Inschriften von Sfire
(erstellt: Dezember 2008)
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1. Der Fundkontext
Die Inschriften von Sfire bezeugen Staatsvertragstexte (‘dj) der Könige Bar-Gaja von Ktk und Mati-El von Arpad. Die Inschriften sollen seit 1930 von Einwohnern am Rande der ca. 25 km südöstlich von Aleppo gelegenen Ortschaft Sfire auf den Bruchstücken dreier Basaltstelen (Sfire I-III) entdeckt worden sein. Über den Kunsthandel gelangten die Stelen I und II in das Nationalmuseum in Damaskus, Stele III in das in Beirut. Die drei Stelen sind in aramäischer Sprache und ohne Worttrennung beschrieben. Entsprechende Bemerkungen in Sfire II C legen nahe, dass die Vertragsstelen einst in verschiedenen Heiligtümern (bjt ’lhj’) aufgestellt gewesen waren.
2. Der geopolitische Kontext
Der geopolitische Kontext der Inschriften von Sfire erschließt sich einerseits aus dem mutmaßlichen Fundort der Stelen, andererseits aus zahlreichen Hinweisen in den Texten selbst. Die Ortschaft Sfire liegt in dem in den Vertragstexten erwähnten eisenzeitlichen → Aramäerstaat
Zum einen ist das die im 9. Jh. v. Chr. einsetzende Westexpansion des neuassyrischen Reiches (→ Assyrien
Den zweiten für eine sachgemäße Interpretation der Vertragstexte maßgeblichen Faktor bildet die unmittelbare Nachbarschaft des Königreichs Bet-Gusch zu den so genannten hethitischen Nachfolgestaaten wie Patina im Westen und vor allem → Karkemisch
Während Mati-El und sein Königreich im Licht der altorientalischen Quellen ein wenig an Kontur gewinnen, bleiben Identität und Herkunft des ominösen Vertragsherrn im Dunkel der Geschichte verborgen. Die Gestalt des Bar-Gaja von Ktk hat die Forschung zu einer Vielzahl von Interpretationsversuchen angeregt (vgl. zu den verschiedenen Interpretationen Fitzmyer, 59f und 167-174). Nach einer ansprechenden These von E. Lipiński (221-231) sei das Toponym Ktk mit der bei → Theodoret von Cyrus
Obwohl die Sfire-Inschriften deutlich die unterlegene Position des Mati-El zu erkennen geben, ist in der Forschung bis heute umstritten, ob es sich bei den Vertragstexten der Urkundenform nach um einen Vasallenvertrag (vgl. z.B. Fitzmyer, 165f) oder – weil einige typische Elemente eines Vasallenvertrags fehlen – um einen paritätischen Vertrag (Noth, 138-145; Altman) handelt. Von der Frage nach der Urkundenform nicht zu trennen ist die weitere nach der Rolle Assyriens für das Zustandekommen des Vertrags. Wenn die von Lipiński vorgeschlagene Identifikation der laut Sfire I A: 5 am Vertragsschluss beteiligten Stadt Mṣr mit dem in hieroglyphen-luwischen Inschriften Masuwari wiedergegebenen Til-Barsip, dem Herrschaftssitz des assyrischen turtānu Schamschi-Ilu, richtig sein sollte, so legt sich die Vermutung nahe, dass dieser „was certainly instrumental in the conclusion of these treaties in the aftermath of Ashur-nirari V’s campaign against Arpad in 754 B.C.“ (Lipiński, 204-206 [das Zitat: 205]; vgl. auch Fales, 144f, sowie Koch, 55, Anm. 208). Damit fände einerseits der starke assyrische traditionsgeschichtliche Einschlag (s.u.) eine plausible Erklärung. Andererseits würde begreiflich, warum sich die Vertragstexte einer eindeutigen urkundlichen Charakterisierung als Vasallenverträge sperren; denn die besondere politische Konstellation, in der sich der unter assyrischer Protektion stehende Vertragsherr Bar-Gaja von Ktk befunden hätte, dürfte sich auch auf das Formular und die Inhalte der Vertragstexte niedergeschlagen haben.
