Jahwist
Andere Schreibweise: Jahvist; Yahwist (engl.)
(erstellt: April 2015)
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Der → Pentateuch
1. Definition
Als „Jahwist“ (abgekürzt: J) bezeichnet man in der Bibelwissenschaft das ältere Geschichtswerk, das dem Pentateuch zugrunde liegt und dessen erzählerischen Zusammenhang begründet. Das Werk ist nicht als eigenständige Schrift erhalten geblieben. Es ist eine literaturwissenschaftliche Hypothese.
Wie die Priesterschrift (abgekürzt: P), das → Heiligkeitsgesetz
2. Der Anlass der Hypothese
Literarische Hypothesen sind sinnvoll nur, wenn ihnen eine gewisse Notwendigkeit zugrunde liegt. Die Annahme eines Jahwisten folgt aus der Urkundenhypothese, die die Entstehung des Pentateuchs auf die Verbindung zweier (oder mehrerer) selbständiger literarischer Werke zurückführt.
Im 18. Jh. wurde zunächst Henning Bernhard Witter (1711) (nur bis Gen 17,27
Für das Buch Genesis wurde die Hypothese von → Johann Gottfried Eichhorn
Weitere Gründe für die Urkundenhypothese sind die großen Doppel-Berichte: die beiden Schöpfungserzählungen Gen 1 und Gen 2-3, die Genealogie Kains Gen 4 und Gen 5, die Verheißung des Isaak Gen 17 und Gen 18, die Berufung des Mose Ex 3 und Ex 6. Weil sich darüber hinaus für beide Urkunden ungezwungen ein eigener, sinnvoller Gesamtaufriss ermitteln lässt, ist die Urkundenhypothese nach wie vor die beste Erklärung für die gemeinsame erzählende Grundlage des Pentateuchs.
Allerdings lassen die Probleme der Urkundenhypothese sich nicht übersehen. Die abschnittweise Verschränkung zweier Geschichtswerke zu einem einzigen dritten passt nicht zu dem literarischen Ergänzungsprozess, den man sonst überall im Alten Testament und auch im Pentateuch beobachtet. Die Regel ist vielmehr, dass ein literarischer Erstbestand immer weiter ergänzt wurde. Er wurde um vorgegebene Traditionsstücke aus anderem Zusammenhang bereichert; er wurde theologisch ausgelegt und auf die gegenwärtig vorherrschenden Umstände und Fragestellungen bezogen. Auf diese Weise lässt sich auch besser die Abfolge erklären, nach der die überlieferten Stoffe im Pentateuch angeordnet sind. Sie würde auf einem einzigen Entwurf beruhen, in den die späteren Erweiterungen eingetragen worden sind und der ihnen das Gerüst gegeben hat. Demgegenüber stellt die Urkundenhypothese vor die Frage, wie es dazu kommen konnte, dass die beiden eigenständigen Werke, deren nachträgliche Verbindung man unterstellt, im großen und ganzen denselben Aufbau gehabt haben.
Deshalb kam zu Anfang des 19. Jh.s in der Pentateuchforschung die Ergänzungshypothese auf. Ihr Begründer war → Wilhelm Martin Leberecht de Wette
Dabei wurde in Kauf genommen, dass auch die Ergänzungshypothese große Schwächen hat: Der Faden der Grundschrift lässt sich nur bis einschließlich Gen 17 einigermaßen verfolgen (vgl. de Wette 1807, 26-51). Im weiteren Verlauf der Vätergeschichte fehlt diese Ebene des Textes so weitgehend, dass die Quelle nicht mehr als „Grundschrift“ gelten kann. Noch größer werden die Lücken, wenn das literarische Profil scharf gezogen wird. Das unternahm Hupfeld (1853), der seinerseits Theodor Nöldeke (1869) vorgearbeitet hat, von dem die genaue Ausgrenzung der Grundschrift (= Priesterschrift) stammt, die bis heute mit kleinen Abweichungen übernommen wird. Sobald sich im Gefolge → Julius Wellhausens
Die Folge dieser Beobachtungen ist, dass die Priesterschrift trotz ihrer klaren Struktur und obwohl ihr Text mit recht großer Sicherheit zu erkennen ist, nicht den „archimedischen Punkt der Pentateuchforschung“ (so noch Schmid 2003, 19) bilden kann. Die narrative Grundlage muss vielmehr im übrigen Text gesucht werden. Die Priesterschrift wiederholt den dort geschaffenen Ablauf, gestaltet ihn aber im einzelnen auf so andere Weise, dass ihr eine Ergänzung der bisherigen Pentateuch-Erzählung nicht möglich war. Die Pentateuchquellen stehen nebeneinander, nicht ineinander.
