Kalender (AT)
(erstellt: November 2017)
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→ Chronologie innerhalb des AT
1. Kalender in Israel und seiner Umwelt
1.1. Grundsätzliches
Als Kalender bezeichnet man gemeinhin eine übersichtliche Darstellung von Tagen, Wochen und Monaten eines Jahres. Der Begriff Kalender ist etymologisch von den römischen Kalenden (lat. calendae) abgeleitet, womit der erste Tag des Monats im römischen Kalender bezeichnet wurde, der auch als Zahltag galt. Ein Calendarium war dementsprechend ein Verzeichnis der Kalenden. Im Laufe der Menschheitsgeschichte sind zahlreiche Kalendersysteme entstanden. Heute hat sich global gesehen vor allem der sog. gregorianische Kalender in internationaler Wirtschaft, Politik, Verkehr etc. durchgesetzt.
Prinzipiell unterscheidet man vier verschiedene astronomische Kalendersysteme:
1.2. Lunar- oder Mondkalender
Dieser Kalender ist ausschließlich am Mondlauf orientiert und wird auch als ungebundener oder freier Mondkalender bezeichnet. Der Mond ist das Kalendergestirn par excellence, da die für jedermann sichtbaren Mondphasen besonders gut und zuverlässig zur Zeiteinteilung geeignet sind. Der synodische Monat – die Periode einer Mondphase – hat eine mittlere Länge von 29,53059 Tagen. Die 12 Mondmonate werden daher im Kalender abwechselnd mit 29 und 30 Tagen angeordnet, so dass sich eine Jahreslänge von 354 Tagen ergibt, also ca. 11 Tage kürzer als das Sonnenjahr. Da die genaue Länge des Mondjahres 354,3671 Tage beträgt, muss alle drei Jahre noch ein Schalttag eingefügt werden. Den Monatsbeginn markiert die erste Beobachtung der Neumondsichel am Westhorizont in der Abenddämmerung. Ein heute noch praktizierter ungebundener Lunarkalender ist der islamische Kalender. Da in diesem religiösen Kalender kein Ausgleich mit dem Sonnenjahr (Interkalation) vorgenommen wird, wandern die Kalenderdaten in etwa 34 Jahren einmal rückwärts durch ein Sonnenjahr, z.B. der islamische Fastenmonat Ramadan.
1.3. Lunisolarkalender und Interkalation
Dieser Wandeljahreffekt wird im Lunisolarkalender bzw. gebundenen Lunarkalender durch die regelmäßige Einfügung von Schaltmonaten vermieden, wodurch eine Angleichung an das Sonnenjahr und an die Jahreszeiten erreicht wird. Dies ist besonders für von der Landwirtschaft geprägte Gesellschaften wichtig. Bei der einfachsten Schaltung fügt man alle drei Mondjahre einen zusätzlichen Schaltmonat ein, was allerdings noch relativ ungenau ist. Deshalb wurden bessere Schaltzyklen entwickelt, z.B. der 8-jährige Zyklus (Oktaeteris) oder der 19-jährige Zyklus (Meton-Zyklus). Bekannte Beispiele für heute noch praktizierte Lunisolarkalender sind der chinesische Mondkalender oder der jüdische Mondkalender, der auf biblische Zeiten zurückgeht (s.u. 2.3.3.).
1.4. Sonnenkalender
Dieser heute weltweit maßgebliche Kalendertyp orientiert sich am tropischen Sonnenjahr mit einer Jahreslänge von 365,2424 Tagen, welche die Erde für den Umlauf um die Sonne in Bezug zum Frühlingspunkt benötigt. Wenn man daher heute von „einem Jahr“ spricht, so meint man damit in der Regel die 365 Tage des Sonnenjahres. Die Differenz von ca. ¼ Tag pro Jahr muss durch regelmäßige Schaltungen ausgeglichen werden.
Als Wiege des Sonnenkalenders gilt das pharaonische Ägypten, in dem die Sonne unter verschiedenen Namen und Erscheinungsformen als höchste Gottheit verehrt wurde. Allerdings handelte es sich genau genommen nicht um einen Sonnenkalender, sondern um einen schematischen Kalender, da die Jahreslänge nur mit 365 Tagen berechnet wurde, so dass es zu einem Wandeljahreffekt kam (s.u. 1.5.). Erst der hellenistische Pharao Ptolemäus III. Euergetes verfügte im Dekret von Kanopus (238 v. Chr.) die Einschaltung eines zusätzlichen Tages aller vier Jahre zur Angleichung an das tropische Sonnenjahr. Allerdings wurde das Dekret von der konservativen Priesterschaft einfach ignoriert (Richards, 156f). Verwirklicht wurde diese Schaltungspraxis erst im Jahre 46 v. Chr. durch die Kalenderreform des Julius Cäsar, der den alexandrinischen Astronomen Sosigenes mit der Ausarbeitung der Reform beauftragt hatte. Dieser julianische Sonnenkalender galt nach einer weiteren Reform durch Kaiser Augustus im Jahre 8 v. Chr. fortan im römischen Reich und seit dem Konzil von Nizäa im Jahre 325 v. Chr. schließlich für die gesamte Christenheit. Da das julianische Jahr jedoch ca. 11 Minuten länger war als das tropische Sonnenjahr, summierte sich der Fehler im Laufe von 128 Jahren auf einen Tag. In der zweiten Hälfte des 16. Jh.s betrug der Fehler bereits 10 Tage, so dass Papst Gregor XIII. im Jahre 1582 eine weitere Reform des Sonnenkalenders anordnete. Dieser gregorianische Kalender gilt auch heute noch als der international verbindliche Sonnenkalender.
