Deutsche Bibelgesellschaft

Himmelsleiter

(erstellt: Oktober 2009)

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1. Jakobs Traum von einer „Himmelsleiter“ (Gen 28,10-22)

Gen 28,10ff erzählt, wie → Jakob irgendwo im offenen Gelände schläft und im → Traum eine „Himmelsleiter“ – so die traditionelle Übersetzung des nur hier belegten Begriffs סֻלָּם sullām – sieht. Sie steht auf der Erde und ragt mit ihrer Spitze zu Gott in den Himmel. Göttliche Wesen steigen an ihr auf- und nieder. Daran erkennt Jakob, dass hier eine Verbindung zwischen Himmel und Erde besteht und Gott an diesem Ort wohnt. Deswegen nennt er den Ort → Bethel, „Haus Gottes“.

1.1. Zur Etymologie von סֻלָּם „Himmelsleiter“

Eine Ableitung von der Verbalwurzel סלל sll „aufschütten“ ist umstritten (vertreten von: Gesenius, 545; HALAT, 715; Fabry, 868; dagegen Uehlinger, 161). סֻלָּם sullām meint ursprünglich eine Treppe oder Rampe, erst die antiken Übersetzungen (LXX: κλĩμαξ; Vulgata: scala) lassen an eine Leiter mit Sprossen denken.

סלל sll begegnet in paranomastischen Konstruktionen im Sinne von „einen Weg bahnen“ (Jes 62,10; Jes 57,14; Jer 18,15; Hi 19,12; Hi 30,12; Ps 68,5; Spr 15,19), sowie in der Bedeutung „aufhäufen“ (Jer 50,26), metaphorisch „hochhalten / hegen“ (Pilp. in Pred 4,8) sowie „hochfahrend sein“ (Hitp. in Ex 9,17). Von סלל wird soləlāh „Wall“ abgeleitet (2Sam 20,15; 2Kön 19,32; Jes 37,33; Jer 6,6; Jer 32,24; Jer 33,4; Ez 4,2; Ez 17,17; Ez 21,27; Ez 26,8; Dan 11,15).

1.2. Zur Struktur der Traumerzählung

Die „Himmelsleiter“ bildet in Gen 28,12 das statische Hintergrundbild des Jakobstraumes. Die Traumerzählung als Ganze ist formal gesehen ein Sonderfall (vgl. Lanckau, 86-99; zur Struktur der alttestamentlichen Redeträume a.a.O., 99-103): Der Traum enthält neben dem Hintergrundbild zwei deutungsbedürftige, bildhafte Traumszenen mit je eigenen Handlungsträgern (Gottesboten; JHWH). Der erste Satz in Gen 28,13 ist zudem doppeldeutig: Der anthropomorph vorgestellte Gott steht über ihm (dem schlafenden Jakob) oder auf ihr (der Himmelsleiter). Es folgt eine Gottesrede mit Verheißungen an die Erzeltern, die keiner Deutung bedarf (Gen 28,13-15). Erst danach deutet Jakob, was er im Traum gesehen hat (Gen 28,16-17).

1.3. Die Bedeutung des Traumbildes

Die „Himmelsleiter“ markiert die vertikale Verbindung des himmlischen Residenzbereichs Gottes mit dem irdischen heiligen Ort, an dem dieser Gott anwesend ist, und Jakob deutet seinen Traum, obwohl er seinen Gott auch an anderen Orten erfährt, in genau diesem Sinne. JHWHs Transzendenz und seine Anwesenheit an einem bestimmten Ort sind also gleichzeitig gedacht und ins Bild gesetzt. Die Berufungsvision → Jesajas in Jes 6 zeigt ein punktuell vergleichbares Szenario. Der riesenhafte → Thron Gottes befindet sich über dem Tempel, nicht im Allerheiligsten, das von den Gewandsäumen des Thronenden gefüllt wird (vgl. Morenz / Schorch, Seraph, 370-372).

Der heilige Ort wird als Wohnsitz oder Rastplatz Gottes verstanden und von daher als Heiligtum enthüllt und begründet. Mit dem Traumbild der „Himmelsleiter“ ist die Vorstellung einer vertikalen Weltachse belegt, wie sie zur tempeltheologischen Begründung altorientalischer Städte – und so unter anderem auch Jerusalems – gehörte (→ Weltbild). Diese Vorstellung ist in der Himmelsleiter mit dem Heiligtum von Bethel verknüpft.

