Hethiter
(erstellt: August 2020)
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1. Name, Herkunft und Sprache
Auch sonst ist es im Alten Orient üblich, dass die Bevölkerung eines Landes, wie z.B. Assyrer, Babylonier usw., nach deren Hauptstadt benannt worden ist. Bezeichnenderweise nannten die Hethiter ihre eigene indogermanische Sprache „Nesisch”, vgl. die Adverbien nasili, nesili „auf Nesisch“ und nesumnili bzw. kanešumnili „nach Art (einer Person) von Kaneš / Nesa“, die sich von Nesa, dem hethitischen Namen der Stadt Kaneš (heutiges Kültepe in der Nähe von Kayseri), ableiten. Auch der in einem Ritual in Bezug auf eine „auf Nesisch” singende Gruppe überlieferte Terminus Nesumenes „Nesier“ verweist auf Kaneš / Nesa als die mit dem historischen Gedächtnis der Hethiter verbundene Stadt. Gegen die communis opinio ist er jedoch nicht als die ursprüngliche Selbstbezeichnung der Hethiter zu betrachten, sondern eher als wesentliches Element der Ideologie althethitischer Großkönige, die ihre Herrschaftslegitimation nach der Machtübernahme in Hattusa aus der Tradition der Großmacht Kaneš / Nesa herleiteten, deren Könige der zweiten Hälfte des 18. Jh.s v. Chr., Pithana und Anitta, zu einem anderen Zweig desselben hethitischen Königshaues aus Kussar(a) gehörten. Im Gegensatz zu zwei anderen anatolischen Völkern des 2. Jt.s v. Chr., Luwiern und Palaern, bleibt das eigentliche hethitische Ethnonym nach wie vor unbekannt (s. jetzt auch Gordesiani / Tatišvili 2019, mit der Literatur).
1.2. Herkunft. Zur Herkunft der anatolischen Indogermanen gibt es unterschiedliche Hypothesen. Der Anatolien-Hypothese zufolge hätte die Urheimat der indogermanischen Grundsprache selbst in Vorderasien oder speziell in Kleinasien gelegen und die Ausbreitung der Indogermanen von Kleinasien nach Europa sei mit der neolithischen Expansion verbunden, die seit etwa 6600 v. Chr. aus Kleinasien über die Balkanhalbinsel bis zur mitteleuropäischen Linienbandkeramik erfolgte (Renfrew 1990; Gamkrelidze / Ivanov 1995). Diese Hypothese und die daraus folgende Annahme, dass die Sprecher des Uranatolischen zur frühesten Bevölkerung Kleinasiens gehört hätten, muss man aber aus naheliegenden Gründen für wenig wahrscheinlich halten, auch deswegen, weil die anatolischen Sprachen mit den übrigen indogermanischen Sprachen viele Kulturwörter für technische Innovationen, z.B. im Transport wie Wagen, Rad, Joch usw., teilen, die nicht früher als das späte 5. Jt. v. Chr. außerhalb Kleinasiens eingeführt worden sind. Daher kommt für die Urheimat der Uranatolier die Kurgan-Hypothese in Frage (Gimbutas 1997), die sie mit der Jamnaja-Kultur der ukrainischen und russischen Steppen verbindet. In der Literatur wurden dabei zwei mögliche Einwanderungswege vorgeschlagen – über den Kaukasus im Nordosten oder über die Dardanellen bzw. den Bosporus im Westen. Für diese zweite Möglichkeit sprechen sowohl eine typologische Analyse von Einwanderungsmechanismen (Oettinger 2004, 366-367) als auch die Verwandtschaft des Anatolischen mit dem Westindogermanischen, insbesondere mit italischen Sprachen (Melchert 2017a). Die Chronologie dieser Migration ist unsicher, doch dürfte es mehrere Einwanderungswellen gegeben haben, die letzte von ihnen ist spätestens in die erste Hälfte des 3. Jt.s v. Chr. zu datieren.
1.3. Sprache. Der anatolische Zweig des Indogermanischen (Popko 2008, 45-117; Eichner 2015; Adiego 2016; Melchert 2017b) umfasst mindestens vier im 2. Jt. v. Chr. gesprochene Sprachen bzw. Dialekte, nämlich Hethitisch, Palaisch, Keilschriftluwisch und Hieroglyphenluwisch; daneben dürfte es noch weitere Sprachen oder Dialekte gegeben haben, wie z.B. der (keilschrift)luwische Dialekt aus Istanuwa oder luwische Sprachen Westkleinasiens, von denen gar keine Textzeugnisse, abgesehen von einzelnen Eigennamen, erhalten sind. Diese Einzelsprachen haben sich wohl erst innerhalb Kleinasiens aus dem Uranatolischen auseinanderentwickelt. Sie unterscheiden sich aber so bedeutend voneinander, dass das Uranatolische spätestens auf die erste Hälfte des 3. Jt.s v. Chr. datieren muss. Im 1. Jt. v. Chr. wurden in Anatolien mehrere, dem Luwischen verwandte Sprachen wie Lykisch, Karisch, Pisidisch und Sidetisch gesprochen, sowie das Lydische, dessen Sprecher im 2. Jt. v. Chr. wohl noch nicht im klassischen Lydien, sondern eher in Bithynien gewohnt hatten (Beekes 2002 und 2003).
2. Historischer Überblick
Die Geschichte des Hethitischen Reiches (Klengel 1999; Bryce 2005; Klinger 2007; Genz / Mielke 2011; Burney 2018; Bryce 2019), die, wie bereits erwähnt, nicht mit der Geschichte der Hethiter als Volk gleichzusetzen ist, konnte durch die Auswertung der in Hattusa entdeckten umfangreichen Annalen sowie königlichen Edikte, Staatsverträge und Briefe in wesentlichen Zügen rekonstruiert werden, insbesondere für die Großreichszeit (14.-13. Jh. v. Chr.). Gleichwohl ist noch vieles unklar, z.B. die Anfänge der Staatlichkeit und eine längere Periode von andauernden Thronstreitigkeiten und Königsmorden in der Zeit des Alten Reiches sowie die Umstände, die den Niedergang des Hethiterreiches und seiner Hauptstadt in den achtziger Jahren des 12. Jh.s v. Chr. herbeiführten.