In der Bibel wird die Länge des Sonnenjahres von reichlich 365 Tagen nicht explizit genannt, was allerdings nicht bedeutet, dass sie nicht bekannt war. So wird die Lebensdauer des siebten vorsintflutlichen Urpatriarchen Henoch mit 365 Jahren (Gen 5,21f
1.5. Schematische Kalendertypen
Aus Assyrien ist ein schematisches 360-Tage-Jahr bekannt, welches aus 12 Monaten zu je 30 Tagen bestand. In unregelmäßigen Abständen wurde ein 30-tägiger Schaltmonat zum Ausgleich mit dem Sonnenjahr eingefügt. Aus der astronomischen Keilschriftserie MUL.APIN (um 1000 v. Chr.) geht hervor, dass man den Schaltungsbedarf mit Hilfe von auffälligen Sternen wie Sirius oder Plejaden bestimmte. Auch der altägyptische Kalender bestand aus 12 Monaten zu je 30 Tagen, denen man am Jahresende 5 zusätzliche Tage hinzufügte (Epagomene). Da jedoch immer noch ca. ¼ Tag zum Ausgleich mit dem tropischen Sonnenjahr fehlte, verzögerte sich der heliakische Aufgang des Sirius alle vier Jahre um einen ganzen Tag, und die religiösen Feste wanderten in 1460 Jahren (4 x 365) einmal durch alle Jahreszeiten (Sothis-Zyklus).
Ein anderer schematischer Kalendertyp ist der im 19. Jh. von Marco Mastrofini und später von Gustav Armelin vorgeschlagene „Weltkalender“ mit einer Jahreslänge von 364 Tagen, was 52 vollen Siebentagewochen oder vier gleichen Quartalen zu je 91 Tagen entspricht. Der große Vorteil eines derartigen sog. „ewigen Kalenders“ besteht darin, dass im Unterschied zum gregorianischen Kalender jedes Datum in jedem Jahr auf den denselben Wochentag fällt. Damit würde also jeder Feiertag stets auf ein und dasselbe Datum und denselben Wochentag fallen. Um das schematische 364-Tage-Jahr mit dem tropischen Sonnenjahr in Übereinstimmung zu bringen, sollte dem Jahr ein 365. Tag hinzugefügt werden, der als „leer“ deklariert wird. Obwohl Armelins Kalenderprojekt den ersten Preis der Französischen Astronomischen Gesellschaft erhielt, konnte es nicht realisiert werden. Mit der Entdeckung der Schriftrollen von Qumran im Jahre 1947 hat sich jedoch herausgestellt, dass ein ganz ähnlicher 364-Tage-Kalender schon im antiken Judentum propagiert und wahrscheinlich auch als Sabbatkalender praktiziert wurde, wobei umstritten ist, ob er der offizielle Kultkalender am 2. Tempel war oder nur von bestimmten jüdischen Gruppen – z.B. den Essenern – praktiziert wurde (s.u. 4.2.2.). Aus den einschlägigen Texten (z.B. Jubiläenbuch) geht auch hervor, dass er Grundlage einer heilsgeschichtlichen Chronologie war, die auf der heiligen Siebenzahl beruht (s.u. 1.7.).
1.6. Kalender und Religion
Während heute der Kalender als eine vornehmlich profane wissenschaftliche Angelegenheit zur quantitativen Bestimmung von Zeitintervallen angesehen wird, war vom Beginn der Menschheitsgeschichte bis in die Neuzeit die Entwicklung des Kalenders untrennbar mit der Religion verknüpft. Es ging vor allem um eine qualitative Bestimmung und Strukturierung der Zeit, um „heilige Zeiten“! Zudem galten in allen alten Kulturen → Sonne
In soziologischer Hinsicht gibt es wohl kaum einen wichtigeren Faktor für die Identitätsbildung politischer und religiöser Gemeinschaften als die Befolgung eines gemeinsamen Kalenders und der damit verbundenen religiösen Weltauffassung, wie sie sich in der Feier der verschiedenen Feste manifestiert (→ Feste
1.7. Kalender und Chronologie
Im Unterschied zum Kalender, bei dem es um die Strukturierung und Berechnung der zyklisch wiederkehrenden Zeiteinheiten (z.B. Stunde, Tag, Woche, Monat, Jahr) geht, behandelt die Chronologie die linearen Zeiteinteilungen der geschichtlichen Ereignisse (→ Chronologie innerhalb des AT
2. Biblische Texte
Das Alte Testament als wichtigstes Zeugnis der israelitisch-jüdischen Religion enthält keine eindeutigen Informationen, welcher der genannten astronomischen Kalendertypen in Gebrauch war. Es gibt lediglich einige relevante Textpassagen, deren kalendarische Implikationen im Folgenden dargestellt sind.
