Kleidung / Verkleidung
(erstellt: Januar 2018)
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1. Kleidung als second skin
Kleidung bildet eine Art Nahtstelle zwischen dem Körper und seiner Umgebung und kommuniziert mit der Gesellschaft anhand kultureller Symbolsysteme. Kleidung bildet in gewisser Weise eine Erweiterung des Körpers, der Körperoberfläche und wird darin zur second skin.
Zum ersten kann Kleidung wie Schmuck und andere Accessoires als Produkt, als materiell Erzeugtes untersucht werden (→ Kleidung / Textilherstellung
Zum zweiten wirkt Kleidung wie eine Sprache und generiert in ihrer Zeichen- und Symbolhaftigkeit Bedeutung. In dieser Funktion können im Medium Kleidung Repräsentationen dargestellt und soziale Orientierungsmöglichkeiten bereitgestellt werden.
Ein dritter Aspekt von Kleidung beobachtet Interaktionsprozesse zwischen Individuum und Gesellschaft, zwischen Körper und Kleidung. Die Betrachtung eines vestimentären, sprich eines auf Kleidung bezogenen Verhaltens verweist auf kulturelle Codes und Normen respektive deren Aushandlungsprozesse in Bezug auf Fragen von Identitätskonstitutionen (vgl. Pezzoli-Olgiati / Höpflinger, 8-14; vgl. auch Calefato, 5-15).
2. Dimensionen der Kleidung
Vor diesem Hintergrund sollen zunächst grundlegende Funktionen, symbolische Repräsentationen und vestimentäre Handlungen in Texten des Alten Testaments angezeigt werden (2.1.; 2.2.). Ein eigener Abschnitt (3.) wird sich konkret dem Motiv des Verkleidens in ausgewählten Erzählungen widmen.
2.1. Funktionen und Symbolik der Kleidung
In einer grundlegenden Arbeit zur Kleidersymbolik der Bibel hat Edgar Haulotte 1966 die Zeichenhaftigkeit von Kleidung, Funktionen und Rituale in ihren jeweiligen Kontexten systematisiert. Die Frage nach der Bedeutung und Symbolik von Kleidung findet sich durchaus immer wieder bis in neuere Monographien (vgl. da Silva; Staubli; mit spezifischem Fokus vgl. Podella; Kersken) sowie Lexikonartikeln (vgl. Müller; Bender / Bieberstein; für einen Überblick zur Literatur vgl. Bender, 15-25; Schroer, 333f.).
2.1.1. Kleidung in den Grundfunktionen von Schutz, Dekor und enhancement
Kleidung dient in einer ersten Funktion ganz existentiell dem Schutz des Körpers vor Kälte und Witterung. Gleich der Nahrung oder eines Obdachs zählt sie zu den Grundbedürfnissen des Menschen, auf deren Erfüllung besonders geachtet werden soll, wie z.B. in Jes 58,6f
„Das aber ist ein Fasten, an dem ich Gefallen habe … Besteht es nicht darin, dein Brot dem Hungrigen zu brechen und dass du heimatlose Elende ins Haus führst? Wenn du einen Nackten siehst, daß du ihn bedeckst und daß du dich deinem Nächsten nicht entziehst?“
Als Bitte oder ethische Forderung in legislativen oder mahnend-prophetischen Texten drückt sich diese Fürsorge bzw. Fürsorgepflicht aus (vgl. Gen 28,20f
Neben dieser physiologischen Schutzbestimmung verbirgt Kleidung auch die Blöße und reguliert darin soziale Praktiken der Selbst- und Fremdwahrnehmungen in Bezug auf eine unangebrachte Darstellung des Körpers (vgl. Gen 9,22f
→ Schmuck
2.1.2. Kleidung als Repräsentation
Als Kennzeichen für einen bestimmten Status oder eine Berufsgruppe markiert Kleidung als Distinktionsmerkmal eine bestimmte Zugehörigkeit (vgl. Dinges, 90). Darin informiert eine Kleidung über Dignität und Funktion einer Person in der Gesellschaft und reguliert soziale Formen der Zugehörigkeit und Abgrenzung (vgl. da Silva, 35ff.).
