Klagelieder Jeremias
(erstellt: November 2010; letzte Änderung: Februar 2015)
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Das Buch der Klagelieder Jeremias – auch Threni genannt – enthält fünf Lieder, die in ergreifender Klage die Frage behandeln: Wie konnte es zur → Zerstörung Jerusalems
1. Namen des Buches
1.1. Echa
In der jüdischen Tradition wird das Buch nach dem Ausruf, der Lied I, II und IV eröffnet, Echa (אֵיכָה ’êkhāh „Ach!“) genannt. Er ist der → Totenklage
1.2. Qinot, Threni, Klagelieder
Was der Ruf impliziert, macht der Name Qinot (קִינוֹת qînôt) „Leichenklagelieder“ deutlich. Er ist im Talmud mehrfach belegt (Baba Batra 15a; Berakhot 57b; Text Talmud 2
Die → Septuaginta
2. Stellung im Kanon
2.1. Jüdische Tradition
1. In der jüdischen Tradition gehört das Buch Threni zu den „Schriften“ (→ Kanon
2. Erst seit dem 11. Jh. ist die Zusammenstellung der fünf Megillot („Festrollen“) belegt. Innerhalb der Megillot konnten die Bücher einerseits nach der vermeintlichen Entstehungszeit geordnet werden: Rut (Vorfahrin Davids) – Hohes Lied (junger Salomo) – Prediger (alter Salomo) – Threni (Exilszeit) – Ester (persische Zeit). Diese Abfolge findet sich in den meisten sephardischen Bibelhandschriften, so auch im Kodex von St. Petersburg (= Codex Leningradensis) und auf ihm beruhend in den modernen Standardausgaben der hebräischen Bibel.
3. Neben dieser chronologischen Reihenfolge gibt es eine, die der jüdischen Liturgie entspricht. Sie basiert auf der Abfolge der Feste, an denen eine der Megillot verlesen wurde, und setzt – jedenfalls in den meisten Handschriften – nach dem liturgischen Jahr ein, das nicht mit dem Neujahrsfest am 1. Tischri (Sept./Okt.), sondern nach der Aufforderung in Ex 12,2
2.2. Christliche Tradition
In der christlichen Tradition gehört das Buch Threni nicht zu den „Schriften“, sondern zum Kanonteil „Propheten“. Es steht hinter dem → Jeremiabuch
3. Textüberlieferung
Die ältesten erhaltenen hebräischen Threni-Handschriften stammen aus Qumran (1. Jh. v. - 1. Jh. n. Chr.; → Qumran-Texte
Die 1009 n. Chr. geschriebene masoretische Handschrift, die modernen Druckausgaben zugrunde liegt, der Codex Petropolitanus (früher Leningradiensis genannt), bietet den Text der Threni in drei Kolumnen, die so schmal sind, dass sie je Zeile nur ca. vier Wörter enthalten. Die Akrostichie wird hier optisch dadurch hervorgehoben, dass die Strophenanfänge durch einen weiten Einzug oder ein breites Spatium abgesetzt sind.
Die griechische Septuaginta bietet eine extrem wörtliche Übersetzung, die wohl der sog. Kaige-Rezension zuzurechnen ist, die aus dem 1. Jh. v. Chr. stammt. Es handelt sich bei ihr um eine Überarbeitung der relativ freien Übersetzung der → Septuaginta
Der aramäische Klagelieder-Targum, von dem es neben der älteren westlichen als Überarbeitung eine jüngere jemenitische Fassung gibt, ist zwischen dem 4. und 7. Jh. n. Chr. entstanden, als Konstantinopel schon eine bedeutende Stadt und Persien noch ein militärisch wichtiges Reich war. Die Unheilsankündigung in Klgl 4,21f
In der lateinischen Vulgata sind, um die Akrostichie hervorzuheben, schon in antiken Handschriften die hebräischen Anfangsbuchstaben der einzelnen Strophen an den Rand geschrieben. Dies führt bis in die aktuellen Druckausgaben zu einem besonderen Schriftbild.