2.1. Kalender und Gestirne im Kontext der Schöpfungstheologie
Der bekannteste biblische Text zum Thema Kalender ist der Abschnitt über die Schaffung der Gestirne (Gen 1,14-19
Dann sprach Gott: Lichter sollen am Himmelsgewölbe sein, um Tag und Nacht zu scheiden. Sie sollen Zeichen sein und zur Bestimmung von Festzeiten, von Tagen und Jahren dienen; 15 sie sollen Lichter am Himmelsgewölbe sein, die über die Erde hin leuchten. So geschah es. 16 Gott machte die beiden großen Lichter, das größere, das über den Tag herrscht, das kleinere, das über die Nacht herrscht, auch die Sterne. 17 Gott setzte die Lichter an das Himmelsgewölbe, damit sie über die Erde hin leuchten, 18 über Tag und Nacht herrschen und das Licht von der Finsternis scheiden. Gott sah, dass es gut war. 19 Es wurde Abend, und es wurde Morgen: vierter Tag (Gen 1,14-19
Auffällig ist, dass → Sonne
Strittig ist schließlich die Bedeutung des Begriffes „Zeichen“. Eine Interpretation im Sinne von „Tierkreisbilder“ oder gar „Tierkreiszeichen“ ist unwahrscheinlich, da der Zodiakus in der hebräischen Bibel sonst nicht vorkommt und auch in der damals führenden babylonischen Astronomie erst ab dem späten 6. Jh. v. Chr. auftaucht (vgl. van der Waerden, 124ff; von Stuckrad, 66). Die Übersetzung des nur in Hi 38,32
Während der priesterliche Schöpfungsbericht keinen sicheren Rückschluss auf ein bestimmtes biblisches Kalendersystem erlaubt, findet man in dem Schöpfungspsalm 104 dazu eine deutlichere Aussage:
„Er hat den Mond gemacht für die Festzeiten, die Sonne kennt ihren Untergang“ (Ps 104,19
An dieser Stelle wird der Begriff „Festzeiten“ (מוֹעֲדִים mô‘ǎdîm) aus Gen 1,14
„Stoßt am Neumond in das Horn, am Vollmond zum Tag unseres Festes!“
Da im Kontext auf den Auszug Israels aus Ägypten angespielt wird, liegt die Vermutung nahe, dass hier vom Vollmond in der Passanacht die Rede ist (VanderKam, 6). Eine deutliche Anspielung auf die Feier des Neumondes (חֹדֶשׁ ḥodæš) als Monatsanfangsfest findet man 1Sam 20,5ff
„David sprach zu Jonatan: Siehe, morgen ist Neumond; da sollte ich mit dem König zu Tisch sitzen.“
Weitere Stellen belegen, dass Neumonds- und Vollmondstage im Mondkalender wichtige Festtage waren (2Kön 4,23
Angesichts des späteren jüdischen Lunisolarkalenders ist es erstaunlich, dass im Alten Testament kaum eindeutige Hinweise auf eine lunare Bestimmung der Festzeiten zu finden sind. Auch die biblischen Festkalender enthalten keine expliziten Hinweise auf die Mondphasen, z.B. beim → Passafest
In kalendarischer Hinsicht unspezifisch bleibt in Gen 1,16
„Kannst du die mazzārôt-Sterne hervortreten lassen zu ihrer Zeit und den Großen Bären leiten samt seinen Jungen?“ (Hi 38,32
Die Übersetzung des Begriffes מַזָּרוֹת mazzārôt mit „Tierkreisbilder“ ist aus verschiedenen Gründen fraglich (→ Sterne / Sternbilder / Sterndeutung
2.2. Die Chronologie der Sintflut
Neben den astronomischen Hinweisen auf die israelitische Zeitrechnungspraxis im Kontext der monotheistischen Schöpfungstheologie sind im Buch → Genesis
Im 600. Lebensjahr Noahs fanden nach → priesterschriftlicher Darstellung
17.2.: Beginn der Flut (Gen 7,11
17.7.: Die Arche setzt auf dem Gebirge Ararat auf (Gen 8,4
1.10.: Die Spitzen der Berge werden sichtbar (Gen 8,5
Im 601. Lebensjahr findet man folgende Datumsangaben:
1.1.: Die Wasser der Flut sind von der Erde vertrocknet (Gen 8,13
27.2.: Die Erde ist wieder ganz trocken (Gen 8,14
Zunächst ist festzustellen, dass die Monate in dieser Flutchronologie eine Länge von jeweils 30 Tagen haben (5 Monate = 150 Tage / 17.2. bis 17.7.). Es kann sich also nicht um einen am Mondlauf orientierten Kalender handeln, in dem die Monatsdauer abwechselnd 29 und 30 Tage beträgt. Dies spricht dafür, dass hier ein schematisches 360-Tage-Jahr zugrunde liegt, wie es aus Mesopotamien bezeugt ist (s.o. 1.5.). Es ist unwahrscheinlich, dass die anderen Monate außerhalb der angegebenen Zeitspanne größere oder kleinere Tageszahlenwerte besitzen. Da die Sintflutüberlieferung aus Mesopotamien stammt (→ Sintflut / Sintfluterzählung 5.
2.3. Die Monatsnamen
In der hebräischen Bibel begegnen drei verschiedene Nomenklaturen von Monatsbezeichnungen, nämlich die kanaanäisch-phönizischen Monatsnamen, die nummerierten Monate und die babylonischen Monatsnamen. Das wirft die Frage auf, ob verschiedene Kalendersysteme hinter diesen Namen stehen und welche kalendarische Praxis damit verbunden war.
2.3.1. Die kanaanäisch-phönizischen Monatsnamen
Von der ersten Kategorie sind uns im Alten Testament nur noch vier Namen sicher erhalten, die lediglich an den genannten Bibelstellen auftauchen. In semantischer Hinsicht widerspiegeln die Namen Ereignisse des Ackerbauzyklus:
● Abib (אָבִיב āvîv; Ex 13,4
● Siw (זִו ziw; 1Kön 6,1.37
● Etanim (אֵתָנִים etānîm; 1Kön 8,2
● Bul (בּוּל bûl; 1Kön 6,38
Die Bedeutung der Namen zeigt einen deutlichen Bezug zu den natürlichen Gegebenheiten im Laufe eines Ackerbaujahres, wie es auch in dem berühmten Geser-Kalender aus dem 10. Jh. v. Chr. anzutreffen ist (s.u. 3.1.). Auffällig ist, dass diese Monatsnamen offenbar einer Erklärung bedürfen, z.B. „im Monat Bul, das ist der achte Monat“ (1Kön 6,38
2.3.2. Die nummerierten Monate
Die häufigste Art der Monatsbezeichnung in der hebräischen Bibel, die auch zur Bestimmung der kanaanäisch-phönizischen Monate verwendet wurde, ist die schlichte Nummerierung mittels Ordinalzahlen von eins bis zwölf. Es fällt auf, dass die nummerierten Monate in jenen biblischen Schriften auftauchen, die kurz vor, während und nach dem Exil entstanden sind. Vor allem in den priesterschriftlichen Teilen des → Pentateuch
Während in den älteren biblischen Festkalendern Ex 23,10-19
● Wochenfest: keine genaue Datumsangabe (Lev 23,9-14
● Laubhüttenfest: 15.-21.7. (Lev 23,34ff
In den priesterlichen Festordnungen wird zuerst der → Sabbat
2.3.3. Die babylonischen Monatsnamen
Die unzweifelhaft babylonischen Monatsnamen Nisan bis Adar (siehe Tabelle) erscheinen in jüdisch adaptierter Form erst spät im alttestamentlichen Schrifttum in den Büchern Esra, Nehemia, Ester und Sacharja (VanderKam, 9f).
