Jona / Jonabuch
Andere Schreibweise: Jonah (engl.)
(erstellt: April 2008)
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Das Jonabuch ist im Rahmen des → Zwölfprophetenbuchs
1. Inhalt und Gliederung
1.1. Inhaltsangabe
Jona ben Amittai (יוֹנָה בֶן־אֲמִתַּי jônāh bæn ’ǎmittaj) erhält von Jahwe den Auftrag, nach → Ninive
Jedenfalls flieht Jona, doch Jahwe wirft einen großen Sturm auf das Meer, das Schiff gerät in schwere Seenot. Jona wird als Schuldiger ausgelost und nach anfänglichem Zögern von den Seeleuten über Bord geworfen. Jahwe sendet einen großen Fisch, der Jona verschlingt, und der Prophet betet im Inneren des Fischs einen Dankpsalm (→ Walfisch
An dieser Stelle beginnt die Geschichte von vorn: Jona bekommt erneut den Auftrag, nach → Ninive
Diese Ankündigung ergeht zwar ohne Begründung, ja sogar ohne eine Erwähnung Gottes, gleichwohl löst sie bei den Niniviten eine umfassende Buße aus, an der nicht nur die gesamte menschliche Bevölkerung beteiligt ist, sondern auch die Tiere. Auf Grund dieser Buße reut Gott das angekündigte Unheil; er vollzieht das Gericht nicht.
Die Verschonung Ninives bedeutet für Jona ein großes Ärgernis. Er begründet nun zum ersten Mal, warum er den Auftrag nicht erfüllen wollte: Er habe von Anfang an gewusst, dass Jahwe „ein gnädiger und barmherziger Gott“ ist, „langsam zum Zorn und groß an Güte, der das (angekündigte) Unheil bereut“ (Jon 4,2
Die Szene wechselt: Jona war nach der Gerichtsankündigung aus der Stadt gegangen und hatte sich östlich von ihr niedergelassen. Über die Hütte, die er sich vorher dort gebaut hatte, lässt Jahwe zu Jonas Freude einen → Rizinus
Mit dieser Frage endet die Erzählung; eine Reaktion Jonas ist nicht berichtet.
1.2. Gliederung
Für die Gliederung bieten sich zwei Möglichkeiten an, die sich allerdings nicht ausschließen.
1. Ausgehend von der variierten Wiederholung von Jon 1,1-3
Jeder der beiden Teile läuft auf eine Szene hinaus, in der Jona mit Jahwe allein ist (Jon 2
Die Gliederung ist tabellarisch folgendermaßen darzustellen:
2. Ausgehend von der Beobachtung, dass der in Jon 1,1f
Während die erste Gliederungsmöglichkeit den parallelen Aufbau der Erzählung hervorhebt, betont die zweite ihr theologisches Achtergewicht in den Reflexionen des Schlusskapitels.
2. Datierung
Das Jonabuch gehört schon aus sprachlichen Gründen zu den späten Schriften des Alten Testaments. Es enthält eine Reihe von Vokabeln, die sonst nur in anderen späten Texten bzw. in der nachbiblischen Literatur vorkommen: עשׁת ‘št Hitp. „denken an“ (Jon 1,6
Schließlich sprechen auch die von der Erzählung verarbeiteten Vorgaben (vgl. 5.) für eine späte Datierung: Die vielen Bezugnahmen auf andere biblische Texte weisen den Verfasser als „Schriftgelehrten“ aus (Blum, 19), setzen also bereits Kanonisierungsprozesse im Bereich der biblischen Literatur voraus. Darüber hinaus legen die in der Verschlingungsepisode und im Ninivebild aufgenommenen außerbiblischen Traditionen (vgl. 5.2.) eher eine Datierung in die hellenistische Zeit nahe als die mehrheitlich vertretene Ansetzung in die Perserzeit. Allerdings ist durch die Erwähnung der „Zwölf Propheten“ in Sir 49,10
3. Einheitlichkeit
Der Wechsel zwischen den Bezeichnungen „Jahwe“ und „Gott“ sowie inhaltliche Doppelungen und Spannungen haben literarkritische Eingriffe angeregt (zum Überblick vgl. Lux, 34-42; Jörg Jeremias in: Wolff, 2003, 109-117). Allerdings sind Modelle, die den gesamten Bestand des Buchs auf mehrere Schichten aufteilen (L. Schmidt, 18-130; Krüger, 61-69, 85-88; Weimar, 1982a; 1982b; 1984), nur auf wenig Zustimmung gestoßen.
1. Der Wechsel der Gottesbezeichnungen. Dieser Wechsel lässt sich sachlich erklären: Gott wird „Jahwe“ genannt, wenn von ihm als dem Gott Israels, und damit auch Jonas, die Rede ist. Dagegen wird er – sofern nicht das Appellativum gemeint ist (Jon 1,5f
2. Nachholender Stil. Besonders auffällige Brüche finden sich in Jon 3,6ff
3. Der Psalm in Jon 2. Das wichtigste literarkritische Problem bietet der Psalm in Jon 2
Der Herauslösung des Psalms steht allerdings ein gewichtiges kompositorisches Argument entgegen: Die in 1.2. beschriebene parallele Struktur der Erzählung würde dadurch massiv gestört. Das Gegenüber der beiden Szenen, in denen Jona mit Jahwe allein ist (Jon 2
Entscheidet man sich also unter Hinweis auf die Gesamtkomposition des Jonabuchs für die Ursprünglichkeit des Psalms, lässt sich das Singen des Dankliedes damit erklären, dass Jona schon die Verschlingung – und nicht erst die Rückkehr ans Festland – als Rettung erkennt; und der Umstand, dass dem ungehorsamen Propheten ein frommes Gebet in den Mund gelegt wird, lässt sich entweder mit seiner Zerrissenheit erklären – Jona wäre dann als eigentlich frommer Mann an der Sendung nach Ninive verzweifelt und hätte deshalb den Weg des Ungehorsams gewählt (so Gerhards, 2006, 23; 166) –, oder mit einer „inneren Wende“, durch die Jona, der sich „aus Israel, der nachexilischen Tempelgemeinde“, entfernt hatte, in die „Gemeinde der Beter Israels“ zurückkehrt (so Lux, 182f.). Schließlich besteht die Möglichkeit, das Gebet des ungehorsamen Propheten ironisch zu verstehen (Golka, 65ff. unter Berufung auf Magonet, 49-54; Schart, 1998a, 285).
Während sich also die größeren Anstöße zur Literarkritik ohne Eingriffe in den Text erklären lassen, scheinen in Jon 1,8
Möglicherweise bildet nicht nur Jon 4,5
4. Lehrerzählung
Die Gattungsbestimmung setzt am besten bei dem auffälligen Umstand an, dass das Jonabuch mit einer offenen Frage endet. Diese Frage richtet sich auf der Figurenebene an Jona. Da diese Ebene aber mit der Frage abbricht, ist sie letztlich an den Leser oder die Leserin gerichtet, der oder die sich mit Jona identifizieren und im Anschluss an das Gelesene bedenken soll, ob Jahwes Mitleid mit Ninive berechtigt ist. Die Erzählung verfolgt also unverkennbar eine didaktische Intention. Jahwe als Figur der Erzählung erscheint an deren Schluss als „der erste Sokratiker“ (Jauß, 272). Zu dem lehrhaften Charakter passen die vielen Zitate und Anspielungen auf andere biblische Texte, in denen sich „die umfassende Schriftkenntnis des Erzählers“ (Jörg Jeremias, 2007, 80) spiegelt, der offenbar unter Voraussetzung des sich ausprägenden Kanons ein theologisches Problem behandelt. Das Jonabuch kann als „didaktische Erzählung“ oder „didaktische Novelle“ bezeichnet werden (vgl. dazu Wolff, 2003, 32ff.; Gerhards, 2006, 68-71) bzw. unter Aufnahme eines Begriffs der jüdischen Tradition als → „Midrasch
5. Verarbeitung von Vorgaben
5.1. Aus biblischer Literatur
5.1.1. Jona ben Amittai – Ninive – Tarsis
1) Die Gestalt des Jona ben Amittai
In 2Kön 14,25
In Jon 1,1
Da Jona nach 2Kön 14,25
2) Ninive
Ninive wird im Alten Testament außerhalb des Jonabuchs in Gen 10,11f
3) Tarsis
Mit → Tarsis
5.1.2. Die Reue Gottes – der Prophet als Warner
Die Darstellung in Jon 3,3b-10
In Jon 4,2
Unter Voraussetzung von Ex 34,6
Dem Wissen um die Reue Gottes entspricht nicht nur in Jer 18,7f
5.2. Weitere Vorgaben
5.2.1. Das Verschlingungsmotiv
Wie die Sammlung von H. Schmidt dokumentiert, kursieren in aller Welt Geschichten über die Verschlingung von Menschen durch große Seetiere (zum Folgenden vgl. ausführlicher Gerhards, 2003a.). Diese Erzählungen wird man allerdings nicht auf eine einzige Urform, etwa einen im Bereich des Indischen Ozeans beheimateten Verschlingungsmythos, zurückführen können (vgl. H. Schmidt, 29ff.; 65f.; 122f.), von dem dann auch im Jonabuch ein Nachklang vorläge (vgl. Wolff, 2003, 22). Auch legt sich die Verbindung der Verschlingung des Jona mit bestimmten Versionen der Herakles-Hesione-Sage bzw. der Perseus-Andromeda-Sage (vgl. Wolff, 2003, 24, 26; Opgen-Rhein, 192-195, 203) nicht nahe, da der Fisch in Jon 2
Im biblischen Zusammenhang betrachtet erscheint der große Fisch als eine Version der ursprünglich mythischen Meerwesen, die verschiedentlich erwähnt sind, um die uneingeschränkte Verfügung Jahwes über die gesamte Schöpfung einschließlich der Bewohner der Meerestiefen zu illustrieren (Gen 1,21
5.2.2. Persische Elemente im Ninivebild
Die merkwürdige Darstellung, dass in Ninive nicht nur die Menschen, sondern auch die Tiere fasten (Jon 3,7
In das Ninivebild sind also Elemente verschiedener Großmächte eingegangen, mit denen Israel im Laufe seiner Geschichte zu tun hatte: Der Name und die himmelschreiende Bosheit (Jon 1,2
Die Bedeutung der persischen Elemente liegt unter anderem darin, dass sie positive Züge in das im Alten Testament hauptsächlich negative Bild Ninives eintragen. So ist die Buße der Niniviten eng mit ihrem „Monotheismus“ verbunden, der es ihnen erlaubt, auf die Verkündigung des fremden Propheten hin an Gott zu glauben und Buße zu tun (Jon 3,5
Die positive Würdigung der Buße Ninives wird im Übrigen dadurch unterstrichen, dass die Verkündigung Jonas, auf die sie erfolgt, als äußerst kurz und nachlässig dargestellt ist, und dass die ganze Bußszene wie ein positives Gegenstück zu der verweigerten Buße Judas in Jer 36
6. Theologisches Anliegen
6.1. Problemstellung
In 4. wurde festgehalten, dass die Bestimmung als „didaktische Erzählung“ oder „Midrasch“ dazu anleitet, nach dem theologischen Anliegen des Jonabuchs zu fragen. Dabei stellt sich zunächst die Frage, ob sich die Aussage des Buchs auf ein bestimmtes Anliegen beschränkt. Immerhin wird darauf verwiesen, dass sich die Leerstellen der Erzählung unterschiedlich füllen lassen (vgl. Magonet, 87) oder dass Jona und Ninive für sehr unterschiedliche Größen stehen können (vgl. Koenen, 31). An entsprechende Positionen ist aber die Anfrage zu richten, ob sie nicht die Lenkungsfunktion bestimmter Textstellen und verarbeiteter Vorgaben zu gering veranschlagen. Zumindest scheint es sinnvoll, von einem Hauptanliegen auszugehen, von dem gegebenenfalls „mehr am Rande liegende Einsichten“ zu unterscheiden sind (Kaiser, 43).
