Hören
(erstellt: August 2014)
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1. Hören und Gehör im Alten Testament und im Alten Orient – Terminologie
Zu hören und gehört zu werden ist für den Menschen von essentieller Bedeutung, und eine Störung der Hörfähigkeit beeinträchtigt das Miteinander erheblich (vgl. die babylonische Sprachverwirrung in Gen 11,7
Auf einen anderen Menschen zu hören wird, je nach Ausprägung des Verhältnisses zweier Personen, auch als „Gehorsam“ bzw. als „Erhörung“ konturiert. Dies gilt sowohl für das zwischenmenschliche Verhältnis als auch für das Verhältnis des Menschen zu JHWH, der Gehorsam fordert und Erhörung verheißt.
Wenn in den Übersetzungen vom „Hören“ gesprochen wird, liegt der Rede zumeist eine Form der gemeinsemitischen Wurzel שׁמע šm‘ zugrunde. Das Verb wird mit direktem und / oder präpositionalem Objekt konstruiert. Subjekt können Gott und Menschen sein. Die Bedeutung der Wurzel ist ähnlich umfassend wie die des deutschen Äquivalents „hören“. Seltener findet sich das auch im Wort „Ohr“ erhaltene Verb אזן ’zn. Bildlich und intensivierend wird vom „Neigen des Ohrs“ (אֹזֶן ’ozæn mit dem Verb נטה nṭh) gesprochen. Spezifischer das „aufmerksame Hören“ wird mit der Wurzel קשׁב qšb bezeichnet. Im weiteren Sinne kann auch das vor allem „verstehen“ ausdrückende Verb בין bîn bzw. das den Aspekt der Erhörung stärkende Verb ענה ‘nh zu den hebräischen Äquivalenten für das deutsche Wort „hören“ gerechnet werden. In der Septuaginta werden zur Rede vom „Hören“ in der überwiegenden Zahl der Fälle das Verb ἀκούειν akouein oder stammverwandte Vokabeln verwendet.
Eine besondere Konzentration der Rede vom „Hören“ ist in deuteronomisch-deuteronomistischen Texten (vgl. Abschnitt 3. Höre Israel!; → Deuteronomismus
2. Das hörende Herz
Die Hochschätzung rechten Hörens ist wesentlich für die weisheitlich-didaktische Literatur und bereits in den ägyptischen Lebenslehren zu beobachten. So wird in der Lehre des Ptahhotep, einer Lebenslehre des Mittleren Reichs (etwa ab 2100 v. Chr.; 11.-12. Dynastie; → Weisheitsliteratur in Ägypten
Auch biblische weisheitliche Lehrrede beginnt mit dem Höraufruf (vgl. Spr 1,8
Organ des Hörens ist in der weisheitlichen Literatur nicht etwa allein das → Ohr
3. Höre Israel!
Nicht allein die weisheitliche Belehrung bedient sich des nachdrücklichen Höraufrufs. Vielmehr ist gerade auch für Gottesrede, wie sie in der prophetischen und gesetzgebenden Literatur zitiert wird, das Hören wesentlich. So wie die Propheten mit dem Höraufruf die Aufmerksamkeit auf das Gotteswort lenken, so werden vor allem im → Deuteronomium
Wie im → Buch der Sprüche
4. Höre mein Gebet, JHWH!
Die gegenseitige Bedingtheit von Gehorsam und Erhörung wird auch in den Gebeten des Alten Testaments thematisiert, allerdings aus der gegenläufigen Perspektive. Die Bitte um Erhörung gehört zum Standardtext der Klage und eröffnet diese nicht selten (vgl. Ps 4,2
Die Bitte um Gehör ist keine alttestamentliche Eigenart. In mesopotamischen „Handerhebungsgebeten“ wird auf ganz ähnliche Weise um Gehör gebeten (vgl. etwa das Handerhebungsgebet an Ischtar 2:91, zitiert nach Zgoll, 53). Auf Gebetsstelen im ägyptischen → Neuen Reich
Der erhörte Beter und das dankbar auf die Geschichte von Erwählung und Rettung zurückblickende Volk krönt das Ineinander von Hören und Gehörtwerden damit, dass der aus diesem Erleben fließende Lobpreis zu Gehör gebracht wird. Die Gemeinde ist Gegenüber der erzählten Wohltaten JHWHs am Einzelnen (Ps 26,7
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
- Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament, Stuttgart 1933-1979
- Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff
- Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, 5. Aufl., München / Zürich 1994-1995
- Handbuch theologischer Grundbegriffe zum Alten und Neuen Testament, Darmstadt 2006
2. Weitere Literatur
- Arambarri,J., 1990, Der Wortstamm ‚hören‘ im Alten Testament. Semantik und Syntax eines hebräischen Verbs (SBS 20), Stuttgart
- Brunner, H., 1977, Die Weisheitsbücher der Ägypter. Lehren für das Leben, Düsseldorf / Zürich
- Brunner, H., 1988, Das hörende Herz: kleine Schriften zur Religions- und Geistesgeschichte Ägyptens (OBO 80), Freiburg (Schweiz) / Göttingen
- Guglielmi, W., 1991, Zur Bedeutung von Symbolen der persönlichen Frömmigkeit: die verschiedenfarbigen Ohren und das Ka, Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde 118, 116-127
- Janowski, B., 2003, Konfliktgespräche mit Gott. Eine Anthropologie der Psalmen, Neukirchen-Vluyn, 86-97
- Kraus, H.-J., 1972, Hören und Sehen in der althebräischen Tradition (Studium Generale 19),1966, 115-123
- Zgoll, A., 2003, Die Kunst des Betens. Form und Funktion, Theologie und Psychagogik in babylonisch-assyrischen Handerhebungsgebeten an Ištar (AOAT 308), Münster
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