Deutsche Bibelgesellschaft

(erstellt: März 2010)

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1. Altes Testament

Ziege 02

Die hebräische Bezeichnung o’n bezeichnet eine aus Schafen und Ziegen bestehende Kleinviehherde (Gen 29,2; Gen 31,19), für die auch der hebräische Begriff ‘edær gebraucht werden kann. Diese Tiere bildeten den wichtigsten Besitz der Menschen. Daher lag das Wohlergehen der Tiere ihnen besonders am Herzen (Spr 27,23; Gen 33,13). Sie versorgten die Menschen mit allem Lebensnotwendigen (Spr 27,23-27): Schafe und Ziegen lieferten Tierhäute, Wolle, Fleisch (und wie die Kühe) Milch und waren daher als Beutegut begehrt. Die Herden wurden meist von mehreren Hirten betreut, deren Aufgabe es war, geeignete Weide- und Tränkorte (Gen 29,2f; Gen 30,36) zu finden und die Tiere zu beschützen. Die Weideflächen der Herden der Kulturlandbewohner befanden sich vor den Städten (Num 35,3f). Gefahr drohte vor allem von Raubtieren (1Sam 17,34; Mi 5,7), die in die Herde einbrachen. Eine Herde ohne Hirte war orientierungslos und gefährdet (Jes 13,14, vgl. Jer 10,21). Trotz der Bewachung der Herden, bei der auch Hirtenhunde eingesetzt wurden (Hi 30,1; → Hund), kam es vor, dass Tiere geraubt wurden (Hi 24,2).

Eine Herde als Versöhnungsgeschenk will Jakob seinem Bruder Esau zukommen lassen (Gen 33,8). Für das Dankopfer durften nur fehlerfreie Tiere aus der Herde verwendet werden (Mal 1,14). Am 6,4 wirft den in Luxus Lebenden vor, sie würden Jungtiere aus der Herde, also besonders junges und zartes Fleisch, verzehren, damit aber die natürlichen Bindungen der Tiere an die Mutter missachten (vgl. Weippert). Die Wendung „JHWH nahm mich hinter der Kleinviehherde weg“, dürfte eine sprichwörtliche Redensart darstellen, die darauf hinweist, dass ein von Gott Berufener aus seinem alltäglichen Lebenszusammenhang herausgerissen wurde (vgl. 2Sam 7,8; Am 7,15 und dazu Schult; → Amos).

Das Bild des → Hirten und der von ihm begleiteten Herde wird häufig bezogen auf das fürsorgliche Verhältnis Gottes zu seinem Volk (Ps 77,21; Ps 78,52; Jes 40,11; Jer 31,10; Ez 34,12; Ez 34,31 u. ö.). Wo die Führungsschicht des Volkes versagt, wird die Herde Gottes zerstreut bzw. gefangen weggeführt (Jer 13,17; Jer 10,21; Jer 23,1; Jer 50,6; Ez 34,1ff). Zum Topos von Unheilsankündigungen gehört es, dass Herden in ursprünglichem Kulturland weiden (Jes 17,2; Jes 32,14; Zef 2,14, vgl. Jes 13,20). Wie Hirten, die von guten Weideplätzen angezogen werden und sich niederlassen, um ihre Herde zu weiden, so zieht Jerusalem die von Norden kommenden feindlichen Soldaten an, die die Stadt belagern und sich einen Beuteanteil sichern wollen (Jer 6,3). Gegenüber den das Land erfüllenden → Aramäern kommt sich Israel unbedeutend vor wie zwei Ziegenherden (1Kön 20,27).

2. Neues Testament

Die griechischen Bezeichnungen für die Herde sind ποιμνη poimnē bzw. ποιμνιον poimnion. In nichtmetaphorischen Zusammenhängen werden Herden in Lk 2,8 und 1Kor 9,7 erwähnt. In 1Kor 9,7 verdeutlicht Paulus das Recht eines Apostels auf Lebensunterhalt durch die Gemeinde mit dem Beispiel des Hirten, der sich von den Produkten seiner Tiere ernährt. In der hellenistisch beeinflussten Dekapolis wurden auch → Schweine in Herden gehalten (Mt 8,30 par.). In Lk 12,32 bezeichnet Herde die (verfolgte) Gemeinde (vgl. Apg 20,28f). Die Ältesten der Gemeinde sind zu Aufsehern und Hirten dieser Herde eingesetzt (Apg 20,28; 1Petr 5,2), der sie als Vorbilder dienen sollen (1Petr 5,3). In Joh 10,16 bezieht sich die Bezeichnung Herde auf die Gemeinde aus Juden und Christen.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Reallexikon der Assyriologie und vorderasiatischen Archäologie, Berlin 1928ff
  • Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament, Stuttgart 1933-1979
  • Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff
  • Exegetisches Wörterbuch zum Neuen Testament, 2. Aufl., Stuttgart u.a. 1992
  • Calwer Bibellexikon, Stuttgart 2003

2. Weitere Literatur

  • Botterweck, G.J., Hirt und Herde im Alten Testament und im Alten Orient (FS J. Kardinal Frings), Köln 1960, 339-352
  • Riede, P., Der Gerechte kennt die Bedürfnisse seiner Tiere. Der Mensch und die Haustiere in der Sicht des Alten Testaments, in: ders., Im Spiegel der Tiere. Studien zum Verhältnis von Mensch und Tier im alten Israel (OBO 187), Freiburg (Schweiz) / Göttingen 2002, 57-64
  • Riede, P., Der Säugling am Loch der Kobra. Zum Tierfrieden im Alten Testament, in: ders., Im Spiegel der Tiere. Studien zum Verhältnis von Mensch und Tier im alten Israel (OBO 187), Freiburg (Schweiz) / Göttingen 2002, 153-164
  • Schult, H., Amos 7,15a und die Legitimation des Außenseiters, in: H.W. Wolff (Hg.), Probleme biblischer Theologie (FS G. von Rad), München 1971, 462-478
  • Seibert, I., Hirt – Herde – König. Zur Herausbildung des Königtums in Mesopotamien, Berlin 1969
  • Weippert, H., Amos: Seine Bilder und ihr Milieu, in: dies. / K. Seybold / M. Weippert (Hgg.), Beiträge zur prophetischen Bildsprache in Israel und Assyrien (OBO 64), Freiburg (Schweiz) / Göttingen 1985, 1-29, bes. 7ff

Abbildungsverzeichnis

  • Hirte mit Kleinviehherde aus Schafen und Ziegen. © Katholisches Bibelwerk, Linz
  • Herde wird als Beute weggeführt (Relief aus dem Zentralpalast Tiglatpilesers III., 745-727 v. Chr.; Nimrud). Mit Dank an © The Trustees of the British Museum

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