Homosexualität (AT)
(erstellt: Oktober 2021)
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1. Einleitung
Der Begriff „Homosexualität“ wurde 1869 durch Karl Maria Kertbeny (vor 1847: Karl Maria Benkert) geprägt. Für diesen Begriff – ebenso wie für „Sexualität“, „sexuelle Orientierung“, „sexuelle Identität“ oder andere Termini aus diesem Wortfeld – gab es davor in keiner Sprache Äquivalente. Eine direkte Anwendung des Begriffs Homosexualität auf Texte der Bibel ist insofern ein Anachronismus. Eine weitere Schwierigkeit ergibt sich dadurch, dass das humanwissenschaftliche Wissen über dieses Thema (bzw. die Frage der sexuellen Orientierung des Menschen) in den letzten Jahrzehnten (Ende 20. Jh., Anfang 21. Jh.) erhebliche Veränderungen erfahren hat. Nach heutigem Stand ist Homosexualität eine Normvariante menschlichen Verhaltens im sexuellen wie im partnerschaftlichen Bereich. Die gleichgeschlechtliche sexuelle Ausrichtung wird im Laufe der Persönlichkeitsentwicklung vom Individuum entdeckt und bedarf wie jede andere sexuelle Ausrichtung auch der Integration in ein stimmiges Lebenskonzept. Zur Homosexualität im heutigen Verständnis gehören somit – wie bei Heterosexualität auch – Fragen der Partnerschaft, der Verantwortung für die/den Andere/n und für die Gemeinschaft (Familie, Gruppe, Gesellschaft), der Verlässlichkeit, der Emotionalität, der Rücksichtnahme und vieles mehr. Wird dagegen der Begriff „Homosexualität“ auf den bloßen gleichgeschlechtlichen Akt unter Männern reduziert, wird das Wort bewusst in Anführungszeichen gesetzt und sollte eigentlich nicht verwendet werden, vielmehr sollte man von genitalem Analverkehr unter Männern sprechen. Für diesen bzw. für dessen Verbot kann es viele Gründe geben (vgl. Nissinen 1998, 1-17; zu den humanwissenschaftlichen Erkenntnissen vgl. Bosinski in Goertz 2015, 91-130; zu Hermeneutik und Hintergrund vgl. auch Leuenberger, 206-208).
2. Das Umfeld Israels
Die gesamte Antike kannte weder dem Begriff noch der Sache nach Homosexualität als ein Sexualität und Identität integrierendes Persönlichkeitskonzept für gleichberechtigte Partner auf Augenhöhe. Sexuelle Akte wurden nach ihrer sozialen Dimension, nicht nach der Handlung an sich beurteilt. Die Penetration als gleichgeschlechtlicher genitaler Analverkehr zwischen Männern wurde insofern nicht als Ausdruck einer Liebesbeziehung angesehen, sondern als eine bisweilen mit Gewalt verbundene Machtdemonstration des „überlegenen“ penetrierenden Mannes gegenüber dem „unterlegenen“, die geschlechterstereotype Rolle der Frau einnehmenden penetrierten Mannes. Die festen Rollenerwartungen bezüglich der „sozialen“ Geschlechter, was also die „natürliche Rolle“ des Mannes bzw. der Frau sei, bestimmen die Sichtweise der Antike auf das Phänomen → Sexualität
2.1. Griechenland
Das antike Griechenland kannte eine besondere Form gleichgeschlechtlicher Liebe unter Männern, die gesellschaftlich anerkannt war: die umfassende freundschaftliche, erotische und sexuelle Handlungen einschließende Liebe zwischen einem erwachsenen „Liebhaber“ (erastēs) und einem heranwachsenden „Geliebten“ in der Pubertät (erōmenos). Diese vor allem in Athen und Sparta, aber auch auf Kreta auftretende „Knabenliebe“ (paiderastia) entsprach ähnlichen Beziehungen in der griechischen Götterwelt (Mythologie: Zeus und Ganymed, Herakles und Iolaos) und diente der Initiation in die Männerwelt des Krieges und der Politik. Der ältere Part galt als Vorbild und Lehrer, der jüngere bedankte sich in Form von Zuneigung und (auch sexueller) Dienstbereitschaft. Bei Platon wird diese Form der Liebe spiritualisiert und zum Idealfall menschlicher Beziehungen stilisiert, wobei dann die konkreten sexuellen Handlungen wegfielen (sublimiert wurden). Es konnte sich