Herrscherkult (AT)
(erstellt: Mai 2006)
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1. Problemstellung
Herrscherkult meint die kultische Verehrung eines lebenden oder verstorbenen Herrschers und die damit in der Königsideologie bzw. -theologie verbundene Vorstellung von der göttlichen Qualität des Herrschers. Ein Herrscherkult in diesem Sinne ist im Alten Testament nicht belegt. Da das inzwischen allgemein anerkannt ist, stellt sich die Frage nach dem Herrscherkult im Alten Testament primär als forschungsgeschichtliches, kaum noch als religionsgeschichtliches Thema.
Für die Religionen in der Umwelt des Alten Testaments ist zu differenzieren zwischen der Herrschaftsideologie, die dem Amt, nicht aber der Person göttliche Qualitäten zumaß, und bestimmten Formen kultischer Verehrung verstorbener Herrscher, insbesondere in Ugarit und in Ägypten. Erst in hellenistischer Zeit werden Anfänge von Herrscherkult im eigentlichen Sinne greifbar (Klauck, 1996, 19ff).
2. Forschungsgeschichte
2.1. Die Theoriebildung zur Göttlichkeit des Königtums
Die Frage nach dem Herrscherkult im Alten Testament und seiner Umwelt ist engstens verwoben mit der Diskussion um das sakrale → Königtum
Frazers Konzeption der agrar-magischen Funktion des Gott-Königs wurde in den historischen Wissenschaften und in der Religionswissenschaft breit rezipiert. So geht auch G. van der Leeuw von der agrar-magischen Konzeption des Gott-Königtums aus mit der Einschränkung, dass der König eine Gestalt gewordene Macht ist, die ihrerseits legitimationsbedürftig ist. „Der König ist dem Menschen gegenüber Machtträger, der Macht gegenüber machtbedürftig“ (4. Aufl. 1977, 120). Dennoch ist auch für van der Leeuw der König selbst Gott. Seine Macht ist jedoch zeitlich beschränkt. Ist seine Heilsmacht verbraucht, muss er sterben bzw. sich zum Wohle des Volkes opfern. Das Leiden des Königs ist so mit dem periodischen Wechsel des Lebens verbunden.
Auch in der britischen „myth and ritual-school“ und der skandinavischen → „Uppsala-Schule
2.2. Die Rezeption des „divine kingship“-Paradigmas in der alttestamentlichen Wissenschaft
Auch die alttestamentliche Diskussion war weit bis in die zweite Hälfte des 20. Jh.s von den Weiterentwicklungen der Frazerschen Agrarmagie-Theorie und der „Uppsala-Schule“ beeinflusst. → Sigmund Mowinckel
Geo Widengren (1951; 1955) betont in Hinblick auf Jes 9,1-6
2.3. Zur Kritik am „divine kingship pattern“
Frazers agrarmagische Interpretation des Königtums war von Anfang an umstritten. So hat schon Andrew Lang (1901, 186) auf die Probleme entsprechender Universaltheorien hingewiesen. In seiner Untersuchung zum mesopotamischen Königtum kam Henry Frankfort zu der Erkenntnis, dass es in Mesopotamien kein Gottkönigtum gegeben habe: „… the office, and not the office-holder, was of superhuman origin“ (Frankfort 1948, 237). Die Legitimation des Königs geschah durch eine göttliche Willensbezeugung, die entscheidender war als die Abstammung. Aufgrund der persönlichen Erwählung durch die Gottheit konnte sich der Herrscher als Sohn der Gottheit begreifen, blieb aber ein Sterblicher. Macht über die Kräfte der Natur kam dem mesopotamischen König nicht zu, die Sicherung der Fruchtbarkeit ist vielmehr das Ergebnis der Observanz des Königs gegenüber dem Willen der Götter. Die Integration von Gesellschaft und Natur wird somit vom König nur mittelbar bewerkstelligt.
