Klagefeiern
(erstellt: März 2007)
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→ Bestattung
1. Allgemeines
In den altorientalischen Gesellschaften reagierte man auf Unheils-Ankündigungen durch böse Vorzeichen (Omen), das Unheils-Orakel eines Mantikers (Seher, Propheten, Beschwörer) oder das Eintreffen von Unheil in Gestalt von Krankheit und Tod, einer Naturkatastrophe oder eines Krieges mit Ritualen der Beschwörung, in denen das Element der Klage fest verankert war. Sofern das Unheil als göttliche Schickung und Sanktion eines Vergehens oder auch nur einer kultischen Verunreinigung verstanden wurde, verband sich das entsprechende Klagegebet mit Opfern und Selbstminderungsriten der Betroffenen zum Ausdruck ihrer Trauer und zur Erregung der Anteilnahme der Gottheiten (Streuen von Asche über das Haupt, Zerreißen der Kleidung, Anlegen eines Trauer- bzw. Büßergewandes, hebr. śaq). Auch bei vermeintlicher oder tatsächlicher Belastung durch Flüche oder durch Verfolgung aufgrund des Vorwurfs einer Straftat seitens einer geschädigten Sippe konnten solche Rituale vollzogen werden, besonders vor der Durchführung von Ordalen (Befragung der Gottheiten im Rechtsstreit) oder bei Asylersuche an einem Heiligtum.
Die israelitischen Klagepsalmen des Einzelnen wie des Volkes legen nahe, dass auch in Israel mit entsprechenden Traditionen zu rechnen ist. Die Texte des Alten Testaments überliefern allerdings nur Hinweise auf Ritualelemente von entsprechenden Klagefeiern, nicht aber den Ablauf der jeweiligen Rituale. Diese waren zudem im Laufe der Geschichte erheblichen Veränderungen unterworfen, wobei einer der wichtigsten Einschnitte mit der Zentralisation des Opferkultes unter → Josia
2. Klagefeiern bei Klagen des Einzelnen
Erkennbar sind Ritualzusammenhänge am Kasus der Klage in den folgenden Fällen:
1. Klage des Einzelnen im Krankheitsfall (z.B. Ps 6
2. Klage des Einzelnen im Fall der Bedrohung durch Feinde im Rechtsstreit (Ps 3
3. Klage des Einzelnen im Fall der göttlichen Bedrohung aufgrund eines Vergehens oder aufgrund einer Kontamination und des Ausschlusses vom Sanctum (Ps 22
Wichtige Elemente der Klagefeiern sind:
● die persönliche Vorbereitung durch Reinigungs- und Minderungsriten (Waschung, Anlegen eines Trauergewandes, Fasten, sexuelle Enthaltsamkeit, Scheren des Haares, Bestreuen des Hauptes mit Asche, Fasten u.a.m.),
● ggf. das Aufsuchen eines Heiligtums oder die Errichtung eines heiligen Raumes (Altar),
● der Vortrag eines Klagegebets durch den Klagenden selbst oder durch einen Mittler,
● das „Weinen“ vor der Gottheit,
● ein Schuldbekenntnis (Schuldanerkenntnis) oder ggf. das Ablegen eines → Reinigungseides
● die Anrufung göttlicher Gnade und die Bitte um neuerliche Zuwendung,
● die Bitte um göttliche Gerechtigkeit und Gottes Eingreifen gegen die Widersacher, zuweilen eine Feindesverfluchung (vgl. Ps 109
Opferrituale werden infolge der Kultuszentralisation im Kontext der Klagepsalmen nur beiläufig und ausnahmsweise erwähnt (vgl. Ps 5,4
4. Die Totenklage (2Sam 1
Charakteristikum bei Totenfeiern ist das Zerreißen des Gewandes (Gen 37,29
Ein Sonderfall ist die „Beweinung der Jungfrauschaft“ der Tochter Jephtas über ihr unerfülltes Leben angesichts des bevorstehenden Todes (Ri 11,37-38
3. Klagefeiern des Volkes
Rituelle Klagefeiern im Rahmen der nicht-jahwistischen westsemitischen Fruchtbarkeitskulte des Baal (Hos 2,5