In der Forschung ist strittig, ab wann und unter welchen Umständen der mesopotamische Standardkalender auch zum jüdischen Kultkalender wurde. Das theologische Problem besteht darin, dass der mesopotamische Lunisolarkalender essentiell mit dem religiösen Fest- und Götterkult der Babylonier verknüpft war, von dem sich der israelitische Monotheismus entschieden abgrenzt (vgl. Ex 20,3
2.3.4. Die makedonischen Monatsnamen
Der hellenistische König Seleukos I. Nikator (312-281), Begründer des seleukidischen Reiches (→ Seleukiden
2.4. Der Jahresanfang
Sowohl die Monatszählung mit Ordinalzahlen als auch der jüdische Kalender mit den babylonischen Monatsnamen beginnt im Frühling, wenn das → Passafest
3. Außerbiblische Texte
Während aus vorexilischer Zeit nur spärliche außerbiblische Informationen vorliegen, die Aufschluss über in Israel verwendete Kalender geben, findet man in der jüdischen Literatur der spätnachexilischen Zeit zahlreiche Kalendertexte, die mehr Licht auf die oft mehrdeutigen biblischen Kalenderpassagen werfen.
3.1. Der Geser-Kalender
Im Jahre 1908 wurde von dem irischen Archäologen Robert Alexander Stewart Macalister (1870-1950) in → Geser
(1) „Zwei Monate davon (sind) Obsternte, zwei Monate davon Saat,
(2) zwei Monate Spätsaat,
(3) Monat Flachsschnitt,
(4) ein Monat Gerstenernte,
(5) ein Monat Getreideernte und Abmessen,
(6) zwei Monate Beschneiden,
(7) ein Monat Sommerobsternte“ (Renz / Röllig, 34ff)
Folgenden Ackerbaukalender hat man daraus rekonstruiert (Renz / Röllig, 37):
● „September / Oktober: Ernte (Obst)
● Oktober / November: Ernte (Obst)
● November / Dezember: Saat
● Dezember / Januar: Saat
● Januar / Februar: Spätsaat
● Februar / März: Spätsaat
● März / April: Flachsschnitt
● April / Mai: Gerstenernte
● Mai / Juni: (Getreide-)Ernte und Messen
● Juni / Juli: Schneiteln (Weinernte)
● Juli / August: Schneiteln (Weinernte)
● August / September: Sommerobsternte (Feigen, Granatäpfel etc.)“
Aus der Abfolge der Ernteereignisse geht hervor, dass der Beginn des Ackerbaujahres im Herbst lag. Dies entspricht den Angaben in den älteren Festkalendern des Alten Testaments (Ex 23,16
3.2. Die Elephantine-Papyri und Samaria-Papyri
Auf der Nilinsel → Elephantine
3.3. Texte mit dem 364-Tage-Sabbatkalender
Keine Einigkeit besteht in der Forschung, ob dieser stabile „ewige Kalender“ durch Interkalation mit dem tropischen Sonnenjahr zum Ausgleich gebracht wurde. Eindeutige Belege dafür gibt es in den relevanten Texten nicht. Durch die Differenz von ca. 1,25 Tagen pro Jahr würde es zu einem Wandeljahreffekt kommen, wenn keine Schaltung vorgenommen wird. In folgenden Texten ist der 364-Tage-Kalender bezeugt, wobei es in der konkreten Gestaltung deutliche Unterschiede gibt:
3.3.1. Das astronomische Henochbuch (1Hen 72-82 und 4QEnastra-d = 4Q208-211)
Die astronomische Begründung des 364-Tage-Kalenders ist ein zentraler Gegenstand der → pseudepigraphischen
Grundlage des Kalendersystems ist die Beschreibung des jährlichen Sonnenlaufs durch die Himmelstore am Ost- und Westhorizont, durch den die 12 Monate des Sonnenjahres zu je 30 Tagen konstituiert werden. An den vier Jahrespunkten des Sonnenlaufes (Äquinoktien und Solstitien) wird zudem je ein zusätzlicher Tag eingefügt, so dass man auf 364 Tage Jahreslänge kommt. Ein vergleichbares Schema findet man auch in der zweiten Tafel von MUL.APIN (II i 9-24), dazu noch viele weitere Entsprechungen. Gestirnengel überwachen die heilige, dem Henoch offenbarte Himmelordnung (1Hen 82). Das astronomische Henochbuch kann als jüdischer Gegenentwurf zur babylonischen Himmelskunde mit ihren „heidnischen“ astralreligiösen Implikationen verstanden werden. Auch sonst finden sich in der Henochliteratur viele Bezüge zu mesopotamischen Vorstellungen.
