Hebräer / Hapiru
Andere Schreibweise: Hebrew (engl.); Habiru; Ḫapiru; Ḫabiru; ‘apiru
(erstellt: März 2012)
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„Hebräer“ bezeichnet im Alten Testament meist Angehörige des Volkes Israel. „Hapiru / Habiru“ meint in keilschriftlichen und ägyptischen Texten des 2. Jahrtausends v. Chr. eine soziale Schicht, nämlich rechtlose Menschen am Rand der Gesellschaft („outlaws“). Das wirft die Frage auf, ob 1) die beiden Begriffe etymologisch miteinander verwandt sind und ob es 2) eine Verbindung zwischen den mit ihnen bezeichneten Gruppen gibt.
1. Name
Das Wort „Hebräer“ עִבְרִי ‘ivrî (Plural: עִבְרִים ‘ivrîm) ist ein Gentilizium vom Stamm עבר ‘BR „hinübergehen / überschreiten“. Eine sinnvolle Ableitung ergibt sich jedoch aus dieser Bestimmung nicht. Daher werden noch weitere Etymologien vorgeschlagen (Loretz, 235-248), von denen keine eine breite Zustimmung gefunden hat.
Der in Umschrift als „Hapiru“ (‘apiru) oder „Habiru“ wiedergegebene Ausdruck ist in altvorderorientalischen Dokumenten aus dem 2. Jahrtausend v. Chr. keilschriftlich, keilalphabetisch (ugaritisch) und hieroglyphisch (ägyptisch) belegt (vgl. Bottéro 1954 und 1975). Die keilschriftlichen Dokumente zeigen entweder das Logogramm (Sumerogramm) SA.GAZ oder die syllabische Schreibung ḫa-bi-ru bzw. ḫa-bi-ri. Meist ist das Wort als „Menschen in Mehrzahl“ LÚ.MEŠ determiniert. Keilalphabetisch und hieroglyphisch sind die Schreibungen ‘pr und ‘pr.w bezeugt. Daher ist in der Forschung umstritten, ob das Wort als „Habiru“ (Bottéro 1954; Loretz; Lemche) oder „Hapiru“ (Borger; Weippert 1967) zu transkribieren ist.
2. Hebräer
Im Alten Testament finden sich 33 bzw. 34 Belege (s.u. 2.4.), in denen die Bezeichnung „Hebräer“ (im Singular und Plural) bzw. „hebräisch“ für Menschen verwendet wird, die sonst „Israeliten“ heißen. Fast alle Belegstellen finden sich in der Darstellung der Frühgeschichte Israels: in den Erzählungen von den → Erzeltern, in der Exoduserzählung (Ex 1-15
2.1. Erzelternerzählungen
Die meisten Belege finden sich in der → Josefsnovelle
2.2. Exoduserzählung
Zu Beginn der Exoduserzählung werden die in Ägypten lebenden israelitischen „Ausländer“ aus ägyptischer Perspektive stellenweise als „Hebräer“ angesprochen (Ex 1,15
2.3. Bundesbuch
Ex 21,2-6
2.4. Philisterkämpfe (1Sam)
Die „Hebräer“-Belege aus den Überlieferungen zu den Kämpfen mit den → Philistern
2.5. Prophetenbücher
Da Jer 34,9
2.6. Deuterokanonische Bücher und Neues Testament
Im nachalttestamentlichen Schrifttum ist „Hebräer“ verbreitet als Volksbezeichnung für „Israeliten“ gebraucht, etwa im Buch → Judit
2.7. Zusammenfassung
Der Ausdruck „Hebräer / hebräisch“ ist im Alten Testament in einigen Überlieferungen zur Frühgeschichte Israels synonym zur Volksbezeichnung „Israeliten / israelitisch“ gebraucht. Allerdings sind keine plausiblen Gründe für den lediglich punktuellen Gebrauch zu erkennen. Mehrheitlich steht der Ausdruck, wenn Israeliten aus der Perspektive von Nichtisraeliten (Ägyptern, Philistern) angesprochen werden, allerdings wird den Nichtisraeliten ebenso die Wendung „Israeliten“ in den Mund gelegt. Meist sind die mit „Hebräer“ angesprochenen Israeliten in abhängiger oder unterdrückter Stellung (Zwangsarbeiter, Sklaven, Vasallen, Hilfstruppen), so dass noch ein appellativisches Verständnis im Sinne der Bezeichnung einer gesellschaftlich gering geachteten Gruppe mitschwingt.