4. Poetische Gestalt
Neben dem Parallelismus membrorum (→ Poesie
Qina-Metrum. Nach einer verbreiteten, erstmals 1883 von Karl Budde vertretenen These gab es in Israel für Leichenklagelieder, die bei der Trauer um Verstorbene insbesondere von Klagefrauen angestimmt wurden, ein spezielles Metrum, das „Qina“-Metrum, das seinen Namen dem hebräischen Begriff für „Leichenklage“ (קִינָה qînāh) verdankt (→ Qina
5. Inhalt
Das Buch Threni besteht aus fünf Liedern, die sich auf die Not während und nach der Zerstörung Jerusalems 587 v. Chr. beziehen.
In Lied I wird das Leid Jerusalems zunächst ganz unpersönlich von einem objektiv wirkenden Berichterstatter aus unbetroffener Distanz geschildert (Klgl 1,1-11
Diese geschundene Frau beklagt im zweiten Teil des Liedes ihr Leid, zunächst gegenüber allen Menschen (Klgl 1,12-16
In Lied II schildert ein Sprecher das Leid Jerusalems zunächst wie in Lied I unpersönlich und aus unbetroffener Distanz (Klgl 2,1-10
In Lied III schildert nicht ein Erzähler wie ein Außenstehender die Katastrophe Jerusalems, sondern ein einzelner Betroffener im Ich-Stil sein Leid. Dieser Mann ist keine Personifikation des Volkes oder Jerusalems und keine bestimmte Persönlichkeit (→ Jeremia
In Lied IV haben wir es erneut mit einem Trostgespräch zu tun. Das Leid Jerusalems wird wie in Lied I und II zunächst unpersönlich – nur wenige Ich-Sätze unterbrechen diesen Stil – von einem selbst nicht betroffenen Erzähler geschildert (Klgl 4,1-16), dann im Wir-Stil von den Betroffenen selbst (Klgl 4,17-20; vgl. Klgl 1,12-19). Der Text gipfelt in einer Heilsankündigung (Klgl 4,20-21), die zeigt, dass der Dichter den Leidenden vor allem neue Hoffnung schenken will. Zunächst schildert das Lied aber erschütternd die Zustände und Ereignisse während der Belagerung und Eroberung Jerusalems, doch geht es weniger um die Zerstörung der Bauten (so Klgl 2
In Lied V, das deutlich kürzer ist und weder Akrostichie noch Sprecherwechsel aufweist, kommt eine Wir-Gruppe zu Wort (sonst nur Klgl 3,40-47
6. Verfasser
Jeremia gilt im Judentum und Christentum traditionell als der Verfasser der Threni, vielleicht weil 2Chr 35,25
Die Überschrift „Klagelieder Jeremias“, die sich z.B. schon im Sinaiticus und Vaticanus findet, geht auf die Situationsangabe zurück, die in der Septuaginta dem Buch voransteht (vgl. die Situationsangaben mancher Psalmen; z.B. Ps 51,1f
Im Talmud schreibt Baba Batra 15a Jeremia außer seinem Buch die → Königsbücher
Zweifel an der Jeremianischen Verfasserschaft wurden schon im 18. Jh. laut. Erstmals abgelehnt hat sie 1712 Hermann von der Hardt (1660-1746), der zunächst dem lutherischen Pietismus, später jedoch einer radikalen Aufklärung verpflichtet war. Unter den Kommentatoren bestritt als erster Otto Thenius 1855 die Jeremianische Verfasserschaft von Klgl 1; 3 und 5. Gegen sie spricht z.B., dass der Gottestitel „Herr“ im Jeremiabuch immer mit dem Tetragramm (14-mal) erscheint, in Threni dagegen nie (ebenfalls 14-mal), und inhaltlich, dass Jeremia den letzten König Judas, → Zedekia
Angesichts der Akrostichie sowie der Vertrautheit mit Psalmensprache und → Zionstheologie
Nach Westermann (82-84.92-95) steckt hinter den einzelnen Klageliedern nicht die Persönlichkeit eines oder mehrerer Verfasser. Vielmehr hätten sich die Lieder nach der Zerstörung Jerusalems noch ganz unter dem Eindruck unmittelbarer Betroffenheit aus den aktuellen Klagen der Menschen langsam gebildet. Erst nach einer gewissen Zeit der mündlichen Überlieferung habe jemand sie verschriftlicht, der jedoch nicht als Autor oder Dichter gelten könne. Erst sekundär seien die Texte zu Akrosticha überarbeitet worden. Die Lieder I, II und IV, die jeweils mit einem Klageruf beginnen und Elemente der Leichenklage aufnehmen, seien zu einer ersten kleinen Sammlung zusammengestellt worden, die man dann um Lied V und später Lied III erweitert habe.