2.1. Die Zeit der assyrischen Handelskolonien (20.-18. Jh. v. Chr.)
Die Taten von Pithana und seinem Sohn Anitta sind uns aus einem hethitischen Text bekannt, der sich in mehreren Abschriften in den Tafelsammlungen von Hattusa erhalten hat (Neu 1974; Carruba 2003). Pithana war Vertreter der hethitischen Dynastie aus der noch nicht wiederentdeckten, im Osten gelegenen Stadt Kussar(a). Nachdem er Kaneš erobert hatte, verlegte er seine Residenz dorthin. Sein Nachfolger, Großkönig Anitta (1742-1723), hatte viele Städte Zentralkleinasiens in seine Gewalt gebracht, darunter auch die Stadt Hattusa, die er zerstörte, und deren Ruine er mit einem Fluch belegte. Sie wurde dennoch schon bald wieder besiedelt.
2.2. Altes Reich (17.-16. Jh. v. Chr.)
Über die Zeit nach der Herrschaft des Anitta ist wenig bekannt. Labarna (II.), der gegen Mitte des 17. Jh.s v. Chr. an die Macht gekommen ist, stammte wieder aus einem Zweig der Dynastie aus Kussar(a). Er machte Hattusa zu seiner Hauptstadt und nahm in Verbindung damit den Namen Hattusili (I.) an. Das historische Gedächtnis der Hethiter, das sich in der Reihenfolge der frühen Könige des Alten Reiches auf dem großreichszeitlichen sog. „Kreuzsiegel” widerspiegelt (Dinçol / Dinçol / Hawkins / Wilhelm 1993), bewahrte die Namen seiner zwei Vorgänger, Huzzija (I.) und Labarna (I.). In diesem Fall kann aber von einer patrilinearen dynastischen Thronfolge keine Rede sein. Nach der Selbstbezeichnung Hattusilis war er ein „Brudersohn der Tawananna”, der Gemahlin von Labarna I. Er dürfte der erste Hethiter auf dem Thron in Hattusa und demgemäß der Gründer der althethitischen Dynastie gewesen sein.
Das wichtigste außenpolitische Ziel Hattusilis I. war die Eroberung von Halab, dem heutigen Aleppo in Nordsyrien. Es wurde allerdings erst durch seinen Enkel und Nachfolger Mursili I. erreicht, der anschließend in einem einmaligen Feldzug weiter euphratabwärts zog. 1595 v. Chr. eroberte er Babylon, was jedoch keinesfalls von dauerhafter Bedeutung für das Hethitische Reich war.
Mit dem von seinem Schwager Hantili (I.) begangenen Mord an Mursili setzten blutige Auseinandersetzungen innerhalb der Königsfamilie ein, die drei Generationen andauerten, wobei ein Schwager anscheinend gern gegen den regierenden Herrscher auftrat (Überbleibsel von matrilinearen Erbfolgetraditionen?).
Die ökonomische sowie die innen- und außenpolitische Lage des Hethitischen Reiches verbesserte sich zeitweilig in der zweiten Hälfte des 16. Jh.s v. Chr. unter König Telipinu. Er gründete neue Städte, darunter wahrscheinlich auch Kuşaklı / Sarissa im Oberen Land, legte an zahlreichen Orten Speicher an und schloss einen Vertrag mit dem König von Kizzuwatna in der Absicht, den Einfluss des Reiches von Mitanni in diesem zwischen dem Hethiterreich und Nordsyrien liegenden Land zu schwächen. Telipinu gab auch einen Thronfolgeerlass heraus, um die Machtkämpfe innerhalb der königlichen Familie zu verhindern.
Die Krise des Hethiterreiches dauerte allerdings noch ein halbes Jahrhundert an. Für die Regierungszeit Hantilis (II.) ist erstmals die Bedrohung durch Angriffe der im Nordosten Kleinasiens beheimateten Kaskäer belegt, die zu jener Zeit die Gegend um die heilige Stadt Nerik einnahmen.
2.3. Neues Reich (15.-13. Jh. v. Chr.; Großreichszeit: 14.-13. Jh. v. Chr.)
Nach einem geglückten Staatsstreich und der Ermordung Huzzijas III. in der ersten Hälfte des 15. Jh.s v. Chr. kam mit Muwattali (I.) eine neue Königsfamilie mit luwischer Herkunft an die Macht. Damit einher ging die Verbreitung hurritischer dynastischer Kulte und Riten (→ Hurriter
Durch die Ermordung Muwattalis ebnete Kantuzzili, der wohl zu einem anderen Zweig der Königsfamilie gehörte, seinem Sohn Tuthalija (I.) den Weg auf den Thron. Ihm gelang es, verlorene Machtpositionen wieder herzustellen und sogar Aleppo zu erobern. Sein gleichnamiger Nachfolger (viele Forscher gehen auch von ein und derselben Person aus), Tuthalija II., leitete siegreiche Feldzüge gegen das Königreich Arzawa und dann zusammen mit seinem Schwieger- und Adoptivsohn Arnuwanda (I.) gegen das Land Assuwa in Westkleinasien. Zu jener Zeit wurde auch Kizzuwatna endgültig annektiert.
Zur Regierungszeit Arnuwandas und noch einmal unter dessen Sohn und Nachfolger Tuthalija (III.) war das Hethitische Reich wieder in eine schwere Krise geraten. Seine Kerngebiete wurden durch Kaskäer-Einfälle verwüstet; möglicherweise fiel Hattusa selbst dem Brand zum Opfer. Tuthalija, der die Hauptstadt verließ, residierte in Kayalıpınar / Samuha im Oberen Land und auch für einige Zeit in Ortaköy / Sapinuwa. Im Südwesten Kleinasiens hatte sich Arzawa soweit gefestigt, dass sein König sogar in diplomatischen Kontakt mit dem Pharao Amenhotep III. treten konnte.
Das Hethiterreich wurde schließlich durch Tuthalijas Schwieger- und Adoptivsohn Suppiluliuma aus der Krise geführt, dem der kränkelnde König die Heeresleitung überließ. Noch zu Lebzeiten Tuthalijas III. verdrängte er die Kaskäer aus dem hethitischen Kernland und eroberte die Territorien im Südwesten Kleinasiens zurück. Suppiluliuma I. (1357-1322) tötete den minderjährigen legitimen Erben, der wie sein Vater Tuthalija hieß, und usurpierte den Thron. Als Eroberer Nordsyriens, das er einem hethitischen Vizekönig mit Sitz in Kargamiš unterordnete, wurde Suppiluliuma von seinen Nachfolgern zu Recht als Begründer des hethitischen Großreichs gesehen. Durch seine Machtpolitik nahm das politische Gewicht der Hethiter im Vorderen Orient stark zu.
