Kain und Abel
(erstellt: Mai 2007; letzte Änderung: April 2010)
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1. Die literarische Gattung
Die Erzählung von Kain und Abel in Gen 4,1-16
Die Zugehörigkeit der Kain-und-Abel-Erzählung zu der zweipoligen biblischen Urgeschichte hat für die Textinterpretation zur Folge, dass Gen 4,1-16
2. Der Kontext
Literarisch sind die Ausführungen der biblischen Urgeschichte auf zwei Überlieferungsstränge (vorpriesterschriftlich; priesterschriftlich) verteilt. Die Kain-und-Abel-Erzählung gehört zu der älteren, vorpriesterschriftlichen Darstellung. Diese beginnt mit der Erschaffung des Menschen als des Repräsentanten Gottes im Garten Eden (Gen 2
3. Die theologische Aussage
Die stolze Behauptung der Frau (Eva), mit der Geburt des Kain einen „Mann geschaffen“ zu haben, ist nicht Ausdruck eines Jubels oder Lobrufes, sondern, worauf der Schöpfungsterminus „geschaffen“ (hebräisch qnh) verweist, Anzeichen für ein erwachendes Bewusstsein des Menschen von den Möglichkeiten der eigenen schöpferischen Potenz, weshalb der Verfasser den Schöpfungsterminus qnh im Namen des erstgeborenen Sohnes Kain (qjn) nachklingen lässt.
Die im Hebräischen unsichere Deutung des Namens Kain (Westermann, Genesis, 394; → Keniter
Dass die Selbstrühmung der Frau eine Initiative des Menschen im Kontrast zu Jahwe bedeutet, zeigt sich auch in der Bewertung der Geburt des zweiten Sohnes, der zwar ausdrücklich als Bruder Kains eingeführt, dem aber, seine Existenz gleichsam geringschätzend, der Name Abel (hæbæl) beigelegt wird, der „Windhauch“ bedeutet (→ Eitelkeit / Windhauch
Die Berufe Ackerbauer und Hirt, welche die beiden Brüder ausüben, entsprechen wohl kulturgeschichtlich den beiden Grundberufen der Menschheit, sind aber in einem urgeschichtlichen Kontext typologisch auszuwerten und wollen den nachfolgenden Konflikt begreiflich machen. Für Kain, den Ackerbauer, ist die Konzentration auf den Lebensraum, dessen Kraft er sich dienstbar machen will, entscheidend; das Hirtesein Abels hingegen bildet im Kontext von Gen 2
Auch das Opfer der beiden Brüder spiegelt die unterschiedliche Einstellung dem Schöpfergott gegenüber wider. So wird, was in der Exegese zu dieser Stelle zumeist unberücksichtigt bleibt, allein das Opfer Abels als ein Erstlingsopfer (bəkhorāh) qualifiziert (→ Erstlinge
Da aber dem Schöpferwillen Jahwes gemäß das Bruderverhältnis mit in die Entfaltung des Menschen in der Geschichte gehört, tritt Jahwe dem Brudermörder mit einer schuldaufdeckenden Frage als Anwalt Abels entgegen. Kain jedoch bestreitet die ihm aufgegebene Hinwendung zum Bruder und leugnet infolge seiner Verhärtung in der Sünde die eigene Schuld (Gen 4,9
Das Strafurteil Jahwes ergeht in Form eines → Tun-Ergehen-Zusammenhangs
Stellt man die Überlieferungsgeschichte der Urgeschichte in Rechnung, so ist Gen 4 ursprünglich die Fortsetzung von Gen 2 und hat als Sündenfallgeschehen auf der horizontalen Ebene (Ausbruch der Gewalt dem Mitmenschen gegenüber) das Verlassen des Edengartens zur Folge. Die jüngere Darstellung Gen 3, die den Sündenfall auf der vertikalen Ebene (Urlüge Gott gegenüber) behandelt, stellt als Folge dessen die Vertreibung des Menschen aus Eden (Gen 3,24
Im Kontext der biblischen Urgeschichte weist die Kain-und-Abel-Erzählung darauf hin, dass der Mensch nicht nur Adam, sondern auch Kain und Abel ist. Steht Adam für den von Gott geschaffenen und zu einer Geschichte der Führung mit ihm bestimmten Menschen, der sich aber als anfällig für das Böse erweist (Gen 2-3
4. Die biblische Rezeption
Die alt- und neutestamentliche Deutung des Bruderpaares im Horizont des Kontrastschemas von Abel, dem Gerechten, und Kain, dem Frevler, liegt ganz auf der Linie des Offenbarungszeugnisses von Gen 4
Literaturverzeichnis
1. Kommentare
- Ruppert, L., 2. Aufl. 2003, Genesis. Ein kritischer und theologischer Kommentar. 1. Teilband: Gen 1,1-11,26 (fzb 70), Würzburg
- Seebass, H., 1996, Genesis I. Urgeschichte (1,1-11,26), Neukirchen-Vluyn
- Westermann, C., 3. Aufl. 1983, Genesis (BK I/1), Neukirchen-Vluyn
- Zimmerli, W., 3. Aufl. 1967, 1. Mose. Die Urgeschichte (ZBK), Zürich
2. Weitere Literatur
- Bader, D. (Hg.), 1983, Kain und Abel. Rivalität und Brudermord in der Geschichte des Menschen (Schriftenreihe der Katholischen Akademie der Erzdiözese Freiburg), Freiburg
- Brandscheidt, R., 1997, Kain und Abel – Die Sündenfallerzählung des Jahwisten in Gen 4,1-16, TThZ 106, 1-21
- Dietrich, W., 1977, „Wo ist dein Bruder?“ Zu Tradition und Intention von Gen 4, in: Donner, H. / Hanhart, R. / Smend, R. (Hgg.), Beiträge zur alttestamentlichen Theologie (FS W. Zimmerli), Göttingen, 94-111
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- Görg, M., Kain und das „Land Nod“, BN 71, 1994, 5-12
- Haag, E., 1989, Die Ursünde und das Erbe der Gewalt im Licht der biblischen Urgeschichte, TThZ 98, 21-38
- Haag, E., 3. Aufl. 2000, Art. Urgeschichte, in: LTHK Bd. 10, Freiburg, Sp. 468-469;
- Janowski, B., 2003, Jenseits von Eden. Gen 4,1-16 und die nichtpriesterliche Urgeschichte; in: A. Lange / H. Lichtenberger / K.F.D. Römerheld (Hgg.), Die Dämonen. Die Dämonologie der alttestamentlich-jüdischen und frühchristlichen Literatur im Kontext ihrer Umwelt, Tübingen 2003, 137-158 (auch in: B. Janowski, Der Gott des Lebens. Beiträge zur Theologie des Alten Testaments 3, Neukirchen-Vluyn 2003, 134-156)
- Spina, F.A., 1992, The „Ground“ for Cain’s Rejection (Gen. 4) in the Context of Gen. 1-11, ZAW 104, 319-333
- Vogels, W., 1992, Cain: l’être humain qui devient une non-personne, NRT 114, 321-340
- Wolde, E. van, 1991, The Story of Cain and Abel, JSOT 52, 25-41
Abbildungsverzeichnis
- Kain ermordet seinen Bruder (Rubens 1577-1640).
- Abels Opfer findet Gottes Wohlgefallen, Kains dagegen nicht (Matthäus Merian d. Ä.; 1625-1630).
- Kain ermordet seinen Bruder (Lovis Corinth, 1917).
- Adam und Eva finden den Leichnam Abels (William Blake, ca. 1825).
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