Deutsche Bibelgesellschaft

(erstellt: August 2014)

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Gehorsam; → Ohr

1. Hören und Gehör im Alten Testament und im Alten Orient – Terminologie

Zu hören und gehört zu werden ist für den Menschen von essentieller Bedeutung, und eine Störung der Hörfähigkeit beeinträchtigt das Miteinander erheblich (vgl. die babylonische Sprachverwirrung in Gen 11,7, die als Eingriff beschrieben wird, der das gegenseitige Hörverstehen verunmöglicht). Diese Disposition zum Hören wird in den Kulturen des Alten Orients dort besonders wichtig, wo wesentliche kulturelle Traditionen im mündlichen Wort vermittelt (vgl. Dtn 6,4) bzw. als ursprünglich im mündlichen Wort übermittelte dargestellt werden (vgl. Dtn 4,12; Dtn 5,24-26).

Auf einen anderen Menschen zu hören wird, je nach Ausprägung des Verhältnisses zweier Personen, auch als „Gehorsam“ bzw. als „Erhörung“ konturiert. Dies gilt sowohl für das zwischenmenschliche Verhältnis als auch für das Verhältnis des Menschen zu JHWH, der Gehorsam fordert und Erhörung verheißt.

Wenn in den Übersetzungen vom „Hören“ gesprochen wird, liegt der Rede zumeist eine Form der gemeinsemitischen Wurzel שׁמע šm‘ zugrunde. Das Verb wird mit direktem und / oder präpositionalem Objekt konstruiert. Subjekt können Gott und Menschen sein. Die Bedeutung der Wurzel ist ähnlich umfassend wie die des deutschen Äquivalents „hören“. Seltener findet sich das auch im Wort „Ohr“ erhaltene Verb אזן ’zn. Bildlich und intensivierend wird vom „Neigen des Ohrs“ (אֹזֶן ’ozæn mit dem Verb נטה nṭh) gesprochen. Spezifischer das „aufmerksame Hören“ wird mit der Wurzel קשׁב qšb bezeichnet. Im weiteren Sinne kann auch das vor allem „verstehen“ ausdrückende Verb בין bîn bzw. das den Aspekt der Erhörung stärkende Verb ענה ‘nh zu den hebräischen Äquivalenten für das deutsche Wort „hören“ gerechnet werden. In der Septuaginta werden zur Rede vom „Hören“ in der überwiegenden Zahl der Fälle das Verb ἀκούειν akouein oder stammverwandte Vokabeln verwendet.

Eine besondere Konzentration der Rede vom „Hören“ ist in deuteronomisch-deuteronomistischen Texten (vgl. Abschnitt 3. Höre Israel!; → Deuteronomismus) und im weisheitlichen Zusammenhang (vgl. Abschnitt 2. Das hörende Herz; → Weisheit) zu erkennen. Fokussieren beide Bereiche auf das Hören des Menschen, so wird in der Gebetsliteratur vor allem auch das Hören Gottes erwünscht und thematisiert (vgl. Abschnitt 4. Höre mein Gebet, JHWH!).

2. Das hörende Herz

Die Hochschätzung rechten Hörens ist wesentlich für die weisheitlich-didaktische Literatur und bereits in den ägyptischen Lebenslehren zu beobachten. So wird in der Lehre des Ptahhotep, einer Lebenslehre des Mittleren Reichs (etwa ab 2100 v. Chr.; 11.-12. Dynastie; → Weisheitsliteratur in Ägypten), das Hören eng mit dem Gottesverhältnis verbunden: „Wer hinhört ist einer, den Gott liebt; wen Gott haßt, der kann nicht hinhören.“ (534-563, zitiert nach Junge, Ptahhotep, 202f.). Wie das Prinzip weisheitlichen Hörens innerhalb der beschriebenen Tradition bewahrt wird, zeigt sich u.a. daran, dass dem Zögling zu Beginn der Maxime über das Hören zugesagt wird, als Hörender werde er selbst zu einem, auf den gehört wird („Hinhören ist wirkungsträchtig für den Sohn, der hingehört hat, weil Hinhören eintritt in den, der hingehört hat, und aus dem Hinhörenden jemand wird, auf den man hört.“, ebd.). In Lehren des → Neuen Reichs (etwa 1550-1070, 18.-20. Dynastie) wird die Hochschätzung des Hörens weiterentwickelt zur Rede vom „wahren Schweiger“ (vgl. Lehre des Amenemope, viertes Kapitel, in Brunner 1977, 240f.).

Auch biblische weisheitliche Lehrrede beginnt mit dem Höraufruf (vgl. Spr 1,8; Spr 4,1; Spr 22,17 und öfter; → Lehrgedicht), da nur der weise werden kann, der zu hören versteht (vgl. Spr 23,19). Eigene → Einsicht und → Erkenntnisfähigkeit werden der durch aufmerksames Hören gewonnenen Weisheit untergeordnet (Spr 12,15; Spr 13,1; Spr 15,31f.). Das „Hören“ bezeichnet hier zunächst das aufmerksame „Zuhören“ (vgl. Spr 18,13: Der Weise hört, bevor er antwortet), aber ausdrücklich auch die Bereitschaft zum Gehorsam (vgl. die Mahnung in Spr 19,27). Die Prävalenz des Hörens ist im weisheitlichen Bereich Hinweis auf eine deutlich hierarchisch strukturierte Lebensordnung, in der der Jüngere auf den Älteren, der Schüler auf den Lehrer, das Kind auf die Eltern zu hören hat. Wie wichtig diese Gehorsamsstruktur genommen wird, mag die Anweisung in Dtn 21,18-21 erweisen: Der störrische Sohn, der bleibend beratungsresistent ist, soll gesteinigt werden.