In seinen letzten Regierungsjahren kämpfte er gegen Assyrien, das in der Zwischenzeit zu einer Großmacht aufgestiegen ist, und vor allem gegen Ägypten. Suppiluliuma selbst sowie sein Sohn und Nachfolger Arnuwanda (II.) fielen wohl beide einer von den Ägypten-Feldzügen eingeschleppten Seuche zum Opfer, die unter dem folgenden Herrscher Mursili II. (1321-1295) das Hethiterland mehrere Jahrzehnte hindurch verwüstete. Ansonsten war Mursili, der den Thron nach dem Tod seines älteren Bruders minderjährig bestieg, insgesamt erfolgreich. Im Westen zerschlug er das mächtige Königreich Arzawa in mehrere Teilstaaten, mit denen Vasallenverträge abgeschlossen wurden. In Syrien unterdrückte er von Ägypten unterstützte Aufstände lokaler Herrscher, wobei ihm der König von Kargamiš wichtige Hilfe leistete.
Aus nicht näher bekannten Gründen verlegte Mursilis Sohn und Nachfolger Muwattali II. (1295-1272) die Hauptstadt in eine bislang nicht lokalisierte Stadt namens Tarhuntassa in Südkleinasien. Ein neu eingerichtetes Unterkönigtum im Norden übertrug er seinem jüngeren Bruder Hattusili, der in der nordanatolischen Grenzstadt Hakmis(a) residierte und dessen Hauptaufgabe darin bestand, die durch die Kaskäer verwüsteten Gebiete zurückzuerobern und wieder zu besiedeln. Hattusili verfolgte mit großem Erfolg die gestellten Ziele. In Westkleinasien wurde das von Mursili II. begründete Vasallensystem um das Könighaus von Wilusa erweitert, das von einigen Forschern mit Troja (Ilios) identifiziert wird. Die Rivalität mit Ägypten um Syrien erreichte ihren Höhepunkt, als es 1274 bei Kadesch in Mittelsyrien zur Hauptschlacht zwischen den Heeren → Ramses II.
Muwattalis Sohn und Nachfolger Urhi-Teššub / Mursili III. (1272-1267), der Hattusa wieder zur Hauptstadt machte, wurde von seinem ehrgeizigen und machthungrigen Onkel sechs Jahre auf dem Thron geduldet. Schließlich stürzte Hattusili seinen Neffen, schickte ihn in die Verbannung und bestieg selbst den Thron. Als Usurpator musste Hattusili III. (1267-1237) vor allem seine Herrschaft im Inneren sichern. Um die erbberechtigte Dynastielinie Muwattalis abzufinden, schuf er nach dem Vorbild von Kargamiš ein erbliches Unterkönigtum in Tarhuntassa, wo ein anderer Sohn Muwattalis mit Namen Kurunt(ij)a als König inthronisiert wurde. Angesichts der Machtpolitik Assyriens suchte Hattusili Allianz mit dem babylonischen König, er konnte aber die Expansion der Assyrer nicht stoppen, die die Territorien von Mitanni östlich des Euphrats endgültig eroberten. Im Südwesten Kleinasiens unternahm er einige Feldzüge gegen die aufrührerischen Lukka-Länder und dann in Reaktion auf feindliche Aktivitäten eines rebellierenden westanatolischen Prinzen mit Namen Pijamaradu, der sich dem hethitischen Zugriff durch Flucht aus Milawanda (Milet) in das mykenische Königreich von Ahhijawa entzog und dessen Auslieferung Hattusili in einem Brief an den Großkönig von Ahhijawa forderte. Ein 1259 nach langen Unterhandlungen geschlossener Friedens- und Freundschaftsvertrag mit Ramses II. regelte dauerhaft die Beziehungen zu Ägypten.
Unter Hattusilis Sohn Tuthalija IV. (1237-1209) begann der allmähliche Machtverfall. In den Anfängen seiner Regierungszeit musste Tuthalija eine schwere Niederlage gegen die Assyrer hinnehmen, was wohl Kurunt(ij)as Anspruch auf die Großkönigswürde nach sich zog. Es kam sogar möglicherweise zu einer kurzfristigen Interimsregierung Kurunt(ij)as im Sinne eines Staatsstreiches o.ä. Nachdem Tuthalija wieder an die Macht gekommen ist, kämpfte er erfolgreich im Südwesten Kleinasiens gegen die Lukka-Länder und übernahm die Kontrolle von Milawata (Milet); ihm gelang es auch, Alasija (Zypern) zu erobern. Die politische Instabilität hinderte ihn nicht daran, in Hattusa und anderorts ein umfangreiches, mit politisch zelebrierenden Reliefs und hieroglyphischen Monumentalbeischriften verbundenes Bauprogramm zu realisieren, das bereits von seinem Vater Hattusili III. aufgenommen und dann von seinem Sohn Suppiluliuma (II.) fortgesetzt wurde (Marazzi 2019).
Nach dem frühen Tod seines älteren Bruders Arnuwanda III. (1209-1207) bestieg Suppiluliuma II. (1207-1180) den Thron. Er war der letzte bezeugte Herrscher des hethitischen Großreichs. In der ersten Hälfte seiner Regierungszeit kämpfte er erfolgreich vor und auf Alasija sowie in Südwestkleinasien, unter anderem gegen Tarhuntassa. Dann aber wurde die Landbevölkerung von Hunger geplagt, der von großräumigen klimatischen Veränderungen ausgelöst wurde. Die sogenannten → „Seevölker
Nach dem Untergang des Großreichs wurde die hethitische Kultur in den sogenannten Nachfolgestaaten Südostkleinasiens und Nordsyriens weiter gepflegt, deren Herrscher sich noch einige Jahrhunderte lang in hethitischer Tradition sahen. Die Könige von Kargamiš bezeichneten sich sogar zeitweise als Großkönige. Auch die Bevölkerung und / oder Oberschichten Nord- und Mittelsyriens wurden noch lange von ihren Nachbarn „Hethiter” genannt (→ Hethiter im AT
3. Religion
Festbeschreibungen, Kultinventare und andere religiöse Urkunden, die größtenteils aus den Archiven der Hauptstadt stammen, vermitteln uns Glaubensvorstellungen vor allem mit Bezug auf das Kernland des Hethitischen Reiches, während z.B. die Glaubenssysteme West- bzw. Ostkleinasiens durch die schriftlichen Quellen nur in ganz beschränktem Umfang beleuchtet werden. Die Liste der belegten Götternamen ist sehr umfangreich (van Gessel 1998), doch kann bei einer solchen Liste nach wie vor kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben werden. In der einschlägigen Literatur (s. vor allem Haas 1994; Popko 1995; Taracha 2009; Cammarosano 2018) werden meistenteils nur „große” Gottheiten behandelt; auch die Struktur traditioneller lokaler Panthea ist uns vielfach nur in groben Zügen bekannt.
