Humor (AT)
(erstellt: Juli 2009)
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1. Einleitung
Humor und Komik in ihren verschiedenen Facetten sind ein häufiges Stilmittel in alttestamentlichen Texten, besonders den Erzähltexten, und lassen Rückschlüsse auf eine ebenso humorvolle Haltung ihrer Verfasserinnen und Verfasser zu. Dies mag zunächst befremdlich klingen, scheinen sich doch Ernst und Bedeutung biblischer Texte und Humor geradezu auszuschließen. Zwar wurde immer wieder auf einzelne durchaus witzige Passagen, wie etwa die wundersame Rettung eines → Jona
Damit soll nicht behauptet werden, dass die Bibel eine Witzsammlung sei, aber die im Folgenden aufgeführten Beispiele komischer Elemente im Ersten Testament sollen verdeutlichen, dass es sich um kein Randphänomen, sondern um ein Charakteristikum handelt, das häufig auf der sprachlichen Ebene entdeckt werden kann. Zwei hermeneutische Vorüberlegungen sind dafür wichtig.
1.1. Intention oder Rezeption
Humor und Komik und alle damit verwandten Phänomene sind zeit-, kultur-, personen- und sprachabhängig. Worüber man vor vielen Hunderten von Jahren schallend gelacht haben mag, könnte heute nur ein müdes Lächeln hervorlocken, wenn überhaupt. Werden Mittel der Komik in den Texten bewusst eingesetzt, liegen sie auf der Ebene der Intention der Verfasserschaft, wir aber haben Zugang zu dieser Intention nur über die Texte selbst. Es liegt also an der Rezeption, ob und in welcher Form Komik in diesen Texten entdeckt wird. Wird von vornhinein Komik in den Texten ausgeschlossen, kann sie folglich auch nicht erschlossen werden. Nach zwei Seiten sind hier Missverständnisse möglich: zum einen eine Rezeption, die die Spuren des Komischen heute nicht mehr erkennen kann oder erkennen will – und über viele Jahrhunderte hinweg war Humor in der Exegese überhaupt kein Thema; zum anderen eine Rezeption, die aus heutiger Sicht Komisches in den Texten wahrnimmt, wo es gar nicht intendiert ist.
Komik existiert auf der intentionalen Ebene in den Texten. Sie kann erschlossen werden über die literarischen Mittel, die Kompositionsweisen der Texte und die Charakterisierung der Heldinnen und Helden. Der Endtext wird bei diesem Vorgehen als integrale Textgestalt gefasst, der genau in dieser vorliegenden Form rezipiert werden will. Literarische Mittel sind u.a. Übertreibung und Untertreibung, Verzögerung und Beschleunigung, Umkehrung, das Spiel mit Sprichwörtern oder Binsenweisheiten, die Benennung von Anstößigem, eine Erwartung aufzubauen und diese dann zu enttäuschen und mit einer anderen Fortführung zu überraschen, Verfremdung von Inhalten, Verdoppelungen oder Anhäufungen, Wiederholungen (z.B. klangliche), Kontrastierungen, Widersprüche, Paradoxien, Wort- und Namensspiele, Spiel mit Wortbedeutungen, hinkende Vergleiche, Stilisierung einzelner Charaktere als närrische Gestalten. Keines dieser Mittel allerdings verweist zwingend auf Komik. Nicht jede Übertreibung ist komisch. Sie kann auch als Ausdruck von Pathos oder lediglich als Bekräftigung gelesen werden. Um sie eventuell doch als Ausdruck der Komik lesen zu können, bedarf es seitens der Rezipierenden der Bereitschaft, sich in eine Art Erzählgemeinschaft hineinnehmen zu lassen und sich die Erzählungen plastisch vor Augen zu führen, ganz so, als würde man eines Films oder einer ausgeführten Szene ansichtig. Erst in dieser Konkretion, die sozialgeschichtliche Zusammenhänge mit in den Blick nimmt, werden inhaltliche Merkwürdigkeiten und auffällige Darstellungsweisen entdeckt, die Reaktionen der Komik hervorrufen. Das kann ein Lachen oder ein Lächeln sein, und mitunter kann einem das Lachen dabei auch im Hals steckenbleiben.
1.2. Komik, Humor, Spaß, Spott, Witz … Begriffe und Funktionen
Komik wird hier als Überbegriff über ein weites Feld verschiedener Spielarten des Komischen verstanden. Komik wird in den verschiedenen Theorien fast durchgängig auf einen Kontrast oder eine Inkongruenz zurückgeführt, sei es die zwischen Erhabenem und Lächerlichem (Jean Paul), zwischen Notwendigkeit und Freiheit (Schelling), zwischen Abstraktem und Anschaulichem (Arthur Schopenhauer) zwischen Mechanischem und Lebendigem (Henri Bergson), zwischen Verdrängung und Entbindung (Sigmund Freud), zwischen Transzendenz und Immanenz (Peter L. Berger) usw. Eine übergreifende Definition dessen, was komisch ist, gibt es nicht.
Oft findet man einen synonymen Gebrauch von Humor und Komik, oder Humor wird als Überbegriff verstanden, worunter dann auch Formen des Schwarzen Humors, Galgenhumors etc. subsumiert werden. Die folgende Zuordnung hat den Vorteil, nach Haltungen, die mit dem jeweiligen Begriff verbunden sind, zu unterscheiden und Humor z.B. klar von Spott abgrenzen zu können.
1.2.1. Komik und ihre Spielarten
Während mit Humor eine humanistische Gesinnung, die heitere Gelassenheit im Umgang mit schwierigen Situationen („Humor ist, wenn man trotzdem lacht“), mithin ein „Lachen mit“ gemeint ist, intendiert der Spott eine Herabsetzung anderer, sei es höher- oder niedrigrangiger Personen, ein „Lachen über“. Humor kann demnach mit einer liebevollen Zugewandtheit verbunden werden, während Spott mit einer Haltung der Verachtung einhergeht. In dieses Wortfeld gehören auch die Begriffe Zynismus, Sarkasmus und Satire. Ironie gilt als eine Form von Spott, bei der unter dem Anschein von Ernsthaftigkeit oder gar des Lobes das Gegenteil vom Gemeinten ausgedrückt wird. Die Karikatur überzeichnet und verzerrt einen Charakter, um Verhaltensweisen oder Zustände kritisch aufzudecken. Das kann in wohlwollender oder auch in spöttischer Absicht geschehen.