aus solchen Beziehungen eine lebenslange Männerfreundschaft entwickeln. In der Regel heirateten die heranwachsenden Männer standesgemäße Frauen, um Nachkommenschaft zu zeugen. Insofern geht es hier nicht um Homosexualität im heute verstandenen Sinne als Lebenskonzept, sondern um ein institutionalisiertes bisexuelles Verhalten mit sozialer, pädagogischer und ethischer Zielsetzung. Dies ist vor dem Hintergrund zu verstehen, dass im antiken Griechenland die Welt der Männer und der Frauen strikt geschieden war; Beziehungen zu Frauen dienten zur Fortführung der Familie oder zum Ausleben heterosexueller Lust (reiche Männer konnten Hetären und Konkubinen finanzieren). Echte spirituelle freundschaftliche Liebe, so nahm man an, könne es nur zwischen Gleichgestellten, also freien Männern geben. Die paiderastia war keine Beziehung zwischen gleichberechtigten Partnern zur gegenseitigen Befriedigung: Sexuelle Freude war dem aktiven Teil, dem älteren erastēs, vorbehalten, der jüngere Teil sollte lernen, sich zurückzuhalten und dienstbar zu sein, einen Gefallen zu tun – er sollte nicht die Rolle einer „Frau“ übernehmen. Daher wurde Analverkehr vermieden und stattdessen der „Schenkelverkehr“ praktiziert; das eigentliche Ideal war aber die Enthaltsamkeit. Man sprach auch nicht über die sexuelle Komponente. Keinesfalls durfte eine finanzielle Belohnung erfolgen; vielmehr bestand der Anteil des Jüngeren darin, sozial abgesichert zu sein und das vom Erwachsenen erwartete Verhalten u.a.m. zu lernen. Es ist festzuhalten, dass paiderastia keineswegs überall akzeptiert und praktiziert wurde, auch dürften Ideal (in den schriftlichen und bildlichen Quellen bezeugt) und Wirklichkeit sich nicht immer gedeckt haben (s. dazu Nissinen 1998, 57-69 mit Belegen).
Homoerotische Beziehungen unter Frauen hat es sicher gegeben, doch sind sie in den (allermeist von Männern geschriebenen) Quellen nicht thematisiert. Nur in den Gedichten der Poetin Sappho (7./6. Jh. v. Chr., Lesbos) sind Spuren homoerotischer Liebe zwischen Frauen zu finden. Da das Thema mit einem gesellschaftlichen Tabu belegt war, ist die Quellenlage sehr dürftig und eine adäquate Rekonstruktion der Verhältnisse, Auffassungen und Praktiken nicht möglich. In späterer römischer Literatur wird lesbische Liebe verurteilt oder verspottet, da sie (v.a. von Männern) als unheimlich oder unnormal angesehen wurde (Belege bei Nissinen 1998, 74-79).
Ein Beispiel ist Martials Epigramm 7,67 (Text gr. und lat. Autoren
In der Antike war „Männlichkeit“ (einschließlich der Selbstkontrolle und des adäquaten Gebrauchs des Genusses) ein hohes moralisches Gut, das nicht durch Geburt, sondern durch Lernen und entsprechendes Verhalten erworben wurde und auch wieder verloren gehen konnte. Homoerotische Beziehungen waren daher eine heikle Sache, wurden nicht einfach toleriert, sondern waren einem strengen Moral- und Ehren-Kodex unterworfen, wurden auch kritisiert (z.B. schon von Aristoteles) und aufgrund missbräuchlicher Praktiken (Prostitution, Gewalt) schließlich verpönt. Insgesamt tendiert die Quellenlage dazu, dass in der griechisch-römischen Welt um die Zeitenwende sexuelle Akte unter Männern negativ konnotiert waren; das moralische Problem bestand vor allem darin, dass der passive Partner als „verweiblicht“ angesehen wurde und seine „Männlichkeit“ verkauft habe (Details bei Nissinen 1998, 79-88). Diese Form der Ablehnung gleichgeschlechtlicher Beziehungen unter Männern beruht letztlich auf einem negativen Frauenbild, das Frauen nur als Objekte sexueller Lust oder Mittel zur Fortpflanzung sah, nicht aber als gleichberechtigte Partner auf Augenhöhe.
2.2. Alter Orient
2.2.1. Kleinasien
Aus dem hethitischen Kulturkreis (2. Jt. v. Chr.) könnten zwei Belege in Betracht gezogen werden.