3.1. Das hethitische Reichspantheon und die wichtigsten Festrituale
Ein „Reichspantheon” definiert in der Regel die Gesamtheit „derjenigen Gottheiten, die für einen bestimmten, von einem König beherrschten Territorialstaat als repräsentativ gelten. Dabei handelt es sich nicht um den Versuch einer umfassenden Auflistung aller im jeweiligen Land verehrten Gottheiten; vielmehr formen das eigentliche Pantheon nur einige wenige ‚große’ Gottheiten, die namentlich genannt werden. Im Reichspantheon findet die staatliche Verfaßtheit der Götterwelt in Analogie zur königlichen Herrschaft Ausdruck, die ihrerseits häufig durch den an der Spitze des Reichspantheons stehenden Götterkönig übertragen und legitimiert wird“ (Schwemer 2006, 241).
3.1.1. Althethitische Zeit. Das Reichspantheon althethitischer Zeit lässt sich der obigen Definition zufolge aufgrund der Zeugnisse zum großen Trinkzeremoniell für die größtenteils hattischen Gottheiten rekonstruieren, das während des KI.LAM-Festrituals stattgefunden hat (Singer 1983, 101ff.; Yoshida 1996, 77ff.; Taracha 2009, 39ff.). Das in der Hauptstadt gefeierte KI.LAM-Fest geht anscheinend auf eine alte Tradition des hattischen Königsreiches von Hattus zurück. Die althethitische Dynastie hat die Tradition des hattischen Staatskults bewahrt. Die Liste von über 30 beopferten Gottheiten beschränkt sich bezeichnenderweise auf traditionelle lokale Panthea des eigentlichen Landes Hattusa, einschließlich der Hauptstadt, der zwei Kultstädte Alacahöyük / Arinna und Ziplanda (wohl Kuşsaray in der Nähe von Çorum), der Stadt Ankuwa unweit von Ziplanda wie auch einiger Orte im Tal vom Çekerek / Zulija. An der Spitze stehen der Wettergott von Hattusa und die Sonnengöttin von Arinna als Hauptgottheiten des Reichspantheons. Darauf folgen Inar, die ursprüngliche Stadtgöttin von Hattusa, der heilige Berg von Arinna mit Namen Hulla und der Vegetationsgott → Telipinu
Im Gegensatz zum größtenteils hattischen Pantheon althethitischer Zeit bieten die großreichszeitlichen Listen der hethitischen göttlichen Zeugen der Verträge eine Mischung von Gottheiten unterschiedlicher, sowohl anatolischer als auch hurritischer, syrischer und mesopotamischer Herkunft. An der Spitze der Schwurgötter stehen zwei Sonnengottheiten – der Sonnengott des Himmels und die Sonnengöttin von Arinna – und entsprechend zwei Wettergötter – der Wettergott des Himmels und der Wettergott von Hattusa. Darauf folgen verschiedene, nach bestimmten Orten bzw. aspektiv differenzierte Wettergottgestalten, eine Gruppe von Schutzgottheiten, Aja (Ea), zahlreiche Gestalten der Göttin Šawuška (→ Ischtar
3.1.3. Festrituale. Erstaunlicherweise findet das Reichspantheon der Verträge keine Entsprechung in den Festritualen, die vom hethitischen Großkönig oder von anderen Mitgliedern der Königsfamilie in der Hauptstadt und ihrer Umgebung für die Götter des Landes Hattusa zelebriert worden sind. Diese Feste sind meistenteils aus zentralanatolisch-hattischer Kulttradition entstanden, die weit zurück in prähistorische Zeit reichen dürfte, wenn auch in der Großreichszeit in den Ablauf der Feste Abschnitte integriert wurden, die den in Hattusa im Rahmen der offiziellen religiösen Politik eingeführten luwischen, hurritischen und mesopotamischen Gottheiten gewidmet sind. Dazu kommen auch aus den verschiedensten Landesteilen zusammengetragene Festrituale und Feste fremder Gottheiten. Im Folgenden können nur die wichtigsten, im Rahmen des Staatskults begangenen hethitischen Feste angesprochen werden (s. jetzt Taracha 2017, 142ff.).
Zur hattischen Kultschicht gehören kalendarisch festgelegte, regelmäßig begangene Frühlings- und Herbstfeste, deren Zweck die Aktivierung und Erneuerung der den Gottheiten und der Natur innewohnenden Lebenskräfte zur Erlangung ergiebiger Regenfälle, üppiger Ernteerträge, zur Vermehrung des Viehbestandes und der Jagdtiere war. Mit diesen traditionellen Jahreszeitenfesten stehen das purullija- und das KI.LAM-Festritual in enger Verbindung, die jeweils im Frühling und in der Erntezeit gefeiert wurden und auf Gegebenheiten der ofiziellen Kulte der ersten Stadtstaaten Zentralanatoliens lange vor der Zeit der Hethiter rekurrieren dürften.
Der Zweck des purullija-Festes, das in mehreren traditionellen Kultzentren Zentralanatoliens begangen wurde, „ist primär eine Art der Welterneuerung [...] und damit verbunden auch eine Erneuerung der charismatischen Kräfte des Königs [...] bzw. die Bestätigung seines Amtes durch die Götter” (Haas 1994, 697). Im Mittelpunkt der Festhandlungen steht ursprünglich Katahhi, die wichtigste Göttin hattischer lokaler Panthea (s.u. 3.3.). In der Großreichszeit wird dieses Fest von dem König für die Wettergötter von Hattusa und Ziplanda sowie für die hattische Unterweltsgottheit Lelwani (mit der mesopotamischen Göttin Allatu gleichgesetzt) zelebriert, deren Rolle im frühesten Stadtpantheon von Hattusa dunkel bleibt. Wie schon oben bemerkt, wurde das KI.LAM-Fest für den Wettergott, Inar und die Gottheiten der wichtigen Ortschaften des eigentlichen Landes Hattusa gefeiert, deren Priester bei dieser Gelegenheit in der Hauptstadt angekommen sind.
Das Monatsfest, in dem heilige Berge und andere Gottheiten des Königsreiches Hattusa zur Versammlung in der Hauptstadt angerufen werden (Klinger 1996, 285ff.), diente auch dem Zweck, den König in seinem Amt zu bestätigen. Obwohl die frühesten, diesem Festritual angehörigen Textfragmente erst aus der Zeit des Neuen Reiches stammen, kann es sicherlich mit der althethitischen Kulttradition verbunden werden.