Die wichtigste Stelle mit Lenkungsfunktion ist ohne Zweifel die offene Schlussfrage in Jon 4,10f
Dafür steht als eine weitere wichtige Kernstelle auch die Klage des Propheten in Jon 4,1-3
Damit ist aber für die Auslegung der Erzählung zunächst nur ein Rahmen gewonnen. Die eigentliche Problematik erschließt sich erst, wenn deutlich wird, warum Jona das Mitleid Jahwes mit Ninive für unberechtigt hält und es daher ablehnt, Ninive vor dem Gericht zu warnen und die Begnadigung der Stadt zu akzeptieren.
Zu dieser Frage sind verschiedene Antworten vorgeschlagen worden, von denen die wichtigsten vier Grundalternativen zuzuordnen sind (vgl. dazu Gerhards, 2006, 107ff. [Lit!] im Anschluss an Blum, 15f.):
1. Jona will nicht, dass Nichtisraeliten („Heiden“) der Gnade Gottes teilhaftig werden;
2. Jona hat Gericht angekündigt und will nicht durch die Begnadigung Ninives als falscher Prophet dastehen;
3. Jona erträgt die Nachsicht Gottes nicht, weil ihm an der Gerechtigkeit Gottes liegt;
4. Jona will die Begnadigung Ninives nicht, weil er weiß oder wenigstens befürchtet, dass von dort weiterhin Gefahr für Israel ausgehen wird.
6.2. Universalität der Gnade
Von diesen Grundalternativen scheitert die 2. schon daran, dass das Jonabuch ein Prophetenverständnis voraussetzt, nach dem die prophetische Aufgabe nicht in der Ansage sicher eintreffender Zukunft, sondern in der Warnung vor Unheil besteht und mit dem Anliegen einhergeht, den Betroffenen die Möglichkeit der Umkehr zu geben (vgl. 5.1.2.). Vor diesem Hintergrund kann Jona aber gar nicht als falscher Prophet dastehen, wenn seine Gerichtsankündigung nach der Umkehr Ninives nicht eintrifft (so auch Gese, 126f.; Jörg Jeremias, 1997, 103; anders etwa Blenkinsopp, 244; Willi-Plein, 228). Die 2. Alternative kommt also kaum in Frage, obwohl das Problem, dass Jona durch das Nichteintreffen des Gerichts als falscher Prophet gelten könnte, schon das antike Judentum beschäftigte (vgl. Ego, 157f.; auch 8.1.3.).
Die 3. Alternative hat den – freilich weniger gravierenden – Nachteil, dass sie nicht berücksichtigt, warum Jona gerade nach Ninive gesandt wird. Die Sendung eines israelitischen Propheten in eine fremde Hauptstadt ist aber sehr ungewöhnlich und verdient daher, bei der Interpretation beachtet zu werden. Im Alten Testament findet sich dazu als Parallele nur die Sendung → Elias
Wenn nun aber die Frage der Gerechtigkeit Gottes angesichts seiner Gnade im Mittelpunkt stehen sollte, wäre zu erwarten, dass Ninive als eine mit so gewichtigen Assoziationen verbundene Größe in der Erzählung gar nicht vorkäme, um nicht vom eigentlichen Anliegen abzulenken.
Von hier aus sind die 1. und die 4. Alternative im Vorteil, weil die Sendung nach Ninive in ihnen hinreichend berücksichtigt wird, allerdings unterscheiden sie sich danach, wofür die Stadt steht.
Bei der 1. Alternative steht Ninive für die Nichtisraeliten überhaupt, unter denen die für ihre Bosheit bekannte Stadt (Jon 1,2
Jahwe spricht in der Schlussfrage als der universale Schöpfer, der sich auch um die Nichtisraeliten gemüht hat – im Unterschied zu Jona, der mit dem Rizinus keine Mühe hatte und doch Leid um die ephemere Pflanze trägt (Jon 4,10
Häufig wird vor dem Hintergrund dieser Auslegungsalternative auch mit ironischen und satirischen Elementen im Jonabuch gerechnet (vgl. Wolff, 1977, 62-64; auch etwa Schart, 1998a, 283-287; → Humor
6.3. Bedrohlichkeit der Universalität der Gnade
Allerdings könnte gerade die Möglichkeit einer satirischen Interpretation auch ein Problem der 1. Alternative anzeigen. Diese Alternative verschiebt nämlich unter Umständen nur das Interpretationsproblem, wenn nicht klar wird, warum Jona den Nichtisraeliten die gnädige Zuwendung Jahwes missgönnt. So hat man darin unter anderem „enge, fast pathologische Rechtgläubigkeit“ gesehen (Haller, 6) – eine Charakterisierung, die deutlich zeigt, dass Jonas Vorbehalte nicht wirklich verständlich sind. Ein weiteres Problem der 1. Alternative besteht darin, dass eine Auslegung, in der Ninive als Extrembeispiel oder Exponent des Heidentums vorkommt, über das hinausgeht, was Ninive an anderen Stellen des Alten Testaments und der Apokryphen ist. Dort erscheint die Stadt nämlich als Hauptstadt bzw. als Inbegriff des Assyrerreichs. Berücksichtigt man im Übrigen, dass auf Grund der in 5.2.2. festgestellten persischen Elemente im Ninivebild des Jonabuchs Züge zweier Großmächte enthalten sind, dann legt es sich nahe, in Ninive ein Symbol der verschiedenen Großmächte zu sehen, von denen Israel im Laufe seiner Geschichte bedroht bzw. beherrscht wurde. Das aber führt auf die 4. Alternative: Jona will die Begnadigung Ninives nicht, weil er weiß oder wenigstens befürchtet, dass von dort weiterhin Gefahr für Israel ausgehen wird. Wenn Ninive für die Großmächte überhaupt steht, ist ja mit dieser Gefahr zu rechnen.