Die literaturgeschichtliche Einordnung der alttestamentlichen Belege ist nicht zweifelsfrei zu klären. Die ältere Forschung ging davon aus, dass ein Teil der Texte, insbesondere Gen 14,13
3. Hapiru / Habiru
Keilschriftliche, keilalphabetische (ugaritische) und ägyptische Texte des 2. Jahrtausends v. Chr. erwähnen Hapiru / Habiru in verschiedenen Zusammenhängen (Zusammenstellung der Belege bei Greenberg; Bottéro 1954 und 1975). Aufgrund der in den genannten Texten verbreiteten Determination von Nomina ist erwiesen, dass es sich um eine Gruppe von Menschen handelt. Die ältesten Textbelege stammen aus dem 19./18. Jh. v. Chr., die jüngsten aus dem 12./11. Jh. v. Chr. Im 1. Jahrtausend v. Chr. sind die Hapiru / Habiru nicht mehr nachgewiesen. Geographisch verteilen sich die Belege über den gesamten Alten Vorderen Orient, von Anatolien im Norden, dem iranischen Bergland im Osten bis nach Ägypten im Süden. Zentren des Auftretens der Hapiru / Habiru waren das nördliche Zweistromland und Syrien / Palästina.
Der Ausdruck Hapiru / Habiru ist nicht als Ethnikon, sondern durchgehend appellativisch zu verstehen. Er bezeichnet eine soziale Gruppe der bronzezeitlichen Klassengesellschaft. Die Hapiru / Habiru sind fast durchgehend Migranten, Landesfremde. Aufgrund dieser Situation sind sie recht- und schutzlos und stehen in der sozialen Rangordnung noch unter den Sklaven. So bezeugen Dokumente aus der nordmesopotamischen Stadt → Nuzi
Für die Frühgeschichte Israels von besonderem Interesse sind die Belege zu den Hapiru / Habiru in der keilschriftlichen → Armarna-Korrespondenz
Seit der Entdeckung der Amarnabriefe waren die fünf von → Abdi-Chepa
„Es höre der König [gemeint ist der Pharao] auf Abdi-Chepa, deinen Diener, und sende Bogentruppen, um das Land des Königs an den König zurückzubringen! Wenn keine Bogentruppen da sind, ist das Land des Königs zu den ‘Apirū abgefallen.“ (HTAT, 142f, Nr. 059)
Ein Ort oder eine Region, die von den Hapiru / Habiru kontrolliert werden, sind nicht mehr „Land des Königs“, d.h. nicht mehr nominell Besitz des Pharao. Sobald sie jedoch unter die Kontrolle eines Stadtkönigs kommen, sind die Besitzansprüche des Pharao wieder gewährleistet. Diese Argumentation setzt voraus, dass ein Rechtsverhältnis zwischen Stadtkönig und Pharao bestand, etwa in Form eines Treueids, aufgrund dessen der Pharao auf das vom Stadtkönig kontrollierte Gebiet Zugriff hat, u.a. durch Erhebung von Abgaben. Dagegen bestand eine solches Rechtsverhältnis des Pharao zu den Hapiru / Habiru offenbar nicht. In diesem Sinne waren sie „outlaws“, sie standen außerhalb der in dieser Zeit praktizierten Rechtsordnung, die das Verhältnis der Hegemonialmacht zu den regionalen Herrschaften regelte. Landverlust an die Hapiru / Habiru konnte demnach auch Einbußen für den Pharao bedeuten. In diesem Sinne dürften die Aktivitäten der Hapiru / Habiru mit zum Zerfall der spätbronzezeitlichen Stadtstaatengesellschaft und zum Ende der Oberherrschaft der ägyptischen Pharaonen über Syrien / Palästina im 12./11. Jh. v. Chr. beigetragen haben. Am Übergang vom 2. zum 1. Jahrtausend v. Chr. integrierten sich die Hapiru / Habiru vermutlich in die neu entstehenden Kleinkönigtümer in Syrien / Palästina. Zumindest ist von Hapiru / Habiru in Dokumenten des 1. Jahrtausends v. Chr. nicht mehr die Rede.