Zwei großreichszeitliche „Reisefeste” des hethitischen Königs, AN.TAḪ.ŠUM-Fest und nuntarrijašḫa-Fest, denen spätestens zur Zeit Suppiluliumas I. die grundlegende Gestalt verliehen worden ist und die nachher von Mursili II. und schließlich von Hattusili III. und Tuthalija IV. erweitert und umgestaltet wurden, führen im Wesentlichen die zentralanatolisch-hattische Tradition der Feste des Kalenderjahres fort. In die beiden Großrituale wurden auch zumindest Elemente des purullija- bzw. des KI.LAM- und des Monatsfestes integriert. Jedes von ihnen dauerte in seiner endgültigen Ausgestaltung mehr als einen Monat. „Die Korrespondenz zwischen den beiden Großritualen beschränkt sich jedoch nicht auf ihren jeweiligen Umfang und die markante Position im Jahr. Vielmehr lassen zahlreiche strukturelle Gemeinsamkeiten darauf schließen, dass man zwischen Frührjahrs- und Herbstfest eine korrelative Beziehung sah” (Schwemer 2004, 395).
Das Fest der AN.TAḪ.ŠUM-Pflanze („Krokus“?) als Symbol des Vorfrühlings wird „für die Sonnengöttin von Arinna und für die Gottheiten des Landes Hattusa” gefeiert. „Das Ritual besteht aus ursprünglich selbständigen, zum Teil schon althethitisch überlieferten Frühlingsfesten. Sie wurden unter Beibehaltung des lokalen kultischen Brauchtums zu einem großen, in sich geschlossenen Ritual zusammengefaßt und unter die Obhut des Staates gestellt” (Haas 1994, 772; s. auch Galmarini 2013). Die meisten Festhandlungen finden in Hattusa statt. Der König unternimmt aber auch Rundreisen, um die Gottheiten des Landes Hattusa in ihren Tempeln zu verehren. Er besucht die wichtigen religiösen Zentren, u.a. Arinna und andere Kultstätten der Sonnengöttin, die Verehrungsorte des Wettergottes in Ziplanda und auf dem heiligen Berg Daha, und den Tempel der Göttin Katahha in der benachbarten Stadt Ankuwa. Es handelt sich hier also um die hattischen Gottheiten des traditionellen hethitischen Staatspantheons.
Das nuntarrijašḫa-Fest, oder das „Fest der Eile”, ist ähnlicherweise aus den verschiedensten Festritualen kompiliert worden (Nakamura 2002). Es wird im Herbst nach der Rückkehr des Königs von den militärischen Kampagnen für die zumeist hattischen Gottheiten des Landes Hattusa gefeiert. Die Kultreisen des Königs und der Königin im Rahmen dieses Festes schließen vielfach dieselben Ortschaften wie die Kultreisen des AN.TAḪ.ŠUM-Festes ein, obgleich sich die Itinerare im Einzelnen erheblich unterscheiden können.
3.2. Das dynastische Pantheon
1. Im Gegensatz zum offiziellen, größtenteils hattischen Reichspantheon sind die in der hethitischen Königsfamilie des Alten Reiches gepflegten Hauskulte kaum dokumentiert. Die Darstellung der vom althethitischen Königshaus verehrten Gottheiten in einer Gruppe bezieht sich wohl auf ein Opferzeremoniell, das auf dem Dach des Palastes abgehalten wird. Die Gottheiten werden paarweise mit Namen aufgerufen: Wettergott und die Mutter Erde, Sonnengöttin und Mezzulla, der Landwirtschaftsgott Šuwalijat und die Getreidegottheit Halki, Mondgott und Išpanzašepa („Nachtgenius“), Herd und Hilašši („Hofgenius“), Malija und „männliche Gottheiten”, Waškuwattašši und Kuwanšeš (Haas 1994, 273-274; Yoshida 1996, 87; Taracha 2009, 50-51 und 2017, 133). Sieht man von der Sonnengöttin und Mezzulla ab, handelt es sich hier um „kanesische“ Gottheiten und Hausnumina (s.u. 3.3.).
Betont sei allerdings nochmals, dass das hethitische Königtum auf dem Erbe der hattischen Tradition basierte, die dem König die Rolle des vom Wettergott und der Sonnengöttin von Arinna eingesetzten und legitimierten Verwalters des Landes Hattusa zugeteilt hatte. Aus diesen Gründen ist bei dem obersten Götterpaar des offiziellen Reichspantheons die Grenze zwischen dem Staats- und dem dynastischen Kult fließend. Auch in der Großreichszeit gelten die Sonnengöttin von Arinna und der Wettergott von Hattusa als Bewahrer des Königtums und des Königinnentums, obwohl zu jener Zeit der anatolische Wettergott und der hurritische → Teššub
3.3. Stadtpanthea und lokale Kulte
Das ursprüngliche indogermanische Glaubenssystem der Hethiter lässt sich aufgrund der auf uns gekommenen Quellen kaum rekonstruieren. Die in den Festritualen der Großreichszeit verehrte Gruppe der Gottheiten von Kaneš, denen zu Ehren in hethitischer Sprache gesungen wird, wirft ein gewisses Licht auf den frühen Glauben der anatolischen Indogermanen. Sie umfasst ein Substrat von zum Teil altkleinasiatisch-kappadokischen Gottheiten, deren Kult die indogermanischen Ankömmlinge in Kaneš übernommen haben, wie z.B. Haššušara („Königin“) und der Gott Hašam(m)ili. Haššušara, die stets mit dem Berggott Aškašepa (Erçiyes Dağı?, s. Haas 1994, 614) verbunden ist, gehört zur gleichen Kategorie der Großen Göttinnen wie die hattische „Königin“ (Katahhi), die oft zusammen mit einem lokalen Berggott das oberste Götterpaar der traditionellen Stadtpanthea des Kızılırmak-Bogens bildet (s. unten). Bei anderen Gottheiten, wie die mit Pferden verbundenen Kamrušepa, Per(u)wa und Malija, dem in der Kültepe-Glyptik belegten Schutzgott auf dem Hirsch (dessen luwischer Name Kurunta / Kurunti(ja) in späteren Texten belegt ist), Šuwalijat, Šiwat („Tag“), Išpant („Nacht“), Aššija(n)t, Ilali(jant) u.a., dürfte es sich dagegen um „uranatolische“ Gottheiten handeln, da sie sowohl in luwischen als auch in palaischen Panthea vorkommen. Manche von ihnen begegnen auch unter den in der althethitischen Königsfamilie verehrten Gottheiten (s.o. 3.2.). Kamrušepa als Gemahlin des Sonnengottes Tiwad gehört zu den wichtigsten Gottheiten der Luwier; im Pantheon der Palaer, die westlich der Mündung des Kızılırmak in das Schwarze Meer, auf dem Gebiet der antiken Landschaft Blaene, ansässig waren, und die einen engen kulturellen Kontakt zu ihrer hattischen Nachbarschaft gepflegt hatten, ist sie die Gemahlin des Wettergottes mit dem Epitheton Zaparwa / Ziparwa und trägt den hattischen Namen Katahzipuri. Der Wettergott, dessen indogermanischer Name – hethitisch Tarhu, Tarhunna, luwisch → Tarhun(t)
Bei den lokalen Kulten des nördlichen Zentralanatolien ergeben sich ähnliche Verehrungsmuster, die in der grundsätzlichen Struktur der Panthea traditionell hattischer Städte im Kızılırmak-Bogen ihre Widerspiegelung finden. Die wichtigsten religiösen Zentren des eigentlichen Landes Hattusa, nämlich die Hauptstadt selbst, Arinna (zusammen mit Tahurpa), Ziplanda, Ankuwa und Katapa, bilden allerdings „ein in sich geschlossenes Kultgebiet, das sich von dem anderer zentralanatolischer Städte wie Nerik oder den Siedlungen an der pontischen Küstenregion deutlich unterscheidet” (Haas 1994, 584).