In der vertikalen Ausrichtung dieses Schemas steht der Witz für eine verstandesmäßige Fähigkeit zur sprachlichen Gestaltung von Scherzen. Witze lüften – bei aller Vielfalt ihrer Inhalte und Bezugsgrößen – in ihrer Pointe das tertium comparationis zweier verschiedener Sinnhorizonte. Hier klingt die alte Wortbedeutung von „Verstand“ und „Klugheit“, die bis ins 18. Jh. gültig war, noch durch. Spaß dagegen am anderen Ende bezieht sich auf die Kräfte der Vitalsphäre und ist körperlicher zu verstehen.
Nimmt man die obige Anordnung von Spott und Humor an den beiden horizontalen Enden des Wortfeldes als Waage, so schlägt das Pendel in den biblischen Texten eindeutig in Richtung Spott aus. Der Spott über Feinde und Ungläubige nimmt mitunter gar gewaltsame Züge an. Verhaltensweisen werden mit Mitteln wie der Parodie und der Karikatur abgewertet. Die Anwendung von stilistischen Mitteln der Komik in den alttestamentlichen Texten kann allerdings unterschiedliche Funktionen haben. Sie werden unten (Kap. 2-3) an konkreten Texten exemplifiziert.
1.2.2. Die soziale Dimension von Komik
Gemeinsames Lachen schafft Gemeinschaften von Gleichgesinnten. Gelacht wird in hierarchisch organisierten sozialen Strukturen in der Regel über Nicht-Mitglieder dieser Gemeinschaft oder über Niedrigrangige innerhalb derselben, wobei für den Moment Rangunterschiede auch gemindert werden, vorhandene Feindseligkeiten ausgedrückt, aber im Rahmen gehalten werden können. Männer und Frauen lachen über unterschiedliche Dinge und mit unterschiedlichen Intentionen: zum einen eher kompetitiv, zum andern um Nähe und Verbundenheit herzustellen. In gemischtgeschlechtlichen Gruppen sind Frauen tendenziell eher die Mitlachenden und Zielscheibe von Witzen (Kotthoff). Komik dient so zur Stabilisierung von Zugehörigkeit und Herrschaft. Wird dies als ein Lachen sozusagen von oben nach unten bewirkt, so gibt es umgekehrt auch ein Lachen von unten nach oben, mit dem Minderheiten oder unterdrückte Bevölkerungsgruppen feinen bis offenkundigen Widerstand signalisieren. In der Komik dieser Art „steckt Souveränität, subjektive Schöpferkraft, der eigenwillige Blick auf die Welt“ (Kotthoff 2007, 243). Ob er Herrschaftsverhältnisse unterlaufen oder gar aufheben kann, hängt davon ab, ob neue Mehrheitsverhältnisse möglich sind. Oft dient diese Art von Komik auch wiederum zur Stabilisierung bestehender Verhältnisse. Spott, Satire und Ironie von unten nach oben kommt in den alttestamentlichen Texten als Auflehnung gegen Herrschaft und Unterdrückung sehr häufig vor.
1.2.3. Die sozialkritische Dimension von Komik
Humor und Komik haben die Funktion, hinter Fassaden zu blicken und Missstände, Überheblichkeiten, Verdrängtes, Widersprüchliches ans Tageslicht zu befördern. Herrschende Regeln des Zusammenlebens und Verhaltensnormierungen werden dadurch auf die Probe gestellt. Mit den Mitteln der Komik dürfen auch Tabugrenzen überschritten werden, Frechheiten sind erlaubt und heikle Dinge dürfen benannt werden.
1.2.4. Die psychische Dimension von Komik
Eine weitere Funktion von Komik besteht darin, unterdrücktem Begehren und eigenen Aggressionen ein Ventil zu geben und sie sozialverträglich zu kanalisieren. Komik wirkt in diesem Sinn meist kompensatorisch und systemstabilisierend. Es ist im Übrigen dasselbe System im Gehirn, von dem sowohl Lachen als auch Wut und Aggression ausgehen (Tietze).
1.2.5. Die didaktische Funktion von Komik
Die verschiedenen Mittel der Komik werden auch zu didaktischen Zwecken eingesetzt. Zum einen sollen sie für eine entspannte Lernsituation und nachhaltigeres Lernen sorgen, zum andern kann durch sie vermeintlich sicheres Wissen in Frage gestellt und das Selbstlernen aktiviert werden (Siebert). Komik ist in diesem Sinne mit Provokation verbunden.
1.2.6. Die kreative Dimension von Komik
Komik verlangt auf der kommunikativen Ebene Kreativität, eine schnelle Auffassungsgabe, schnelle Kombinationen, gelungene Anspielungen, eine feine Analyse und Durchdringung der Wirklichkeit. Sie erfordert außerdem einen kreativen Umgang mit sprachlichen Mitteln.
1.2.7. Die theologische Sicht auf Komik
Die Inkongruenz von vorfindlicher Wirklichkeit und Verheißung, von „noch nicht“ und „schon jetzt“ ist Thema der Komik aus theologischer Perspektive (Berger). Visionen von Frieden und Gerechtigkeit, die sich küssen (Ps 85,11
Aus der Wahrnehmung dieser Spannung zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit gelingt Distanz sowohl zu sich selbst, als auch zu den Verhältnissen. Besonders der Humor spielt mit dem Überschuss an menschlichen und göttlichen Möglichkeiten und nimmt bereits vorweg, was noch im Charakter der Verheißung ist (Matthiae).
Glaubensaussagen ist daher der Charakter des Komischen immer bereits inhärent. Darin liegt auch der Grund, warum Erzählungen über Gotteserfahrungen meist gar nicht ohne die Anwendung von Mitteln der Komik auskommen.
