Hure / Hurerei (AT)
(erstellt: November 2007)
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→ Sexualität
1. Begriffliche Definitionen
Im Alten Testament wird zwischen dem Begriff זוֹנָה zônāh, der mit „Hure / Dirne / Prostituierte“ übersetzt wird, und קְדֵשָׁה qədešāh unterschieden. Übersetzungen von קְדֵשָׁה qədešāh mit „Tempeldirne“ oder „Kultprostituierte“ setzen die unbewiesene Hypothese voraus, dass es in Israel sakrale Prostitution am Tempel bzw. im Zusammenhang mit Saat und Erntefesten gegeben habe (Wacker, 47-52; Ringgren, 1200). Vom hebräischen Wort, einem substantivierten Adjektiv zu קדשׁ qdš „heilig / geweiht“, lässt sich zunächst nur die Bedeutung „Geweihte“ ableiten.
Im Deutschen bezeichnet „Hurerei“ nicht-eheliche sexuelle Beziehungen mit geringem gesellschaftlichem Ansehen bzw. unter gesellschaftlicher Ächtung. Die beteiligten Personen können „Hure“ bzw. „Hur“ genannt werden. Darüber hinaus wird der Begriff „Hurerei“ diffamierend verwendet. In metaphorischer Übertragung kann er allgemein untreues Verhalten bezeichnen (Stark, 60).
Dirne, ursprünglich „Jungfrau“, ist in der Hochsprache weitgehend als Hüllwort zu der Bedeutung „Prostituierte“ abgesunken (Kluge, 145).
Prostituierte bieten sexuelle Handlungen gegen materielle (meist finanzielle) Gegenleistungen an, wobei die Bindung zwischen den Beteiligten in der Regel zeitlich auf die vereinbarte Handlung befristet ist (Stark, 57).
2. Die Wurzel znh „huren“
2.1. zônāh „Hure“
Die Aussagen über die זוֹנָה zônāh, die sich auf konkrete Frauen beziehen, reflektieren mehrheitlich die Verhältnisse des vorstaatlichen Israel.
In Jos 2,1
Schulte versucht u.a. aus 1Kön 3,16ff
Für die zônāh gibt es nur wenige Regeln. In → Leviticus
Ihr sozialer Status hängt dabei wohl auch von ihren Vermögensverhältnissen ab (Jost 1994, 135). Dass die Prostitution in erster Linie ökonomische Gründe hatte, wird aus Gen 38,17
2.2. znh „huren“ als Motiv der religiösen Untreue
Die Wurzel זנה znh im Zusammenhang mit religiösem Verhalten wird in der Absicht verwendet, den negativen Aspekt eines illegitimen Verhältnisses auf die Abwendung von JHWH zu beziehen. In diesem Verwendungszusammenhang begegnen die entsprechenden Nomina für „Hurerei“ זְנוּת #bzənût#b, זְנוּנִים #bzənûnîm#b, תַּזְנוּת #btaznût#b, außerdem findet sich die formelhafte Phrase znh ’aḥǎrê ’älohîm „anderen Gottheiten nachhuren“.
In nichtprophetischen Texten findet sich die Wurzel זנה znh im Zusammenhang mit religiösem Verhalten in erzählenden Texten über den Wüstenaufenthalt Israels (Num 14,33
Die ältesten prophetischen Belege liegen vermutlich im → Hoseabuch
Bei Hosea, Jeremia und Ezechiel liegt die folgende Personifikation zugrunde, wenn das Bild der sexuellen Untreue erzählerisch ausgestaltet wird: In einer heterosexuellen Beziehung bricht der weibliche Part den sexuellen Treuebund hurerisch und nur der männliche kann ihn wieder herstellen. In Hos 1-3 wird diese Vorstellung auf die Liebes- bzw. Ehebeziehung(en) des Propheten angewendet. Gott beauftragt den Propheten eine Frau zu heiraten, die es mit vielen treibt (Hos 2,1
Bei → Jeremia
Innerhalb des Bildes ist der hurerische Part weiblich dargestellt, doch heißt dies nicht, dass die damit gemeinten realen Personen nur Frauen sind. Das grammatische Geschlecht Israels in znh-Zusammenhängen bleibt bei Hosea und Ezechiel maskulin, es wird nur bei Jeremia konsequent feminin konstruiert. In den erwähnten Texten beschreibt der Vorwurf der „Hurerei“ die Zuwendung zu einer anderen Gottheit (z.B. Hos 3,1
2.3. znh „huren“ in kultischem Zusammenhang
In kultischem Zusammenhang wird die zônāh in Hos 4,13-15
In diesem Zusammenhang ist das Thema Sexualität im Kult ausdrücklich an die Frauen im Familienverband gebunden. Vielleicht handelt es sich hierbei um eine Form von Initiationsriten. Von den Qedeschen wird dagegen nur gesagt, dass sie gemeinsam mit den Priestern opfern. Die Frage, ob das Beiseitegehen mit den Dirnen kultisch und das Opfern mit den Quedeschen sexuell verstanden werden muss, kann für Hosea nicht beantwortet werden.