An der Spitze der frühen Panthea des nördlichen Zentralanatolien stehen die Große Göttin, deren Hauptposition durch ihren hattischen Eigenschaftsnamen Katahhi / Katahha „Königin“ zutreffend charakterisiert wird (in manchen Kultzentren führt sie auch andere Namen und Epitheta, wie Zašhapuna oder Tetešhapi „große Göttin“), und ein lokaler Berggott, dessen Kult oft anikonisch war. Auch der Vegetationsgott Telipinu gehört zu den wichtigsten Gottheiten; charakteristisch für seine Kulte sind ebenfalls anikonische Kultbilder (wie z.B. eine silberne Kanne im Kult von Nerik) und Symbole, vor allem der immergrüne eja-Baum (Tanne?) als Symbol des Frühlings und das Schaffell (kurša), das als Schutzgottheit verehrt wurde. Die anikonischen Kulte reichen zweifelsohne in prähistorische Zeit zurück.
In der Großreichszeit fand die Reorganisation der lokalen Kulte statt, die offenbar mit der religiösen Politik hethitischer Könige in Verbindung stand. Am besten ist sie in den Quellen aus der Zeit Tuthalijas IV. belegt. In manchen traditionell hattischen Panthea des nördlichen Zentralanatolien erscheinen jetzt neben früher verehrten Göttern luwische und hurritische (teilweise auch dynastische) Gottheiten (Taracha 2009, 95ff.). Allerdings lässt sich nach Ausweis der einschlägigen Texte keine durchgängige Tendenz zu einer Hurritisierung der lokalen Festgebräuche erkennen (s.o. 3.1.).
4. Schriftkundigkeit und Literatur
Die Hethiter haben aus Syrien in der Regierungszeit Hattusilis I. eine Variante der altbabylonischen Keilschriftkursive (sog. alter Duktus) übernommen (van den Hout 2012). Im Laufe der Zeit erfolgte die Entwicklung von Zeichenformen, die von entscheidender Bedeutung für die Datierung der Quellen ist. In die frühe Phase des Neuem Reiches fällt die Einführung des sog. mittelhethitischen Duktus, die wohl mit der Organisation einer königlichen Kanzlei in Verbindung stand. Ein Wendepunkt kam wiederum nach der Eroberung des Mitanni-Reiches durch Suppiluliuma I., als Formen und Gewohnheiten des „assyrisch-mitannischen Duktus” in die hethitische Schreibtradition (sog. junghethitischer Duktus) eingebracht wurden.
Mit der Einführung der Keilschrift wird Anatolien Teil der Keilschriftkultur des Alten Orients. In der Konkordanz der hethitischen Keilschrifttafeln (Košak 2002-2020) konnten bisher fast 28000 Texte und Textfragmente, zumeist aus Hattusa, registriert werden. Diese Zahl wurde mittlerweile durch Joins auf etwas mehr als 23000 Einzelstücke reduziert, wobei mehr als 3000 unpublizierte Texte aus Ortaköy Sapinuwa bislang unberücksichtigt bleiben müssen. Der hethitischen keilschriftlichen Schreibtradition und Diplomatie sowie der Schreibkunst, den Schreiberschulen und Schreibwerkstätten sind zwei umfangreiche Monographien gewidmet (Gordin 2015; Waal 2015).
Im hethitischen Kulturraum wurde nicht nur auf Ton und nicht nur in Keilschrift geschrieben. Keilschrifturkunden von besonderer Bedeutung, wie Staatsverträge, wurden auf Metall kopiert; genannt seien hier schriftlich bezeugte Silbertafeln des Friedensvertrags Hattusilis III. mit Ägypten und eine 1986 in Hattusa gefundene Bronzetafel des Vertrags Tuthalijas IV. mit Kurunta von Tarhuntassa (Otten 1988). Wie im übrigen Alten Orient schrieb man auch auf Wachstafeln (Cammarosano / Weirauch / Maruhn / Jendritzki / Kohl 2019). Neben der Keilschrift gab es eine parallele Schreibtradition: die anatolische Hieroglyphenschrift. Im Gegensatz zur Keilschrift war sie bis auf wenige Ausnahmen auf das Luwische begrenzt (Payne 2015). Dank der Interaktion zwischen Text, ikonischer Valenz der Zeichen und ikonographischem Beiwerk eignete sie sich für verschiedene Zwecke, sowohl auf Siegellegenden und Tonbullen als auch innerhalb der königlichen Propaganda in Monumentalinschriften auf Basen, Stelen, Fassaden und Felswänden (6.). Die Hieroglyphenschrift überlebte den Zusammenbruch des hethitischen Reiches und hatte als sogenannte „städtische Schrift” ihre Blütezeit in den späthethischen Nachfolgestaaten Südostkleinasiens und Nordsyriens (Payne 2012; vgl. auch Popko 2008, 78ff.).