2. „Und Sara lachte…“ – Abraham auch
Als → Sara
In der hier beschriebenen Komik kommt das Erstaunen angesichts des Zusammentreffens von göttlichen Möglichkeiten und menschlichen Gegebenheiten zum Ausdruck. „The humour emanates from a sense of bafflement caused by a clash of implicit and explicit messages.“ (Landy 106ff.). Weniger bekannt ist meist, dass auch → Abraham
Neben ṣchq mit seinen arabischen, syrischen und ugaritischen Parallelen, das eher in frühen Text vorkommt (15 Mal), kommt śchq mit der Wortbedeutung „spielen“ und „tanzen“ sowohl in frühen Texten, aber hauptsächlich in Texten aus der Exilszeit und in weisheitlichen Texten, insgesamt häufiger, nämlich 52 Mal vor und hat eine größere Zahl von Derivaten. Beide Begriffe werden sowohl für Lachen im Sinne von Heiterkeit und Freude, als auch im Sinne von Spott, verletzender Ironie und grausamem Spaß eingesetzt, mit einem deutlichen Übergewicht des zweiten Pols. Wie entscheidend die Deutung jeweils ist, zeigt eine alttestamentliche Passage selbst. Was ein harmloses Spiel unter Jungen sein mag, kann auch als aggressives Verhalten gedeutet werden: „Da sah Sara, wie der Sohn Hagars, der Ägypterin, den diese dem Abraham geboren hatte, herumjuchzte“ bzw. „spottete.“ (Gen 21,9
Das Lachen bleibt also mehrdeutig, und zwar sowohl auf der rein sprachlichen, als auch auf der theologischen Ebene. Da dies auch in den ganzen folgenden Textpassagen der Fall ist, in denen verschiedene Mittel der Komik dargestellt werden, sollen die Leserinnen und Leser durch nacherzählendes Einfühlen in den Erzählfluss hineingenommen werden.
3. Handlungsbögen, Stilmittel und Charaktere – die drei Ebenen biblischer Komik
In ihrem Buch zu Tragödie und Komödie in der Bibel verorten die Alttestamentlerin J. Cheryl Exum und der Alttestamentler J. William Whedbee Komik auf drei verschiedenen Ebenen: 1. im Plot oder dem großen Handlungsbogen einer Erzählung, 2. im Stil einer Erzählung und 3. in den Protagonistinnen und Protagonisten.
In den meisten Erzählungen greifen die drei Ebenen ineinander. Eine Erzählung, die einem typischen U-Bogen folgt, bei dem auf ein tragisches Tief ein gutes Ende folgt, besteht meist aus Stilmitteln der Komik wie Wortspiele, Wiederholungen, Übertreibung etc. (s.o.1.1.). Ihre „Helden“ sind nicht selten menschliche, allzu menschliche Gestalten, die gerade deshalb Gottes Wohlgefallen genießen oder es sind scheinbar große Persönlichkeiten, deren Überheblichkeit mit Mitteln der Komik untergraben wird. In der folgenden Auflistung wird trotz ihres Ineinandergreifens nach diesen drei Ebenen unterschieden, je nachdem, wo in dem Text ein Schwerpunkt auszumachen ist.
3.1. Alttestamentliche Komödien: Ende gut, alles gut?
3.1.1. Isaak: lächerlich und liebenswert zugleich
Durch die Namensgebung → Isaaks
Von größter Komik ist sicherlich – und spätestens seit → Hermann Gunkel
Exum und Whedbee kommen mit einem englischen Wortspiel zu dem Schluss, dass Isaak, gerade weil er so menschlich schwächelt, zugleich lächerlich, aber auch liebenswert ist: “a half-comic, half-pathetic figure who incarnates and mirrors the human, all too human, and (…) therefore all the more laughable and lovable“. (Exum / Whedbee, 19)
3.1.2. Das Buch Hiob: Tragödie oder Komödie
→ Hiob
Aber sie zeigen auch das Ringen um die Frage nach Gottes Gerechtigkeit. Wenn es tatsächlich Untadelige und Verbrecherische treffen kann (Hi 9,22
Infragestellungen und Kontraste bilden auch im Weiteren ein Strukturmerkmal. Während er im Prolog als der Segnende dargestellt wird, verflucht Hiob gleich in seiner ersten Rede den Tag seiner Geburt (Hi 3,1
Es folgen die Reden der Freunde, die im Prolog als einfühlsam und mitleidsvoll geschildert werden. Diese Schilderung kontrastiert allerdings mit der Art und Weise, wie sie selbst als Karikaturen von weisen Männern dargestellt werden. So wünscht sich Hiob nach einigem Zuhören nur noch spöttisch, dass sie schweigen mögen: „Wer gäbe es, dass ihr endlich den Mund hieltet und dass das eure Weisheit wäre!“ (Hi 13,5
Entsprechend sarkastisch und ironisch sind Hiobs Zurückweisungen: „Wahrhaft, ihr seid mir Leute – mit euch stürbe die Weisheit aus!“ (Hi 12,2
Weitere erzählerische Mittel der Komik sind zum Beispiel die verspätete Reaktion Hiobs auf die Argumente seiner Freunde (vgl. Hi 9,2
Ein weiteres komisches Element liegt in dem plötzlichen Auftauchen des Elihu (Hi 32
Die Reden Gottes selbst entbehren allerdings auch nicht der Komik, sie gelten als gespickt mit Ironie, wie etwa hier: „Schmück dich doch mit Hoheit und Erhabenheit, Pracht und Glanz zieh an!“ (Hi 40,10
Im Epilog schließlich kommt die Komödie zu ihrem guten Ende. Alles ist noch besser als zuvor. Jürgen Ebach hebt hervor, dass nun auch die Töchter namentlich erwähnt sind und ihren Erbteil bekommen sollen. „Nirgends sonst in der Bibel wird ökonomische Geschlechtergerechtigkeit so prägnant.“ (Ebach, 1240). Bemerkenswert sind auch die besonderen Namen der Töchter: Jemima bedeutet „Turteltaube“, Kezia „Zimtblüte“ und Keren-Happuch „Schminkhörnchen“ (vgl. Anm. 444 in: Bibel in gerechter Sprache, 2303). Trotzdem ist dieses Ende kein glattes. Die an Gott gestellten Fragen bleiben. Die Lösung liegt zwar auf einer anderen Ebene, aber Erfahrungen von Widersprüchlichem und von Ambivalenzen bleiben. Insofern endet das Buch trotz des märchenhaften Schlusses nicht naiv optimistisch und bleibt der Held ein tragikomischer (Whedbee, 245f.).