Bei einer spätnachexilischen Datierung gehört es zum geschichtlichen Hintergrund der Erzählung, dass Israel seit Jahrhunderten von Großmächten bedroht wird und seit der babylonischen Eroberung Jerusalems auch restlos unter ihrer Vorherrschaft steht. Unter den Persern und – falls man hellenistisch, aber auf Grund von Sir 49,10
Wenn nun von Jona verlangt wird, dass er nach Ninive geht, um dort Gericht anzukündigen, bedeutet das nach dem in der Erzählung vorausgesetzten Prophetenverständnis (vgl. 5.1.2.), dass er Ninive die Gelegenheit zur Buße geben soll – und zwar im Wissen darum, dass Gott bei erfolgter Buße Ninive verschonen wird. Im Sinne der 4. Alternative heißt das, dass er dazu beitragen soll, die für Israel stets bedrohlichen Großmächte vor dem Gericht zu bewahren. Damit wird das im Rahmen der 1. Alternative nicht ganz verständliche Widerstreben Jonas nachvollziehbar. Der Prophet, der aus 2Kön 14,25
Die Lösung des Konflikts ist bei der 4. Alternative dieselbe wie bei der ersten: Jahwe verdeutlicht Jona, dass ihm als universalem Schöpfer auch die Großmächte am Herzen liegen. Bedenkt man aber, dass Jona an der Treue Gottes zu Israel verzweifeln muss, wirkt der seit dem Anfang des Buchs herausgestellte → Universalismus
In der Frage nach dem Proprium Israels wurde zum einen auf die ersten beiden Kapitel der Erzählung hingewiesen, wo man in Jon 1
Eine andere Antwort auf die Frage nach dem Proprium Israels kommt ohne die Annahme einer Bekehrung der Seeleute aus (vgl. zum Folgenden Gerhards, 2006, 203-207). Sie geht von der Schlussfrage aus, die ohnehin von außerordentlichem Gewicht für die Interpretation der Erzählung ist, und deutet die Bemerkung, dass Ninive zwischen rechts und links nicht unterscheiden kann, als indirekten Hinweis darauf, dass Israel dies sehr wohl kann. Dieser Hinweis kann als Anspielung darauf verstanden werden, dass Israel das Gesetz kennt, das ihm etwa nach Dtn 5,32f
7. Das Jonabuch im Zwölfprophetenbuch
7.1. Unterschiedliche Anordnungen im Zwölfprophetenbuch
7.1.1. Problemstellung und Befund
Seit die redaktionsgeschichtliche Erforschung der Prophetenbücher und synchrone Textanalysen an Bedeutung gewonnen haben, stellt sich auch die Frage nach Entstehung und Bedeutung des → Zwölfprophetenbuchs
1. In der nur fragmentarisch erhaltenen Qumranrolle 4QXII(a) steht das Jonabuch nach → Maleachi
2. Die masoretische Tradition ordnet das Jonabuch an fünfter Stelle nach → Hosea
3. Der Hauptstrang der Septuagintatradition (→ Septuaginta
7.1.2. Die älteste Anordnung
Von diesen Varianten scheint die erste die älteste zu sein (anders Steck; zum Problem vgl. Schart, 1998a, 2, 290; Schart, 1998b, 19f.). Danach wäre das Jonabuch, dessen späte Entstehung ja allgemein anerkannt ist (vgl. 2.), zunächst am Ende einer bereits bestehenden Mehrprophetensammlung angehängt worden.
7.1.3. Die masoretische Anordnung
Später wurde es in die Reihe der Propheten des 8. Jh.s umgestellt. Dabei ist offenkundig vorausgesetzt, dass das Wirken Jonas nach 2Kön 14,25
Die geschichtliche Einordnung ergibt sich von den in den Überschriften von Hosea, Amos und Micha genannten Königen aus. Danach wirkten Hosea und Amos zur Zeit → Usijas
Dass zwischen den datierten Schriften Hosea, Amos und Micha auch die undatierten Bücher Joel und Obadja stehen, spricht nicht dagegen, dass die Gruppierung von Hosea bis Micha chronologischen Gesichtspunkten folgt.
Der Prophet Obadja wurde in der jüdischen Tradition mit dem in 1Kön 18,3ff
Die Einordnung von Obadja hinter Amos ergibt sich aus einer engen Verbindung zwischen beiden Büchern: Einerseits kann Obadja als Ausführung von Am 9,12
Die Einordnung von Jona im Anschluss an Obadja mag auch dadurch plausibel erscheinen, dass in Ob 1
7.1.4. Die Septuaginta-Anordnung
Die masoretische Anordnung wurde später von der Septuagintatradition abgeändert, indem sie Amos und Micha unmittelbar hinter Hosea stellte. Den Anlass dazu bot wohl der Umstand, dass Hosea, Amos und Micha als Bücher mit Datierungen in der Überschrift als eine „geschlossene Gruppe“ empfunden wurden, in der die nicht datierten Bücher Joel, Obadja und Jona „in der Tat wie Fremdkörper“ wirken (Schart, 1998b, 19). Erklärt man die Septuagintareihenfolge auf diese Weise als Umstellung der masoretischen Anordnung, entspricht die Nummerierung der Varianten in der oben vorgestellten Auflistung der mutmaßlichen Abfolge ihrer Entstehung.
Dass die in der Septuagintatradition übliche Anordnung der zwölf Schriften als Abwandlung der masoretischen Reihenfolge entstand, ist vor allem deshalb anzunehmen, weil die umgekehrte These nicht plausibel zu begründen ist. Das höhere Alter der masoretischen Anordnung wird dadurch gestützt, dass sie auch vom ältesten griechischen Textzeugen, der Prophetenrolle aus dem Nachal Hever, geteilt wird. Daraus allein ergibt sich aber noch kein sicherer Schluss, da der Text dieser Rolle der sog. „καίγε-Rezension“ angehört, die um die Angleichung einer älteren griechischen Textform an den hebräischen Text bemüht ist (vgl. Barthélemy, 195-202, 266f.; Tilly, 83f.). Es scheint immerhin denkbar, dass in einem Textzeugen dieser Rezension auch die Anordnung der zwölf Schriften sekundär der hebräischen Überlieferung angeglichen wurde.
7.2. Konsequenzen für das Verständnis des Jonabuchs
Die Frage, wie das Jonabuch als Teil des Zwölfprophetenbuchs zu verstehen ist, ist nach den Anordnungsvarianten differenziert zu beantworten. Dabei werden auch wieder bestimmte Alternativen relevant, die schon bei der Interpretation des eigenständigen Jonabuchs in 6. angesprochen wurden.
7.2.1. Das Jonabuch am Ende des Zwölfprophetenbuchs (4QXII[a])
Bei der in 4QXII(a) belegten Schlussstellung kann Jona als Typus eines Israeliten verstanden werden, mit dem sich die Leser und Leserinnen identifizieren sollen, und Ninive kann als Symbol der Großmächte überhaupt verstanden werden oder als Exponent des Heidentums. Im letzteren Fall lässt sich in der Qumranhandschrift eine „durch Textanordnung hervorgehobene Perspektive feststellen, die auf Bekehrung und Heilsintegration der Völker“ im Sinne einer „endzeitlich-jetztzeitlichen Völkerbekehrung“ zielt und „den eschatologischen Aspekt eines letzten Völker-Frevler-Gerichts (Sach 14,17-29
7.2.2. Das Jonabuch unter den Propheten des 8. Jh.s (masoretische Anordnung)
Da sich die in der masoretischen Tradition belegte Einordnung des Jonabuchs unter die Propheten des 8. Jh.s einer geschichtlichen Lesart des Zwölfprophetenbuchs verdankt, besteht die Interpretationsvorgabe, dass Jona nun nicht, wenigstens nicht in erster Linie, als Typus eines Israeliten zu verstehen ist, sondern als historische Gestalt, als Prophet seiner Zeit. Dementsprechend ist auch Ninive nicht als Symbol für die Großmächte oder als Exponent der Heiden zu verstehen, sondern als Hauptstadt der aus der Geschichte bekannten Großmacht Assyrien. Dann ergeben sich aus der masoretischen Einordnung ins Zwölfprophetenbuch Grundlinien eines Jonaverständnisses, das der Interpretation von H. Gese nahe kommt, die den Sinn der Erzählung von Jonas geschichtlichem Ort im 8. Jh. her rekonstruiert.
Leser und Leserinnen, die das Jonabuch entsprechend der masoretischen Einordnung in das Zwölfprophetenbuch auf dem Hintergrund der Zeit Jerobeams II. zu deuten wissen, erkennen mit Gese gesagt in Ninive „jene politische Großmacht, die hinter Jonas → Aramäern
Teilt man die Voraussetzungen bis hierher, muss den historisch versierten Lesern und Leserinnen aber auch bewusst gewesen sein, dass es nicht bei der Abkehr der Niniviten von ihrem bösen Weg (Jon 3,8
Dass Ninive aber nach der im Jonabuch geschilderten Umkehr rückfällig wurde, ergibt sich nicht nur aus der Darstellung der Vorderen Propheten. Im Rahmen des Zwölfprophetenbuchs wird dem insofern Rechnung getragen, als dem Jonabuch als übernächste Schrift das Nahumbuch folgt, das in Nah 1,1
Dass sowohl das Jonabuch als auch Nahum der Sammlung angehören, ist als Problem für ein einheitliches Verständnis des Zwölfprophetenbuchs empfunden worden (vgl. dazu Schart, 1998a, 291; Ego, 155).