So erklärt sich der Siegeszug, den die neuere Urkundenhypothese seit Hupfeld (1853) erlebt hat. Hupfeld ist nur darin zu widersprechen, dass es eine zweite nicht-priesterliche Urkunde, den → Elohisten
Die Scheidung der Quellen P und J setzt voraus, dass es eine Redaktion gab, die sie miteinander verwoben hat. Das ungewöhnliche Nebeneinander zweier Entwürfe der Geschichte des Gottesvolks fand ein Ende, und zwar, an der Entwicklung des Pentateuchs gemessen, schon früh. Sie zu einer einzigen Darstellung zu vereinen, lag in der (religiösen) Natur der Sache (Donner 1994). Das so entstandene Erzählwerk umfasst nur den kleineren Teil des heutigen Textes. Es bildete fortan die Grundlage des umfangreichen Wachstumsprozesses, aus dem der Pentateuch hervorging. Insofern verbinden sich Urkundenhypothese und Ergänzungshypothese auf ungezwungene Weise.
3. Die Bezeichnung des Werks
Der Kunstname „Jahwist“, der für die ältere der beiden Urkunden des Pentateuchs üblich wurde, geht darauf zurück, dass diese Pentateuchquelle von ihrem Anfang in Gen 2 an den Gottesnamen יהוה jhwh verwendet und in Gen 4,26
August Dillmann (1875, XII), der an Hupfeld anknüpfte, wählte allerdings das Siglum „C“, wie schon Astruc die betreffenden Texte als „B“ bezeichnet hatte. Wellhausen (1876, 1f.) wandte gegen Dillmann ein, dass mit „C“ eine Vorentscheidung zur relativen Datierung verbunden sei, und entschied sich, die Quelle „Jahvist“ oder „J“ zu nennen. Dabei ist es geblieben. Das Siglum „J“ wird auch im Englischen verwendet, obwohl die Quelle dort „Yahwist“ genannt wird. Als man bemerkte, dass das Werk in sich wiederum literarisch geschichtet ist, kamen weitere Siglen hinzu wie J1 J2 J3 (Wellhausen 1876, 207; Budde 1883, 227f.; Smend 1912, 342; Simpson, 1948, 34), Je Jj Jr Ja Jb (Gunkel, 1910, 3f. 161f. u.ö.). Es gab auch den Vorschlag, J in zwei Quellen aufzuspalten: J und L (Eißfeldt, 1922, XII: „Laienquelle“), oder J und N (Fohrer 1965, 173-179: „Nomadenquelle).
Betrachtet man das Werk unter redaktionsgeschichtlichem Gesichtspunkt, so legt es sich nahe, innerhalb von J zwischen den vorredaktionellen Quellen JQ und der Redaktion JR zu unterscheiden und spätere Zusätze, die das Werk noch erfuhr, bevor es von der Redaktion RJP mit der anderen Pentateuchquelle P vereint wurde, JS zu nennen (Levin 1993, 80).