Inhaltlich nahe an Hos 4,13-15
Die deutliche Aussage von Jer 5,7
In diesem Zusammenhang kann auf den nachexilischen Text Spr 7,1ff
3. Qedeschen
3.1. „Kultprostitution“ in Religionsgeschichte, Forschungsgeschichte und Kulturanthropologie
Ideologiekritische Untersuchungen der antiken Texte und der Forschungsgeschichte zum Phänomen der sog. „Kultprostitution“ konnten zeigen, dass von einer kultisch-religiösen Pflicht an und im Bereich von orientalischen oder vorderorientalischen Tempeln sich zu prostituieren, in der Antike expressis verbis lediglich in griechischen Texten die Rede ist. Ausgangspunkt ist der babylonische Logos von Herodot sowie die Ausführungen von Strabo, Lukian und verschiedene Apokryphen zum Thema der so genannten „Kultprostitution“. Herodot berichtet in seinen Historien (Buch 1, 199; Text gr. und lat. Autoren
Die kulturelle Bedingtheit des Blickes auf das Phänomen zeigt sich nicht nur in antiken Texten, sondern wird auch bei modernen Auslegungen sichtbar. Dabei werden sowohl antisemitische als auch sexistische Vorurteile erkennbar. Ob gänzlich von einem „Forschungsmythos“ auszugehen ist (Stark, 50f), ist allerdings fraglich, da zeitgenössische ethnologische Studien in Südindien sakrale Prostitution der Gottesdienerinnen (Devadasis; Wacker; Stark) und in Westafrika sexuellen Missbrauch von Tempelsklavinnen durch Priester belegen (Müller / Ritz Müller, 324-331).
3.2. Altes Testament
In der hebräischen Bibel erscheinen Formen von קדשׁ qdš dreimal im Mask. Sg. (Dtn 23,18
Aus 2Kön 23,7
Zumindest die weiblichen Qedeschen erfüllten nach Hos 4,14
Nur in Gen 38,1f
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
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2. Weitere Literatur
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Abbildungsverzeichnis
- Frau im Fenster (Elfenbeinrelief aus Samaria, 8. Jh. v. Chr.). Aus: U. Winter, Frau und Göttin. Exegetische und ikonographische Studien zum weiblichen Gottesbild im Alten Israel und in dessen Umwelt (OBO 53), Freiburg (Schweiz) / Göttingen 1983, Abb. 310; © Stiftung BIBEL+ORIENT, Freiburg / Schweiz
- Frau beim Kämmen (hellenistisch Terrakottafigur von Tell Sandaḥanna / Marescha). Aus: U. Winter, Frau und Göttin. Exegetische und ikonographische Studien zum weiblichen Gottesbild im Alten Israel und in dessen Umwelt (OBO 53), Freiburg (Schweiz) / Göttingen 1983, Abb. 320; © Stiftung BIBEL+ORIENT, Freiburg / Schweiz
- „Hathorsängerin“ beim Schminken vor dem Beischlaf (Detail des Papyrus 55001; 20. Dyn., 1186-1070 v. Chr.). Aus: U. Winter, Frau und Göttin. Exegetische und ikonographische Studien zum weiblichen Gottesbild im Alten Israel und in dessen Umwelt (OBO 53), Freiburg (Schweiz) / Göttingen 1983, Abb. 321; © Stiftung BIBEL+ORIENT, Freiburg / Schweiz
- Frau im Fenster (Elfenbeinrelief aus Nimrud, 8. Jh. v. Chr.). Aus: U. Winter, Frau und Göttin. Exegetische und ikonographische Studien zum weiblichen Gottesbild im Alten Israel und in dessen Umwelt (OBO 53), Freiburg (Schweiz) / Göttingen 1983, Abb. 312; © Stiftung BIBEL+ORIENT, Freiburg / Schweiz
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