2. Die Altorientalische Vorstellung von einer Himmelsleiter

2.1. Belege

Es legt sich nahe, סֻלָּם sullām als hebräisches Äquivalent zu akkadisch simmiltu „Leiter / Treppe / Treppenhaus / Stufenrampe“ zu verstehen (vgl. AHw, 1045; CAD 15, 273ff; Gesenius, 545b; HALAT, 715). Eine „Himmelsleiter“ (simmelat šamāmi) genannte Verbindung zu je einem Tor im Himmel und in der Unterwelt begegnet in der assyrischen Version des Mythos von Nergal und Ereschkigal (Textausgabe bei Gurney, 105-131; Texte aus Mesopotamien). Kakka, einer der kleineren Götter und Bote der Himmelsgötter, sowie Namtar, der dämonische Wesir der Unterweltsgötter, und schliesslich der Unterweltsgott Nergal selbst beschreiten in beiden Richtungen eine Treppe, die ihnen Zugang zum Bereich des Himmels ermöglicht. Für das Auf- und Absteigen der Götterboten auf der Treppe werden die zu Gen 28,12 äquivalenten Verbalwurzeln gebraucht.

Eine Himmelstreppe ist auch im ägyptischen Pyramidenspruch 267 (→ Pyramidentexte) erwähnt. Der tote Pharao steigt auf ihr zum Himmelstor im Westen auf (Faulkner, 76; Griffiths, 229f.).

2.2. Mögliche Einflüsse auf Gen 28,12

1) Himmelstor, aber kein Unterweltstor. Die Himmelsleiter in Gen 28,12 verbindet Himmel und Erde. In der folgenden Deutung Jakobs wird der irdische Ort „Himmelstor“ genannt (Gen 28,17). Die Unterwelt wird nicht erwähnt – derartige bedeutungstragende Leerstellen sind in der Hebräischen Bibel oft zu beobachten und sind theologisch motiviert. Jedoch ist der vor dem Familienkonflikt fliehende Jakob physisch und sozial dem Tode nahe.

2) Götterboten. Die auf- und absteigenden Götter des oben genannten assyrischen Textes sind sicher mit den Gottesboten von Gen 28,12 vergleichbar. Im biblischen Text bleibt ihre Funktion offen: Sie vermitteln Jakob keine Botschaft, sondern markieren lediglich die Vertikale. Ihr Auftreten tritt daher nicht in Spannung zur folgenden Gottesrede. Dies muss nicht verwundern: Anders als die einzeln auftretenden Deuteengel (→ Bote; → Engel) haben in Gruppen erscheinende Engel im Alten Testament nie eine Funktion als Sprecher.

3) Treppenmetaphorik und Zikkuratsvorstellung. Ob unter dem סֻלָּם sullām in Gen 28,12 die Freitreppe eines mesopotamischen Hochtempels (→ Zikkurat) verstanden werden kann, scheint zunächst unwahrscheinlich. In Kanaan / Palästina fehlen derartige Bauten. Die Treppenmetaphorik ist zudem nur in der Namensgebung der Zikkurat in Sippar belegt, die „Haus der Treppe zum heiligen Himmel“ genannt wird (vgl. Uehlinger, 161). Zikkurats galten aber als Abbild des Kosmos und als „Weltberg“ oder „Urhügel“, der bei der Schöpfung zuerst aus dem Chaosmeer aufgetaucht war. Dies drückt sich in der Namensgebung aus. Die Freitreppe einer Zikkurat verband den Ort des Himmels und den Erdboden (vgl. Keel, 100; Pongratz-Leisten, 1994, 20). Ohne dass eine besondere kultarchitektonische Gestaltung nötig war, steht die Vorstellung vom Weltberg auch in der Jerusalemer Zionstheologie im Hintergrund (Ps 24,1-3). Daher kann die Vorstellung von einer Zikkurat für Bethel in Gen 28,12f nicht ausgeschlossen werden.

3. Wirkungsgeschichte (K. Koenen)

Im Neuen Testament wird Jakobs Traum in Joh 1,51 aufgenommen. Wenn in Gen 28,12 die Engel Gottes „an ihm“ (בּוֹ) auf- und niedersteigen, kann mit „ihm“ grammatisch die sog. Himmelsleiter, aber auch Jakob gemeint sein. Johannes geht – anders als die LXX – von der zweiten Möglichkeit aus: Die Engel steigen auf dem Menschensohn auf und nieder. Die Rolle Jakobs wird damit auf den Menschensohn übertragen, doch hier ist mehr als Jakob (Joh 4,12). Das Motiv von den auf- und absteigenden Engeln wird aufgenommen, weil es der Gegenwart Gottes Ausdruck verleihen kann. Jetzt ist der Menschensohn der „Ort“ der Gegenwart Gottes auf Erden.