4. Die redaktionsgeschichtliche Absicherung der Hypothese
Seit Hupfeld die Konturen der Pentateuchquellen im einzelnen nachgezeichnet hatte, war es möglich, die literarische Eigenart des jahwistischen Werks einigermaßen schlüssig zu beschreiben (dazu vgl. neben den älteren Lehrbüchern der „Einleitung in das Alte Testament“ besonders Holzinger 1893, 72-173). Die Hypothese litt aber daran, dass J überwiegend auf analytischem Weg erfasst wurde. Lange Zeit galt die Regel: „Am sichersten sagt man zunächst negativ: J ist in der vorpriesterschriftlichen Pentateucherzählung ungefähr das, was nicht redaktionell und was nicht elohistisch ist“ (Smend 1989, 86).
Zwischenzeitlich kam die Vermutung auf, dass der Aufriss auf eine seit alters vorgegebene Tradition zurückgehe, die in den summarischen Glaubensbekenntnissen, zum Beispiel dem „Kleinen geschichtlichen Credo“ Dtn 26,5b-9
Als in den 1960er Jahren die Blüte der redaktionsgeschichtlichen Forschung begann, suchte man folgerichtig nach den Spuren eines Verfassers, um sie von der vorgegebenen Überlieferung zu unterscheiden. Am Anfang stand die Frage nach dem „Kerygma des Jahwisten“, die Hans Walter Wolff 1964 gestellt hat. Wolff setzte bei Schlüsseltexten wie der großen Verheißung an Abraham in Gen 12,1-3
Anders Rudolf Kilian (1966, 1-35), der in den Abrahamüberlieferungen Gen 12-13 und Gen 18-19 mit Hilfe der Literarkritik die jahwistische Überarbeitung von der vorjahwistischen Sammlung unterschied. Es folgten vergleichbare Untersuchungen von Renate Friebe 1967 zum Plagenzyklus, von Volkmar Fritz 1970 zu den Wüstenüberlieferungen und von Erich Zenger 1971 zur Sinai-Theophanie. Zenger schloss: „Die theologische Grundstruktur ergibt sich vor allem aus jenen Texten, die der Jahwist selbst verfaßt hat, um mit ihnen seinen geschichtstheologischen Rahmen zu schaffen, in den er eine Reihe von Erzählungskränzen, die ihm bereits fest formuliert vorlagen, eingegliedert und damit theologisch neu gedeutet hat“ (Zenger 1971, 138).
Peter Weimar legte 1977 einen ersten Gesamtentwurf vor und Christoph Levin 1993 eine vollständige Analyse, die literarkritisch jenen Text, den der Jahwist selbst verfasst hat, von den vorredaktionellen Quellen einerseits und den umfangreichen späteren Ergänzungen andererseits unterschied (zusammenfassend Levin 2004a). Dabei musste auch die Abgrenzung des Gesamtwerks an vielen Stellen korrigiert werden. Eine hypothetische Rekonstruktion des Textes des jahwistischen Werks findet sich unter http://www.at1.evtheol.uni-muenchen.de/personen/levin/texte/jahwist.pdf
5. Weitere Vorschläge zur Literaturgeschichte des nicht priesterschriftlichen Textbestands
Neben einer jahwistischen Quellenschrift, die aus älteren Quellen (JQ), der jahwistischen Redaktion (JR) und späteren Zusätzen (JS) besteht, werden gegenwärtig andere Möglichkeiten vertreten.
(1) John Van Seters (1992 und 1994) rechnet für das nicht priesterschriftliche Material des Hexateuchs (= Genesis bis Josua) mit einem Historiker „Yahwist“, den er in nachdeuteronomistische Zeit datiert. Dieser Yahwist habe, ähnlich wie der griechische Geschichtsschreiber Herodot, die umlaufenden Traditionen gesammelt, aber mit eigenen Worten wiedergegeben. Die Vorstellung vom Jahwisten als Erzähler lebt wieder auf, die die frühere Forschung geprägt hat. Zum Werk dieses Historikers rechnet Van Seters auch solche Texte, die sonst als elohistisch oder deuteronomistisch gelten. Eine redaktionsgeschichtliche Lösung lehnt Van Seters 2006 entschieden ab.