Bei konsequenter Berücksichtigung der geschichtlichen Ordnung ergibt sich dieses Problem jedoch nicht – im Gegenteil: Für Leser und Leserinnen, denen bewusst ist, dass die Assyrerbedrohung erst nach der Zeit des in 2Kön 14,25
Auch geht aus Quellen des antiken Judentums hervor, dass Nahums Prophetie als Bestätigung von Jonas Unheilsansage aufgefasst wurde. Dafür wäre auf Tob 14,4
In der geschichtlich motivierten masoretischen Anordnung ergibt auch die Stellung von Micha zwischen Jona und Nahum Sinn, wenn man die Angabe aus Mi 1,1
Von Mi 1,1
Die nächste datierte Schrift des Zwölfprophetenbuchs und zugleich die, die das nächste Gerichtswort gegen Ninive enthält, ist das → Zefanjabuch
Wenn man dem im Rahmen des Zwölfprophetenbuchs geschichtlich verstandenen Jonabuch eine allgemeine Lehre abgewinnen will, wird sich diese der in 6. besprochenen 4. Alternative annähern. Das Jonabuch zeigt dann am Beispiel der Assyrer, dass auch in einer so schrecklichen Großmacht echte Frömmigkeit vorhanden war, die Jahwes Reue über ein verdientes Gericht erregen konnte und so die Begnadigung ermöglichte. Ninive gilt dann entsprechend dem geschichtlichen Verständnis zwar als historische Hauptstadt der Assyrer; indem diese aber zum Beispiel werden, ergibt sich die Annäherung an die 4. Alternative, in der Ninive als Symbol für die Großmächte überhaupt steht. So lässt sich dem Jonabuch auch bei dieser Lesart im Rahmen der masoretischen Ordnung des Zwölfprophetenbuchs entnehmen, dass die Großmächte für Jahwe keine massa perditionis („Masse des Verderbens / Unheils“) sind, sondern dass sie ihm als seine Geschöpfe am Herzen liegen. Zugleich zeigt das Ninivebeispiel aber im weiteren Zusammenhang, dass die göttliche Gnade für die Großmächte ihre Grenzen hat: Nachdem Ninive-Assyrien in der Zeit nach Jona ben Amittai seine Gewalttätigkeit fortsetzte, ließ Jahwe, der in der Zeit Jonas noch einmal Gnade walten ließ, durch → Nahum
Damit findet das, was in 6. zur Interpretation des isolierten Jonabuchs im Sinne der 4. Alternative zum Problem des bleibenden Propriums Israels gesagt wurde, eine Ergänzung. Das Problem besteht ja darin, dass angesichts der anhaltenden Bedrohung durch die Großmächte und der Universalität Jahwes zu fragen bleibt, worin denn die Besonderheit Israels besteht, die seine Identität und sein Überleben sichert. Die genannten Lösungsversuche (Israel steht als Zeuge der wahren Erkenntnis Jahwes vor den Völkern bzw. Israel kennt im Unterschied zu Ninive das Gesetz) mag man beide für einen schwachen Trost halten. Im Zusammenhang der masoretischen Ordnung des Zwölfprophetenbuchs wird aber klar, was im Jonabuch nicht ausdrücklich gesagt ist: Jahwes Gericht über die Großmächte ist nicht dauerhaft aufgehoben. Wenn sie bestimmte Grenzen überschreiten und der Gewalt nicht bleibend absagen, werden sie der Vernichtung anheim fallen.
Die geschichtliche Erfahrung am Beispiel der Assyrer stimmt damit überein: Ninive ist – wie von israelitischen Propheten vorhergesagt – untergegangen.
7.2.3. Das Jonabuch in der Anordnung der Septuaginta
Wenn in der Anordnung der Septuaginta (vgl. dazu 7.1.) auf die Gruppe Hosea, Amos und Micha als nächste Gruppe Joel, Obadja und Jona folgen, kommt Jona unmittelbar vor Nahum zu stehen. Eine grundsätzliche Abwendung von der geschichtlichen Auffassung bedeutet diese Ordnung nicht. Allerdings wird der geschichtliche Abstand zwischen der Begnadigung Ninives nach der Verkündigung des Jona ben Amittai und der erneuten und dann erfüllten Prophezeiung seines Untergangs durch Nahum und Zefanja weniger stark betont als in der masoretischen Ordnung. Umgekehrt wird durch das unmittelbare Aufeinanderfolgen von Jona und Nahum die Erkenntnis pointiert, dass Jahwes Gnade für die Großmächte Grenzen hat.
8. Wirkungsgeschichte
Die reiche Wirkungsgeschichte des Jonabuchs in Judentum, Christentum und Islam kann hier nicht besprochen werden (vgl. dazu etwa die materialreiche Monographie von Steffen, 1994). Die Darstellung beschränkt sich daher auf wichtige Aspekte der Jonaauslegung im antiken Judentum, Neuen Testament und Koran. Daneben sollen wenige Hinweise zu Jonamotiven der christlichen Kunst stehen sowie zu Ortstraditionen, die mit Jona verbunden sind.
8.1. Jona im Judentum
8.1.1. Zur Midraschauslegung
Die midraschische Arbeit am kanonischen Text, deren Vorstufen im Alten Testament selbst greifbar sind (vgl. dazu Stemberger, 233), hat sich schon im antiken Judentum auch auf das Jonabuch bezogen. Was → „Midrasch
Oben wurde angesprochen, dass schon das antike Judentum bemüht war, das Verhältnis von Jona und Nahum zu bestimmen (7.2.2.), und es wurde angedeutet, dass nachbiblische jüdische Quellen die Interpretation unterstützen, dass der rationale Kern von Jonas Fluchtversuch darin liegt, dass er einen Ort erreichen wollte, an dem er vor einer weiteren Beauftragung durch Jahwe sicher ist (5.1.1.).
Es lohnt sich, auf diesen Aspekt etwas näher einzugehen, weil er ein Beispiel dafür bietet, wie die Auslegungen jüdischer Tradition das Verständnis biblischer Texte immer noch fördern können.
8.1.2. Jonas Fluchtversuch
Zur Interpretation von Jonas Fluchtversuch lässt sich konkret auf die „Mechilta des Rabbi Jischmael“ verweisen, einen Kommentar zum Exodusbuch, der möglicherweise in der 2. Hälfte des 3. Jh.s n. Chr. seine Endredaktion erhielt (so Stemberger, 253; vgl. zum Folgenden auch Gerhards, 2006, 148ff.). Darin wird, im Zusammenhang einer midraschischen Auslegung von Ex 12,1
„Allein Jona sprach: Ich will ins Ausland gehen nach einem Orte, wo die Schechina nicht wohnt und sich nicht offenbart, denn die Völker sind der Buße nahe, (sie sind bereit, Buße zu tun), damit ich Israel nicht schuldig mache. Gleich dem Sklaven eines Priesters, der seinem Herrn entfloh. Er sprach: Ich will nach dem Gräberhause (Friedhof) gehen, einem Orte, wohin mein Herr mir nicht nachkommen kann. Sein Herr sprach zu ihm: Ich habe deinesgleichen. So sprach auch Jona: Ich will ins Ausland gehen, nach einem Orte, wo sich die Schechina nicht offenbart, denn die Völker sind der Buße nahe, damit ich Israel nicht schuldig mache. Der Heilige, geb. sei er!, sprach zu ihm: Ich habe Boten deinesgleichen, wie es heißt: ‚Und der Ewige warf einen großen Sturm aufs Meer’ (Jon 1,4
Danach hätte Jona also nicht geglaubt, an einen Ort außerhalb des Machtbereichs Jahwes fliehen zu können, aber er wollte einen Ort erreichen, „wo sich die Schechina nicht offenbart“. Mit der → „Schechina
Die moderne Auslegung ist also nicht genötigt, in Jonas Fluchtversuch ein satirisches Element zu sehen (vgl. etwa Wolff, 1977, 80, wonach der Fluchtversuch „nur als Eröffnung einer Satire“ verstanden werden kann), sondern sie kann ihn mit den antiken Rabbinen grundsätzlich ernst nehmen, wie etwa der in der Mechilta des Rabbi Jischmael zitierte Rabbi Eleazar ben Zadok, der in Jonas Fluchtvorhaben einen Beleg dafür sieht, „daß die Schechina sich nicht im Auslande offenbart“ (bei Winter / Wünsche, 3).
Dass Jona in Jon 4
Auch der Midrasch Jona (vgl. dazu Stemberger, 315) legt ihm das Anliegen in den Mund:
„Allein ich werde nach einem Orte fliehen, wo seine Herrlichkeit nicht erwähnt wird. Von den Himmeln heisst es (Ps 113,4
8.1.3. Jona – kein falscher Prophet
Während die antike jüdische Tradition also in der Tat bleibende Verstehenshilfen enthält, so führt die midraschische Herangehensweise doch auch dazu, dass Dinge mit dem Text verbunden werden, die eine um wissenschaftliche Objektivität bemühte Exegese nicht als Thema des Jonabuchs akzeptieren kann. So wurde oben unter 7.2.2. erwähnt, dass schon das antike Judentum im Jonabuch das Thema von wahrer und falscher Prophetie angesprochen fand. Nach dem Midrasch Jona soll der Prophet vor der Sendung nach Ninive nach Jerusalem gesandt worden sein, wo sich schon einmal ereignete, was im Jonabuch von Ninive erzählt wird. Nach der in 2Kön 14,25
„Das zweitemal sandte er ihn nach Jerusalem, um es zu zerstören. Als die Israeliten aber Busse taten, erbarmte sich der Heilige in der Fülle seiner Barmherzigkeit und es gereute ihn ob des Bösen und er zerstörte es nicht. Infolgedessen nannten ihn die Israeliten einen Lügenpropheten. Das drittemal sandte er ihn nach Ninive. Jona urteilte für sich und sprach: Nicht genug, dass mich die Israeliten einen Lügenpropheten nennen, sogar die Völker der Welt nennen mich einen Lügenpropheten“ (Wünsche, 40).