7. Einheitlichkeit
Für die einheitliche Verfasserschaft (s.u. zu Rudolph) führt man Übereinstimmungen an: Alle Kapitel bestehen aus 22 Strophen, werden vom Alphabet bestimmt und beziehen sich – Lied III zumindest in einigen Versen – auf das Leid während und nach der Zerstörung Jerusalems 587 v. Chr.; mehrere beginnen mit אֵיכָה ’êkhāh „Ach!“, dem Ruf der → Totenklage
8. Entstehung und Komposition
Nach verbreiteter Ansicht haben wir es in Threni, wie schon der Plural im Titel „Klagelieder“ voraussetzt, mit einer lockeren Sammlung ursprünglich selbstständiger Lieder zu tun. Demgegenüber wird in der neueren Forschung – meist verbunden mit der Annahme der Einheitlichkeit – die These vertreten, es handele sich um eine wohldurchdachte Komposition.
Johan Renkema ist in seinem großen Kommentar (zusammenfassend 38-40.72-79.636-641) der Frage nach der Komposition intensiv nachgegangen. Seiner Ansicht nach soll die Alphabet-Akrostichie einen externen Parallelismus augenfällig machen, nämlich die Verbindung, die zwischen den Strophen mit gleichen Anfangsbuchstaben sowie dem entsprechenden Vers von Kap. 5 bestehe. Das bedeutet am Beispiel der Eingangsverse: Dem Bild von der Witwenschaft Jerusalems in Klgl 1,1
Renate Brandscheidt (Gotteszorn) betrachtet Threni erst auf der redaktionellen Ebene als Komposition. Die Lieder II, I und V seien in dieser Reihenfolge unabhängig voneinander von drei Verfassern geschrieben worden. Ein Bearbeiter habe sie gesammelt, aus eigener Feder die Lieder III und IV hinzugefügt und das Ganze als planvolle Komposition angelegt. Dem zweiten Lied habe er das vierte bewusst entgegengestellt, um Zion Hoffnung zu vermitteln, und das 3. Lied mit seinen Belehrungen zum rechten Umgang mit Leid habe er ins Zentrum der Komposition gestellt.
Berücksichtigt man sowohl die deutlichen Differenzen als auch die zum Teil sehr signifikanten Übereinstimmungen zwischen einzelnen, aber nicht allen Liedern (s.o. 7.; ausführlicher: Koenen, Kommentar), ergibt sich für die Entstehung des Buches folgendes Bild:
1. Klgl 2 ist als ältestes Lied die Keimzelle des Buches. Schon bald nach der Katastrophe von 587 will dieses Lied den verzweifelten Menschen, vermutlich um dem Verdacht der Ohnmacht Jahwes entgegenzutreten, klar machen, dass es niemand anders als Jahwe, der Schutzgott Jerusalems, war, der seine Stadt als Feind machtvoll angegriffen und all das Leid über sie gebracht hat. Um das Leid zu bewältigen, wird hier ganz massiv und in geradezu anstößiger Weise Gott angeklagt. Das musste Kritiker auf den Plan rufen.