4. Hebräer und Hapiru / Habiru
Die Verbindung zwischen den alttestamentlichen Hebräern und den Hapiru / Habiru des 2. Jahrtausends v. Chr. ist nicht abschließend geklärt. Sprachlich ist eine solche Verbindung möglich, da beide Ausdrücke von der Wurzel ‘BR ableitbar sind (s.o.). Selbst wenn die Lesung bzw. Schreibung Hapiru / ‘apiru bevorzugt wird, kann eine sprachliche Verwandtschaft erschlossen werden, da der p/b-Wechsel in semitischen Sprachen bezeugt ist (Weippert 1967, 77-81). Sachlich sind jedoch Differenzen festzuhalten. Der Ausdruck Hapiru / Habiru ist durchgängig appellativisch zu verstehen und bezeichnet eine gesellschaftliche Gruppe. „Hebräer“ dagegen ist vornehmlich Ethnikon, ein appellativischer Gebrauch klingt lediglich an wenigen Textstellen noch an. Daher ist auch die in der älteren Literatur vertretene These, „Hebräer“ sei ein weiter gefasster Volksbegriff als „Israeliten“, d.h. alle Israeliten seien Hebräer, aber nicht alle Hebräer seien Israeliten (zuletzt Koch), aufzugeben (Loretz).
Eine gewisse Übereinstimmung im Auftreten der beiden Bezeichnungen besteht allenfalls darin, dass der Ausdruck „Hebräer“ im Alten Testament auf die Darstellung der Frühgeschichte Israels, wie sie sich am Ende des 2. Jahrtausends v. Chr. abgespielt haben soll, beschränkt ist. In alttestamentlichen Überlieferungen zur Geschichte Israels im 1. Jahrtausend v. Chr. fällt der Begriff nicht, mit Ausnahme des „Solitärs“ im Jonabuch. Die neuere Forschung zum Verhältnis von Hebräern und Hapiru / Habiru hat sich deshalb auch auf Fragen der Frühgeschichte Israels konzentriert.
Im Jahr 1962 veröffentlichte George E. Mendenhall einen in der Folge viel beachteten Aufsatz zur → Landnahme
Das von Mendenhall und Gottwald entfaltete „Revolutionsmodell“ wurde zunächst v.a. in der deutschsprachigen Forschung kritisch zurückgewiesen, da die Textdokumente zu den Hapiru / Habiru keine Hinweise auf revolutionäre bzw. klassenkämpferische Aktivitäten bieten und da der Terminus „Hebräer“ zwar in den Überlieferungen zum Auszug aus Ägypten, nicht jedoch in den alttestamentlichen Landnahmeerzählungen belegt ist (Weippert 1967; Loretz). Zudem setzten, so die Kritiker, die von Mendenhall und Gottwald verteidigten Thesen die nicht haltbare Annahme voraus, dass die entsprechenden alttestamentlichen Texte zur Frühgeschichte Israels auf historisch zuverlässigen alten Überlieferungen basieren.
Dennoch hat sich auch aufgrund einer Neubewertung archäologischer Befunde in der Folgediskussion die Annahme verfestigt, dass die Landnahme der nachmaligen Israeliten ein landesinterner („indigener“) Vorgang war. Allerdings scheint es sich um einen länger andauernden Prozess gehandelt zu haben, der sich etwa vom ausgehenden 13. bis in das 10. Jh. v. Chr. erstreckte. Dabei suchten sich Gruppen, die in der Spätbronzezeit (15.-12. Jh. v. Chr.) im Einzugsbereich der Stadtstaaten lebten und mit den Städten wirtschaftlich verbunden waren, nach dem Niedergang der Städte neue Siedlungs- und Wirtschaftsmöglichkeiten in den Bergländern Palästinas. Zu diesen Gruppen könnten neben Bauern und ehemaligen Nomaden auch Hapiru / Habiru gehört haben, die auf diese Weise einen Teil der Größe bildeten, die sich im 1. Jahrtausend v. Chr. als „Israel“ verstand (vgl. Lemche; Jericke).