(2) Hans-Christoph Schmitt versteht die „jahwistische Pentateuchschicht“, die bei ihm weniger umfangreich ist als bei Van Seters, ebenfalls als ein Sammelwerk, wenn auch nicht eines Historikers, sondern „eines unterschiedliche mündliche und auch schriftliche Überlieferungen verbindenden ‚Schriftgelehrten‘“, der in exilischer Zeit unter dem Thema „Israel als Segen für die Völker“ (vgl. Wolff 1964) Überlieferungen und Texte aus der Königszeit zusammengestellt habe. Zu seinen literarischen Quellen gehörte wahrscheinlich auch das „Elohistische Geschichtswerk“ (E). Die literarische Gestalt von J sei in einem „sukzessiven Prozess“ entstanden, der erst in nachexilischer Zeit zum Abschluss gekommen sei (2011, 208-223).
(3) Für Erhard Blum (1984 und 1990) geschah die Verknüpfung der großen Überlieferungseinheiten, die zuvor schon teilweise, unter anderem zu einer Vätergeschichte (VG), verbunden worden waren, im Rahmen einer deuteronomistischen Komposition KD (neuerdings eingeschränkt auf die Bücher Exodus bis Numeri). Die Vermutung, dass deuteronomistische Redaktoren an der Komposition beteiligt gewesen sind, liegt nahe, spätestens sobald der Tetrateuch (= Genesis bis Numeri) oder eine Vorform in den heutigen Zusammenhang mit den Büchern (Deuteronomium +) Josua bis Könige gestellt wurde (vgl. Smend 1989, 63; → Deuteronomismus
(4) Für Reinhard G. Kratz beruht der nichtpriesterschriftliche Hexateuch auf zwei selbständigen, in gewissem Grade konkurrierenden Ursprungslegenden aus dem 7. Jh. v. Chr.: (1) einer „jahwistischen“ Ur- und Vätergeschichte in Gen 2-35 (JG), die später um die Josefsgeschichte erweitert worden sei (JS), und (2) der Exoduserzählung in Ex 2 - Jos 12 (EG), die später noch um weitere Stoffe angereichert wurde (ES). Die redaktionelle Bearbeitung in der Genesis sei von deutlich anderer Art gewesen als die in Exodus bis Josua. Diese beiden Erzählungswerke seien in frühnachexilischer Zeit zu JE zusammengefasst worden (2000, 304-313).
(5) Das „Münsteraner Pentateuchmodell“ nimmt an, dass der übergreifende Erzählzusammenhang des nachmaligen Hexateuchs (Gen 2 bis Jos 24) bereits in vorexilischer Zeit entstanden sei (Zenger 1995/2012, auch vertreten von Ch. Dohmen, Ch. Frevel, F.-L. Hossfeld, M. Konkel, P. Weimar). Erzählkränze und einzelne Erzählungen von der Menschenschöpfung bis zur Eroberung Kanaans seien in der 2. Hälfte des 7. Jh.s v. Chr. im Umfeld des Jerusalemer Hofs zum „Jerusalemer Geschichtswerk“ (JG) zusammengestellt und „durch eigens geschaffene ‚Brückentexte‘“ (Gen 15; Ex 34; Jos 24) „theologisch zusammengebunden“ worden (Zenger 2012, 123). Dafür wird vorausgesetzt, dass die alttestamentliche Bundestheologie schon in der Königszeit bestanden habe – eine Annahme, der das „Bundesschweigen“ der vorexilischen Propheten ebenso entgegensteht wie der Umstand, dass die Bundestheologie im Kern eine Transformation der Königsideologie darstellt, die erst nach dem Ende des Königtums religionsgeschichtlich plausibel ist. Literaturgeschichtlich erweisen sich die mutmaßlichen Brückentexte als späte Kompositionen, die im Falle von Gen 15 und wahrscheinlich auch Jos 24 sogar die Verbindung mit der Priesterschrift schon voraussetzen.