2. Indem Klgl 1 und 4 einen Rahmen um Klgl 2 legen, entsteht die „Ach“-Komposition. Lied I und IV weisen gegenüber Lied II einerseits Unterschiede, andererseits signifikante Übereinstimmungen auf. Deswegen dürfte es sich um zwei Fortschreibungen von Klgl 2 handeln. Ob sie von demselben Verfasser stammen, lässt sich nicht sagen. Jedenfalls liegt mit diesen drei Liedern eine erste Komposition vor, die – weil alle drei Lieder mit אֵיכָה ’êkhāh „Ach!“ beginnen – als „Ach“-Komposition bezeichnet werden soll. Sie zielt darauf, Gott durch die Erklärung des Leids mit der Schuld Jerusalems zu entlasteten: Sein gewalttätiges Eingreifen war kein Akt der Willkür, sondern eine notwendige und vor allem gerechte (Klgl 1,18
3. Obwohl die „Ach“-Komposition mit dem Heilswort von Klgl 4 einen guten Abschluss gefunden hatte, wurde in Klgl 5 ein ursprünglich wohl selbstständiges Volksklagelied angehängt. Es soll die ältere Komposition aktualisieren, indem es die Nöte der folgenden Generation (Klgl 5,7
4. Klgl 3 bildet den Schlussstein des Buches (falls das Lied nicht – was nicht ganz auszuschließen ist – schon vor Lied V hinzukam). Die Unterschiede und signifikanten Verbindungen mit Lied I und II – z.B. die Aufnahme des Tag-Jahwes-Motivs – weisen das Lied als Fortschreibung speziell dieser beiden voranstehenden Texte aus. In der neuen Komposition, der Endgestalt des Buches, bildet Lied III das Zentrum und angesichts der dreifachen Akrostichie auch den Höhepunkt. Es zielt darauf, seine Vorlagen in mehreren Punkten zu korrigieren und weiterzuführen: 1) Lied II klagt Gott an: „Du hast getötet!“ (Klgl 2,21
9. Ort und Zeit
Das Buch Threni wurde wohl in Jerusalem geschrieben. Es geht um das unendliche Leid der Menschen dort, nicht aber um das der Exulanten.
Den terminus a quo bildet die Zerstörung Jerusalems 587 v. Chr. Sind die Lieder unmittelbar nach dem beklagten Ereignis oder erst aus der zeitlichen Distanz geschrieben worden? Für die zeitliche Nähe wird die Lebhaftigkeit und Anschaulichkeit der Schilderung angeführt, die noch ganz unter dem schockartigen Eindruck der Zerstörung stehe. Auf eine gewisse Distanz zu den Ereignissen deutet dagegen die Akrostichie, die so gar nicht zur unmittelbaren Betroffenheit und Leidenschaftlichkeit der Klage zu passen scheint. In der Regel werden die Lieder wohl zu Recht in die Jahre bald nach 587 datiert. Die Frage „Warum vergisst du uns für immer?“ (Klgl 5,20
Rudolph, der alle Lieder demselben Verfasser zuschreibt, setzt Lied I schon kurz nach der ersten Deportation 597 v. Chr. an, die Lieder II und IV unmittelbar nach der Eroberung 587 und die Lieder III und V etwas später.
Geistesgeschichtliche Erwägungen haben Kaiser zu einer späteren Ansetzung der Klagelieder geführt. Lied II sei von spätdeuteronomistischer Propheten- und Gesetzestheologie abhängig und stamme erst aus dem letzten Drittel des 6. Jh.s. Lied I sei von II abhängig und müsse deswegen später entstanden sein. IV beziehe sich auf I und II und gehöre bereits dem 5. Jh. an. Lied V setze schon die jüngste Ausgestaltung spätdeuteronomistischer Umkehrtheologie voraus. Erst im 4. Jh. sei schließlich Lied III geschrieben worden, das in den Umkreis der späten Psalmenfrömmigkeit gehöre.