Die Begründung des 364-Tage-Kalenders ist zwar ein zentrales Element dieser schriftgelehrten Bemühungen, doch geht es um mehr, nämlich um ein astronomisch-kosmologisches Gesamtkonzept, in dem die räumlichen Strukturen des Kosmos und andere Konstituenten einer heiligen Himmelsordnung (z.B. meteorologische Phänomene, Kosmographie, Angelologie) eine ebenso wichtige Rolle spielen. Nach dem Zeugnis dieser Offenbarungsschrift ist der 364-Tage-Kalender sozusagen „objektiv“ in der Schöpfungsordnung verankert (1Hen 2,1; 72,1; 74,17; 75,2; u.ö.), deren Kenntnis zu einem gerechten Lebenswandel gehört (vgl. 1Hen 82,4) und von entscheidender Bedeutung für das Bestehen im eschatologischen Gericht ist. Es fällt auf, dass erstaunlicherweise der 7. Tag der Schöpfung sowie der Begriff „Sabbat“ sowohl in der äthiopischen Übersetzung des Buches als auch in den aramäischen Fragmenten nicht auftauchen.
3.3.2. Das Jubiläenbuch
Dies ändert sich in dem mit der Henochtradition explizit verbundenen → Jubiläenbuch
„Und allen Engeln des Angesichts und allen Engeln der Heiligung, den beiden großen Geschlechtern, uns sagte er dieses, dass wir Sabbat feiern sollten mit ihm im Himmel und auf der Erde. Und er sagte zu uns: ‚Siehe, ich will schaffen und erwählen mir ein Volk mitten aus meinen Völkern. Und sie werden mir den Sabbat halten. Und ich werde sie heiligen mir zu einem Volk. Und ich werde sie segnen‘“ (Jub 2,18f, Übersetzung: Berger, 1981).
Der universalen Sabbatheiligung soll der schöpfungsgemäße 364-Tage-Kalender dienen. Er wird im Rahmen einer Darstellung der chronologisch genau datierten Heilsgeschichte von der Schöpfung bis zur Sinaioffenbarung kurz entfaltet. Als Kalendersystem bildet er die Grundlage für die gesamte heilsgeschichtliche Chronologie des Jubiläenbuches, welche in Zeitabschnitte von jeweils sieben Jahrwochen gegliedert ist (7 x 7= 49 Jahre = 1 Jubiläum). Jedes Jahr besteht nach Jub 6,29-32 aus exakt 52 Wochen oder 364 Tagen. Im hebräischen Titel des Buches kommt das kalendarisch-chronologische Interesse noch deutlicher zum Ausdruck: „Buch von der Einteilung der Zeiten“ (CD 16,3). Vor allem im Zusammenhang mit der Noahgeschichte im 6. Kapitel (Bundesschluss und Feier des Wochenfestes) werden ausführliche Bestimmungen zum 364-Tage-Kalender eingeflochten (Jub 6,17ff), die in eine scharfe Polemik gegen Mondbeobachtungen in Jub 6,36ff einmünden. Doch auch schon bei der Schilderung des Schöpfungsgeschehens (Jub 2,8ff) und im Zusammenhang mit Henoch (Jub 4,17ff) findet man indirekte Hinweise auf diesen Kalender. Der heilige Sabbatkalender beruht auf himmlischen Ordnungen („Tafeln des Himmels“, vgl. Jub 6,35), von denen nicht straflos abgewichen werden darf (Todesstrafe, vgl. Jub 2,25ff!). Das Wochenfest wird auf die Mitte des dritten Monats (Jub 15,1) datiert – eine Angabe, die man so präzise nicht in den biblischen Kalendern findet (vgl. Lev 23,15f
3.3.3. Qumrantexte
In den Schriftrollen vom Toten Meer (→ Qumran
Die umfangreichsten und wichtigsten kalendarischen Qumrantexte sind die sog. Calendrical Documents (4Q320-330). In diesen Kalenderfragmenten findet man Priesterordnungen, lunare Zyklen, Feste und historische Ereignisse mit dem 364-Tage-Kalender synchronisiert. Eine besondere Rolle spielen in einigen Texten die in 1Chr 24 genannten 24 Priesterdienstabteilungen. Sie sind derart mit dem Sabbatkalender verknüpft, dass eine jede einmal pro Halbjahr (= 26 Wochen) jeweils eine Woche Dienst tut. Da zwei Priesterdienstrotationen nur 48 Wochen ergeben, das Jahr aber 52 Wochen zählt, kommt es zu einer Verschiebung von 4 Wochen pro Jahr, die nach 6 Jahren (4x6 = 24) wieder ausgeglichen ist, so dass die gleiche Priesterabteilung wieder Dienst hat wie am Anfang des 1. Jahres eines sechsjährigen Priesterzyklus. Über die einzelnen 364-Tage-Jahre hat man auf diese Weise ein lückenloses Raster von Priesterordnungen gelegt, so dass jedes Ereignis in einem bestimmten Jahr nicht nur durch ein Datum, sondern auch durch eine bestimmte Priesterabteilung gekennzeichnet ist. Auf den Zweck dieser priesterlichen Strukturierung des 364-Tage-Jahres hat H. Stegemann aufmerksam gemacht: „Binnen dieser sechs Jahre hatte jede Priesterabteilung zweimal an den für die Tora vorgeschriebenen Festtagen Dienst gehabt, an denen die Einkünfte der Priester besonders üppig zu sein pflegten. So war bei diesem priesterlich orientierten Kalendersystem materiell für ausgleichende Gerechtigkeit gesorgt“ (Stegemann, 233.; vgl. Glessmer 1995, 139; Maier 1996, 55-86).