Aus dem 1. Jh. n. Chr. stammt eine Schrift mit dem Titel „Leiter Jakobs“. In ihr tritt nach der einleitenden Wiedergabe von Gen 28,10-22 ein Engel auf und deutet Jakobs Vision als apokalyptische Offenbarung künftiger Ereignisse.

In der rabbinischen Literatur wurde die positive Bethel-Überlieferung, da der Ort aufgrund der Stierbilder Jerobeams nur noch als Hort der Sünde galt (→ Goldenes Kalb), auf Jerusalem übertragen. Bereschit Rabba 69 zitiert zu Gen 28,17 von Rabbi Jehuda die Auffassung, dass die Leiter, die Jakob in seinem Traum sah, nicht von Bethel, sondern vom Jerusalemer Tempelplatz aus schräg in den Himmel geragt habe. Bethel sei nur der Punkt gewesen, über dem sie den Himmel berührte. Bereschit Rabba 68,12 zitiert zu Gen 28,12 die Auffassung, dass mit סֻלָּם sullām „Himmelsleiter“ – ausweislich des übereinstimmenden Zahlenwerts der Buchstaben von sullām und Sinai, nämlich 130 – der Sinai gemeint sein müsse, dessen Spitze nach Dtn 4,11 „bis zum Herz des Himmels“ ragt. Mit den Engeln Gottes seien Mose und Aaron gemeint. Die Leiter wird mit der Tora, die Mose am Sinai empfangen hat, gleichgesetzt, um sie als Brücke zwischen Himmel und Erde zu charakterisieren.

In der christlichen Tradition wird die Himmelsleiter vielfach als Bild für den geistlichen Aufstieg der Gläubigen verstanden. So betrachtet → Hieronymus (Brief 54 an Furia, 6; Bibliothek der Kirchenväter) sie als Bild für den Weg des Lebens, auf dem Gott die Aufsteigenden ermuntert und den Ermattenden seine Hand reicht. Zugespitzt gilt die Leiter als Tugendleiter, die über die Stufen der Tugenden zur Vollkommenheit führt und über die der Mensch, insbesondere der Mönch, zu Gott gelangt. In diesem Sinne findet sich an der Lateinschule in Alfeld (Leine) von 1610 (heute Stadtmuseum) folgende das ganze Haus umziehende Inschrift:

„VIDIT ISAACIDES PORRECTAM AD SIDERA SCALEM, PERQUE HANC ANGELICOS IRE REIDIRE CHOROS. ECCE TYPUM! QUID ENIM SCHOLA? QUID NISI MYSTICA SCALA CUIUS APEX SALVA ET RELIGIO ET REGIO EST? ORDO MAGISTRORUM HAC DESCENDIT, CAPTUI ADAPTANS DOGMATA UT ASCENDAT CARA IUVENTA GRADUS. …”

Der Sohn Isaaks sah eine an die Sterne gelehnte Leiter und über sie die Engelscharen gehen und zurückkehren. Siehe das Bild! Was nämlich ist die Leiter? Was, wenn nicht eine mystische Leiter, deren Spitze Heil, Glaube und Land ist? Der Stand der Lehrer steigt über sie hinab und bietet dem Verständigen Lehren, damit die geschätzte Jugend die Stufen hinaufsteigt. …

Cäsarius von Arles (Predigt 87,3) identifiziert die Leiter mit dem Kreuz, da beide Himmel und Erde verbinden. Im Mittelalter kann die Himmelsleiter auch zu einem Bild für Maria werden, denn über sie kam Christus auf die Erde und kommen die Gläubigen in den Himmel.

Bei der häufigen Aufnahme des Motivs in der jüdischen und christlichen Kunst setzt sich das Verständnis von סֻלָּם sullām als einer Leiter mit Sprossen endgültig durch. Theologisch aussagekräftiger scheint jedoch die Darstellung der Leiter als Lichtstrahl (z.B. bei Josepe de Ribera). Ein eindrückliches Beispiel für die Darstellung der Himmelsleiter bietet auch das „Jakobsfenster“ Marc Chagalls im Zürcher Fraumünster (Link).