(6) Mehrere Exegeten sehen wieder, wie im frühen 19. Jh., in der Priesterschrift die Grundschrift, in die die nichtpriesterlichen Erzählblöcke nachträglich eingestellt worden seien (vgl. den Sammelband Gertz / Schmid / Witte 2002 und dazu die Rezension von Levin 2004b). Nach Jan Christian Gertz (2006/2010, 217) haben die eigenständigen vor- bzw. nichtpriesterlichen Literaturwerke (Urgeschichte, Vätergeschichte, Exoduserzählung) „niemals einen geschlossenen nichtpriesterlichen Erzählungszusammenhang im Sinne eines Jahwisten oder ähnlicher Hypothesen gebildet“; die Verknüpfung sei vielmehr erst durch die Priesterschrift geschehen, die die „erste und einzige durchgehende Textschicht im Pentateuch“ dargestellt habe (216). Konrad Schmid (2008, 146) behauptet: „Die Priesterschrift hat – jedenfalls im Bereich Genesis bis Leviticus – als eigentliche Grundschrift des Pentateuchs zu gelten. Ihre Texte organisieren dessen Ablauf, die nichtpriesterlichen Anteile sind in ihn eingestellt und redaktionell von ihm bestimmt.“ Wesentliches Argument ist, dass die ausdrücklichen Querverbindungen innerhalb des Pentateuchs, wie sie sich etwa in Gen 15,13-16
Die Behauptung, dass erst die Priesterschrift den Zusammenhang zwischen den Büchern Genesis und Exodus geschaffen habe, scheitert definitiv an der Lückenhaftigkeit der Priesterschrift (s.o. 2.), auf die besonders Blum hingewiesen hat (1984, 426f.). Tatsächlich besteht die Priesterschrift aus einer Folge von Bruchstücken, die im vorliegenden Text literarisch nicht mehr zusammenhängen und die deshalb, redaktionsgeschichtlich gesehen, nicht die Grundlage des Textaufbaus gebildet haben können. Dass die Vätergeschichten neben der Darstellung des Buches Exodus eine eigene Ursprungserzählung gebildet hätten, so dass die Ursprünge Israels doppelt begründet seien (so besonders Schmid 1999), trifft nur mit erheblicher Einschränkung zu. In der Geschichtsperspektive des Gesamtwerks bilden vielmehr die Vätererzählungen die gegenwärtige Erfahrung der Adressaten ab, der Exodus aber die verheißene Zukunft (Levin 2014, 135-137).
6. Der Umfang des Werks
Die Quelle J beginnt in Gen 2,5
Man hat dem Jahwisten auch einen Landnahmebericht zuschreiben wollen. Eduard Meyer (1881, 133-141) fand ihn in Ri 1. Diese Annahme hat sich in der weiteren Arbeit an Ri 1 nicht bewährt (jüngste Bearbeitung Rake 2006). Eindeutige Kennzeichen der jahwistischen Redaktion finden sich hingegen in den Erzählungen von → Gideons
Auch Ex 20,24b
Nicht nur das Bundesbuch hat im jahwistischen Werk gefehlt, sondern der gesetzliche Stoff des Pentateuchs überhaupt. Die Spuren der Redaktion lassen sich allein in den erzählenden Teilen finden. Deshalb fehlt J zwischen Ex 34 und Num 10 sowie darüber hinaus in weiten Teilen der Bücher Exodus und Numeri. Im Deuteronomium kann allenfalls der Tod des Mose in Dtn 34 für J in Anspruch genommen werden. Der vergleichsweise dünne Erzählfaden stellt aber die Hypothese nicht in Frage. Das Problem wiederholt sich nämlich bei der Priesterschrift, die in ihrer ursprünglichen Fassung ebenfalls nur wenig gesetzliches Material enthalten hat.