Obwohl der schematische 364-Tage-Kalender nicht von der Beobachtung der Mondphasen abhängig ist und eher am tropischen Sonnenjahr orientiert ist (vgl. 1Hen 72; 82,4; Jub 2,9; 6,36), findet man in den Qumrantexten einige unterschiedliche Abhandlungen, in denen versucht wird, die Übereinstimmung des Sabbatkalenders mit den lunaren Zyklen darzustellen. Dahinter steht wahrscheinlich das primär theologische Anliegen, die Vollkommenheit der göttlichen Schöpfungsordnung aufzuzeigen, wie es auch im astronomischen Henochbuch zum Ausdruck gebracht wird (vgl. 1Hen 74,12). So enthält 4Q320 1; 321 1-2 I und 321a lange Synchronisationsabschnitte, in denen die Mondphasen (Vollmonde und Neumonde) mit dem 364-Tage-Jahr und den Priesterdienstabteilungen koordiniert werden. Man findet dort Angaben, welche die Rekonstruktion von zwei dreijährigen Schaltzyklen bzw. einer sechsjährigen Priesterdienstrotation erlauben. Eine weitere in kryptischer Schrift verfasste astronomische Abhandlung (4Q317) stellt ebenfalls die Mondphasen im Rahmen des 364-Tage-Kalenders dar, die der Darstellung im astronomischen Henochbuch nahekommt, während es zu den lunaren Synchronisationen in 4Q320 deutliche Unterschiede gibt.
Die Tempelrolle (11Q19-20; 4Q365a): In der längsten in Qumran gefundenen Schriftrolle (etwa 9 Meter Länge!) findet man die festkalendarischen Bestimmungen integriert in die Konzeption des idealen Tempels, an dem die aufgelisteten Feste zelebriert werden sollen. Neben der genauen räumlichen Beschreibung des idealen Heiligtums werden konsequenterweise auch die zeitlichen Abläufe an diesem Ort benannt. Die 1977 von Y. Yadin edierte Handschrift der Tempelrolle (11QTa) ermöglichte es, den im Vergleich zum Jubiläenbuch jedoch noch weiter ausgebauten Festzyklus im Rahmen eines 364-Tage-Kalenders voll zu rekonstruieren. Die Zahl 364 taucht allerdings im Unterschied zum Jubiläenbuch nirgendwo explizit im Text auf, wie auch sonst kalendertechnische oder gar astronomische Angaben fehlen. Trotzdem ist die spezifische Art der Auflistung der Feste im Jahreszyklus eindeutig dem heiligen Sabbatkalender zuzuordnen (VanderKam, 69).
Auch in den sog. Sabbatopferliedern (4Q400-407, 11QShirShabb, Masada ShirShabb), welche auch als „Engelliturgie“ bezeichnet wurden, wird die Zahl „364“ nicht explizit genannt. Allerdings geht aus den Datumsangaben für die ersten 13 Sabbate eines Jahres (= ein Quartal) mit hoher Wahrscheinlichkeit hervor, dass nur dieser spezielle Kalendertyp in Frage kommt (VanderKam, 65). Hier wird ein wichtiger Grund für die enorme religiöse Bedeutung des 364-Tage-Sabbatkalenders erkennbar: Während das astronomische Henochbuch ihn als das einzig wahre, den Schöpfungsordnungen entsprechende Zeitrechnungssystem darstellt, eröffnen die Sabbatopferlieder gleichsam den Blick auf den himmlischen Gottesdienst (vgl. Jub 2,18ff). Nur der sich nach dem 364-Tage-Sabbatkalender vollziehende Gottesdienst geschieht in Entsprechung zu den himmlischen Vorgängen und entspricht demzufolge den göttlichen Geboten.
In der Psalmrolle (11QPsaDavComp xxvii 2-11) erscheint König → David
Schließlich sei auf einen Kommentar zum Genesisbuch (4Q252) hingewiesen, in dem u.a. die Chronologie der Flutgeschichte behandelt wird (1 i+ii). In 1 ii 2ff wird ausdrücklich festgestellt, dass Noah aus der Arche „am Ende eines Jahres, eines vollen, nach dreihundertsechzig und vier Tagen, am ersten Wochentag“ herauskam. Hier werden die in der heutigen Forschung umstrittenen Datumsangaben in Gen 6-8 (s.o. 2.1.2.) zur Dauer der Flut eindeutig im Sinne eines 364-Tage-Jahres interpretiert. Ob der Flutgeschichte ursprünglich tatsächlich der 364-Tage-Kalender zugrunde liegt, wie dies A. Jaubert zu erweisen versuchte (s.u. 4.2.1.), lässt sich auch durch den Befund von 4Q252 nicht sicher belegen (vgl. Glessmer 1993, 30ff).
Aus dieser Übersicht wird ersichtlich, welcher hohen religiösen Wertschätzung sich dieser für die perfekte Sabbatheiligung konzipierte Kalender im antiken Judentum der letzten drei Jahrhunderte v. Chr. erfreut haben muss. Diese Feststellung gilt umso mehr, als über den Gebrauch des babylonischen Lunisolarkalenders, der aufgrund der späteren rabbinischen Zeugnisse lange Zeit als maßgeblicher Kalender zur Zeit des Zweiten Tempels ausgegeben wurde, kaum zuverlässige Informationen existieren. Die verschiedenen Ausgestaltungsformen des 364-Tage-Kalenders in den oben aufgelisteten Texten legen den Schluss nahe, dass hier eine verbreitete und maßgebliche jüdische Kalendertradition vorliegt, der man nicht wie in der älteren Forschung das pejorative Etikett „sektiererisch“ anheften sollte.