Wie wirkungsvoll die Verbindung der Problematik von wahrer und falscher Prophetie mit der Jonagestalt im antiken Judentum war, geht nicht nur aus den Stellen hervor, die die Prophetie Nahums als eine Bestätigung der Prophetie Jonas deuten (vgl. dazu die unter 7.2.2. genannten Belege), sondern z.B. auch daraus, dass die Jona-Vita der „Vitae prophetarum“ (Text und Übersetzung in: Schwemer, 1996, 48f.; Übersetzung in: Schwemer, 1997, 617-621) diese Problematik verwendet, um eine Übersiedlung Jonas in das Gebiet von Tyrus zu motivieren. Die ursprünglich jüdische Sammlung der „Vitae prophetarum“ stammt wohl aus dem 1. Jh. n. Chr. und gehört in die Vorgeschichte späterer rabbinischer Überlieferungen (vgl. dazu Schwemer, 1995, 68f.). Nach ihrer Darstellung stammte Jona aus „der Nähe der Stadt der Griechen, Azotos (Aschdod), beim Meer“. Dort ließ er sich aber nach der Rückkehr von der Verkündigung in Ninive nicht mehr nieder, sondern zog mit seiner Mutter in die Gegend von Sour (Tyrus).
Der Bericht über die Umsiedlung verfolgt offenbar das Ziel, gleichzeitig einer judäischen Tradition über die Herkunft Jonas aus der Gegend von Aschdod (vgl. dazu Schwemer 1996, 55) gerecht zu werden als auch dem Bedürfnis jüdischer Bewohner des Hinterlandes von Tyrus, denen zur Legitimation ihrer dortigen Ansiedlung an einer Ätiologie lag, die auf bedeutende Gestalten der Bibel zurückgreift (vgl. dazu Schwemer, 1996, 67).
So wird in der Jona-Vita auch von → Elia
Um nun die Herkunft Jonas aus der Gegend von Aschdod und den Aufenthalt im Gebiet von Tyrus zu verbinden, greift die Vita aus dem midraschischen Diskurs über das Jonabuch das Problem auf, dass Jona wegen des Nichteintreffens der Verkündigung über Ninive als falscher Prophet gelten konnte: „denn er sagte: ‚So werde ich meine Schande beseitigen, denn ich habe gelogen, als ich weissagte gegen Ninive, die große Stadt’“ (Schwemer, 1996, 48; Schwemer, 1997, 619).
Dass ein Verständnis, das Jona die Furcht unterstellt, er könne wegen der Verschonung Ninives als Lügenprophet gelten, am Textbefund des Jonabuchs und an den in ihm verarbeiteten alttestamentlichen Vorgaben vorbeigeht, wurde bereits in 6.2. gesagt. Einer um Objektivität bemühten Betrachtung des Buchs erschließt sich schnell, dass der Prophet im Jonabuch nicht die Funktion hat, unverrückbar feststehende Zukunft anzukündigen, sondern dass er die Funktion eines Warners wahrnimmt (vgl. oben 5.1.2.). Eine nüchtern-distanzierte Herangehensweise entspricht aber nicht dem antiken jüdischen Umgang mit der Erzählung. Es scheint, dass die damaligen Rezipienten sich vielmehr in die Gestalt des Jona hineinversetzt und auf diese Weise eine Gefahr bedacht haben, die tatsächlich auch dann besteht, wenn der Prophet nicht zum Zukunftskünder, sondern zum Warner berufen wurde: Er kann immer noch von anderen, die nach einer ebenfalls biblischen Tradition den Anspruch des Propheten am Eintreffen seiner Botschaft messen (vgl. Dtn 18,20-22
8.1.4. Jona – ein bußfertiger Sünder
Auch wo nur Raum für wenige Andeutungen zur Wirkungsgeschichte des Jonabuchs im Judentum ist, muss die liturgische Bedeutung der Erzählung als Prophetenlesung am Großen Versöhnungstag erwähnt werden (vgl. dazu etwa Steffen, 1994, 11ff.). Diese Verwendung beruht nicht nur auf der umfassenden Buße Ninives und der Vergebung, die die Stadt erfährt, sondern auch darauf, dass Jona selbst als bußfertiger und geretteter Sünder verstanden wurde. So wird im Midrasch Jona die Flucht, Verschlingung und Rettung Jonas folgendermaßen gedeutet:
„‚Und Jona machte sich auf, nach Tharschisch zu fliehen’. Womit ist die Sache zu vergleichen? Mit einem Könige von Fleisch und Blut, dessen Gemahlin starb, als sie säugte. Er suchte nun eine Amme, um seinen Sohn zu säugen, damit er nicht umkomme. Was machte die Amme des Königs? Sie liess den Sohn des Königs liegen und floh. Als der König sah, daß sie geflohen war und seinen Sohn hatte liegen lassen, schrieb er einen Brief, sie aufzugreifen und in das Gefängnis zu werfen, an einen Ort, wo Schlangen und Skorpione waren. Nach einigen Tagen ging der König an der Grube vorüber, worin sie gebunden war, und sie weinte und schrie zum König aus der Grube. Da regte sich das Erbarmen des Königs über sie, und er trug seinem Gesandten auf, sie wieder heraufzuholen und zurückzuführen. So verhält es sich auch mit Jona. Als er vor dem Heiligen, geb. sei er!, floh, schloss er ihn im Meere in dem Leibe eines Fisches ein, bis er zu dem Heiligen, geb. sei er!, schrie und dieser ihn wieder auswarf“ (Wünsche, 39).
An dieser Stelle nimmt die jüdische Auslegung eine Umdeutung von Jonas Gebet im Inneren des Fischs vor, die freilich auf einer auch noch von modernen Exegeten empfundenen Spannung des biblischen Textes beruht. In Jon 2
8.1.5. Jonas Tod und Erweckung zu neuem Leben
In 8.1.3. wurde schon erwähnt, dass die Jona-Vita der Vitae prophetarum Jona und Elia im Exil in der Gegend von Tyrus zusammentreffen lässt und dass es sich dabei um eine Aufnahme der Mitteilungen über Elias Exil in Zarpat (1Kön 17,8-24
„Damals wies Elia das Haus Ahab zurecht. Und als er eine Hungersnot über das Land angekündigt hatte, floh er. Und er kam und fand die Witwe mit ihrem Sohn [nach dem vorhergehenden Text: Jona, der mit seiner Mutter in das Gebiet von Tyrus übergesiedelt war], denn er konnte nicht bei Unbeschnittenen bleiben, und er segnete sie. Und als ihr Sohn starb, erweckte Gott ihn wiederum von den Toten durch Elia, denn er wollte ihm zeigen, daß es nicht möglich ist, Gott wegzulaufen“ (Schwemer, 1996, 48; Schwemer, 1997, 619f.).
Die Totenauferweckungsgeschichte, die möglicherweise überhaupt erst vom Verfasser der Vita auf Jona übertragen wurde, wird mit dem letzten Satz in die Jonaüberlieferung eingebunden. Die Vita berichtet zwar nur knapp, dass Jona „aus dem Fisch ausgeworfen“ wurde, bevor er nach Ninive ging, setzt aber darin das Wissen über seine Flucht voraus. Die Übersiedlung in das Gebiet von Tyrus, das ausdrücklich als „(Land) fremder Völker“ bezeichnet wird, mag als weiterer Fluchtversuch in dem Sinne gelten, wie die Mechilta des Rabbi Jischmael die Flucht des Jona versteht (vgl. dazu Schwemer, 1996, 69): Jona wollte dadurch ausdrücklich der Schande entgehen, von den Israeliten als falscher Prophet betrachtet zu werden (vgl. dazu 8.1.3.), damit aber wohl auch dem Anspruch Gottes, der ihn zum Propheten berufen hatte. Indem dem Wunder der Totenauferweckung nun aber der Zweck der Demonstration zugeschrieben wird, dass es unmöglich ist, vor Gott wegzulaufen, erweist sich auch dieser Fluchtversuch als gescheitert. Und so erscheint es konsequent, dass Jona unmittelbar darauf durch eine Hungersnot zur Rückkehr nach Juda gezwungen wird.
Die Identifizierung Jonas mit dem in 1Kön 17
Ein Beispiel dafür, wie Jona durch die Verbindung von Verschlingungsmotiv und Identifizierung mit dem Sohn der Witwe von Zarpat als Symbolgestalt für das Erlangen neuen und unvergänglichen Lebens aus dem Tod gezeichnet wurde, bildet folgende Stelle aus dem Midrasch zu den Psalmen:
„Der Sohn der Witwe von Çarpath, das ist der (Prophet) Jona ben Amitthai, der lebte als vollkommener Gerechter; er wurde durch das Verschlingen seitens der Fische (sic!) u. in den Wassertiefen geläutert (…) u. starb nicht, sondern ‚Jahve gebot dem Fisch, u. dieser spie Jona aufs trockene Land, Jona 2,11, u. er ging bei Leibesleben in den Gan Eden ein“ (Strack / Billerbeck IV/2, 1134).