7. Die älteren Erzählkränze
Parallel zu der redaktionsgeschichtlichen Frage entwickelte sich in der jüngeren Forschung ein genauerer Blick auf das vorredaktionelle Erzählmaterial. Man wurde zunehmend darauf aufmerksam, dass die Erzählung des Pentateuchs auf sechs großen Erzählkränzen beruht, die als schriftliche Einheiten ursprünglich je für sich überliefert wurden: (1) der Urgeschichte Gen 1-11 (dazu Crüsemann 1981); (2) der Vätergeschichte Gen 12-35; (3) der Josefsgeschichte Gen 37 und Gen 39-50; (4) den Mose-Erzählungen Ex 2-4; (5) den Erzählungen vom Wüstenzug der Israeliten Ex 12 - Num 20 + Dtn 34*; und (6) der Erzählung von Bileam Num 22-24. Diese Erzählkränze haben in sich bereits eine längere literarische Entwicklung erfahren, ehe sie von der jahwistischen Redaktion untereinander verknüpft wurden.
7.1. Die Urgeschichte
Die → Urgeschichte
In diese Stammliste sind nachträglich Notizen von der Entstehung der Kulturfertigkeiten eingeflossen: Viehzucht und Ackerbau, Städtebau, Musik, Schmiedekunst (Gen 4,2.17.20-22
7.2. Die Vätergeschichte
Die Geschichte von → Abraham
Diese Familienerzählung ist nachträglich zu einer Ursprungsgeschichte Israels ausgestaltet geworden. Die Erzählung von Abraham wurde um die Überlieferung von → Lot
Der Schauplatz dieser Nationalisierung ist das Nordreich Israel oder seine Einflusssphäre. Deshalb fällt auf, dass das Königtum in den Erzählungen nicht vorkommt. Als Kultgründer übernimmt Jakob / Israel selbst die königliche Rolle. Man kann daraus mit einiger Vorsicht entnehmen, dass diese Umgestaltung nach dem Ende des Königtums geschehen ist, das im Jahre 722 den → Assyrern
7.3. Die Josefsgeschichte
Die Erzählung von → Josef
7.4. Die Erzählungen von Mose
Von diesem Erzählkranz ist nur der Anfang erhalten geblieben. → Mose
7.5. Die Überlieferung vom Auszug aus Ägypten
Die Wanderung der Israeliten (→ Exodustradition
Der Ablauf wird von zwei Einschaltungen unterbrochen, in denen Mose erstmals auftritt: dem Wunder am Meer (Ex 14*) und der Gottesbegegnung auf dem Gottesberg in der Wüste Sinai (Ex 19,2b-3a
7.6. Die Überlieferung von Bileam
Zwischen dem Tod der Mirjam und dem Tod Moses ist als letzte große Einheit die Erzählung von dem Seher → Bileam
8. Die Auswahl der vorredaktionellen Quellen
Die sechs vorredaktionellen Erzählblöcke wurden in einem einzigen Schritt zu der heute vorliegenden Abfolge verbunden; denn die Auswahl zeigt ein klares Muster und ist daraufhin eines der stärksten Argumente dafür, dass eine eigene Redaktion am Werk gewesen ist. Alle Erzählungen – mit einer Ausnahme – spielen außerhalb des Landes Israel und Juda. Sie schildern die Träger der Handlung als Fremde: Hagar in der Wüste (Gen 16); Lot in Sodom (Gen 13; Gen 19); Abrahams Knecht in Mesopotamien (Gen 24); Isaak bei den Philistern (Gen 26); Jakob in Haran (Gen 29-31); Josef in Ägypten (Gen 39-45); ebendort später die Israeliten (Gen 46 - Ex 12); Mose in Ägypten (Ex 2) und später in Midian (Ex 3-4); das Volk auf dem Zug in der Wüste (Ex 12 - Num 24). Mirjam (Num 20,1
Die Regel zeigt sich an der Ausnahme: den Abrahamerzählungen (Gen 12; Gen 16; Gen 18; Gen 21), die auf dem israelitischen Gebirge spielen. Denn auch Abraham wird zum Fremdling erklärt (→ Fremder
9. Die Datierung
Seitdem sich im letzten Drittel des 19. Jh.s die Spätdatierung der Priesterschrift durchgesetzt hat, wurde der Jahwist der Frühzeit zugewiesen. Man verstand die ältere Pentateuchquelle als die Sammlung der aus der vorköniglichen Zeit stammenden Überlieferungen, die zu Beginn der Königszeit, in der salomonischen Zeit des 10. Jh.s, unternommen wurde, um bei dem kulturellen Wandel, der mit der Einführung des Königtums einherging, die älteren Traditionen für die kommenden Generationen zu bewahren (Schmidt 1979/1995, und viele andere). Wesentliche Argumente sind, dass der Jahwist eine Geschichte (noch) ohne Könige schildert, dass er Israel und Juda (noch) als Einheit versteht und dass er die Zentralisation des Jahwekults (noch) nicht voraussetzt, weshalb er mit dem Deuteronomium und dem Deuteronomismus nicht vereinbar ist.