4. Zur Kalenderentwicklung im Alten Israel
Grundsätzlich ist festzustellen, dass Theorien zur Kalenderentwicklung in Israel hypothetischen Charakter haben, da wir in dieser Hinsicht nur relativ wenige explizite Angaben in der hebräischen Bibel und in außerbiblischen Texten besitzen, so dass man die Informationslücken nur durch begründete Vermutungen schließen kann. Letztere ergeben sich vor allem aus der religionsgeschichtlichen Entwicklung der israelitischen Jahwe-Religion, denn der Kalender hatte eine zentrale Bedeutung für den Festkult in Israel (→ Feste
4.1. Kalendergeschichtlich relevante Angaben im AT
● Die kanaanäisch-phönizischen Monatsnamen tauchen insgesamt an nur sechs Bibelstellen auf (vgl. 2.3.1.) und beziehen sich vor allem auf Ereignisse um den Tempelbau → Salomos
● Die exilisch-nachexilischen Festkalender für den JHWH-Kult (z.B. Lev 23
● Die Datumsangaben in der Chronologie der → Sintflut
● Die Monatsnamen des babylonischen Lunisolarkalenders (vgl. 2.3.3.) sind nur in den relativ späten biblischen Texten der Perserzeit (Esra, Nehemia, Ester und Sacharja) anzutreffen wie auch in den Elephantine-Papyri (5. Jh. v. Chr.).
● Die Sabbatstruktur ist ein Wesensmerkmal des numerischen Festkalenders. In der Exilszeit wird der Sieben-Tage-Sabbat zum wichtigsten Bekenntnis- und Bundeszeichen für die Zusammengehörigkeit zwischen Jahwe und seinem Volk (Ex 31,17
● Die älteren Festkalender implizieren einen Jahresanfang im Herbst (Ex 23,16
4.2. Kalendergeschichtliche Interpretation und Rekonstruktion
Diese verschiedenen Befunde kann man so interpretieren, dass es in der Geschichte Israels zumindest einen Kalenderwechsel von einem ursprünglich lunisolaren hin zu einem anderen Kalendersystem gegeben hat, der wahrscheinlich kurz vor oder während der Exilszeit stattgefunden hat. Als religionsgeschichtlicher Schlüssel zum Verständnis der Motive für diese kalendarische Neuorientierung hat sich zum einen die monotheistische Reform der israelitischen Jahwe-Religion und zum anderen die Neudefinition des Sabbats in der exilisch-nachexilischen Epoche erwiesen:
● Monotheismus: Mit der Zerstörung des Jerusalemer Tempels (→ Zerstörung Jerusalems
Nun gab es in den altorientalischen Kulturen einen essentiellen Zusammenhang zwischen der Beobachtung der Gestirnzyklen für die Zeitstrukturierung und den im Alten Orient weit verbreiteten Astralkulten. Nach der Tora soll sich Israel jedoch gerade in letzterer Hinsicht von den anderen Völkern unterscheiden:
„Wenn du die Augen zum Himmel erhebst und das ganze Himmelsheer siehst, die Sonne, den Mond und die Sterne, dann lass dich nicht verführen! Du sollst dich nicht vor ihnen niederwerfen und ihnen nicht dienen. Der Herr, dein Gott, hat sie allen anderen Völkern überall unter dem Himmel zugewiesen.“ (Dtn 4,19
● Sabbatverständnis: Auf diesem religionsgeschichtlichen Hintergrund ist auch die theologische Neubestimmung des → Sabbats
Vom vorexilischen Vollmondsabbat grenzt sich in der Exilszeit eine neue Konzeption des Sabbats ab: der Sieben-Tage-Sabbat. Er wird zum wichtigsten Bekenntnis- und Bundeszeichen für die Zusammengehörigkeit zwischen Jahwe und seinem Volk (Ex 31,17
Der priesterliche Festkalender in Lev 23 ist von dieser schematischen Sabbat- bzw. Wochenstruktur her geprägt (s.o. 2.3.2.) und meidet zugleich kanaanäische oder mesopotamische Monatsnamen sowie Bezüge zu den Mondphasen. Dies entspricht dem theologischen Anliegen hinter dem schematischen 364-Tage-Sabbatkalender, der in den späten Texten als der wahre von Gott offenbarte Schöpfungskalender bezeichnet wird (vgl. 1Hen 72-82; Jub 6,29ff
4.2.1. Die vorexilisch-exilische Epoche
Aufgrund all dieser Überlegungen kann man mit einiger Wahrscheinlichkeit annehmen, dass in vorexilischer Zeit der israelitische Kalender am Mondlauf orientiert war. Die im Kontext der Tempelbaugeschichte erwähnten Monatsnamen (s.o. 2.3.1.) gehörten demnach zu einem kanaanäisch-phönizischen Lunisolarkalender, in dem der Jahresanfang im Herbst lag. Mit der assyrischen Oberherrschaft in Palästina dürfte dann der lunisolare mesopotamische Standardkalender (vgl. Cohen, 297ff) mit Jahresanfang im Frühling zumindest für Handel, Verkehr und Politik Verbreitung gefunden haben. Dafür spricht auch die Darstellung der Kultreform in 2Kön 23,5
Allerdings ist umstritten, ob die Entstehung des 364-Tage-Kalenders schon in exilischer oder frühnachexilischer Zeit angesetzt werden kann, da die verschiedenen Texte, die den Sabbatkalender explizit bezeugen, alle aus späterer Zeit stammen. A. Jaubert hat in ihren forschungsgeschichtlich nachhaltig wirkenden Untersuchungen zum 364-Tage-Kalender zu zeigen versucht, dass zwischen den Datumsangaben des Nummerierungssystems in den exilisch-nachexilischen Schriften des Alten Testaments und dem 364-Tage-System kein Widerspruch besteht (Jaubert 1957). Von daher würde nichts dagegen sprechen, dass bei den Datierungen der Jahwefeste im Rahmen des Nummerierungssystems der priesterliche 364-Tage-Sabbatkalender vorausgesetzt ist. Die Beweiskraft ihrer Theorie ist allerdings strittig (VanderKam, 54ff), und zudem gibt es bisher keine expliziten Belege für eine funktionierende Schaltungspraxis zum Ausgleich mit dem tropischen Sonnenjahr. In der Forschung wird seither die Frage diskutiert, ob der Sabbatkalender nur ein ideales theoretisches Kalenderkonzept für die zeitliche Strukturierung der Heilsgeschichte war (und damit wie der neue Tempelentwurf Ezechiels Ez 40-48 nur auf der literarischen Ebene existierte) oder ob es sich um den offiziellen Kultkalender des zweiten Tempels handelte. Ein wichtiges Entscheidungskriterium ist die Klärung der Interkalationsfrage, also ob es eine funktionierende Schaltung gab. Klare Belege dafür sind bisher nicht aufgetaucht, aber es gibt immerhin einige Vorschläge für eine funktionierende Schaltung des Sabbatkalenders. Auch eine interkalationslose Praxis am Zweiten Tempel wurde vorgeschlagen (vgl. Maier 1996, 123ff; Albani 1997, 103-110).