3.1.3. Herrschaftskritik im Buch Ester
Im Judentum wird das Buch → Ester
Die Geschichte selbst strotzt nur so von gewaltsamen Begebenheiten, ist aber auch voller phantastischer Szenen und geradezu ein Paradebeispiel subversiven Vorgehens. Und so gilt das Buch Ester literarisch als „politische Satire“, als „subversive Komödie“, mit brillantem Humor von höchster Ernsthaftigkeit (O’Connor, 52f.). Mittel der Komik werden zu einem Zeichen des Widerstands und des Triumphes über die herrschende Gewalt. Das Buch Ester gewinnt somit eine wichtige soziale und politische Funktion. Es verleugnet das Schmerzhafte nicht, aber verspricht ein Leben jenseits davon. Es macht deutlich, dass eine peinigende Situation geändert werden kann, ja sogar ganze Systeme gestürzt werden können (O’Connor, 64). Andere bezeichnen es als Schwank, in dem „unsagbarer Schrecken mit Hilfe der Groteske ausgesagt wird“ (Butting, 50). Etwas launig schreibt Magonet: „Welche andere Geschichte hat schon einen so herrlichen Schurken aufzuweisen wie den hinterlistigen Haman, eine so schöne und kluge Heldin wie Ester und eine komische Figur wie diesen König Ahasveros, der mit all seinen Mißwahlen und durchzechten Nächten hauptsächlich als Partylöwe von sich reden macht.“ (Magonet, 115)
Die beschriebene Situation im Buch weist auf eine Entstehung in hellenistischer Zeit hin, ca. 332-142 v. Chr. Die jüdische Bevölkerung ist stark assimiliert, Speisegebote und Gebete spielen keine Rolle, man kann sowohl einen jüdischen als auch einen mesopotamischen Namen tragen (Hadassa und Ester).
Der Aufbau des Buches in zehn Kapiteln folgt einer klaren Symmetrie mit gegenläufiger Struktur und ist als fertiges Lesestück konzipiert. Die ersten 5 Kapitel beginnen zunächst harmlos, an ihrem Ende steht die drohende Vernichtung des jüdischen Bevölkerungsteils. Kapitel 6 bildet einen unerwarteten und in sich komischen Wendepunkt während einer schlaflosen Nacht des Königs. Die folgenden Kapitel zeigen das stückweise Abwenden der Gefahr und enden mit einem glücklichen Zusammenleben der jüdischen und der persischen Bevölkerung. Kapitel 3 und 8 sind formal mit der Ernennung von Wesiren und dem Erlass von Dekreten ganz parallel gestaltet, wobei die Personen und die Inhalte konträr sind. Entsprechend gibt es besonders mit Haman und Mordechai als Außenseiter am königlichen Hof einerseits, und mit Wasti und Ester andererseits gegenläufige Charaktere. Namensnennungen, Begriffe aus der Verwaltung – von 3270 Wörtern insgesamt haben 439 allein mit Verwaltung und königlicher Etikette zu tun –, die häufigen Feste und weitere Aufzählungen bilden strukturierende Momente in beiden Teilen. Wie Radday beobachtet, sind die Verbformen zu 69 Prozent passive, was den Subjektstatus des Königs und seiner Verwaltung auch auf dieser rein sprachlichen Ebene unterminiert. Dies geschieht aber im Wesentlichen durch Mittel der Komik. Diese bestehen in erster Linie aus Übertreibungen, grotesken Überzeichnungen der Machthaber, Wiederholungen (der aufwendigen persischen Post und der Feste) und Kontrasten zwischen vermeintlicher und tatsächlicher Macht. Dazu einzelne Beispiele, zunächst die Exposition des Stückes mit der Karikatur eines typischen Potentaten seiner Zeit.
Ahasveros (אחשׁורושׁ ’chšwrwš), dessen Name in der jüdischen Tradition mit „Kopfschmerzen“ (חשׁ בראשׁ chš br’š „er schmerzt am Kopf“) in Verbindung gebracht wird (vgl. Midrasch Ester Rabba 1,1.3), verfügt über ein Herrschaftsgebiet, das mit 127 Provinzen äußerst groß ist. Auffällig ist, dass er erst im dritten Jahr seiner Herrschaft ein Fest mit majestätischer Pracht feiert, dafür aber nicht weniger als 180 Tage lang. Dem folgt ein einwöchiges Fest für das Volk, bei dem die edelsten Materialien zum Einsatz kommen und Wein in Fülle fließt. „Als Trinkordnung galt: Ohne Etikette!“ (Est 1,8
Ein Dekret wird erlassen und in alle Provinzen verschickt, das die Herrschaft des Mannes im Haus sicherstellen soll. Darin kann man eine weitere, komische Übertreibung sehen und argwöhnen, ob die Männer wohl vorher in die Häuser ihrer Frauen gefolgt waren (Radday, 298), oder man erkennt darin die berechtigte Sorge vor dem Umsturz patriarchaler Machtverhältnisse (Butting, 62). Am Ende des ersten Kapitels sind diese überdeutlich klargestellt, aber als Karikatur.
Sobald Ester im gegnerischen Machtbereich angekommen ist, erarbeitet sie sich Spielräume in einem totalitären Gefüge. Auch Mordechai erarbeitet sich Handlungsmöglichkeiten, indem er eine Konspiration gegen den König aufdeckt, diese der Königin meldet und die Übeltäter bestraft werden. Der Vorgang kommt ins Berichtsheft (Est 2,23
Die Geschichte spart im Folgenden nicht mit weiterem Spott über diesen Großwesir des Königs. Einmal ist es seine Frau, die seinen Zorn zu beschwichtigen weiß, indem sie ihm rät, einen gigantischen Galgen zu errichten, 50 Ellen hoch, wo eine Länge von fünf bereits ausreichend wäre. Und ausgerechnet an diesem Galgen wird er dann selbst hängen, nachdem der König endlich erfahren hat, dass er der Drahtzieher des Plans zur Auslöschung der jüdischen Bevölkerung ist – als hätte er das nicht schon längst wissen müssen – und Haman sich auch noch des Verdachts schuldig macht, die Königin verführen zu wollen.