Als Instrumente zur rituellen Bewältigung von Unheilssituationen, die das Volk betreffen, sind erkennbar:
1. Klage- und Bittrituale des Königs (vgl. 2Kön 19,15-19
2. Klagefeiern des Volkes (Bußfeiern) (vgl. 1Kön 8,30-40
● Naturkatastrophen, die landwirtschaftliche Erträge durch Dürre, Heuschreckenplagen etc. bedrohten (Jo 1,15-17
● Seuchen (vgl. 2Sam 24,15-17
● Krieg und Feinden (2Chr 20,1-12
3. Klagefeiern anlässlich eingetroffenen Unheils, etwa
● des Todes des Königs oder eines Angehörigen der Königsfamilie (2Sam 1,12
● des Todes einer führenden Persönlichkeit des Volkes oder der Sippe (Gen 23,2
● einer militärischen Niederlage (Ri 2,18
● von Gefangenschaft, Deportation und Exil (1Kön 8,46-53
4. Klagefeiern zum Gedenken an erlittenes Unheil (Sach 7,4ff
Ziel der Klagefeier war, die Gottheit zur Abwendung des Unheils und zu bleibender gnädiger Zuwendung zu bewegen. Man erhoffte von der Durchführung des Rituals die Heilung von Krankheit, die Abwendung von Naturkatastrophen, Krieg und Tod. Zugleich erbat man, dass Gott etwaige Feinde strafen möge, die durch Intrigen oder gar durch die Durchführung unheilvoller fluchwirkender Rituale das Leiden eine Unschuldigen verursacht haben mochten. Dabei wurde den Feinden das Unheil gewünscht, das sie selbst zu verursachen trachteten.
In der Totenklage wurde Gott darum gebeten, den Hinterbliebenen die Lebenskraft zukommen zu lassen, die ihnen durch den Tod des verstorbenen Menschen verlorengegangen war.
Als Kompendium der zur Zeit des zweiten Tempels denkbaren Fälle für Volksklagefeiern sowohl in der Diaspora wie in Bezug auf den Tempelkultus kann 1Kön 8,30-53
Besondere Erwähnung finden Klagefeiern des Volkes nach der Zerstörung des ersten Tempels 587 v. Chr. Jer 41,4-5
Aus sumerischer und altbabylonischer Tradition der 1. Hälfte des 2. Jt.s v. Chr. stammende Klagedichtungen über den Untergang ehemals machtvoller Städte wie Ur, Sumer, Nippur, Uruk und Eridu (sog. „Stadtuntergangsklagen“; The Electronic Text Corpus of Sumerian Literature
Der Eingang von Klageliedern und anderen liturgischen Elementen in die Sammlungen der Prophetenorakel belegt einerseits die schriftgelehrte Weiterentwicklung, aber wohl auch die gottesdienstliche Verwendung der prophetischen Tradition (vgl. Jer 4-10). Umgekehrt schrieb man das Verfassen von Klageliedern für den gottesdienstlichen Gebrauch dem Propheten Jeremia zu (2Chr 35,25
Zur Zeit des Zweiten Tempels wurden regelmäßige Purifikations- (= Reinigungs-) und Sühnerituale vollzogen, in die Elemente der Klage liturgisch integriert waren. Hinzu kamen Gedenktage, an denen einst erlittenes Unheil oder das noch fortwährende Andauern eines unheilvollen Zustandes beklagt wurde.
4. Der Aufbau von Klageliedern
Die Texte der Klagelieder des Einzelnen wie des Volkes weisen, so sehr sie ihrer Natur nach in der spontanen religiösen Reaktion auf eine Notsituation wurzeln, doch durch ihre traditionellen Strukturelemente, d.h. Anrufung der Gottheit, Klage, Bitte, Vertrauensäußerung, Schuldbekenntnis bzw. Unschuldsbeteuerung und Lobgelübde, auf eine ursprüngliche rituelle Bezogenheit des Textvortrags hin. Sie verbinden sich oft mit der Zusicherung des Vertrauens der Gottheit gegenüber, mit Lobversprechen und mit Gelübden. Insofern die Klagen im Rahmen eines Dankopferrituals am Tempel (nach der Zentralisation des Kultus) in Erinnerung an erfahrenes Unheil rezitiert wurden, findet sich in ihnen oft ein Umschwung in ein Danklied für die erfahrene Rettung.