Der wichtigste theologische Impuls für die Schaffung eines genuin jüdischen Kalenders zur Einhaltung des Sieben-Tage-Sabbats dürfte jedenfalls das neue monotheistische Gottesverständnis gewesen sein, welches sich seit der Exilszeit durchzusetzen begann: Wenn Jahwe der einzige Gott im Himmel und auf Erden ist, dann darf auch nur ihm allein die Beherrschung von Raum und Zeit zukommen (vgl. Jer 33,25
4.2.2. Die nachexilische Epoche
Der babylonische Lunisolarkalender, dessen Monatsnamen erstmals in den späten Schriften des Alten Testaments auftauchen und nach dem Jerusalemer Talmud (→ Talmud
Während man im Falle der Einführung des exilischen Sabbatkalenders von einer monotheistischen Kalenderreform sprechen kann, deuten verschiedene Textzeugnisse darauf hin, dass es im 2. Jh. v. Chr. einen länger andauernden Kalenderkonflikt gegeben hat. J.C. VanderKam hat auf das → Danielbuch
Was nach der Wiedereinweihung des Tempels (164 v. Chr.) in kalendarischer Hinsicht geschah, ist durch Quellen bisher nicht belegt. Es spricht jedoch einiges für die Annahme, dass auch die → Hasmonäer
Die umfänglichen kalendarischen Texte, die auf verschiedene Weise den Sabbatkalender mit den Mondzyklen zu synchronisieren versuchen (4Q317; 4Q320-321), sollen wohl demonstrieren, dass dieses heilige Zeitrechnungssystem ganz der idealen Schöpfungsordnung entspricht (Gen 1,14-18
Durchgesetzt hat sich im späteren Judentum jedoch nicht dieses der perfekten Sabbatheiligung dienende Zeitrechnungssystem, sondern ein ursprünglich babylonischer Lunisolarkalender, der gerade im Hinblick auf die Kollision von Sabbaten und Festen zahlreiche Probleme mit sich bringt, dafür aber an der astronomischen Realität orientiert ist, nicht an einem theologisch motivierten numerischen Schematismus. Inzwischen war der jüdische Monotheismus längst so gefestigt, dass die Befolgung eines ursprünglich „heidnischen Kalenders“ und die damit verbundene akribische Mondbeobachtung kein Problem mehr für den Jahweglauben darstellte. Über die genauen Umstände und Vorgänge, die zum Sieg des babylonischen Mondkalenders über den 364-Tage-Sabbatkalender führten, ist nichts Sicheres bekannt.
Fest steht jedoch, dass in der sog. Fastenrolle (Megillat Taanit) aus dem 1. Jh. n. Chr. erstmals komplett alle 12 babylonischen Monatsnamen von Nisan bis Adar auftauchen. Des Weiteren geht aus Texten der → Mischna
Der ursprünglich babylonische Lunisolarkalender gilt seit dem 1. Jh. n. Chr. als der jüdische Kalender schlechthin, während der 364-Tage-Kalender offenbar nur noch in „sektiererischen“ jüdischen Gruppen praktiziert wurde. So berichtet der berühmte mittelalterliche moslemische Gelehrte Al-Biruni (973-1048 n. Chr.) in seiner „Chronologie der alten Völker“ von einer jüdischen Sekte, die einen Kalender praktizierte, der teilweise dem entspricht, was wir in den „Calendrical Documents“ aus Qumran finden. Im Unterschied zu der sonst üblichen jüdischen Kalenderpraxis hätte man dort z.B. das Jahr mit dem Aufgang des Vollmonds an einem Mittwoch zur Zeit des Frühlingsanfangs begonnen (Finegan, 46f). Der theologische Grund für diesen kalendarischen Jahresbeginn liegt darin, dass in Gen 1,14
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) - Der sog. Bauernkalender aus Geser (10. Jh. v. Chr.). © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
- Übersicht zum Aufbau des 364-Tage-Sabbatkalenders.
- Zwei Verehrer des Mondgottes, der in der Mondsichel repräsentiert ist (Skaraboid aus Samaria; 7. Jh. v. Chr.). Aus: O. Keel / Chr. Uehlinger, Göttinnen, Götter und Gottessymbole (QD 134), Freiburg / Basel / Wien 1992, 367 Abb. 311a (© Stiftung BIBEL+ORIENT, Freiburg / Schweiz
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