Einen Überblick über die hethitische Keilschriftliteratur geben Güterbock 1978, von Schuler 1987-1990 und Haas 2006. Im weitesten Sinne des Wortes wird Literatur als überhaupt alles Geschriebene verstanden. Manche Autoren wollen sie aber nach subjektiv bestimmten Kriterien auf das „sprachliche Kunstwerk” beschränken. Nach einem neueren Vorschlag von Theo van den Hout (2002) ist mit Bezug auf das hethitische Schrifttum zwischen der über einen längeren Zeitraum tradierten Überlieferungsliteratur und den restlichen Textgattungen, wie Briefe, Inventare, Landschenkungsurkunden, Zukunftstexte, Gelübde, Gerichtsprotokolle und Bibliothekskataloge, zu unterscheiden. Dementsprechend sind Texte, die zur Überlieferungsliteratur gehören, im Katalog der Texte der Hethiter (www.hethiter.net/CTH
5. Architektur
Der hethitischen Baukunst sind in deutschsprachiger Literatur zahlreiche Publikationen gewidmet (s. Naumann 1971; Schirmer 2002 sowie entsprechende Kapitel bei Bittel 1976; Neve 1993; Schachner 2011 und Seeher 2015). Jährliche Berichte der Grabungen in der hethitischen Hauptstadt finden sich im Archäologischen Anzeiger (seit 1980); die abgeschlossenen Bereiche und Themenkomplexe werden in den Publikationsreihen Boğazköy-Hattuša und Boğazköy-Berichte des Deutschen Archäologischen Instituts fortlaufend publiziert.
5.1. Stadtplanung und Hausformen
Die althethitische Stadt stand in der seit der Frühbronzezeit andauernden Tradition eines verwinkelten Systems von Gassen, die zwischen Häusern unterschiedlicher Größe mit unregelmäßigen Grundrissen verliefen. Die dicht besiedelten Teile der Unterstadt von Hattusa westlich des im 16. Jh. v. Chr. errichteten Großen Tempels hatten dieses Bild bis zur früheren Großreichszeit weitgehend behalten. In der zweiten Hälfte des 16. Jh.s v. Chr. tritt eine Hausform auf, die Peter Neve als Stadthaus beschreibt (Neve 1978). Im Vergleich zu althethitischen Wohnhäusern ist es deutlich größer und weist die innere Gliederung um einen langrechteckigen, zentralen Raum auf, der wohl repräsentativen Zwecken diente. Spätestens seit dem frühen 15. Jh. v. Chr. sind parallel zu den Zentralraumhäusern neue Formen nachweisbar, die Neve als „Hallenhäuser“ bezeichnet (vgl. auch Schachner 2011, 244ff. mit Abb. 117).
Seit der zweiten Hälfte des 16. Jh.s v. Chr. veränderte sich der hethitische Urbanismus grundlegend (Schachner 2009). Die hethitische Zentralmacht konnte in weiten Bereichen Zentralanatoliens neue, auf astronomischen Beobachtungen und geometrischen Messungen basierende Prinzipien in der Stadtplanung flächendeckend durchsetzen. Im Vergleich zu den traditionellen anatolischen Siedlungsmustern weisen sie stark regulierte urbane Formen auf. Als bestes Beispiel kann die Oberstadt von Hattusa sowie das zur gleichen Zeit entstandene Kuşaklı / Sarissa im Oberen Land gelten (Müller-Karpe / Müller-Karpe / Schrimpf 2009; González García / Belmonte 2014; Müller-Karpe 2013 und 2015).
In der Hauptstadt wurde damals die gesamte umwallte Fläche, einschließlich der Oberstadt, genutzt. Im Gegensatz zu den organisch gewachsenen Stadtbereichen der Unterstadt mit ihren schiefwinkligen Grundstücksgrenzen wird erstmals an den Befunden in der Oberstadt der Wille zu einer übergreifenden Raumordnung erkennbar. Insbesondere bestand der im letzten Drittel des 16. Jh.s v. Chr. neugegründete Stadtteil im Tal westlich von Sarıkale aus symmetrisch vorgeplanten Raummodulen, die man zu quadratischen oder rechteckigen Gebäuden an einem rechtwinkligen Straßensystem kombinierte (Schachner 2011, 86f.).
5.2. Die Stadtmauern und Stadttore
5.3. Monumentalbauten
6. Bildkunst
Die bildende Kunst des hethitischen Kleinasien, die sich inhaltlich, ikonographisch und stilistisch weitestgehend eigenständig präsentiert, ist in mehreren reichlich illustrierten und höchst informativen Büchern, Artikeln und Enzyklopädie-Einträgen sowohl in Bezug auf ihre Entwicklung und Funktion als auch auf die Symbolik und kompositorischen Aspekte einzelner ikonographischer Motive dargelegt (s. z.B. Bossert 1942; Vieyra 1955; Güterbock 1957; Akurgal 1961; Alkım 1968; Mellink 1974; Bittel 1975 und 1976; Canby 1976 und 1989; Darga 1992; Özyar 2006; Schachner 2012; Taracha 2012). Sie ist allerdings im Vergleich zu anderen Kulturen des Alten Orients weit weniger gut bekannt, zumal viele der erhaltenen Kunstwerke keinesfalls sicher zu datieren sind und nur wenige an ihrem ursprünglichen Aufstellungsort gefunden wurden (Schachner 2011, 204). Die hethitische Kunst wird auch unterschiedlich definiert. Nach manchen Autoren liegen ihre Anfänge bereits im späten 3. Jt. v. Chr. bzw. spätestens in der Zeit der assyrischen Handelskolonien (vgl. Vieyra 1955; Bittel 1976). Die nachfolgenden Ausführungen beschränken sich ungeachtet dessen auf die hethitische Zeit und gelten solchen Objekten und Monumenten, die einem einheitlichen Kunststil bzw. einer gemeinsamen Bildsprache typisch hethitischer Prägung angehören. Andreas Schachner bemerkt in diesem Zusammenhang: „Da der Übergang von den Karum-zeitlichen Stadtstaaten zu einem gefestigten hethitischen Reich im Laufe des 17. Jahrhunderts v. Chr. historisch und archäologisch noch weitgehend unklar ist, wird man erst ab dem 16. Jahrhundert v. Chr. von einer genuin hethitischen Kunst sprechen können” (Schachner 2011, 204f.).
6.1. Die Vollplastik
Beispiele rundplastischer Figuren sind im hethitischen Kulturraum überhaupt selten. Dies gilt insbesondere für vollplastische monumentale Bildwerke. Orthmanns Behauptung (1975, 420), „[dass] es keine eigene [hethitische] Tradition monumentaler Rundskulptur gab”, muss allerdings anhand von archäologischen und schriftlichen Quellen zurückgewiesen werden. Der säulenförmige Torso einer überlebensgroßen Kalksteinstatue aus Alacahöyük (Koşay / Akok 1973, 78-79 Taf. 40-41), der halblebensgroße Steinkopf einer Göttin aus Hattusa (Bittel 1976, 298 Abb. 340) und der Chloritschieferkopf einer weiblichen Statue, der in der Unterstadt von Hattusa sekundär verbaut gefunden wurde (Schachner 2011, 216 Abb. 102), sind alle in die althethitische Zeit datiert. Die in Yekbaz (heute Evren, 4 km nördlich von Boğazkale) entdeckte Basaltbasis mit zwei Füßen einer Großstatue (von Tuthalija IV.?) stammt möglicherweise aus der Kammer B des Felsheiligtums von Yazılıkaya (Neve 1982, 389-391 Abb. 8-10).