Eine kurze Erklärung verdient die merkwürdige Aussage, dass Jona „seitens der Fische (Plural!)“ verschlungen worden sei. Dahinter steht offenbar eine auch im Midrasch Jona greifbare Auslegungstradition, nach der der Prophet nacheinander von zwei Fischen verschlungen wurde. Diese Interpretation geht von einer Auffälligkeit des biblischen Textes aus: Das hebräische Wort für „Fisch“ ist nämlich in Jon 2,1
8.2. Jona im Christentum
8.2.1. Neues Testament
Im Neuen Testament wird Jona in Mt 12,38-41
1) Das „Zeichen des Jona“
In Mt 12,38-40
Die ursprüngliche Bedeutung der Rede vom „Zeichen des Jona“ stellt sich unterschiedlich dar, je nachdem, ob man die Deutung auf Jesu Tod und Auferstehung als ursprünglichen Bestandteil ansieht oder nicht. Bultmann betrachtet sie als „ganz sekundäre Gemeindebildung“ (124; vgl. 133; 162; Wiefel, 241f.). Dann hätte die Lukas-Fassung die ältere, möglicherweise auf Jesus selbst zurückgehende Version bewahrt, deren Sinn vielleicht so zu bestimmen ist: „Wie Jonas aus dem fernen Lande zu den Niniviten kam, so wird der Menschensohn aus dem Himmel zu diesem Geschlecht kommen; d.h. das geforderte Zeichen für die Predigt Jesu ist der Menschensohn, wenn er zum Gericht kommt“ (Bultmann, 124).
Möglicherweise bezieht sich die Rede vom Menschensohn aber nicht auf den kommenden, sondern auf Jesus als den gegenwärtigen Menschensohn. Dann wäre bei dem „Zeichen des Jona“ auch nicht an das Kommen aus der Ferne gedacht, sondern „an die Bußpredigt des Propheten (…), die das ungläubige Volk in letzter Stunde zur Entscheidung ruft“. Mit ihr wird Jesu Predigt unter seinen (als letzte Generation verstandenen) Zeitgenossen gleichgesetzt (Wiefel, 241; vgl. auch Klein, 420).
Schließlich besteht die Möglichkeit, dass das Zeichen des Jona von Anfang an auf den Tod und die Auferstehung Jesu bezogen war, auch in Lk 11,30
Je nachdem, wie man in diesen Fragen entscheidet, stand der alttestamentliche Prophet in der Rede vom „Zeichen des Jona“ also ursprünglich für einen Gottgesandten aus unerreichbarer Ferne, oder er galt als Inbegriff des Bußpredigers oder auf Grund des Verschlingungserlebnisses als Symbolgestalt für den Weg durch den Tod zu neuem Leben.
Nach Mt 12,40
2) Die Niniviten als Vorbild der Buße
In Mt 12,41f
8.2.2. Darstellung in der Kunst
In der christlichen Kunst erscheint Jona vor allem als Symbol der Auferstehung und des seligen Nachlebens. Inwiefern darin eine Aufnahme der Rede vom „Zeichen des Jona“ vorliegt, ist allerdings gerade für altkirchliche Jonadarstellungen nicht sicher.
In der frühchristlichen Grabkunst gehören Jonadarstellungen zu den zeitweise beliebtesten Motiven. Dargestellt sind Meerwurf und Verschlingung durch den üblicherweise als drachenartiges Ungeheuer dargestellten großen Fisch sowie die Ausspeiung und die Ruhe Jonas in der Kürbislaube (vgl. Steffen, 1963, Tafel V [nach S. 112]; Paul, 416; Engemann, 690f.). Die Laube ist aus der Hütte und dem Rizinus in Jon 4
Dass der Fisch als Ungeheuer dargestellt ist und Jona in einer Kürbislaube ruht, entspricht der Übersetzung der Septuaginta. Diese bezeichnet den großen Fisch (hebr. דג גדול; dāg gādôl) als κη̃τος (kētos) und verwendet damit eine Vokabel, die auch für Seeungeheuer stehen kann. Darüber hinaus übersetzt sie קיקיון qîqājôn → „Rizinus
Allerdings ist trotz der Verbindung zu Septuaginta und Peschitta zu berücksichtigen, dass sich die Ruhe des Geretteten in der Kürbislaube von Jon 4
Dass der durch Verschlingung und Rettung hindurchgegangene Jona zum Symbol eines aus dem Tod hervorgegangenen seligen Lebens wurde, entspricht immerhin in der Logik dem „Zeichen des Jona“ von Mt 12,40
Die häufigen Darstellungen des ruhenden Jona entsprechen weder der biblischen Schilderung noch der altkirchlichen Jonaauslegung, die stärker an Jona als Bußprediger interessiert war. Sie gehören damit in den Bereich der frühchristlichen Frömmigkeit, nicht der Theologie (vgl. Wischmeyer, 168; 177). Allerdings machte sich ab der zweiten Hälfte des 3. Jh.s ein biblisch-theologischer Einfluss auf die Jonadarstellungen geltend, indem nun auch der unter der vertrockneten Laube sitzende „Jona irritatus“ in den Katakomben dargestellt wird (vgl. Wischmeyer, 170). In der mittelalterlichen Kunst ist dann die typologische Deutung von Verschlingung und Ausspeiung Jonas „sehr häufig verbildlicht“ (Engemann, Sp. 693). Dargestellt wird nicht mehr die Ruhe Jonas, sondern etwa der Meerwurf in Verbindung mit dem Brunnenwurf Josefs (Gen 37
Auf Grund seiner Verbindung mit der Rettung aus dem Tod bzw. Auferstehung ist Jona auch seit der Zeit der Alten Kirche bis in die Moderne symbolhaft mit der Taufe verbunden worden (vgl. Steffen, 1963, 132-134).
In manchen Kirchen (z.B. St. Maria im Kapitol, Köln; Stiftskirche von Bad Gandersheim) finden sich im Übrigen Walknochen, die – auch wenn über die Herkunft und Aufstellungsabsicht wenig bekannt ist – gerne mit der Jona-Erzählung in Verbindung gebracht werden.
8.3. Jona im Islam
8.3.1. Jona im Koran
1) Überblick
Im Koran wird Jona unter der arabisierten Namensform jûnus erwähnt, die letztlich auf das ’Ιωνᾶς (jōnâs) der Septuaginta zurückgehen wird, wobei eine Vermittlung über das Äthiopische oder Christlich-Palästinische anzunehmen ist (vgl. dazu Tottoli, 63 Anm. 61 [Lit!]; Heller / [Rippin], 347).
Jona ist der einzige Buchprophet der Bibel, der im Koran (Text Koran
Jona ist in sechs Suren erwähnt. In Sure 4,163; 6,86 wird allerdings nur sein Name in Aufzählungen biblischer Gestalten (Jesus, Hiob, Aaron, Ismael, Elisa, Lot u.a.) genannt, die zu den Mohammed vorangehenden Gesandten und Propheten gerechnet werden. Die 10. Sure trägt Jonas Namen. Zum Überblick über die Jonabelege des Korans vgl. Thyen, 172-175; Hoheisel, 618f.; Tottoli, 42f. m. Anm. 61 (Lit!).
Die Jonabelege in Sure 10,98 sowie 21,87f. und 37,139-148 gehören nach der immer noch als Standardwerk geltenden „Geschichte des Qorans“ von Th. Nöldeke sämtlich der mekkanischen Periode vor der Auswanderung (hiǧra) nach Medina an (zur Chronologie der Suren vgl. Nöldeke / Schwally, 58ff.). Die Intention der mekkanischen Suren „ist die Bekehrung der Menschen zum einen, wahren Gotte und (…) zum Glauben an die Auferstehung der Toten und das Gericht am jüngsten Tage“ (Nöldeke / Schwally, 71).
Die Erwähnung Jonas in Sure 68,48-50 bildet einen Einschub in eine mekkanische Sure, der möglicherweise erst der medinensischen Periode angehört.
2) Sure 10
In Sure 10,98 heißt es:
„Wenn doch (irgend)eine Stadt geglaubt hätte, so daß ihr Glaube ihr genützt hätte! (Keine tat es), außer dem Volk des Jonas. Als diese geglaubt haben, haben Wir die Pein der Schande im diesseitigen Leben von ihnen aufgehoben und ihnen eine Nutznießung für eine Weile gewährt“ (Übersetzung von Khoury).
Ausgehend vom Wunsch, die Mekkaner zur Umkehr und zum Glauben an den einen Gott aufzurufen, wird „das Volk des Jonas“ als einziges Beispiel für eine Gemeinschaft genannt, die auf die Verkündigung eines Propheten hin geglaubt hat – anders als die Mekkaner. Die folgenden Verse unterstreichen freilich, dass es allein bei Gott liegt, ob sich Menschen bekehren oder nicht. Dass dem Volk des Jona die Fürsorge Gottes nur „eine Weile“ (oder: „eine Zeit lang“) galt, lässt vielleicht ein Wissen darum erkennen, dass Ninive schließlich doch zerstört wurde (so Speyer, 410).
Wenn aber eine konkretere Vorstellung über Ninive im Hintergrund steht, bleibt zu erklären, dass die Niniviten „Volk“ oder „Leute“ bzw. „Stammesgenossen“ (arab. qawmun) des Jona genannt werden. Wenn die Tradition über das Jonagrab auf einem der Hügel im Bereich des antiken Ninive bereits vorislamisch sein sollte (zu dieser Grabtradition vgl. Steffen, 1994, 127f.; auch Parrot, 8 m. Tafel I a [nach S. 16]), könnte diese Bezeichnung der Niniviten damit zusammenhängen. Das Vorhandensein des Grabes mag dahin gedeutet worden sein, dass Jona bis zu seinem Tod in Ninive geblieben und insofern ein Ninivit geworden war. Der Ursprung dieser Grabtradition ist allerdings unbekannt, seit dem 14. Jh. ist es aber das von den Muslimen am meisten verehrte Jonagrab (Hoheisel, 620).
