Deutsche Bibelgesellschaft

Herlinge

(erstellt: Juli 2016)

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1. Begriffsklärung

Als Herlinge (oder auch „Geiztrauben“) werden die kleinen Trauben aus der Spätblüte des Weinstockes bezeichnet, die keine Zeit mehr zum Ausreifen haben und daher klein und sauer bleiben. In der Hebräischen Bibel können die Herlinge am ehesten mit dem Lexem בֹּסֶר bosær identifiziert werden, das fünfmal belegt ist (Hi 15,33; Jes 18,5; Jer 31,29.30; Ez 18,2). Zwar spielt in allen diesen Texten der saure oder minderwertige Charakter der Früchte eine entscheidende Rolle, es kann aber nicht zweifelsfrei gezeigt werden, dass es sich jeweils um Herlinge handelt. Darüber hinaus ist noch das Weinberglied in Jes 5,1-7 zu berücksichtigen, wo davon die Rede ist, dass der Weinstock „schlechte Beeren“ (בְּאֻשִׁים bə’ušîm; Jes 5,2.4) hervorbringt; ein Begriff, der von vielen mit der minderen Qualität der Spätlese in Verbindung gebracht wird.

2. Herlinge in der Hebräischen Bibel

2.1. Die Herlinge im prophetischen Sprichwort (Jer 31; Ez 18)

Sowohl in Jer 31,29 als auch in Ez 18,2 ist der Spruch überliefert: „Die Väter essen Herlinge, den Söhnen aber werden die Zähne stumpf“. Der Spruch problematisiert den sogenannten → Tun-Ergehen-Zusammenhang. Eigentlich können nur demjenigen vom Essen der sauren Trauben die Zähne stumpf werden, der tatsächlich davon isst. Der Spruch behauptet aber, dass dieser Kausalzusammenhang aufgehoben ist, und wird darin zum Sinnbild für den überindividuellen Schuldzusammenhang, der die Söhnegeneration die Strafe der Väter treffen lässt. Während das prophetische Wort Jer 31,29f. die Gültigkeit des Sprichwortes in der Heilszukunft für aufgehoben erklärt, bestreitet JHWH in Ez 18,2-4 generell die Gültigkeit des Sprichwortes. Den Menschen, die ihr gegenwärtiges Schicksal mit der Schuld der Väter erklären wollen und die die vermeintliches Ausweglosigkeit und Ungerechtigkeit ihrer Lage in dem zitierten Sprichwort auf den Punkt bringen, hält der Verfasser entgegen, dass es nur eine individuelle Vergeltung gibt, und ihnen die Möglichkeit zum Leben mithin offen steht.

2.2. Die Einzelbelege in Hi 15 and Jes 18

In der zweiten Rede des → Elifas im → Hiobbuch werden saure Trauben in Hi 15,33 zur Beschreibung des Gottlosen herangezogen, wobei hier allerdings wohl nicht die Spätlese im Blick ist, sondern das gewaltsame Entfernen der noch unreifen Früchte. Wie man auf diese Weise den natürlichen Reifeprozess gewaltsam abbricht und den Weinstock seiner Trauben beraubt (Hi 15,33), so wird der Gottlose vor seiner Zeit sterben, ohne Frucht zu bringen (Hi 15,32).

In gleicher Weise dient das unreife Entwicklungsstadium der Trauben im Bildwort Jes 18,5 als Bildspender, um den rechten Augenblick zum Gericht zu illustrieren. Wie der Winzer weiß, dass der Weinstock zu einem frühen Zeitpunkt im Reifeprozess der Trauben zurückgeschnitten werden muss – nämlich zum Zeitpunkt der Getreideernte (קָצִיר qāṣîr) – um unfruchtbare Triebe und Blätter zu entfernen, so wird auch JHWHs Gericht zum rechten Zeitpunkt einsetzen.

2.3. Die schlechten Trauben im Weinberglied Jes 5

Schließlich ist im Weinberglied Jes 5,1-7 davon die Rede, dass der Weinberg trotz aller Anstrengungen des Winzers Früchte von minderer Qualität (Wildberger 1972: „faule Beeren“) hervorbringt, wobei das hebräische hapax legomenon בְּאֻשִׁים bə’ušîm (Jes 5,2.4) die Identifikation mit Herlingen zulässt (Kaiser 1981). Das Bild des Weinbergs, der schlechte Früchte trägt, steht in diesem Lied für das ethische Versagen des Volkes, wobei JHWH als der göttliche Weingärtner auftritt. Wie JHWH seinen Weinberg in der Folge zerstören wird, so wird er auch über sein Volk richten (Jes 5,5-7). Die Pointe des Gleichnisses liegt weniger im schlechten Ertrag des Weinbergs an sich, sondern in der vergeblichen Mühe des göttlichen Weingärtners (Jes 5,4), die zeigt, dass das Volk JHWHs Fürsorge missachtet hat.

Literaturverzeichnis

  • Carroll, R.P., 1999, YHWH’s Sour Grapes: Images of Food and Drink in the Prophetic Discourses of the Hebrew Bible, Semeia 86, 113-131
  • Clines, D.J.A., 1989, Job 1-20 (WBC 17), Dallas
  • Gordis, R., 1978, The Book of Job: Commentary, New Translation, and Special Studies (Moreshet Series 2), New York
  • Hutton, R.R., 2009, Are the Parents Still Eating Sour Grapes? Jeremiah’s Use of the Māšāl in Contrast to Ezekiel, CBQ 71, 275-285
  • Kaiser, O., 1981, Das Buch des Propheten Jesaja. Kapitel 1-12 (ATD 17), Göttingen
  • Kaiser, O., 2003, Der Gott des Alten Testaments. Theologie des AT 3: Jahwes Gerechtigkeit, Stuttgart
  • Pohlmann, K.-F., Der Prophet Hesekiel / Ezechiel. Kapitel 1-19 (ATD 22/1), Göttingen
  • Watts, J.D.W., 2005, Isaiah 1-33 (WBC 24), Nashville
  • Wildberger, H., 1972, Jesaja. 1. Teilband: Jesaja 1-12 (BK X/1), Neukirchen-Vluyn
  • Wildberger, H., 1978, Jesaja. 2. Teilband: Jesaja 13-27 (BK X/2), Neukirchen-Vluyn

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