Doch als redaktionelles Sammelwerk, das auf schriftlichen Quellen beruht, setzt der Jahwist wie andere Werke dieser Art den Untergang des israelitischen und judäischen Königtums voraus. Die Könige fehlen, weil es sie nicht mehr gibt. Die Einheit von Israel und Juda ist möglich, weil Israel als politische Einheit untergegangen ist und mittlerweile Juda die Tradition von Ganz-Israel zu vertreten beansprucht. Die Zentralisation des Jahwekultes ist nicht unbekannt, sondern wird programmatisch abgelehnt (Levin 2000). Das Werk reagiert auf die Lage der beginnenden jüdischen → Diaspora
10. Die Kennzeichen der jahwistischen Redaktion
Jede redaktionsgeschichtliche Hypothese beruht auf der literarkritischen Unterscheidung zwischen vorredaktionellen Quellen und den literarischen Ergänzungen des Redaktors, der die Quellen ausgewählt, angeordnet, verbunden und im Sinne seines literarischen und theologischen Ziels bearbeitet hat. Von einer Redaktion kann nur dann gesprochen werden, wenn die redaktionelle Ebene sich nicht nur literarkritisch von den Quellen abheben lässt, sondern sich auch positiv durch bestimmte sprachlich-stilistische und inhaltliche Merkmale als Zusammenhang zu erkennen gibt.
Das trifft für den Jahwisten zu. Die ältere Exegese hat das gewusst und regelrechte Verzeichnisse angelegt (Holzinger 1893, 93-110; jetzt Levin 1993, 399-413); nur dass man dachte, mit dem Idiom eines Erzählers zu tun zu haben, und noch nicht sah, dass es im engeren Sinne die Sprache des redaktionellen Textes ist, die dem Werk die stilistische Prägung verliehen hat.
Allerdings darf man solche Kriterien nicht mechanisch handhaben. Die Redaktion hängt im Stil auch von ihren Quellen ab und hat den später noch hinzugekommenen Text wiederum beeinflusst. Die Verbindung mit den Quellen ist im Falle des Jahwisten besonders eng. Deshalb ist die literarische Eigenart nicht so leicht zu erkennen wie der deuteronomistische oder der priesterschriftliche Stil. Die literarkritischen Indizien für die Unterscheidung des redaktionellen vom quellenhaften Text sind aber hinreichend eindeutig. Die Redaktion besitzt ein charakteristisches Profil, das sich von den geläufigen Theologien innerhalb des Alten Testaments und deren Sprache unterscheidet.