(1) Anniwiyani ist Autorin zweier Ritualtexte auf einer Tafel (Catalog der Texte der Hethiter [CTH]
(2) Das Ritual der Paskuwatti (Catalog der Texte der Hethiter [CTH]
2.2.2. Mesopotamien
In der mesopotamischen Literatur diskutiert die Forschung die Beziehung zwischen → Gilgamesch
In den Mittelassyrischen Gesetzen gibt es zwei Vorschriften (MAL A 19 und MAL A 20), die sich mit gleichgeschlechtlichem Verkehr unter (sozial gleichgestellten!) Männern befassen, jedoch geht es in 19 um eine falsche Anschuldigung (ein Partner wird fälschlich als „Prostituierter“ beschimpft), in 20 um Vergewaltigung. Das Problem besteht hier ebenso wie im griechischen Denken dieser Zeit darin, dass nur eine bestimmte Art des gleichgeschlechtlichen Verkehrs unter Männern inkriminiert wird: Während aktiver „homosexueller“ Analverkehr mit männlichen Prostituierten oder Sklaven kein Problem darstellte, ächtete die Gesellschaft den Fall, wenn ein Mann einen ihm gleichgestellten Bürger gegen dessen Einverständnis (!) aktiv anal penetrierte und damit bewusst einen Akt der Demütigung setzte (Nissinen 1998, 25-27). Damit wird das komplexe soziale Gefüge der Gesellschaft in ihren wechselseitigen Beziehungen gefährdet. Wer diesen Akt wiederum passiv ohne Widerstand an sich geschehen ließ, gab damit seine Bürgerrechte auf (Cooper, 84; Nissinen 1998, 57-69; → Homosexualität
Mit Homosexualität im heutigen Sinne hat das alles nichts zu tun. Als wichtigstes Ergebnis seiner Studien hält M. Nissinen fest, dass es keinen Sinn mache, angebliche Spuren von Homosexualität in der antiken Literatur herauszupressen, um herauszufinden, wie das moderne Konzept der Homosexualität in Texten funktioniert, deren Autoren das ganze Konzept unbekannt war (Nissinen 2010, 76; zu einem ikonographischen Beleg aus Mesopotamien vgl. Leuenberger, 209-212).
2.3. Ägypten
Nur wenige textliche Quellen aus dem pharaonischen Ägypten bezeugen gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen von Männern (zum Folgenden s. v.a. Klug in Hieke 2015, 28-34). Eine einschlägige Episode aus dem Machtkampf der Götter → Horus
Sehr fragmentarisch erhalten ist die literarische Darstellung der Liebesaffäre zwischen dem König Neferkare und seinem General Sasenet (Papyrus Chassinat I, um 700 v. Chr.; Kammerzell, 965-969), die sich beide heimlich des Nachts treffen. Textlich nicht überliefert sind Hintergründe und Bewertung des Geschehens. Die Heimlichkeiten könnten darauf abzielen, den König zu diskreditieren (Parkinson, 72-73); auch könnte der Text eine Parodie auf die nächtliche Vereinigung des Sonnengottes Re (König) mit dem Totengott Osiris (General) in der Unterwelt sein (van Dijk, 387-393).
Im negativen Sündenbekenntnis des ägyptischen → Totenbuchs
Eine Wendung in der 32. Maxime der Lehre des Ptahhotep (um 2000 v. Chr.) wird bisweilen als grundsätzliche Ablehnung einer homosexuellen Beziehung gedeutet (Parkinson, 68). Nach neuerer Sicht könnte die Maxime aber darauf zielen, in jedweder sexuellen Beziehung Empathie walten zu lassen und es zu respektieren bzw. sich zurückzunehmen, wenn das Gegenüber nonverbal signalisiert, dass es mit dem Geschlechtsverkehr emotional nicht einverstanden ist (Junge 2003, 62).
Angesichts der Fülle von Bildern und Texten aus dem alten Ägypten befassen sich auffällig wenige Quellen mit dem Thema „Homosexualität“, und sie meinen damit auch nicht das heutige Phänomen. Vielmehr geht es um gleichgeschlechtlichen Genitalverkehr unter männlich konnotierten Wesen (Götter wie Menschen), allermeist zur Unterdrückung der unterlegenen Figur. Eine allgemeine Bewertung gleichgeschlechtlicher Beziehungen ergibt sich daraus nicht.