Organ des Hörens ist in der weisheitlichen Literatur nicht etwa allein das → Ohr (vgl. Spr 15,31), sondern – in Übereinstimmung mit und wohl auch Abhängigkeit von Aussagen der ägyptischen Weisheit – das → Herz, das zentrale Denkorgan des Menschen (vgl. Spr 2,2; Spr 4,4; Spr 10,8 sowie die ausdrückliche Rede vom hörenden Herzen in 1Kön 3,9, vgl. Brunner 1988, passim).

3. Höre Israel!

Nicht allein die weisheitliche Belehrung bedient sich des nachdrücklichen Höraufrufs. Vielmehr ist gerade auch für Gottesrede, wie sie in der prophetischen und gesetzgebenden Literatur zitiert wird, das Hören wesentlich. So wie die Propheten mit dem Höraufruf die Aufmerksamkeit auf das Gotteswort lenken, so werden vor allem im → Deuteronomium und in deuteronomistisch geprägten Texten (→ Deuteronomismus) Weisung und Gebot JHWHs auf diese Weise eingeleitet (vgl. Dtn 4,1; Dtn 5,1; Dtn 6,4; Dtn 9,1). Die beschriebene Gotteserfahrung fokussiert auf das Hören der Stimme Gottes (Dtn 4,12; Dtn 5,24-26). Zugleich ist das Hören auf JHWH in diesem Fall nicht nur das Aufmerken auf seine Worte bzw. Satzungen, sondern wird gleichgesetzt mit dem Gehorsam des Hörenden (vgl. die klassisch gewordene Beschreibung Abrahams in Gen 26,5, aber als Beschreibung für Gehorsam oder verweigertes Hören auf JHWH auch Ex 15,26; Num 14,22f.; Dtn 4,30; Dtn 7,12; Dtn 8,20; Dtn 11,13.27f.; Dtn 12,28; Dtn 13,19; Dtn 15,5; Dtn 26,17; Dtn 28,1f.13.15.62; Dtn 30,2.8.10.17.20; Dtn 31,12f.; Ri 2,2; 1Kön 20,35f.; 2Kön 17,13f.; Jes 1,10; Zef 3,2; Hag 1,12; Sach 7,7-14). Bereits im Prophetengesetz werden Gotteswort und Stimme der Propheten identifiziert und entsprechend ist das Hören auf den Propheten dem Hören auf JHWH gleichgesetzt (Dtn 18,15.19). Das Hören auf JHWHs Stimme ist jedoch Bedingung der Zugehörigkeit zu ihm als Volk (Ex 19,5), dem entspricht die Selbstverpflichtung des Volkes, zu hören, wie sie etwa im Zusammenhang der Verlesung des → Bundesbuchs betont wird (Ex 24,7). Hören und Nicht-Hören entscheiden über das Schicksal des Volkes (zur Gefahr, die dem verweigerten Gehorsam innewohnt vgl. Lev 26,14.18.21.27). Die Betenden verpflichten sich selbst darauf, zu hören und gehorsam gegenüber ihrem Gott zu sein (Ps 85,9), und zugleich wird betont, dass nur der Gehör erwarten dürfe, der auch selbst gehorsam ist.

Wie im → Buch der Sprüche, sind auch in Prophetenbüchern die Höraufrufe Teil der Aufmerksamkeitserlangung und Sequenzierung (vgl. als Beispiel das Amosbuch mit den Einschnitten in Am 3,1; Am 4,1; Am 5,1 und Am 8,4). Zugleich wird die dahinter stehende Aufforderung zu Gehör und Gehorsam zum wichtigen Theologumenon. Exemplarisch kann dies im deuteronomistisch geprägten → Jeremiabuch beobachtet werden. Die Aufforderung zu Gehör und Gehorsam ergeht mehrfach (Jer 5,21; Jer 7,2; Jer 10,1; Jer 11,2-4.6-8; Jer 17,20; Jer 19,3; Jer 21,11; Jer 22,29; Jer 31,10; Jer 34,4 vgl. auch Ps 81,9), verweigerter Gehorsam wird bestraft (Jer 3,13; Jer 6,19; Jer 7,13; Jer 9,12; Jer 22,5.21f.; Jer 35,13-17; Jer 40,3; Jer 43,7), nicht selten beinhaltet diese Bestrafung die dem Verhalten der Menschen entsprechende Weigerung JHWHs, auf Gebete und Bitten des nicht auf ihn hörenden Volkes zu achten (Jer 7,16.23f.). Teil der Weigerung, auf JHWH zu hören, ist das verweigerte Hören auf JHWHs Propheten, das oft mit dem Hören auf Falschpropheten einhergeht (Jer 14,12-14; vgl. zur Warnung vor den Lügenpropheten vor allem auch Jer 27). Von einem „Hören“, das ohne „Verstehen“ bleibt, spricht der Verstockungsauftrag in Jes 6,9, ihm entspricht wohl die Feststellung in Jer 6,10, dass das unbeschnittene Ohr nicht hören könne (→ Verstockung).