Aber wie dem auch sei, der Blick auf die politische Geographie der Vertragspartner macht in jedem Fall deutlich, dass die Sfire-Inschriften in einer Schnittstelle von assyrischen und hethitischen bzw. späthethitischen Einflüssen entstanden sind, die auch in den Texten selbst ihre Spuren hinterlassen haben dürften.
3. Der Aufbau der Texte
Der fragmentarische Zustand der Sfire-Inschriften sowie die fehlende Worttrennung erschweren die Rekonstruktion des Vertragsformulars. Unter der Voraussetzung, dass die drei Stelen vermutlich drei Ausfertigungen eines einzigen Vertrags darstellen (vgl. McCarthy, 99f) und somit bei einem Rekonstruktionsversuch wechselseitig zu Rate gezogen werden können, lässt sich jedoch in Anlehnung an die Strukturanalyse von H.F. van Rooy folgende Grobgliederung der Vertragsstelen wahrscheinlich machen:
Die Reihenfolge der Seiten war demnach vermutlich bei Stele I ADBC und bei Stele II ACBD; von Stele III ist nur die Rückseite erhalten (van Rooy, 135f und 138).
4. Die traditionsgeschichtlichen Wurzeln
Was die traditionsgeschichtlichen Wurzeln der Sfire-Inschriften angeht, so ist in der Forschung lange Zeit hauptsächlich die Nähe zur neuassyrischen Vertragsrechtstradition betont worden. Neben stilistischen Gemeinsamkeiten mit neuassyrischen Verträgen (vor allem mit SAA II 2 [Parpola / Watanabe, 8-13]) gab vor allem die Götterliste in Sfire I A: 7-12, die mit dem assyrischen Götterpaar Assur und Mulissu (Barré) beginnt und vorwiegend mesopotamische Götter enthält, den Ausschlag, das Vertragswerk ausschließlich innerhalb der neuassyrischen Vertragsrechtstradition zu verorten (vgl. Parpola / Watanabe, XXVIIf). Neuerdings werden aber in der vergleichenden Forschung daneben genuin aramäische Traditionen geltend gemacht (etwa die stilistische Eigenheit der so genannten paronomastischen Infinitive in den Vertragsbestimmungen [vgl. Morrow, 89-96]). Ein Vergleich mit dem umfangreichen Corpus an hethitischen Staatsverträgen gibt schließlich zahlreiche Gemeinsamkeiten mit der hethitischen Vertragsrechtstradition zu erkennen (vgl. Koch, 57-76): die Naturgottheiten am Ende der Götterliste; inhaltliche (die „Sicherheitsgarantie“ in Sfire I B: 24f; die Vorstellung vom „bösen Wort“ in Sfire III 2) und formale (Aufbau und Sprachregelung der Vertragsbestimmungen) Eigenheiten der Vertragsbestimmungen; das Segen-Fluch-Formular in Sfire I C; die auf einer Symbolhandlung basierenden Vergleichsflüche (Sfire I A: 37ff) sowie die Gattung der Nichtigkeitsflüche (Sfire I A: 21-24), denen wahrscheinlich das hethitische Notzeit-Mythologem zugrunde liegt (Podella).
Alles in allem stellen die Inschriften von Sfire somit traditionsgeschichtlich betrachtet ein Amalgam an genuin aramäischen sowie hethitischen bzw. späthethitischen und neuassyrischen Traditionen dar.