3. Die Verbote in Lev 18,22 und 20,13
3.1. Hinführung: keine Sexualmoral
Homosexualität im heutigen Verständnis ist in der Hebräischen Bibel als Dokument aus der Antike kein explizites Konzept. Die biblische und außerbiblische Quellenlage erlaubt kaum Rückschlüsse auf das Phänomen gleichgeschlechtlichen Sexualverhaltens im alten Israel (Nissinen 1998, 37; Himbaza / Schenker / Edart, 5). Gleichgeschlechtlicher Analverkehr unter Männern wird nur an zwei Stellen im gleichen Kontext des Buches Levitikus, näherhin des → Heiligkeitsgesetzes
3.2. Grundsatzbestimmung: Lev 18,22
Lev 18,22
Diskutiert wird vor allem die Wendung מׅשְׁכְּבֵי אׅשָּׁה miškəvê ’iššāh, die oben mit „wie man bei einer Frau liegt“ übersetzt ist. So meinen einige, das Verbot sei nur auf den „empfangenden“ Teilnehmer und nicht auf den penetrierenden Part bezogen (Walsh, 201-209; Hollenback, 529-537). – Andere nehmen an, das Verbot beziehe sich nur auf gleichgeschlechtliche Sexualakte unter blutsverwandten Männern (Milgrom, 1569; vgl. auch Dershowitz, 510-520, der ein generelles Verbot gleichgeschlechtlicher Akte unter Männern erst einer späteren Redaktionsschicht zuweist). – Nach einem weiteren Vorschlag sei die Wendung miškəvê ’iššāh in Lev 18,22 als der „sexuelle Zuständigkeitsbereich einer Frau“ zu verstehen, so dass daraus zu schließen sei, dass sich das Verbot auf Männer beziehe, die zum Zuständigkeitsbereich einer Frau gehören (also v.a. verheiratete Männer): „Sex with married men, therefore, would be forbidden as well as sex with any males who are under the guardianship of a woman within the community“ (Wells, 158). Auch nach dieser Interpretation hat Lev 18,22 nichts mit dem heutigen Konzept von Homosexualität zu tun. – Töyräänvuori, 236-267, macht den Vorschlag, dass sich das Verbot und die Wendung miškəvê ’iššāh darauf beziehen, dass zwei Männer gleichzeitig das Lager einer Frau aufsuchen (also eine ménage à trois). Da in diesem Fall nicht sicher gesagt werden könne, wer der Vater des eventuellen Kindes sei, sei diese Form einer „Dreierbeziehung“ verboten, da sie erbrechtliche Konflikte hervorrufe (→ Erbe / Erbrecht
Nach Abwägen vieler Möglichkeiten erscheint die Annahme am plausibelsten, dass hier gleichgeschlechtlicher Analverkehr unter Männern mit Samenerguss des penetrierenden Mannes umschrieben wird (so auch Leuenberger, 227), wobei einer der Partner die (im doppelten Wortsinne!) „unterlegene“ Rolle der Frau einnimmt, das heißt, auch diese Ausdrucksweise folgt den „klassischen“ Gender-Rollenstereotypen, bei denen die männliche Rolle als aktiv, die weibliche als passiv gilt. Im Grunde wurde der Akt verurteilt, nicht das gleichgeschlechtliche Begehren, dessen Existenz nicht reflektiert wurde (vgl. Nissinen 1998, 44). Eine kategorische Ablehnung gleichgeschlechtlicher männlicher Geschlechtsakte ist vor dem skizzierten altorientalischen Hintergrund außergewöhnlich und neu (Milgrom, 1566). Möglicherweise geht sie auf persischen Einfluss (Avesta) zurück (Dershowitz, 523-525; Römer, 217). Allerdings wirkt die Ablehnung nur dann „kategorisch“, wenn der Satz Lev 18,22 aus seinem Kontext gelöst wird. Eine Vernachlässigung des literarischen Zusammenhangs ist aber aus allgemeinen bibelhermeneutischen Grundsätzen heraus nicht möglich und für das angemessene literarische Verstehen des Textes abträglich. Der Kontext liefert den Schlüssel für das Verstehen und damit die Geltungsbreite des Verbots von Lev 18,22.