10. Rezeption
10.1. Judentum
Das Buch der Klagelieder wird – wie der Traktat Soferim (8. Jh. n. Chr.) erstmals belegt (14,3.18; 18,4) – am 9. Av rezitiert, der neben dem → Jom Kippur
10.2. Christentum
Klgl 2,19
Die Liturgie des Festes der Sieben Schmerzen Mariens (15. Sept.) hat dem vierten Schmerz (Maria begegnet Jesus auf dem Kreuzweg) Klgl 1,12
Die Liturgiereform des 2. Vatikanischen Konzils hat die Matutin als offizielles Stundengebet abgeschafft. Damit haben die Klagelieder Jeremias den festen liturgischen Ort ihrer Verlesung und ihre einstige Bedeutung verloren. Da die musikalische Rezitation der Texte in der Karliturgie jedoch sehr eindrucksvoll und recht beliebt ist, werden sie in manchen Kirchen und Klöstern nach wie vor mit gregorianischen Melodien gesungen, z.T. in deutscher Übersetzung.
Wie im liturgischen Kalender des Judentums ist auch im traditionellen Kalender der katholischen Kirche mit der Rezitation der Klagelieder ein emotionaler Tiefpunkt erreicht. Doch es folgt die Wende, die Heilszeit. Im Judentum beginnt die Zeit des Trostes, im Christentum Ostern.
Im evangelischen Gottesdienst haben die Klagelieder nicht das Gewicht, das ihnen in der katholischen Kirche zukommt. Als Predigttext ist in der Perikopenordnung der EKD nur Klgl 3,22-26
Ganz grundsätzlich besteht die aktuelle Bedeutung der Klagelieder heute wie schon seit Beginn der Rezeption darin, dass man sie auf eigenes Leid übertragen kann. Die Worte des Dichters machen Leserinnen und Lesern ein Angebot, schenken ihm Worte, die ihm helfen sollen und können, sein eigenes Leid, besonders natürlich Kriegserlebnisse, zu verbalisieren und damit vielleicht ansatzweise auch zu verarbeiten.
10.3. Musik
Im Mittelalter wurden die Klagelieder bzw. Auszüge aus ihnen in den Trauermetten am Ende der Karwoche einstimmig mit einer einfachen Melodie, dem Lektionston, gesungen. Es gab viele verschiedene dieser einfachen Melodien. Im Spätmittelalter wurde die musikalische Gestaltung ausgebaut. Seit der Mitte des 15. Jh.s sind mehrstimmige Vertonungen belegt, die sich in der Textauswahl erheblich unterscheiden. Erst nachdem das Konzil von Trient für die Liturgie der Trauermetten eine Textauswahl getroffen hatte, setzte sich diese auch in den Vertonungen durch. Im 16. Jh. gewannen die Feierlichkeiten der Karwoche an Gewicht und die musikalische Aufführung der Klagelieder erhielt zentrale Bedeutung. Es kam zu einer Fülle von Vertonungen der Threni.
Elzear Genet, genannt Carpentras (1475-1548), schuf als päpstlicher Kapellmeister (1514-1521) die erste polyphone Vertonung für die Sixtinische Kapelle und hatte mit ihr eine stilbildende Wirkung auf die „Lamentationen“ anderer in Rom wirkender Musiker (Juan Escribano 1478-1557; Cristóbal de Morales 1500-1553; Costanzo Festa 1490-1545). Bald entstanden auch in Spanien, Frankreich, Deutschland, England, Polen und anderen Ländern mehrstimmige Vertonungen. Die meisten Kompositionen sind für a cappella singende Männerchöre geschrieben, einige sind auch mit einer Frauen- oder Kastratenstimme besetzt (z.B. Sebastián Raval 1550-1604).