4. Höre mein Gebet, JHWH!

Die gegenseitige Bedingtheit von Gehorsam und Erhörung wird auch in den Gebeten des Alten Testaments thematisiert, allerdings aus der gegenläufigen Perspektive. Die Bitte um Erhörung gehört zum Standardtext der Klage und eröffnet diese nicht selten (vgl. Ps 4,2; Ps 17,1.6; Ps 27,7; Ps 28,2; Ps 39,13; Ps 54,4; Ps 61,2; Ps 64,2; Ps 84,9; Ps 102,2; Ps 119,149 und Ps 130,2). Umgekehrt ist das Vertrauen darauf, gehört zu werden, Basis allen Betens (Ps 5,4; Ps 34,7.18; Ps 39,13; Ps 55,18.20; Ps 69,34; Ps 94,9; Ps 116,1; Ps 145,19) und die Feststellung „Er hat gehört!“ eröffnet oder krönt den Dank der Geretteten (Dtn 26,7; Ps 6,9f.; Ps 22,25; Ps 40,2), oft unmittelbar in Wortübereinstimmung mit der zuvor ergangenen Bitte um Gehör (vgl. Ps 4,2 mit Ps 4,4; Ps 61,2 mit Ps 61,6). Aus Perspektive der Exodus-Erzählung beginnt das Verhältnis zwischen JHWH und Israel allererst mit der Erhörung (Ex 2,24; Ex 3,7). Hört JHWH nicht, kann ihm das zum Vorwurf gemacht werden (vgl. Ps 22,2f.; Hab 1,2). Allerdings wird das Nicht-Hören JHWHs in der Regel mit dem vorangehenden Nicht-Hören des Volkes / eines Beters erläutert (siehe oben und vgl. Jes 59,1f.). Wenn Gott nicht hört, so wird das, zumal in der prophetischen Polemik, auf das Verhalten der Rufenden zurückgeführt (Spr 15,29 JHWH hört den Frommen vgl. Ps 34,16.18; Ps 66,18; vgl. auch Jes 1,15; Jes 58,1-4; Jer 7,16; Jer 11,11.14; Jer 14,12; Ez 8,18).

Die Bitte um Gehör ist keine alttestamentliche Eigenart. In mesopotamischen „Handerhebungsgebeten“ wird auf ganz ähnliche Weise um Gehör gebeten (vgl. etwa das Handerhebungsgebet an Ischtar 2:91, zitiert nach Zgoll, 53). Auf Gebetsstelen im ägyptischen → Neuen Reich weisen gehäuft dargestellte Ohren auf das die Stelenaufstellung motivierende Interesse der Betenden (vgl. Guglielmi).

Der erhörte Beter und das dankbar auf die Geschichte von Erwählung und Rettung zurückblickende Volk krönt das Ineinander von Hören und Gehörtwerden damit, dass der aus diesem Erleben fließende Lobpreis zu Gehör gebracht wird. Die Gemeinde ist Gegenüber der erzählten Wohltaten JHWHs am Einzelnen (Ps 26,7; Ps 66,8.16) und erinnert zugleich das von den Vorfahren Gehörte (Ps 78,3; Ps 106,2).

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament, Stuttgart 1933-1979
  • Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff
  • Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, 5. Aufl., München / Zürich 1994-1995
  • Handbuch theologischer Grundbegriffe zum Alten und Neuen Testament, Darmstadt 2006

2. Weitere Literatur

  • Arambarri,J., 1990, Der Wortstamm ‚hören‘ im Alten Testament. Semantik und Syntax eines hebräischen Verbs (SBS 20), Stuttgart
  • Brunner, H., 1977, Die Weisheitsbücher der Ägypter. Lehren für das Leben, Düsseldorf / Zürich
  • Brunner, H., 1988, Das hörende Herz: kleine Schriften zur Religions- und Geistesgeschichte Ägyptens (OBO 80), Freiburg (Schweiz) / Göttingen
  • Guglielmi, W., 1991, Zur Bedeutung von Symbolen der persönlichen Frömmigkeit: die verschiedenfarbigen Ohren und das Ka, Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde 118, 116-127
  • Janowski, B., 2003, Konfliktgespräche mit Gott. Eine Anthropologie der Psalmen, Neukirchen-Vluyn, 86-97
  • Kraus, H.-J., 1972, Hören und Sehen in der althebräischen Tradition (Studium Generale 19),1966, 115-123
  • Zgoll, A., 2003, Die Kunst des Betens. Form und Funktion, Theologie und Psychagogik in babylonisch-assyrischen Handerhebungsgebeten an Ištar (AOAT 308), Münster

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