3) Sure 21
Jona wird darüber hinaus in der 21. Sure erwähnt, die den Titel „Die Propheten“ (’al-’anbijâ’) trägt. Als Zweck prophetischer Aufgabe wird in V. 25 genannt: „Und Wir haben keinen Gesandten vor dir [=vor Mohammed] geschickt, dem Wir nicht offenbart hätten: ‚Es gibt keinen Gott außer Mir, so dienet Mir“ (Khoury). Mohammed, wegen der Verkündigung des einen wahren Gottes in Mekka angefeindet, stellt sich in die Traditionslinie dieser vorausgegangenen Gesandten und Propheten (vgl. Hoheisel, 611). In 21,87f. heißt es:
„Und (erwähne) den Mann mit dem Fisch. Als er erzürnt wegging und meinte, Wir könnten ihn nicht überwältigen. Und er rief in den Finsternissen: ‚Es gibt keinen Gott außer Dir. Preis sei Dir! Ich war einer von denen, die Unrecht tun’. Da erhörten Wir ihn und erretteten ihn aus der Trübsal. So retten Wir die Gläubigen“ (Khoury).
Die Jona-Passage der Prophetensure setzt mit dem Fluchtversuch ein, den Jona in Verkennung der Allmacht Gottes unternahm. Im Inneren des Fischs („in den Finsternissen“) bekennt sich der Flüchtige allerdings zur Einzigkeit Gottes und zu dem Unrecht, das er getan hatte. Das Bekenntnis ersetzt den Dankpsalm der biblischen Jonaerzählung. Darin entspricht die koranische Darstellung der jüdischen Tradition, die – offenbar, weil das Beten des Dankliedes vor dem Wiedererreichen des Festlandes als unpassend galt – den Jonapsalm in ein Schuldbekenntnis und einen Hilferuf umdeutet (vgl. dazu oben 8.1.4.). Darin, dass die Rettung durch Gott als Antwort auf das Gebet im Inneren des Fischs verstanden wird, entspricht der Koran dem Midrasch Jona, in dem es heißt, Gott habe den flüchtigen Propheten im Leib des Fischs eingeschlossen, „bis er zu dem Heiligen, geb. sei er!, schrie“ (Wünsche, 39).
Indem Sure 21 aber dem Schuldbekenntnis ein Bekenntnis zur Einzigkeit Gottes voranstellt, ordnet sie Jona in die Reihe der Propheten ein, deren Aufgabe ja in der Verkündigung des einzigen Gottes besteht. Dem Bekenntnis folgt die Rettung, so dass Jona zum Beispiel eines Sünders wird, der durch Umkehr zu Gott ein Gläubiger wird und Gottes Rettung erfährt.
4) Sure 37
Eine interessante, weil auf viele Einzelheiten der biblischen Erzählung zurückgreifende Rezeption der Jonageschichte findet sich in 37,139-148. Auch in Sure 37 beruft sich Mohammed in seiner Auseinandersetzung mit den Mekkanern auf die Traditionslinie der biblischen Propheten. Dabei heißt es:
„Auch Jonas war einer der Gesandten. Als er zum vollbeladenen Schiff davonlief. [sic!] Er warf Lose und wurde einer der Unterlegenen. Der Fisch verschlang ihn, der sich Tadel zugezogen hatte. Und wäre er nicht einer von denen geworden, die (Gott) preisen, wäre er in seinem Bauch geblieben bis zu dem Tag, an dem sie auferweckt werden. Da warfen Wir ihn auf das kahle Land; dabei war er krank. Und Wir ließen eine Kürbisstaude über ihm wachsen. Und Wir sandten ihn zu Hunderttausend oder gar mehr. Da glaubten sie. Und Wir gewährten ihnen Nutznießung für eine Weile“ (Khoury).
Mit der biblischen Erzählung stimmen folgende Elemente überein: Das Vollbeladensein des Schiffs (37,140; vgl. Jon 1,5
Die Darstellung zeichnet Jona erneut als Beispiel für einen reuigen Sünder, der zum Gläubigen wird und die Fürsorge Gottes erfährt. Mit dem Preisen Gottes, zu dem Jona im Leib des Fischs fand, ist sicher wie in 21,87 ein Bekenntnis zum einzigen Gott gemeint. Die Fürsorge Gottes zeigt sich darin, dass er über den Geretteten, der „auf das kahle Land“ geworfen krank daliegt, die Kürbisstaude wachsen lässt. Zum anderen hält die Sure wiederum den Mekkanern die Niniviten beispielhaft vor Augen als eine Gemeinschaft, die auf prophetische Verkündigung hin an Gott glaubte. Das Ende der Jonapassage aus Sure 37 erinnert an 10,98.
Da Jona hier in eine Traditionslinie der Vorgänger Mohammeds eingeordnet wird, so dass es bei seiner Verkündigung letztlich um nichts anderes als um die Einzigkeit Gottes und die Bekehrung der Menschen zu diesem einzigen Gott geht, fehlen trotz der bis in Einzelheiten reichenden Gemeinsamkeiten wesentliche Züge der biblischen Erzählung. Themen wie die Reue Gottes oder die Berechtigung der Begnadigung Ninives kommen nicht vor. Die Person des biblischen Propheten ist zwar als bußfertiger Sünder gezeichnet, nicht aber als ein Charakter, der zwischen Frömmigkeit, Verzweiflung und Widerstand zerrissen ist. Sein Fluchtversuch wird nicht begründet, und die Kürbisstaude als Wiedergabe des Rizinus wird nur als Wohltat erwähnt. Von ihrem allzu schnellen Vergehen und der theologischen Lehre, die sich für Jona daraus ergeben soll, ist nicht die Rede. Dabei scheint die koranische Darstellung im Blick auf die Staude, unter der sich der Gerettete zunächst erholen darf, von der Tradition beeinflusst zu sein, die auch in dem aus der frühchristlichen Grabkunst geläufigen Motiv des in der Kürbislaube ruhenden Jona greifbar ist (vgl. dazu 8.2.2.). Von hier aus mag auch die allgemein übliche, aber wohl nicht gesicherte Identifizierung der Pflanze (arab. jaqṭînun) mit einem Kürbis berechtigt sein. Die koranische Darstellung mag wie bei dem Namen jûnus so auch bei der Bestimmung der Pflanze über Zwischenstationen von der Septuaginta beeinflusst sein.
5) Sure 68
Schließlich wird in Sure 68,48-50 wieder an die misslungene Flucht Jonas erinnert mit einem besonderen Akzent auf seinem eigenwilligen Handeln:
„So sei geduldig, bis das Urteil deines Herrn eintrifft [=das Urteil über diejenigen, die die Verkündigung Mohammeds für eine Lüge halten, denen aber jetzt noch Aufschub gewährt wird]. Und sei nicht wie der mit dem Fisch, als er voller Gram (zu Gott) rief. Und hätte ihn nicht eine Gnade von seinem Herrn rechtzeitig erreicht, wäre er auf das kahle Land geworfen worden und hätte sich Tadel zugezogen. Da erwählte ihn sein Herr und machte ihn zu einem der Rechtschaffenen“ (Khoury).
Die 68. Sure gehört nach islamischer Tradition zu den ältesten. Sie wird üblicherweise chronologisch unmittelbar nach der 96. Sure eingeordnet, die als Niederschlag der Berufung Mohammeds gilt. Der Grundbestand der 68. Sure wird in der Tat in die Frühzeit gehören, wenn auch die Reaktion auf die Gegner Mohammeds, die ihn für besessen (V. 2; 51) oder für einen Lügner halten (V. 8) kaum an den ersten Anfang seiner Verkündigung gehört (so auch Nöldeke / Schwally, 96).
Die kritische Erwähnung Jonas als – negatives! – Vorbild zerreißt aber den Zusammenhang der VV. 47 und 51 mit ihren Vorwürfen gegen die Mekkaner und ist somit eindeutig ein Einschub, in dem Mohammed ermahnt wird, nicht eigenwillig zu handeln wie Jona, dem gerade das fast zum Verhängnis geworden wäre. Aber er rief dennoch „voller Gram“ (Khoury) zu Gott. Vielleicht ist die Aussage auch konkret zu verstehen, so dass Jona als Verschlungener (arab. maẓûm zu kaẓama – „verhehlen / unterdrücken / an sich halten“; daher Nagel, 87: „hinuntergeschluckt“), zu Gott rief. Jedenfalls wurde das Rufen gehört und Jona gerettet. Dabei ist jedoch interessant, dass an dieser Stelle die Rettung nicht darin gesehen ist, dass Jona überhaupt wieder von dem Fisch ausgespieen wird, sondern darin, dass er nicht auf das kahle Land geworfen und dass er erwählt und zu einem Rechtschaffenen gemacht wird. Nachvollziehbar wird dieses Verständnis der Rettung, wenn man um die Version der Jonageschichte aus Sure 37 weiß. Nach 37,145f. wird Jona zwar in der Tat auf das „kahle Land“ geworfen, aber Gott überlässt ihn dort nicht sich selbst, sondern er lässt die Kürbisstaude über ihn wachsen; dann wird er zu den „Hunderttausend oder gar mehr“ gesandt (37,147). Man darf wohl voraussetzen, dass diese Version der Rettung Jonas hinter den skizzenhaften Aussagen von Sure 68 steht. Dann wäre auch hier an die Kürbisstaude zu denken, die den Aufenthalt auf dem kahlen Land erträglich macht; und dass Jona erwählt und zu einem Rechtschaffenen gemacht wird, bezieht sich auf die Sendung nach Ninive.