Auch Martin Noth (1950) kritisiert den universellen Anspruch der divine kingship pattern. Zwar zweifelt Noth nicht grundsätzlich am Vorhandensein von Vorstellungen über die Göttlichkeit des Königs im Alten Vorderen Orient, verneint aber ebenso wie Frankfort die Existenz eines gemeinsemitischen „pattern“. Zu berücksichtigen sei insbesondere, dass das Königtum in Juda und Israel je unterschiedliche Ausprägungen erfahren habe. Für Juda sei zum einen traditionsgeschichtlich nicht zu erweisen, ob und welche Elemente des kanaanäischen Stadtkönigtums in Jerusalem rezipiert worden seien, und zum anderen sei die Legitimation des Königtums in Israel immer vom Volk abhängig gewesen, das denjenigen auf den Thron erhob, der durch Prophetenmund als der von Jahwe dazu Berufene bezeichnet worden war. Aber auch für das dynastische Jerusalemer Königtum gelte grundsätzlich, dass der König der Legitimation durch die „Männer von Juda“ (2Sam 2,4
3. Belege für Herrscherkult im Alten Testament
Hinweise auf Herrscherkult im Sinne der kultischen Verehrung des lebenden oder verstorbenen Herrschers aus der israelitisch-judäischen Königzeit liefern die alttestamentlichen Quellen nicht. Der Herrscher konnte zwar als Sohn Gottes gelten (Ps 2,7
4. Herrscherkult im Alten Orient
4.1. Syrien (2./1. Jt.)
Die ugaritischen Epen von Aqhat (KTU 1.17-19; TUAT III, 1213ff) und Keret (KTU I 14-16; TUAT III, 1213ff) zeigen, dass der König dasselbe Schicksal zu gewärtigen hat wie alle Lebenden. Auch ihn trifft der sichere Tod, und ewiges Leben kann dem Menschen nicht zuteil werden (KTU 1.17 VI 34-38; TUAT III, 1275). Dem lebenden Herrscher, der dergestalt das Schicksal aller Menschen teilt, kann daher auch keine kultische Verehrung zukommen. Die verstorbenen Herrscher können jedoch in den ugaritischen Texten als ilu („Gott“) oder rpum („Heiler’) angesprochen werden. Zu nennen sind hier insbesondere die von manchen Forschern dem Aqhat-Epos zugerechneten Rephaim-Texte (KTU 1.20-22; TUAT III, 1306), sowie eine Evokations-Beschwörung der rpum (KTU 1.161; TUAT II, 332) aus Anlass der Bestattung des ugaritischen Königs Niqmaddu III., die explizit Amtsvorgänger des Königs unter die rpum zählt. Nach KTU 1.22 (i: 31ff) erwartete man von den rpum den Schutz des Königs und der Stadt. Eine regelrechte Deifizierung der verstorbenen Könige und einen Kult analog dem Götterkult hat es jedoch in Ugarit nicht gegeben. Die als ilu oder rpum angesprochen Herrscher werden nach wie vor zu den Toten (mtm) in der Unterwelt gezählt, nicht aber zu den Göttern des ugaritischen Pantheons. Die in den ugaritischen Rephaim-Texten erwähnten Totenmahlfeiern und Versorgungsopfer für die vergöttlichten Ahnen können daher kaum als Herrscherkult interpretiert werden, sondern sind eine Sonderform der Totenpflege innerhalb der regierenden Dynastie, die zur Sicherung ihres Fortbestandes diente und wohl auch nur von den Angehörigen des Hofes vollzogen worden ist (T.J. Lewis 1989, 96).
Auch die Königsideologien Syriens im 1. Jt. v. Chr. lassen keine Hinweise auf den Kult des lebenden Herrschers erkennen. Die syrischen Herrscher des 1. Jt.s legitimieren sich durch göttliche Erwählung, nicht jedoch durch göttliche Qualität der Person oder Abstammung. König Azitawadda wird von → Baal
Belege für die Vorstellung einer Gottessohnschaft der Herrscher Syriens und Phöniziens im 1. Jt. liegen ebensowenig vor wie eine kultische Verehrung des lebenden oder toten Herrschers (Schmidt 1994, 135). Die sidonischen Könige Tabnit (TUAT II, 590, Z. 8) und Eschmunazar (TUAT II, 591, Z. 8) rekurrieren in ihren Grabinschriften zwar auf die rp’m im Sinne von „Totengeistern“, freilich nicht mehr als eine distinktive Gruppe vergöttlichter Herrscher, sondern als die Verstorbenen überhaupt. Einzig auf einer Bauinschrift des Königs Kapara auf einer Statue des Palastes von Tell Ḥalāf [Tell Halaf] werden die verstorbenen Könige als Götter angesprochen, was jedoch, ähnlich wie in Ugarit, keine eigentliche Deifizierung impliziert.