Die Königin hat es verstanden, den König an seiner schwächsten Stelle, an seiner Freß- und Sauflust, zu fangen. Dies ist bereits das sechste große Fest in diesem Stück. Man mag kritisieren, dass ihre Methoden im Bereich des Klischees bleiben und Ester die Züge einer femme fatale trägt, die ihre Sexualität und ihre Attraktivität als Masche einsetzt (Fuchs, 131). Andere dagegen sehen in Ester die geschickte Taktiererin, die ihren sehr begrenzten Spielraum nutzt, indem sie Haman bei seinem Größenwahn und den König bei seinem Misstrauen packt und beide gleich zweimal und zusammen einlädt (Butting, 74f.; vgl. auch Magonet 121f.). Tatsächlich übernimmt dann Ester das Zepter. Das nächste Dekret erlässt sie (Est 8,8
Komik und Gewalt sind auch hier dicht beisammen. Die Abhängigkeit von launenhaften und machtbesessenen Herrschern ist erdrückend beschrieben, aber ebenso werden die subversiven Handlungsspielräume aufgezeigt. Vom positiven Ausgang der Geschichte her können die Machthaber von Anfang an als lächerliche, aufgeblasene Gestalten karikiert werden, ebenso wie ihr gigantischer Machtapparat.
3.2. Sprachliche und stilistische Mittel der Komik
3.2.1. Komik im Namen
Namen haben bei einem Vorkommen von ca. 1500 Personennamen und mehr als 650 Ortsnamen im Ersten Testament eine große Bedeutung. An ihnen zeigen sich nicht nur Machtverhältnisse, sie werden auch zu Mitteln der Komik, besonders dann, wenn ihre inhaltliche Bedeutung einen Kontrast zu ihrem Rang darstellt. Im Buch Ester haben alle sorgfältig aufgeführten Namen des niedrigen Hofstaats despektierliche Bedeutung (Radday, 71f.). Mehuman etwa heißt „Panik“ (vgl. Dtn 7,23
Nabal und Bileam wurden bereits erwähnt (vgl. 1.). Gen 14,2
Bekannte Ortsnamen, die als komisch hervorgehoben werden, sind z.B. Babel (Gen 11,9
3.2.2. Karikaturen von Götzendienern (Jes 44)
Die völlige Gleichsetzung der Herstellung von Brennholz, um Brot zu backen oder eine Suppe zu kochen, mit der Herstellung eines Gottes macht aus den in Jes 44
„In ihren Herzen kehren sie nicht um, sie haben weder Verstand noch Einsicht: Eine Hälfte habe ich im Feuer verbrannt, auch habe ich auf den Kohlen Brot gebacken und Fleisch gebraten und dann gegessen und sollte nun den Rest zu einem Gräuel machen und vor einem Holzklotz anbeten?“ (Jes 44,19
Das stilistische Mittel, mit dem dies geschieht, ist nicht nur die Parallelisierung eines nicht größer zu denkenden Kontrastes, dem zwischen irdischen Materialien und menschlichem Tun einerseits und göttlichem Wesen und Handeln andererseits. Dazu kommen die Ausführlichkeit und die Konkretion des Beschriebenen, die das Vorgehen als absurd und lächerlich erscheinen lassen.
„Wer mit Holz arbeitet, spannt die Messschnur, umreißt es mit einem Stift, bearbeitet es mit einer Raspel, umreißt es mit einem Zirkel, macht es wie eine menschliche Gestalt wie ein Prachtstück von einem Menschen, um in einem Haus zu thronen.“ (Jes 44,13
Völlig absurd wird es, wenn dann die Anbetung selbst vorgeführt wird (Jes 44,15-17
Ebenfalls als Karikaturen lesen sich Wortspiele wie etwa in Jes 28,8ff
3.2.3. Die parodistische Nachahmung Elias durch Elisa (2Kön 2)
→ Elisa
Impliziter ist der Spott ihm gegenüber in der Art, wie die Übernahme der Geistkraft von Elia auf ihn vonstatten geht. Zunächst muss er sich zweimal von Schülerinnen und Schülern der Prophetie anhören, dass Gott ihm an demselben Tag noch seinen Lehrer wegnehmen wird, woraufhin er patzig antwortet: „Das weiß ich auch! Schweigt!“ (2Kön 2,3
In einer anderen Szene wird das Motiv der Nachahmung nur auf Elisas Handeln selbst bezogen. In 2Kön 4,29-31
Eine recht makabre Nachahmung vollziehen die ägyptischen Magier bei den Plagen in Ex 7
3.2.4. Drastische Vergleiche, etwa die wilde Frisur (Ez 5)
Punks könnten es als Anleitung nehmen:
„Du, Mensch, nimm eine scharfe Klinge – ein Rasiermesser sollst du nehmen- und führe es über das Haar deines Kopfes und deines Bartes! Dann nimm eine Waage und teile es auf: Ein Drittel verbrenne im Feuer…., ein weiteres Drittel, zerhaue es mit der Klinge rings um sie her! Das letzte Drittel streue in den Wind…“ (Ez 5,1-4
Die symbolische Handlung steht für die bevorstehende Zerstörung Jerusalems und die Zerstreuung des Volkes in die Babylonische Gefangenschaft. Ein Drittel wird in der Stadt selbst verbrennen, ein Drittel zerschlagen werden, ein Drittel deportiert. Die konkrete Vorstellung einer solchen Frisur mutet freilich komisch an, auch wenn einem das Lachen angesichts der Bedrohung im Hals stecken bleibt. Das ganze Buch → Ezechiel
3.2.5. Sarkasmus – ganz wörtlich zu verstehen (Ri 3)
Sarkasmus im wahrsten Sinne des Wortes – bedeutet es doch‚ „ins Fleisch schneiden“ – findet sich in der Art, wie → Ehud
3.2.6. Prophetische Satire (Amos)