Das Besondere des Jonabildes aus Sure 68 besteht darin, dass Jona an dieser Stelle nicht als positives Vorbild für einen bußfertigen, bekehrten und daraufhin geretteten Sünder erscheint wie an den zuvor besprochenen Stellen. Wie bereits erwähnt, sind diese Stellen nach gängiger Auffassung vor dem Hintergrund der Auseinandersetzungen in Mekka vor der hiǧra zu verstehen. In diesen Auseinandersetzungen rang Mohammed um Buße und Bekehrung der Mekkaner, daher konnte nicht nur der bußfertige Jona selbst als Vorbild genannt werden, sondern auch die Niniviten, die sich ja auf seine Verkündigung hin bekehrten. In Sure 68,48-50 geht es jedoch um eine Mahnung zu Geduld und vertrauendem Abwarten. Dann muss aber der eigenwillige, fliehende Jona in erster Linie als negatives Vorbild in den Blick kommen.
Die Auseinandersetzung mit den Mekkanern ist auch im ursprünglichen Bestand der 68. Sure greifbar. Wenn nun der Einschub der VV. 48-50 aber nicht wie die anderen mekkanischen Suren an das positive Vorbild Jonas erinnert, sondern unter Verweis auf sein Negativbeispiel zur Geduld ermahnt, könnte das ein Hinweis darauf sein, dass eine Ergänzung aus der medinensischen Periode mit ihrem veränderten Problemhorizont vorliegt. Für eine medinensische Datierung des Einschubs lässt sich auf parallele Ergänzungen in anderen Suren verweisen (so Nagel, 87; bei Nöldeke / Schwally, 96, wird der Einschub einer späteren mekkanischen Periode zugeordnet).
6) Zusammenfassung
Es ist also festzuhalten, dass Mohammed sich gegenüber den Angriffen der Mekkaner auf eine prophetische Traditionslinie berief, zu der er eine Reihe von biblischen Gestalten rechnete, darunter auch – als einzigen Buchpropheten – Jona. Jona wird als Vorbild für einen Sünder gezeichnet, der sich aber zu Gott bekehrt und dadurch Gottes Fürsorge und Erwählung erfährt. Zugleich gilt Ninive als Vorbild für eine Stadt, die sich auf die Verkündigung eines Propheten hin bekehrt.
Konkrete Übereinstimmungen mit der biblischen Erzählung bestehen in Jonas Flucht, Verschlingung und Rettung. Dass die Verschlingungsepisode als das hervorstechende Moment der Jonageschichte wahrgenommen wurde, zeigt sich, wenn Jona ohne Namensnennung als „der (Mann) des Fischs“ (21,87: ḏâ’n-nûni) bzw. „der Gefährte des großen Fischs“ oder „Walfischs“ (68,48: ṣâḥibu’l-ḥûti) eingeführt wird. Übereinstimmung besteht auch in der Umkehr Ninives; und möglicherweise ist die Terminierung der Rettung der Stadt auf eine gewisse Zeit (10,98; 37,148) von dem Wissen darum bestimmt, dass Ninive nach der Zeit Jonas doch zerstört wurde.
Als bekehrter Sünder kann Jona allerdings nur deshalb paradigmatisch wahrgenommen werden, weil das Gebet im Leib des Fischs im Unterschied zur Bibel kein Danklied für die schon geschehene Rettung ist, sondern als Buße und Bekehrung künftiger Rettung vorausgeht (21,87; 37,143ff.; 68,49).
Ein weiterer Unterschied zur biblischen Darstellung besteht darin, dass die dem Rizinus entsprechende Kürbisstaude nur als Wohltat gegenüber dem Geretteten dargestellt wird. Ein unerwartet frühes Verdorren und eine daraus gefolgerte theologische Lehre kommt nicht vor. In diesem Punkt scheint Abhängigkeit von dem in der frühchristlichen Grabkunst so häufigen Motiv des in der Kürbislaube ruhenden Jona vorzuliegen. Dann aber fällt auf, dass nach Darstellung von Sure 37 die Staude wohl ein Bild der Fürsorge Gottes gegenüber dem Geretteten ist – Jona darf sich offenbar unter ihr ausruhen –, dass hier aber kein Bild eines durch den Tod hindurchgegangenen unvergänglichen Lebens vorliegt. Anders als in der jüdischen und christlichen Rezeption kommt Jona im Koran nicht als Beispiel für Auferstehung oder seliges Nachleben vor.
In 68,48-50, einem vielleicht medinensischen Zusatz zu der wohl recht frühen mekkanischen Sure 68, wird Jona im Unterschied zu den anderen Stellen als negatives Vorbild der Ungeduld und des Eigenwillens herangezogen.
8.3.2. Jona in der außerkoranischen islamischen Tradition
In der dem Koran untergeordneten, aber dennoch religiös außerordentlich bedeutenden Überlieferung von Worten und Taten Mohammeds (ḥadîṯ) wird Jona in einem Wort erwähnt, in dem Mohammed es ablehnt, höher geachtet zu werden als andere Propheten. Er sei nicht bedeutender als Mose oder Jona. Das Wort mag – je nach Übersetzung – besagen, „that he [=Mohammed] is not more prominent than Moses nor even than a figure of secondary importance such as Jonah“ (Tottoli, 111f.; vgl. auch Heller / [Rippin], 348), oder es mag eine besondere Hochschätzung Jonas ausdrücken, der neben Mose gestellt wird und den Mohammed in besonderer Weise als Vorbild ansah (vgl. Hoheisel, 620).
In der islamischen Tradition sind auch „reich ausgesponnene Legendenkränze“ über Jona (Hoheisel, 620) bekannt, in denen Elemente des biblischen Jon anklingen, die im Koran nicht vorkommen. Teilweise ist Vermittlung durch jüdische Jonatraditionen und Jonalegenden anzunehmen (vgl. Heller / [Rippin], 348).
8.4. Mit Jona verbundene Ortstraditionen
Es wurde schon erwähnt, dass die Muslime auf dem Gebiet des antiken Ninive ein Jonagrab verehren, über dem eine Moschee errichtet ist.
Jonagräber werden allerdings auch in Palästina verehrt. Ein Jonagrab findet sich in dem Ort ḥalḥûl zwischen Jerusalem und Hebron (vgl. Abel, 180f.; Joachim Jeremias, 1958, 88-90; Keel / Küchler, 669f.; Steffen, 1994, 126), ein weiteres in el-mešhed in der Nähe von Sepphoris in Galiläa, wo Gat Hepher, der in 1Kön 14,25
Ein christliches Jonaheiligtum lag wenige Kilometer südlich von Jaffa, wo sich an der Küste ein tell jûnis befindet, auf dem noch im 19. Jh. die Reste einer kleinen Basilika zu sehen waren. Der Hügel entspricht wohl dem auf der Madabakarte verzeichneten Ort einer Jona-Kirche. Nach der Karte befindet er sich in der Nähe eines in der Küstenebene gelegenen Ortes Gat bei Diospolis / Lydda. Nach dem Prolog von Hieronymus’ Jona-Kommentar wurde dieser Ort von einigen – zu seiner Zeit wahrscheinlich von den Christen – für die Heimat des Propheten gehalten, und zwar in Konkurrenz zu dem galiläischen Gat Hepher bei Sepphoris, wo die Juden das Jonagrab verehrten (vgl. dazu Abel, 180; Joachim Jeremias, 1958, 24f.; Keel / Küchler, 30). Der Ort Gat bei Lydda mag als Heimatort Jonas gegolten haben; die Lage der Kirche auf dem Hügel über der Küste in der Nähe von Jaffa, wo Jona nach Jon 1,3
Ergänzend sei erwähnt, dass der heute vor allem durch ein großes palästinensisches Flüchtlingslager medial bekannte Ort chân jûnis („Herberge des Jona“), die zweitgrößte Stadt im Gazastreifen, wahrscheinlich keine Verbindung zum Propheten Jona hat. Keel / Küchler, 106 erwähnen für diesen Ort die Reste einer mittelalterlichen Karawanserei (daher: chân), aber kein Jonaheiligtum. Nach Abel, 175 erinnert der Name möglicherweise an den Gründer der dortigen Moschee, einen Beamten des Mameluckensultans Barquq (1382-1399).
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Abbildungsverzeichnis
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- Seeleute werfen Jona über Bord (Marcellino-Katakombe; 3. Jh.).
- Der Fisch spuckt Jona an Land (Jan Bruegel d. Ä; ca. 1600).
- Jona predigt den Ninivitern (Gustave Doré; 1883).
- Jona vor den Mauern von Ninive (Rembrandt; 1654/55).
- Seeleute werfen Jona über Bord (Bible des Sauvigny; 12. Jh.).
- Seeleute werfen Jona über Bord (Stuttgarter Psalter; 9. Jh.).
- Der Fisch spuckt Jona an Land (Stuttgarter Psalter; 9. Jh.).
- Der Fisch spuckt Jona an Land (Handschrift der Biblioteca Vaticana; 10. Jh.).
- Jona als Typos der Auferstehung und Simson, der die Tore von Gaza sprengt wie Christus die der Hölle (Biblia pauperum; Codex Palatinus Latinus 871, fol. 16r; 15. Jh.).
- Walknochen in St. Maria im Kapitol, Köln. © Tatiana Inyutina
- Jona und der Fisch (Bagdad; 1600).
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