Vollplastische Steinskulpturen von Tieren sind im hethitischen Kulturraum nahezu unbekannt. Ähnlich wie im Falle der Brunnensteine aus Bisek und Derbent (Schachner 2011, Abb. 49; Neve 1988) sowie des Löwenbeckens von Hattusa (Schachner 2011, Abb. 36) und des Stierbeckens von Dokuz (Güterbock 1969/1970), bei denen der Kopf eines Löwen oder Stiers als Teil eines Wasserspenders bzw. einer als zweidimensionales Relief gefertigten liegenden Tierfigur vollplastisch gearbeitet war, könnten wenige Beispiele liegender bzw. kniender rundplastischer Tierfiguren aus Stein, die uns aus Eflatun Pınar (Bachmann / Özenir 2004, 99-100 Abb. 19-20) und Hattusa (Neve 2001; Schachner 2018) überkommen sind, ebenfalls „einen besonderen Bezug zu Anlagen im Zusammenhang mit Wasser gehabt haben” (Schachner 2018, 260). Fragmente von teilweise rundplastischen Löwen- und Sphinxskulpturen aus Gabbro (Schachner 2011, Abb. 91-92), die in den Tempeln 2 und 3 der Oberstadt von Hattusa gefunden wurden, fungierten als Türwächter. Sie gehören zur gleichen Kategorie wie die Löwen und Sphingen als Stadttorwächter in Hattusa und Alacahöyük, die halb in Freiskulptur, halb in Hochrelief die Torleibungen ausmachen (s.u. 6.2.).
Neben zahlreichen Beispielen der Terrakotta- und Metallkleinplastik (vor allem Menschen-, Götter- und Tierfiguren), die in der Tradition der Reichskunst stehen, gibt es auch ikonographisch und stilistisch einfachere Erzeugnisse der Kleinkunst, die die verschiedenen Ebenen des künstlerischen Könnens representieren und am ehesten als eine Art Volkskunst zu beschreiben sind. Da kaum eine von diesen Figurinen in gesicherten Fundzusammenhängen entdeckt wurde, lässt sich ihr Sitz im Leben meistens nicht bestimmen (vgl. Schachner 2011, 222ff.).
6.2. Die Flachbildkunst
Das Medium des Stein- bzw. Felsreliefs erfreute sich offenbar besonderer Beliebtheit in der hethitischen Monumentalkunst. Es sei hierbei allerdings betont, dass nicht nur die Felsbilder, die verzierten Wasserbecken, die Bild- oder Inschriftenstelen, die bildhauerische Dekoration der Kultfassaden und der Stadttore, sondern auch mehrere Beispiele der Kleinkunst wie Plaketten, Appliken und Siegel mit figürlichen Darstellungen ausnahmslos in der Tradition der staatlichen Hochkunst stehen.
Dass es in der althethitischen Zeit reliefierte Orthostatenfriese gegeben hat, beweisen zwei auf Büyükkale gefundene Reliefs aus Granit bzw. Kalkstein, die Kampfszenen zeigen (Bittel 1976, 149f. Abb. 153; Schachner 2011, Abb. 96). Die im Hochrelief angefertigten Darstellungen aus der späteren Phase des Alten Reiches bzw. aus der früheren Großreichszeit, wie z.B. ein kriegerischer Gott am Königstor (Bittel 1976, 231f. Abb. 267-268; Schachner 2011, Abb. 98) und eine Bildstele des Königs Tuthalija (I. oder II.?) aus Tempel 5 in Hattusa (Schachner 2011, Abb. 93) sowie ein in Kayalıpınar / Samuha in einer frühgroßreichszeitlichen Schicht des 15. Jh.s v. Chr. gefundenes architektonisches Relief einer sitzenden Göttin (Müller-Karpe / Müller-Karpe 2009, 178ff. Abb. 3), unterscheiden sich durch den verwendeten, fast schon rundplastischen Stil von den Flachreliefs des 13. Jh.s v. Chr., für die die Flachbildskulpturen des Felsheiligtums von Yazılıkaya und die figürlichen Friese auf beiden Seiten des Sphinxtors von Alacahöyük repräsentative Beispiele darstellen (s. unten). Die Datierung des Reliefzyklus in Alacahöyük ist allerdings umstritten. Entgegen der communis opinio wird gelegentlich die Ansicht vertreten, dass die Reliefs nicht in das 14. bzw. 13. Jh. v. Chr., sondern in das frühe 15. oder sogar in das 16. Jh. v. Chr. zu datieren sind (s. Schachner 2011, 207f. und 2012, 139).
Seit dem 13. Jh. v. Chr. sind Stelen und Paneele belegt, die erstmals großformatige Hieroglypheninschriften als neue Form der Kommunikation einsetzen. In der Hauptstadt selbst wurde unter der Regierung der letzten hethitischen Könige auf Büyükkale und in jenen Arealen der nördlichen Oberstadt (Südburg, Nişantaş), die nach der Aufgabe des Tempeltals und der Baukomplexe im Tal von Sarıkale von einem intensiven Wiederaufbauprozess betroffen waren, ein architektonisches Programm vorgenommen, das in der Zelebration der politischen Macht durch die Einrichtung der auf öffentliche Wirkung zielenden Monumentalinschriften seinen Fokus hatte (Marazzi 2019).
Stempelsiegel sind eine eigenständige Kunstform, die nicht nur mit dem Staat und dem König verbunden, sondern auch in der Gesellschaft weit verbreitet war. Die stilistische und ikonographische Entwicklung der hethitischen Glyptik wird in zahlreichen Monographien umfassend dargestellt, s. z.B. Güterbock 1940 und 1942; Beran 1967; Boehmer / Güterbock 1987; Herbordt 2005; Dinçol / Dinçol 2008; Herbordt / Bawanypeck / Hawkins 2011. Wie schon oben bemerkt, sind einzelne Themen, wie die Umfassung des Königs von seinem Schutzgott, seine Darstellungen in kriegerischer Gestalt mit Lanze und geschultertem Bogen, die in der Ikonographie der Glyptik sozial eine weite Verbreitung fanden, oder auch der Wettergott von Aleppo auf seinem Wagen, üblich für die Bilderwelten der Reliefs und der Siegel.
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