Im 17. Jh. rückt bei der Vertonung der Klagelieder der monodische Stil ins Zentrum (z.B. Emilio del Cavaliere 1550-1602; Johann Rosenmüller 1619-1684). Die Klage gewinnt an Pathos und erinnert an Lamentogesänge aus Oper und Oratorium. Für das Barock sei auf Jan Dismas Zelenka (1679-1745) verwiesen, der von 1710 bis zu seinem Tod als Komponist an der Dresdener Hofkapelle wirkte. 1723 beginnt Johann Sebastian Bach (1685-1750) seine Kantate „Schauet doch und sehet, ob irgendein Schmerz sei (Klgl 1,12
Im 20. Jh. hatten Vertonungen der Klagelieder Jeremias, auch wenn sie noch vom lateinischen Vulgatatext ausgehen (Krenek, Stravinsky), kaum noch die liturgische Verwendung im Gottesdienst im Blick. Leonard Bernstein (1918-1990) komponierte während des Zweiten Weltkriegs, 1942, die „Symphonie Nr. 1. Jeremia“, die 1944 uraufgeführt wurde. Der dritte Teil „Lamentation“ blickt auf die Zerstörung Jerusalems als Erfüllung der Ankündigung des Propheten. Eine Sopran-Solostimme singt Auszüge aus Threni und nimmt dabei die Melodie auf, mit der der Text traditionell am Vorabend des 9. Av in der Synagoge vorgetragen wird. Ebenfalls 1942 vertonte Ernst Krenek (1900-1991) die Klagelieder in seinem Opus für vierstimmigen Chor a cappella „Lamentatio Jeremiae Prophetae, secundum Breviarium Sacrosanctae Ecclesiae Romanae“ (op. 93), das gregorianische Elemente aufnimmt, jedoch stark von Zwölftonmusik geprägt ist. Rudolf Mauersberger (1889-1971), der von 1930 bis zu seinem Tod den bedeutenden Dresdner Kreuzchor leitete, erlebte in der Bombennacht vom 13. Februar 1945 die Zerstörung Dresdens. Schon am Karsamstag desselben Jahres komponierte er im Blick auf das traumatische Erlebnis die Trauermotette „Wie liegt die Stadt so wüst“, die Verse aus Klgl 1
Einen ganz anderen Akzent setzt der Liedklassiker „All Morgen ist ganz frisch und neu“, der auf Klgl 3,22f
10.4. Bildende Kunst
Aufgrund der Klagelieder wird Jeremia in der Kunst als klagender Prophet dargestellt. Eine lebensgroße Marmorstatue Donatellos zeigt ihn mit ernster, ja verbissener Miene (ca. 1425). Bei Michelangelo erscheint er in der Sixtinischen Kapelle in Aufnahme mittelalterlicher Darstellungen sitzend mit melancholisch gesenktem und aufgestütztem Haupt sowie niedergeschlagenen Augenliedern (ca. 1510). Auch Rembrandts bekanntes Ölgemälde „Jeremia trauert über die Zerstörung Jerusalems“ zeigt den Propheten mit dem Melancholiegestus des aufgestützten Kopfes in sprachloser Trauer versunken (1630). Dadurch, dass der Betrachter von oben auf Jeremia herabschaut und dessen Gesicht im spitzen Winkel kaum sehen kann, vermittelt das Bild gegenüber dem Propheten eine distanzierte Ferne. Im 20. Jh. erscheint Jeremia bei Chagall als alter, nach vorne gebeugter Mann. Im Hintergrund des Bildes dominieren rote Farben, die auf das Feuer der Zerstörung Jerusalems verweisen.
Eine Illustration nicht nur des Lebens Jeremias, sondern auch der Klagelieder bietet die Bible Moralisée aus dem 13. Jh. Hier wird der Inhalt der Threni in einer Fülle von Szenen bildlich umgesetzt. Aufgenommen werden diese Bilder zu Jeremia und zu den Klageliedern in einem der berühmten, ebenfalls aus dem 13. Jh. stammenden Fenster von Sainte Chapelle in Paris.
Literaturverzeichnis
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Abbildungsverzeichnis
- Jeremia als klagender Prophet (Michelangelo; Sixtinische Kapelle; um 1510).
- Jeremia trauert über die Zerstörung Jerusalems (Rembrandt; 1630).
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