Von dem Arnold Schönberg gibt es ein Oratorium „Die Jakobsleiter“. Der Text, der schon 1926 erschien, während die Komposition ein Fragment blieb, schildert, wie die Seelen unter Führung des Erzengels → Gabriel zu Gott aufsteigen.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel / Wörterbücher

  • Lexikon der christlichen Ikonographie, Freiburg i.Br. 1968-1976 (Taschenbuchausgabe, Rom u.a. 1994)
  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
  • Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff

2. Weitere Literatur

  • Clarke, E.G., 1974/75, Jacob’s Dream at Bethel as Interpreted in the Targums and the New Testament, SR 4, 367-377
  • Dauzat, P.E., 2002, Ein Klettersteig zum Himmel? Jakobs Leiter in der Lesart der ersten Christen, WUB 26, 35-37
  • Fabry, H.-J., 1987, Art. סָלַל, ThWAT 5, 867-872
  • Faulkner, R.O., 1969, The Ancient Egyptian Pyramid Texts, Translated into English, Supplement of Hieroglyphic Texts, Oxford
  • Gahbauer, F.R., 2006, Die Jakobsleiter, ein aussagenreiches Motiv der Väterliteratur, Zeitschrift für antikes Christentum 9, 247-278
  • Griffiths, J.G., 1964-65, The Celestial Ladder and the Gate of Heaven: Genesis xxviii. 12 and 17, The Expository Times 76, 229-230
  • Gurney, O.R., 1960, The Sultantepe Tablets (continued). VII. The Myth of Nergal and Ereshkigal, AnSt 10, 105-131
  • Heither, Th. / Reemts, Chr., 1999, Schriftauslegung. Die Patriarchenerzählungen bei den Kirchenvätern (NSK.AT 33/2), Stuttgart
  • Keel, O., 5. Aufl. 1996, Die Welt der altorientalischen Bildsymbolik und das Alte Testament. Am Beispiel der Psalmen, Göttingen
  • Kaufmann, Eva-Maria, 2006, Jakobs Traum und der Aufstieg des Menschen zu Gott. Das Thema der Himmelsleiter in der bildenden Kunst des Mittelalters, Tübingen
  • Koenen, K., 2003, Bethel. Geschichte, Kult und Theologie (OBO 192), Freiburg (Schweiz) / Göttingen
  • Lanckau, J., 2006, Der Herr der Träume. Eine Studie zur Funktion des Traumes in der Josefsgeschichte der Hebräischen Bibel (AThANT 85), Zürich
  • Lunt, H.G., Ladder of Jacob, in: J.H. Charlesworth (Hg.), The Old Testament Pseudepigrapha, Bd. 2, New York u.a. 1985, 401-406
  • Massonnet, J., 1996, Targum, midrash et Nouveau Testament. Le songe de Jacob (Gn 28,10-22), in: C.-B. Amphoux / J. Margain (Hgg.), Les premières traditions de la Bible (Histoire du texte biblique 2), Lausanne, 67-101
  • Morenz, L.D.; Schorch, S., 1997, Der Seraph in der Hebräischen Bibel und in Altägypten, Orientalia 66, 365-386
  • Oblath, M., 2001, „To Sleep, Perchance to Dream …“. What Jacob Saw at Bethel (Genesis 28:10-22), JSOT 93, 117-126
  • Pongratz-Leisten, B., 1994, Ina Šulmi Īrub. Die kulttopographische und ideologische Programmatik der akītu-Prozession in Babylonien und Assyrien im 1. Jahrtausend (BaghF 16), Mainz
  • Pongratz-Leisten, B., 1999, Herrschaftswissen in Mesopotamien. Formen der Kommunikation zwischen Gott und König im 2. und 1. Jt. v. Chr. (State Archives of Assyria Studies 10), Helsinki 1999
  • Uehlinger, C., 1995, Art. Himmelsleiter, NBL 2, 161.
  • Zgoll, A., 2006, Traum und Welterleben im antiken Mesopotamien. Traumtheorie und Traumpraxis im 3.-1. Jt. v. Chr. als Horizont einer Kulturgeschichte des Träumens (AOAT 333), Münster

Abbildungsverzeichnis

  • Jakobs Traum (Mosaner Psalterfragment; 12. Jh.).
  • Jakobs Traum (Raffael; 1518-19).
  • Jakobs Traum (Ferdinand Bol; 1642).
  • Jakobs Traum (Josepe de Ribera; 1639).

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