Als deftige Satire können die Anklagen des Propheten Amos gelesen werden: „Wie der Hirte oder die Hirtin aus dem Maul des Löwen nur noch zwei Unterschenkel oder ein Stück vom Ohr herausreißt, so reißen sich die Söhne und Töchter Israels heraus, die in Samaria sitzen auf dem Rand eines Bettes und auf dem Diwan aus Damast.“ (Am 3,12
3.2.7. Makabere Komik (2Kön 6-7)
Der König der belagerten Stadt → Samaria
Als daraufhin Elisa für den kommenden Tag wieder normale Preise ankündigt, reagiert jetzt der Streitwagenführer des Königs ungläubig und verzweifelt voller Sarkasmus: „Da schau an! Dann wird wohl die Ewige auch noch Öffnungen am Himmel machen? Ist das etwa auch so eine Sache?“ (2Kön 7,2
Makaber geht es weiter, wenn nun von vier hautkranken Männern die Rede ist, die sich aus der Stadtmauer heraus ins Lager der Besatzer begeben. Da sie sowieso nichts mehr zu verlieren haben, in der Stadtmauer aufgrund ihrer Krankheit und in der Stadt aufgrund der Hungersnot sterben werden, lautet ihre Rechnung so: „Wenn sie uns am Leben lassen, dann leben wir! Und wenn sie uns töten, dann sterben wir eben!“ Ausgerechnet sie erleben nun das Überraschende: Niemand befindet sich mehr in dem Lager. Die Aramäer hatten Geräusche von einem gewaltigen Heer gehört, die ihnen von der Ewigen höchstpersönlich vorgespielt worden waren (2Kön 7,6
3.2.8. Umkehrmotive beim Handel Abrahams mit Gott (Gen 18)
In Hofnarrenmanier handelt → Abraham
Abraham tritt daraufhin an ihn heran und konfrontiert Gottes Vorhaben, die Städte zu zerstören, mit dessen eigener Weisung, Gerechtigkeit und Recht zu tun (Gen 18,19
„Entweihen würde es dich, so etwas zu tun. Die Gerechten und die Schuldigen zu töten, so dass der Gerechte gleich dem Schuldigen wäre – entweihen würde es dich! Sollte, wer die ganze Erde richtet, nicht Recht üben?“ (Gen 18,25
Gleich zweimal wiederholt er die Konsequenzen und auch hier endet er mit einer rhetorischen Frage. Die Rollen von Gott und Abraham sind hier wie verkehrt. Plötzlich muss der Mensch Gott an seine Prinzipien erinnern und gar noch aufpassen, dass er sie einhält.
Und dann handelt Abraham mit Gott: 50 Gerechte gegen einen Genozid, 45, 40, 30, 20 oder doch nur 10? Auf die sich zuspitzenden Wiederholungen folgt ein überraschendes Ende: Gott geht einfach, und Abraham ebenfalls. Es bleibt offen, ob es überhaupt 10 Gerechte in der Stadt gegeben hätte, vielleicht wäre es auch nur einer gewesen oder gar keiner. Verblüffung steht am Ende wie am Anfang der Geschichte.
3.2.9. Übertreibungen, nicht nur kulinarischer Art (Num 11)
Maßlosigkeit und Anmaßung erzeugen in dem Abschnitt über das Murren des Volkes in der Wüste Komik (Num11). In all der Not in der Wüste und in dem Überdruss der kostenlosen himmlischen Speise → Manna
Mose stimmt schließlich in diese Klage ein und wird grundsätzlich: „Warum finde ich keine Gunst in deinen Augen, dass die Last dieses ganzen Volkes auf mir liegt?“ (Num 11,11
Die Lösung, die dann als Erstes folgt, dürfte für das Volk auch nicht befriedigend gewesen sein: Er selbst und mit ihm 70 Älteste geraten in Verzückung. Damit wird die prophetische Last auf viele andere verteilt, aber satt wird das Volk davon nicht. Auf die Anmaßung des Volkes antwortet Gott nicht weniger sarkastisch mit Bergen von Fleisch. Schadenfroh zitiert er das Volk. Wenn ihr Fleisch haben wollt, bitteschön: „Nicht für einen Tag sollt ihr das essen, auch nicht für zwei, nicht für fünf Tage, nicht für zehn, auch nicht für 20 Tage. Während eines ganzen Monats, bis ihr es nicht mehr riechen könnt und es euch zum Kotzen wird.“ (Num 11,19f
3.2.10. Kontraste, Übertreibungen und beißender Spott (1Kön 18)
In der Geschichte des sog. Gottesurteils am → Karmel
Komik wird erzeugt durch die Spannung zwischen einerseits der Parallelität der Handlungen, dem Wettbewerb zweier religiöser Parteien, andererseits den Kontrasten zwischen ihnen und den Steigerungen. 450 Prophetinnen und Propheten des → Baal
Weniger bekannt und ebenso voller Komik sind die Figuren am Rande dieser Szene. Da ist zunächst Obadja, der Palastvorsteher des damaligen Königs → Ahab
Die Baalspriester werden getötet, aber Ahab bleibt am Leben und wird Zeuge einer kleinen Wolke – „klein wie die Hand eines Menschen“ (1Kön 18,44
Das Happy End ist ein finsteres und so lesen sich die folgenden Szenen von Elia in der Wüste und auf dem → Horeb
3.3. Komische Helden
Stärke und Schwäche, Gehorsam und Verweigerung, Erfolg und Blamage, Sieg und Niederlage – in solchen und ähnlichen Spannungsverhältnissen stehen die Protagonistinnen und Protagonisten biblischer Erzählungen. Es sind keine glatten Charaktere wie etwa die lonesome cowboys in den US-amerikanischen Western mit der klaren Trennung in Gute und Böse. Die Situationen sind komplexer, die Charaktere oft innerlich zerrissen und nicht selten am Hadern mit sich und ihrem Gott.