Anders als der künstliche Name „Jahwist“ nahe legt, gehört zu den Merkmalen nicht an erster Stelle der Gottesname (vgl. zur Kritik an diesem Kriterium bereits de Wette 1807, 29, und Ewald 1823, 4-122, in jüngerer Zeit Blum 1984, 471-475). Zwar ist der eigene Sprachgebrauch in dieser Hinsicht konsistent, aber der Redaktor hat das religionsgeschichtlich bunte Bild, das seine Quellen boten, belassen (Levin 2012, 162-169). Häufig findet sich deshalb auch beim Jahwisten die Gottesbezeichnung „Elohim“ (Gen 2,5.7-9.15.16.18.19.21.22
Eine Art sprachliches Leitfossil ist die Wendung „Gnade finden in jemandes Augen“ (מצא חֵן בְּעֵינֵי). Sie ist in Genesis bis Numeri 26-mal belegt, wovon 15 Belege auf den Jahwisten zurückgehen (Gen 6,8
Dass der Redaktor dem höfischen Milieu angehört, zeigt sich auch daran, dass er mit den Redeformen der Rechtspflege sehr vertraut ist. An hervorgehobener Stelle gebraucht er die Anklageformel: „Was hast du getan?“ (Gen 3,13
Ebenso benutzt der Redaktor die Sprache des königlichen Kults. Er gebraucht die Wendungen des Klageliedes des Einzelnen und des Danklieds (Gen 16,11
Bemerkenswert sind die vielen Fragen: „wer?“, „was?“, „warum?“ (Gen 18,13
Der Redaktor spitzt die Szenen zu Leitsätzen zu, die den Leser anleiten sollen, das Geschilderte auf die eigene Situation zu übertragen. Die Leitsätze unterstreichen die wirksame Gegenwart Jahwes. Viele haben ethische Tendenz. „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei“ (Gen 2,18
Weitere Beispiele: „Bin ich der Hüter meines Bruders?“ (Gen 4,9
Ein besonders wirksames Darstellungsmittel ist das Schema von Ankündigung und Erfüllung (→ Verheißung / Erfüllung
11. Das Geschichtsbild
Das Werk verfolgt das Werden des Volkes Israel von der Erschaffung der Welt bis an die Schwelle der Landnahme in Palästina. Geschildert wird eine Geschichte der Fremdlingschaft. Am Anfang steht die Vertreibung aus dem Paradies. Der Weg in die Fremde ist schlimmes Geschick; denn er widerspricht einer anthropologischen Grundgegebenheit: der wesensmäßigen Verbundenheit des Menschen (hebr. אָדָם ’ādām) mit der Erde (hebr. אֲדָמָה ’ādāmāh). Um das zu zeigen, wird die Schöpfungserzählung redaktionell erweitert: Der Mensch ist aus der Erde geschaffen (Gen 2,7a
Wird das Verhältnis von Mensch und Erde gestört, ist das ein Fluch. Das erzählt die eingefügte Szene vom Sündenfall (Gen 3). Der Ungehorsam ist eher tragisch als schuldhaft: Die Frau, die noch nicht geschaffen war, als Jahwe das Verbot Gen 2,17
Es ist nicht zu übersehen, dass das jahwistische Werk die Judäer in Exil und Diaspora anspricht und auf die religiöse Herausforderung antwortet, die sich mit dieser Lage verbindet. Die Daseinsbedingungen des Fremdlings werden auf bisweilen drastische Weise ausgemalt. Lot erlebt die Bewohner Sodoms als eine Horde zügelloser Frevler, die sich nicht scheuen, sich an den Gästen, die er ins Haus genommen hat, sexuell zu vergehen (Gen 19,5
In dieser Lage haben sich besondere Lebensformen und Wertvorstellungen entwickelt. Die Absonderung von der eingeborenen Bevölkerung wird streng gewahrt (Gen 24,3
Auch die Religion wird durch die Bedingungen der Familie bestimmt. Die Redaktion setzt bei ihren Lesern noch die Auffassung voraus, dass die Wirksphäre des Gottes Jahwe an das Land Israel und Juda gebunden ist. Jahwe hat seine gegebene Bindung an das Land Israel und Juda abgestreift und ist ein Gott geworden, der mitgeht. Die Beziehung zu ihm vermittelt sich nicht mehr, indem seine Verehrer dort siedeln, wo dieser Gott seine traditionelle Wirksphäre hat, sondern weil die Sippe Jahwe verehrt. Jahwe wird zum „Gott der Väter“, „für den nicht die feste Bindung an einen Ort, sondern die ständige Beziehung zu einer Menschengruppe das entscheidende Merkmal ist“ (Alt 1953, 22). Überall, wohin es seine Anhänger verschlägt, stellt er von nun an seine segensvolle Wirkmächtigkeit unter Beweis. Als „Gott des Himmels“ (Gen 24,3
Literaturverzeichnis
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