Der „Hasser / Feind“ bei Jesus Sirach
Bei → Jesus Sirach
4.2. „Hass“ in den Testamenten der Zwölf Patriarchen
Das zentrale Thema der → Testamente der Zwölf Patriarchen
4.3. „Hass“ bei Joseph und Aseneth
Bei Joseph und Aseneth bildet nicht das Verhältnis „Joseph und seine Brüder“ den Kontext des Themas „Hass“, sondern es geht im ersten Teil dieser Schrift um den Übertritt zum Judentum (vgl. Burchard, 601). Hierbei wird im Zuge der Auseinandersetzung mit dem ersten Gebot vom Hass gesprochen, insofern, als Gott alle hasst, die fremde Götter anbeten. Die zentralen Stücke, in denen der Hass thematisiert wird, sind die Kapitel JosAs 11 und 12 (Text Pseudepigraphen
5. Zusammenfassung
Mit Blick auf die alttestamentlichen Stellen lässt sich festhalten, dass, auch wenn „Hass“ vor allem im zwischenmenschlichen Bereich eine Rolle spielt, dennoch meist Gott der Bezugspunkt ist. Dass man seinen Mitmenschen nicht hassen, sondern lieben oder zumindest einen ethisch guten Umgang mit ihm pflegen soll (nicht lügen, keine falschen Eide sprechen, weder Unrecht noch Böses ersinnen), wird theologisch begründet. So zeigt sich beispielsweise Gottesgehorsam im Erfüllen des Privilegrechts, in der Wahrung des Rechts im Prozess und in der Solidarität mit dem „Hasser“ (Ex 23,5
Auch wenn man die andere Seite der Aussagen zum Thema Hass betrachtet, die vor allem in den Psalmen präsent ist, bleibt der Bezugspunkt stets Gott: Das „Hassen“ des Gottlosen ist Ausdruck besonderen Gottesgehorsams. Der „Hass“ findet sich auch hier im Spannungsfeld Gott – Mensch – Mitmensch.
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
- Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament, Stuttgart 1933-1979
- Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff
- Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
- Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, 5. Aufl., München / Zürich 1994-1995
- Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998-2005
2. Weitere Literatur
- Becker, J., 1974, Unterweisung in lehrhafter Form. Die Testamente der zwölf Patriarchen (JSHRZ III/1), Gütersloh
- Burchard, C., 1983, Unterweisung in erzählender Form. Joseph und Aseneth (JSHRZ II/4), Gütersloh
- Diesel, A., 2006, „Ich bin Jahwe“. Der Aufstieg der Ich-bin-Jahwe-Aussage zum Schlüsselwort des alttestamentlichen Monotheismus (WMANT 110), Neukirchen-Vluyn
- Dietrich, F., 1995, Art. Haß, NBL II, Zürich u.a., 49f
- Hempel, J., 1964, Das Ethos des Alten Testaments (BZAW 67), 2. erg. Aufl., Berlin
- Jenni, E., 1968, Das hebräische Pi‘el. Syntaktisch-semasiologische Untersuchung einer Verbalform im Alten Testament, Zürich
- Jenni, E., 2004, Art. שׂנא śn’ hassen, THAT II, 6. Aufl., Darmstadt, 835-837 (Nachdr. von 1975)
- Köckert, 2007, M., Die Zehn Gebote (C.H. Beck Wissen), München
- Lipiński, E., 1993, Art. שָׂנֵא śāne’, ThWAT VII, Stuttgart u.a., 828-839
- Meinhold, A., 2006, Maleachi (BK XIV/8), Neukirchen-Vluyn
- Michel, O., 1990, Art. μισέω, ThWNT IV, Stuttgart u.a., 687-698 [Nachdr. von 1933-1979]
- Nissen, A., 1974, Gott und der Nächste im antiken Judentum. Untersuchungen zum Doppelgebot der Liebe (WUNT 15), Tübingen
- Noth, M., 1984, Das zweite Buch Mose. Exodus (ATD 5), 7. unver. Aufl. (v. 1959), Göttingen
- Otto, E., 1994, Theologische Ethik des Alten Testaments (Theologische Wissenschaft 3,2), Stuttgart u.a.
- Reiterer, F.V., 1996, Gelungene Freundschaft als tragende Säule einer Gesellschaft. Exegetische Untersuchung von Sir 25,1-11, in: F.V. Reiterer (Hg.), Freundschaft bei Ben Sira. Beiträge des Symposions zu Ben Sira Salzburg 1995 (BZAW 244), Berlin / New York, 133-169
- Schoberth, W., Art. Haß I. Biblisch und dogmatisch, RGG 4. Aufl. III, Tübingen, 1467f.
- Schrader, L., 1996, Unzuverlässige Freundschaft und verläßliche Feindschaft. Überlegungen zu Sir 12,8-12, in: F.V. Reiterer (Hg.), Freundschaft bei Ben Sira. Beiträge des Symposions zu Ben Sira Salzburg 1995 (BZAW 244), Berlin / New York, 19-59
- Söding, T., 1995, Feindeshaß und Bruderliebe. Beobachtungen zur essenischen Ethik, RdQ 16, 601-619
- Wagner, A., 2006, Gefühle, in Sprache geronnen. Die historische Relativität von Gefühlen am Beispiel von „Hass“, in: A. Wagner, Emotionen, Gefühle und Sprache im Alten Testament. Vier Studien (KUSATU 7), Waltrop, 49-73
- Witte, M., 2001, Vom Wesen der alttestamentlichen Ethik, in: M. Witte (Hg.), Religionskultur – zur Beziehung von Religion und Kultur in der Gesellschaft (Beiträge des Fachbereichs Evangelische Theologie an der Universität Frankfurt am Main), Würzburg, 139-161
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