3.3.1. Jona, der widerspenstigste und erfolgreichste Prophet aller Zeiten
Über → Jona
Die Erzählung kann als Prophetenparodie (Miles) gelesen werden. Mit Gegensätzen, Übertreibungen, Widersprüchen und eigentümlichen Tieren wird hier fortlaufend Komik erzeugt. Einige Beispiele seien genannt:
Jona, der Name bedeutet „Täubchen“, steht eher für das Flatterhafte denn als treuer Bote wie die Taube in der Sintflutgeschichte. Gerade den Frieden will er nicht bringen. Auch in seinem Namenszusatz „ben Amittai“ steckt Witz, denn der ist abgeleitet von „Wahrheit / Zuverlässigkeit“ (’æmæt). Auch wenn manch anderer Prophet auf seine Berufung zunächst mit einer Ausrede reagiert, so unterbietet dies Jona, indem er sich nicht einmal herausredet. Er ergreift sogleich die Flucht, kauft sich nicht nur ein Schiffsticket, sondern gleich das ganze Schiff und steuert den westlichsten bekannten Ort an, → Tarsis
Neben einer ost-westlichen Ausrichtung fällt eine weitere auf: die in die Tiefe. Das hebräische Wort ירד jrd „hinabgehen“ wird in diesem ersten Teil gleich dreimal programmatisch eingesetzt: für das Hinabgehen an den Hafenort Jaffa (Jon 1,3
Für den Fisch – und vielleicht nicht nur für diesen – war Jona wohl regelrecht zu einem Kotzbrocken geworden, der nun aufs Trockene und damit wieder nach oben gespien wird (Jon 2,11
Auf seine äußerst dürre und fade Rede ohne jeglichen Adressaten oder konkrete Benennung der bösen Taten, ohne Androhung konkreter Strafen, ohne konkrete Forderung und lediglich in der Peripherie der Stadt gehalten, folgt die größte Umkehr aller Zeiten. Dreimal wird erwähnt, dass sich alle in Sack und Asche kleiden, und zwar wirklich alle: Alte und Junge und selbst die Tiere (Jon 3,8
Die Naturelemente wie Sturm und hohe See, Pflanzen und Tiere spielen in der Jonaerzählung eine wichtige dramaturgische Rolle, besonders auch in der folgenden, an sich schon witzigen Episode mit der Rizinuspflanze, dem gefräßigen Wurm, dem heißen Ostwind und der brennenden Sonne. Zu beachten sind auch hier die komischen Kontraste zwischen dem gigantischen Fisch zuvor, dem einen, kleinen Wurm und der fastenden Menge Viehs. Der Schatten, in dem Jona seine Beobachterposition einnimmt, klingt im Hebräischen nahezu gleich wie das Wort für „befreien“ in Jon 4,6
Zum wiederholten Male hat Jona mit Warten reagiert, wie bereits auf dem Schiff und wie im Bauch des Fisches. Jetzt beginnt er einen „Sitzstreik“ (Schart, 287). Gott unterläuft Jonas Moral aber mit einer Rizinuspflanze. An dieser Schwachstelle setzt Gott an und kriegt ihn damit – vielleicht. Denn es ist schwieriger Jona zu bekehren als eine böse Stadt! Der schmollende Jona übertreibt es mal wieder und Gott bringt es auf den Punkt mit seiner Rede, in der er Jonas Reaktion auf den Rizinus („Was dich betrifft, dich bekümmert der Strauch…“ Jon 4,10
3.3.2. Bileam, der Zauberer, dessen Eselin mehr sieht als er
Als das Volk Israel in Moab jenseits des Jordans lagert, hatte sich sein siegreicher Durchzug durch das Gebiet der Amalekiter bereits herumgesprochen und → Balak
Aber Bileam ist nicht allein die komische Figur in dieser Episode. Zusammen mit Balak stellt er ein Komikerpaar dar wie im Zirkus, bei dem Balak den Part des Weiß-Clowns übernimmt, der genau weiß, was er will, während sich Bileam wie der dumme August in allerlei Widersprüchlichkeiten verheddert. Soll er dem attraktiven Auftrag Balaks folgen und die Macht seines Wortes zum Ausdruck bringen? Er würde ja gerne, wenn nur Gott nicht wäre. In der ersten Nacht, die sich Bileam von den Boten zum Gespräch mit Gott erbittet, erfährt er unmissverständlich: „Gehe nicht mit ihnen, verfluche das Volk nicht. Denn es ist gesegnet“ (Num 22,12
Nach der Geschichte mit der Eselin, die Bileam trotz allem nicht aufgehalten hat, geht es weiter mit dem Komikerpaar. „Zunächst legt Bileam eine tadellose Show als Zauberer hin.“ (Magonet, 104). Sieben Altäre, sieben Stiere und sieben Widder umfasst das ganze „Brimborium“ (Magonet, 104) und das gleich dreimal. Doch Bileam verflucht Israel nicht, trotz aller Tricksereien vonseiten Balaks. Er führt Bileam an einen Ort, von wo er nur einen Zipfel der großen Menschenmenge sehen kann, damit ihm das Verfluchen leichter falle (Num 23,13
Immerhin gewährt Bileam Balak noch einen Blick in die Zukunft, die sich dieser inzwischen auch selbst ausmalen kann. Nichts zu machen, „ein Stern geht auf in Jakob, ein Zepter erhebt sich aus Israel“ (Num 23,17
3.3.3. Manoach, der nicht der Gehörnte sein will (Ri 13)
Auch der Daniter Manoach, der mit seiner Frau die komödienhafte Reprise der einstigen Verheißung von Nachkommen an Sara und Abraham erlebt, erweist sich als komischer Held. Als Maonachs Frau dem Boten Gottes begegnet, der der Unfruchtbaren Nachkommenschaft ankündigt, ist sie allein. Sie soll sich fortan von Alkohol und allem Unreinen enthalten, denn ihr Kind wird ein Geweihter, ein → Nasir
3.3.4. Weibliche Trickstergestalten
Trickstergestalten gibt es in westafrikanischen und „Native American“ Erzähltraditionen. Sie nehmen mitunter Tiergestalt an, sind bald männlich, bald weiblich, menschlich oder göttlich. Während es zunächst vermessen scheint, sie auch in biblischen, also literarischen Texten ausmachen zu wollen, so sind die inhaltlichen Parallelen doch verblüffend und können als hermeneutisches Instrument biblische Texte in einen anderen Verstehenshorizont rücken (Steinberg, 1988). Ihre Charakteristik lässt sich wie folgt beschreiben: Sie sind komische Figuren, über die man lacht; sie treiben Schabernack, parodieren andere, machen Späße; sie werden als sehr körperliche, sexuelle Wesen beschrieben; sie spielen eine wichtige Rolle bei der Schöpfung; sie verhalten sich trickreich in Situationen, die ausweglos erscheinen; sie überschreiten traditionell zugeschriebene Rollen und Regeln; sie überwinden Gegensätze bzw. zeigen deren paradoxale Einheit auf; sie befinden sich eher am Rande der sozialen Gruppen, in einer machtlosen Position; von dort decken sie Machtverhältnisse auf oder verkehren sie gar; sie zeigen das Fragile von sozialer Ordnung auf; sie überführen Machthaber ihrer Schwächen oder Missetaten. Interessanterweise werden sie nicht, auch nicht in alttestamentlichen Erzählungen, für ihr Verhalten bestraft.