4.2. Mesopotamien (1. Jt.)
Wie im ganzen vorderen Orient des 1. Jt.s v. Chr. gibt es auch in Assyrien und Babylonien keine kultische Verehrung des lebenden Herrschers analog einer Gottheit (→ Königtum im Alten Orient
4.3. Ägypten (Neues Reich bis Spätzeit)
Obwohl der Pharao in seiner Titulatur als „guter Gott“ (nṯr nfr) bezeichnet wird, gibt es auch in Ägypten keine kultische Verehrung des lebenden Königs als Person. Vielmehr ist auch hier das Amt des Königtums göttlich (→ Königtum in Ägypten
Auch die kultische Verehrung von Statuen des Königs ist kein Herrscherkult im Sinne eines Personenkults, sondern die Verehrung bestimmter göttlicher Aspekte des Königtums. Die wesentliche Besonderheit der ägyptischen Königsideologie gegenüber der mesopotamischen ist die kultische Verehrung des verstorbenen und dann zu einem Gott gewordenen Königs. Für den verstorbenen König wird in seinem Totentempel ein regulärer Kult analog dem einer Gottheit mit eigener Priesterschaft installiert. Herrscherkult des verstorbenen Königs bleibt jedoch im Wesentlichen ein (auch zeitlich begrenzter) Versorgungskult, der eine Sonderform der auch sonst üblichen Totenpflege darstellt. In Einzelfällen kann jedoch – vor allem in Formen populärer Religiosität – auch ein verstorbener König aufgrund seiner besonderen Qualitäten über den bloßen Versorgungskult hinaus allgemeine Verehrung analog einer Gottheit genießen (→ Totenkult im Alten Orient
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
- Lexikon der Ägyptologie, Wiesbaden 1975-1993 (Königskult, Königstotenkult)
- Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998ff.
- Dictionary of Deities and Demons in the Bible, 2. Aufl., Leiden 1999
2. Weitere Literatur
- Assmann, J., 1990, Ma’at. Gerechtigkeit und Unsterblichkeit im Alten Ägypten, München
- Assmann, J., 1996, Ägypten. Eine Sinngeschichte, Darmstadt
- Assmann, J., 2000, Herrschaft und Heil. Politische Theologie in Altägypten, Israel und Europa, München / Wien
- Auffarth, Chr., 1993, Art. Königtum, sakrales, in: H. Cancik / B. Gladigow / K.-H. Kohl (Hgg.), Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe III, Stuttgart / Berlin / Köln, 386-389
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- Frazer, J.G. 1907-1915, The Golden Bough, London
- Klauck, H.-J., Die religiöse Umwelt des Urchristentums II. Herrscher- und Kaiserkult, Philosophie, Gnosis (Kohlhammer Studienbücher Theologie 9,2), Stuttgart / Berlin / Köln, 1996
- Hooke, S.H., 1933, The Myth and Ritual Pattern of the Ancient Near East, in: ders., (Hg.), Myth and Ritual, Oxford
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- Lang, A., 1901, Magic and Religion, London u.a
- Lewis, T.J., 1989, Cults of the Dead in Ancient Israel and Ugarit (HSM 39), Atlanta, Georgia
- Maul, S. M., 1999, Der assyrische König – Hüter der Weltordnung, in: K. Watanabe (Hg.), Priests and Officials in the Ancient Near East, Heidelberg, 201-214
- Noth, M., 1950, Gott, König, Volk im Alten Testament, ZThK 47 (1950), 157-191 (= Gesammelte Studien zum Alten Testament (ThB 6), München 1960, 188-229)
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- Van der Leeuw, G., 4. Aufl. 1977, Phänomenologie der Religion, Tübingen
- Widengren, G., 1951, The King and the Tree of Life in Ancient Near Eastern Religion (King and Saviour IV) (Uppsala Universitets Årsskrift 1951: 4), Uppsala u.a.
- Widengren, G., 1955, Sakrales Königtum im Alten Testament und im Judentum (Franz-Delitzsch-Vorlesesungen 1952), Stuttgart
Abbildungsverzeichnis
- Der Pharao packt die Feinde am Schopf und erschlägt sie (ptolemäischer Chnumtempel in Esna). © public domain (Foto: Klaus Koenen, 2004)
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