Dieser Wechsel wird traditionell als Folge eines zwischenein ergangenen priesterlichen Heilsorakels rituell erklärt (Hermann Gunkel, Joachim Begrich) oder neuerdings sprechakt-theoretisch als Ausdruck eines Stimmungsumschwungs infolge einer Wende im Bewusstsein des Psalmisten (Bernd Janowski). Er kann aber auch dadurch bedingt sein, dass in der Situation der Einlösung der Gelübde und der Darbringung der Dankopfer durch die Rezitation des Klageliedes das erfahrene Leid ins Gedächtnis gerufen wurde, worauf sodann das Danklied für die erfahrene Rettung folgte. Für diese liturgische Erklärung spricht, dass ein Ritualvollzug unter Hinzuziehung von Opfern infolge der Kultuszentralisation im akuten Krankheitsfall aufgrund der Unreinheit des Kranken und aufgrund der Entfernung zum Heiligtum nicht mehr möglich war und also erst im Kontext der Einlösung der Gelübde die Klage memoriert und der Dank erstattet werden konnte. Die Kanonisierung und Nutzung in der kultfernen Religionsgemeinschaft führt zu ihrer Verwendung im Wortgottesdienst wie in der Privatfrömmigkeit und erfährt hierbei eine zunehmende Verinnerlichung. Zu den Klageliedern des Einzelnen rechnet man Ps 3-7; Ps 13; Ps 17; Ps 22; Ps 25-28; Ps 35; Ps 38-39; Ps 41-43; Ps 51; Ps 54-57; Ps 59; Ps 61; Ps 63; Ps 64; Ps 69; Ps 71; Ps 86; Ps 88; Ps 102; Ps 109; Ps 130; Ps 140; Ps 141; Ps 143, Vertrauenslieder des Einzelnen finden sich in Ps 4; Ps 11; Ps 16; Ps 23; Ps 27; Ps 62; zu den Klageliedern des Volkes rechnet man u.a. Ps 44; Ps 74; Ps 79; Ps 80; Ps 83; Klgl 5; Jes 63,7-64,11; Sir 33,1-13; Sir 36,16b-22; PsSal 7.
5. Musik als Bestandteil von Klagefeiern
Bei der Durchführung der Klagegesänge wurden Musikinstrumente hinzugezogen (→ Musik / Musikinstrumente
In der Überschrift der Klagelieder des Einzelnen werden in der überwiegenden Zahl der Fälle keine Instrumente erwähnt, sie scheinen also zur (kantilenen?) Rezitation bestimmt gewesen zu sein. Vereinzelt finden sich Hinweise auf andere Texte, was wohl auf bestimmte Melodien hinweist (Ps 22; Ps 56; Ps 57-59; Ps 69; Ps 88). Wenn Instrumente eingesetzt wurden, so Saiteninstrumente (Ps 4; Ps 54; Ps 55; Ps 61). Bei dem Klagelied eines Kranken fand mitunter ein besonderes, achtsaitiges Instrument Verwendung (Ps 6,1
Die Exils-Klage in Ps 137
6. Nachwirkung
Tempelzerstörung und Exil blieben das Thema jüdischer Gedenkfeiern, zumal nach der Zerstörung des 2. Tempels im Jahre 70 n. Chr. Im Gottesdienst am 9. Av (hebr.: Tischa-be-Av) werden die → Klagelieder Jeremias
In der christlich-römischen Liturgie sind die Klagelieder Jeremias ins Stundengebet der Karwoche aufgenommen worden. Die Klage über die Zerstörung Jerusalems wird in der evangelischen Tradition regelmäßig am Israelsonntag thematisiert.
Literaturverzeichnis
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