In der alttestamentlichen Forschung wurde die Trickstergestalt v.a. herangezogen, um das Verhalten von Frauen näher zu erforschen, auch wenn Männer ebenfalls solches Verhalten zeigen – man denke an Abrahams Handel mit Gott (Gen 18
1) Abigail und ihr närrischer Mann (1Sam 25)
→ Abigail
Auf die Kontrastierung folgt als Stilmittel die Wiederholung. Viermal entbietet David Nabal den Friedensgruß und bittet um das, „was dir so gerade in die Hände fällt“ (1Sam 25,8
David gegenüber weiß sich Abigail ebenso geschickt zu verhalten wie ihrem Mann gegenüber. Vor allem hat sie Gespür für das rechte Timing (Garsiel, 166f.). Viermal zeigt das Verb mhr (sich beeilen), wie sie prompt reagiert, um Gefahr abzuwenden: Indem sie schnell die Speisen zu David schickt (1Sam 25,18
Auch rhetorisch weiß sie sich bestens zu verhalten. In ihrer sehr langen und reichlich mit Bildern gefüllten Rede zeigt sich ihre Weisheit und ihr Verstand (Bar-Efrat, 78). So schafft sie es, dass David Vertrauen zu ihr fasst und nicht in Blutschuld gerät. Damit rettet sie Hunderten von Menschen das Leben. Ihren Status allerdings weiß sie auch zu retten. Gleich fünf Dienerinnen nimmt sie mit, als sie zu David zieht. Was für ein Kontrast zwischen den vielen Worten der Unterwerfung David gegenüber und dem selbstbewussten Überwechseln in sein Lager!
2) Die trickreiche Ausrede von Rachel in Gen 31,35
→ Jakob
Immerhin ist nirgends von einer Strafe die Rede, jedenfalls wird der Tod Rachels bei der Geburt von Benjamin (Gen 35,18f
3) Die rebellischen und doch rechtschaffenen Vormütter Jesu
„Riotous, yet righteous“ heißt diese klingende Beschreibung auf Englisch, mit der Frauen gemeint sind, die aus der Position von Außenseiterinnen und bloßen Objekten männlicher Willkür zu aktiven Subjekten werden, ihren noch so geringen Handlungsspielraum nutzen und damit ihre Absichten verwirklichen können (Spencer, 7).
→ Tamar
→ Rahab
→ Rut
→ Batseba
Diese Frauen sind herausragend, weil sie Skandalöses riskieren, mit festgefahrenen Überzeugungen brechen, als weise geglaubte Männer in ein anderes Licht stellen und auf ungewöhnlichen Wegen zu ihren Zielen gelangen. Eine Entsprechung im Neuen Testament stellt die Geschichte der kanaanitischen Frau dar, die Jesus bittet, ihr Kind zu heilen (Mt 15,21-31
4. Kein Schluss, nur ein Punkt
Einmal auf die Fährte der Komik in den alttestamentlichen Erzähltexten gesetzt, kann man nahezu überall groteske Bilder, lustige Wortspiele, merkwürdige Helden, trickreiche Heldinnen, dramaturgisch witzige Effekte und dergleichen mehr entdecken. Mehr als dass die Autorinnen und Autoren uns zum Lachen bringen wollen, sollen Überzeugungen pointiert vermittelt werden. Komik wird vor allem als Spott gegenüber unterdrückerischer Herrschaft und als subversives Mittel der Befreiung eingesetzt (z.B. Ester). Daher kommt Komik oft in der Nähe von Gewalt vor oder erscheint selbst als Aggression (z.B. Prophetenworte). Auch Ungläubige können Opfer von Komik in didaktischer Hinsicht werden (z.B. Götzendiener in Jes 44
„Die Tür dreht sich in der Angel, der Faulpelz in seinem Bett.“ (Spr 26,14
„Die Faulen sprechen: Draußen könnte ein Raubtier sein; auf dem Marktplatz könnte ich umgebracht werden.“ (Spr 22,13
„Besser in der Wüste wohnen als mit einer streitlustigen, launischen Person.“ (Spr 21,19
„Siehst du eine Person, die sich selbst für weise hält – für einen dummen Menschen gibt es mehr Hoffnung als für sie!“ (Spr 26,12
Literaturverzeichnis
In den USA gibt es seit den 1980er Jahren eine ganze Reihe von Publikationen über Humor und Komik im Alten Testament (Radday / Brenner 1990), über die dramatischen Formen von Tragödie und Komödie (Exum 1985), über speziell weiblichen Witz (Exum / Bos 1988) und die Analogie zu Trickstergestalten in weiblichen Figuren aus dem Sprüchebuch und anderen alttestamentlichen Texten (Camp 2000). Diese Literatur ist im deutschen Kontext nur vereinzelt aufgenommen und diskutiert worden (z.B. Zwick 2001; Brenner 2006).
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- Spielarten der Komik. © Gisela Matthiae
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