Im Vers davor (Lev 18,21
Der gemeinsame Nenner der drei Verse Lev 18,21-23 besteht darin, den Verlust von Nachkommenschaft für die eigene Religionsgemeinschaft zu verhindern, sei es durch Kinderopfer (weniger wahrscheinlich) oder durch Übergabe von Kindern an die fremde Besatzungsmacht (wahrscheinlicher), sei es durch (ausschließlich) gleichgeschlechtlichen Analverkehr unter Männern, sei es durch (ausschließlichen) Geschlechtsverkehr mit Tieren. Hinzu kommt noch im gleichen Sinne das Verbot, mit einer menstruierenden Frau Geschlechtsverkehr zu haben (Lev 18,19
In Lev 18,22
3.3. Strafbestimmung: Lev 20,13
In Lev 20 werden fast alle Verbote aus Lev 18 – die meisten davon betreffen inzestuöse sexuelle Verbindungen – mit Strafen verbunden. Lev 20,13
3.4. Hermeneutische Überlegungen zu Lev 18,22 und Lev 20,13
Das in Lev 18,22
4. Gewalt und Schande: Sodom (Gen 19) und Gibea (Ri 19); Ham und Noah (Gen 9)
Drei erzählende Passagen in der Hebräischen Bibel werden in der Auslegungsgeschichte oftmals mit gleichgeschlechtlicher Sexualität unter Männern in Verbindung gebracht. Mit Homosexualität im heutigen Sinne haben sie nichts zu tun: Die Geschichten in Gen 19 und Ri 19 prangern die gewalttätigen Absichten der Bewohner von → Sodom
4.1. Genesis 19: Die Männer von Sodom
Lange Zeit wurde der Analverkehr unter Männern mit dem Begriff „Sodomie“ (→ Sodom und Gomorra
Auch in der frühen Rezeption der Geschichte geht es nicht um Homosexualität. „Sodom“ steht für ein sündiges Verhalten im Allgemeinen (z.B. Ausnutzung der Armen, Gewalt, etc., z.B. Ez 16,49
4.2. Richter 19: Die Männer von Gibea
In der gleichen Weise wie die Sodomiter verfahren „nichtsnutzige Männer“ (Zürcher Bibel), „übles Gesindel“ (Einheitsübersetzung) in der benjaminitischen Stadt → Gibea
4.3. Genesis 9: Keine Sexualität
In der Begebenheit zwischen → Ham
Dagegen nimmt Nissinen 1998, 52-53, an, Ham habe durch einen gleichgeschlechtlichen Akt seinen Vater erniedrigen wollen (in Analogie zum altägyptischen Mythos von Horus und Seth). Bergsma / Hahn, 39-40, vermuten einen heterosexuellen Inzest zwischen Ham und seiner Mutter (also Noahs Frau). Aus dieser Verbindung geht als Sohn Kanaan hervor, der schließlich auch von Noah verflucht wird. In keinem Fall ist hier eine homosexuelle Neigung Hams in den Text zu lesen.
5. Freundschaft und Liebe: David und Jonatan (1Sam 18–20; 2Sam 1,26), Rut und Noomi (Rut)
5.1. David und Jonatan (1Sam 18–20; 2Sam 1,26)
Auf der Suche nach positiven Äußerungen der Bibel zu homoerotischen Beziehungen verweist man auf die Freundschaft zwischen → David
5.2. Rut und Noomi (Rut); weibliche Homosexualität
Irmtraud Fischer deutet die Beziehung zwischen → Rut
Sieht man von Rut und Noomi (und evtl. → Judit
5.3. Hermeneutische Überlegungen
Dass eine heutige Leserschaft eine homosexuelle Beziehung zwischen David und Jonatan (und vielleicht auch zwischen Rut und Noomi bzw. Judit und ihrer Dienerin) sehen will, liegt in der Offenheit des Textes (Harding, 122-273), der die Phantasie der Rezipierenden kaum beschränkt. Die David-Jonatan-Erzählung sollte aber nicht als eine „biblische Legitimation“ von homoerotischen und homosexuellen Praktiken (und damit als eine Art Aufhebung von Lev 18,22
6. Zur Funktion von Sexualität in Gen 1 und 2
6.1. Gen 1,27-28
In der Diskussion um „Homosexualität und Altes Testament“ wird bisweilen Gen 1,27-28
6.2. Gen 2,18-24
Nach Gen 2,18
7. Zusammenfassung
Da das Alte Testament das moderne Konzept von Homosexualität nicht kennt, kann man auch nicht sagen, dass es Homosexualität verurteile. Für die gesamte Antike gilt, dass (1) das heutige differenzierte Konzept von Homosexualität als vieldimensionales Phänomen und integrierter Bestandteil einer Persönlichkeit so nicht bekannt war und (2) das Thema bei Weitem nicht den Stellenwert hatte, den es in der heutigen Kultur hat. Auch die Hebräische Bibel, in christlicher Rezeption das Alte Testament, kennt Homosexualität im heutigen Sinne nicht (Gnuse,
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Abbildungsverzeichnis
- Nianchchnum und Chnumhotep als Paar (Grab in Saqqara; 5. Dyn.; ca. 2350 v. Chr.). Aus: Wikimedia Commons; © 1999 Greg Reeder; Zugriff 28.3.2008
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