Ein solches Erklärungsmodell erscheint hingegen nicht ausreichend, um den relativ unsystematischen Gebrauch des Ausdrucks „Hebräer“ in verschiedenen Überlieferungen zur Frühgeschichte Israels zu erklären, zumal die entsprechenden Texte möglicherweise erst spät im Laufe des 1. Jahrtausends v. Chr. ihre jetzt vorliegende Form erhielten. Auch der Negativbefund der Landnahmeerzählungen, in denen nie von „Hebräern“ die Rede ist, spricht gegen die Annahme, dass die philologisch mögliche Übereinstimmung zwischen Hapiru / Habiru und „Hebräer“ in erster Linie auf historische Vorgänge der Landnahmezeit zurückzuführen ist. Zumeist nimmt man daher an, dass es sich bei der Verwendung des Ausdrucks „Hebräer“ im Alten Testament um einen archaisierenden Sprachgebrauch handelt, der zwar den alten Terminus Hapiru / Habiru aufnimmt, diesen jedoch im Zuge der Literarisierung der Überlieferungen zur Frühgeschichte Israels im Sinne eines Ethnikons umdeutet (Weippert; Na’aman 1985; Loretz). Manche meinen auch, die Erzählungen über → Abimelech
Gründe für eine solche archaisierende Wiederaufnahme und die damit verbundene Neuakzentuierung werden nur selten genannt. Loretz meint, die alttestamentliche Begrifflichkeit nehme nicht den pejorativen Aspekt der Bezeichnung Hapiru / Habiru auf, den diese aus Sicht der spätbronzezeitlichen Stadtkönige und des Pharao hatte. Vielmehr griffen die alttestamentlichen Erzähler die Perspektive der Hapiru / Habiru selbst auf, die diese Bezeichnung vermutlich mit einem gewissen Stolz trugen. Daher sei der Ausdruck „Hebräer“ für Israeliten und Judäer „im Rahmen der nationalen Selbstbesinnung nach dem Exil zu einer würdevollen Selbstbezeichnung“ geworden, „um der neu gewonnenen völkischen und religiösen Identität einen lebendigen Ausdruck zu verleihen“ (Loretz, 233). Diese These scheint eine Verlegenheitslösung zu sein, da sie zwar die späte Entstehung der „Hebräer“-Belege, allenfalls auch die Begrenzung auf die Überlieferungen zur Frühgeschichte, auf gar keinen Fall jedoch ihre unsystematische Verteilung erklären kann. Ausgehend von der Annahme einer Spätdatierung aller „Hebräer“-Belege wäre auch die Erklärung möglich, dass sie auf Textbearbeitungen aus ptolemäischer Zeit (3. Jh. v. Chr.) zurückzuführen sind. Durch die Herrschaft der ägyptischen Ptolemäer über große Teile von Palästina und Syrien ergab sich eine ähnliche territorialgeschichtliche Situation wie in der Amarnazeit im 14. Jh. v. Chr. bzw. in der vermeintlichen Zeit des Exodus (13./12. Jh. v. Chr.). Daher konnten sich möglicherweise im 3. Jh. v. Chr. zumindest Teile der Bevölkerung Palästinas als von Ägypten unterdrückte Hapiru / Hebräer verstehen. Positiv nachzuweisen ist jedoch auch eine solche literatur- bzw. redaktionsgeschichtliche These nicht. Daher bleibt festzuhalten, dass nach wie vor die Verbindung zwischen den Hapiru / Habiru des 2. Jahrtausends v. Chr. und den alttestamentlichen „Hebräern“ zwar philologisch, nicht jedoch sachlich, d.h. historisch befriedigend geklärt ist.
Literaturverzeichnis
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