5. Die Sfire-Inschriften und das Alte Testament
Die Inschriften von Sfire sind die bislang einzigen Staatsvertragstexte in einer mit dem Hebräischen eng verwandten nordwestsemitischen Sprache, die überdies den Verhältnissen im Alten Testament zeitlich und geopolitisch sehr nahe kommen. Das macht die Inschriften zu einem äußerst wertvollen Gesprächspartner für die Frage nach der Entstehung der Bundestheologie (→ Bund
Die Entlehnung des (bislang einzig) in den Sfire-Inschriften gut 30mal belegten aramäischen terminus technicus für „Vertrag“ ‘dj in Gestalt von adê ins Akkadische und von עדות ‘edût ins Hebräische (vgl. Lemaire / Durand, 101-104, sowie Koch, 97-104) ist ein deutliches Indiz für die Ausstrahlungskraft der nordsyrisch-aramäischen Vertragsrechtstradition, durch deren Vermittlung neben aramäischen auch hethitische Rechtstraditionen in das Alte Testament gelangen konnten.
Literaturverzeichnis
1. Textausgaben / Übersetzungen
- Donner, H. / Röllig, W., 2002, Kanaanäische und aramäische Inschriften Band I (Nr. 222-224), 5. Aufl. Wiesbaden
- Fitzmyer, J.A., 1995, The Aramaic Inscriptions of Sefire (Biblica et Orientalia 19/A), 2. Aufl. Rom
- Lemaire, A. / Durand, J.-M., 1984, Les inscriptions araméennes de Sfiré et l’Assyrie de Shamshi-ilu (HEO 20), Genf / Paris
- Rössler, D., 1982, Aramäische Staatsverträge (TUAT I/2), Gütersloh, 178-189
- Schwiderski, D., 2004, Die alt- und reichsaramäischen Inschriften Band 2: Texte und Bibliographie (Fontes et Subsidia ad Bibliam pertinentes 2), Berlin / New York
2. Weitere Literatur
- Altman, A., 2008, What Kind of Treaty Tradition Do the Sefire Inscriptions Represent?, in: M. Cogan / D. Kahn (Hgg.), Treasures on Camels’ Humps. Historical and Literary Studies from the Ancient Near East Presented to Israel Eph‘al, Jerusalem, 26-40
- Barré, M.L., 1985, The First Pair of Deities in the Sefire I God-List, JNES 44, 205-210
- Fales, F.M., 2003, Evidence for West-East Contacts in the 8th Century BC: The Bukan Stele, in: G.B. Lanfranchi u.a. (Hgg.), Continuity of Empire (?). Assyria, Media, Persia (History of the Ancient Near East / Monographs 5), Padova, 131-147 + Pl. 3
- Koch, C., 2008, Vertrag, Treueid und Bund. Studien zur Rezeption des altorientalischen Vertragsrechts im Deuteronomium und zur Ausbildung der Bundestheologie im Alten Testament (BZAW 383), Berlin / New York
- Lipiński, E., 2000, The Aramaeans. Their Ancient History, Culture, Religion (OLA 100), Leuven u.a
- McCarthy, D.J., 1978, Treaty and Covenant. A Study in Form in the Ancient Oriental Documents and in the Old Testament (AnBib 21), 2. Aufl., Rom
- Morrow, W., 2001, The Sefire Treaty Stipulations and the Mesopotamian Treaty Tradition, in: P.M.M. Daviau u.a. (Hgg.), The World of the Arameans III. Studies in Language and Literature in Honour of P.-E. Dion (JSOT.S 326) Sheffield, 83-99
- Noth, M., 1961, Der historische Hintergrund der Inschriften von sefīre, ZDPV 77, 118-172
- Parpola, S. / Watanabe, K., 1988, Neo-Assyrian Treaties and Loyalty Oaths (SAA II), Helsinki
- Podella, T., 1990, Notzeit-Mythologem und Nichtigkeitsfluch, in: B. Janowski u.a. (Hgg.), Religionsgeschichtliche Beziehungen zwischen Kleinasien, Nordsyrien und dem Alten Testament (OBO 129), Freiburg (Schweiz) / Göttingen, 427-454
- Rooy, H.F. van, 1989, The Structure of the Aramaic Treaties of Sefire, Journal for Semitics 1, 133-139
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