Detailreich ist die Kleidung der → Priester
Der Ornat des → Königs
Die Zugehörigkeit zu einer fremden oder niederen Gruppen wird z.B. an Gefangenenkleidung sichtbar (Dtn 21,13
Auch die Bestimmung eines Familienstandes wird mittels Kleidung kenntlich gemacht. Als Unverheiratete, als Jungfrau präsentiert sich die Einzelne anders als im Status der Witwenschaft (vgl. 2Sam 13,18
Als Repräsentation und in ihrer engen Beziehung zum Träger fungiert Kleidung weiterhin als Ausweis der Person selbst. Ein Israelit erinnert sich durch Quasten an seinem Gewand an die Beachtung göttlicher Gebote und macht zugleich seine Zugehörigkeit zur JHWH-Gemeinschaft sichtbar (Num 15,38f
In der Beschreibung von Personen in einer existentiellen Bedrohung kann eine vergleichende bzw. metaphorische Rede durch Kleiderbilder die Dynamik dieser umgreifenden Erfahrung verdeutlichen. Das von → Motten
2.2. Handlungen an und mit Kleidung
In der Interaktion zwischen Körper und Außenwelt können durch und mit Kleidung bestimmte Handlungen ausgeführt werden. Solche vestimentären Handlungen können als komplexe soziale Taktiken (Dinges, 92f.) wahrgenommen und interpretiert werden. Sie werden darin mit Sinn behaftet und ihre Darstellung in Texten ermöglicht eine Form der Lesbarkeit der (Text-)Welt.
Als elementare Formen lassen sich das Ablegen, das Anlegen oder der Wechsel von Kleidung nennen. Je nach erzählerischem Kontext und der Strukturierung von Handlungszusammenhängen kann eine Bedeutung des Kleidungsaktes erzeugt werden. Einige grundlegende kulturspezifische vestimentäre Codes sollen im Folgenden dargestellt werden. (vgl. Bender, 36ff.).
Kleidung stellt in ihrer materialen Beschaffenheit ein zunehmend wichtiges Forschungsfeld der material culture dar. Gemäß einem bestimmten Selbstverständnis dieser Fragerichtung geht es dabei aber nicht allein um die Sichtung und Systematisierung von Material an sich. Vielmehr stellt sich gezielt die Frage nach der Beziehung zwischen dem Menschen und den Objekten, ihrer Interaktion und möglichen, daraus entstehenden Kommunikationsprozessen. Bedeutung kann nicht allein in der materiellen Beschaffenheit eines Objektes generiert werden, sondern in der Betrachtung von Aneignungsformen. Insofern stellt Kleidung etwas dar, das unmittelbar zum Menschen und seiner Körperlichkeit gehört (vgl. Mentges, 17f.; vgl. Eggert, 27f.).
2.2.1. Entkleiden als Zeichen von Demütigung und Trauer
Sofern der bekleidete Mensch eine gewisse Normalität ausdrückt (vgl. Staubli, 12) und ein Zustand der Nacktheit aus Schamgefühl zu vermeiden ist (vgl. Müller, 268), stellen Formen der Ent-Kleidung, der → Nacktheit
So sind es insbesondere gewaltvolle Handlungen der Selbst- und Fremdentkleidung, die in ihrer Dramatik einen Symbolgehalt haben. Die Wegführung von Kriegsgefangenen, nackt und bloß, hält ganz augenscheinlich die Beschämung seitens des Siegers fest (Jes 20,4
Die einschneidende Entblößung als Selbstentkleidung findet ihren prominentesten Ausdruck im Akt des Kleiderzerreißens (קרע qr‘; → Totenklage
In den Erzählungen um die großen Könige und deren Aufstieg und Fall wird eine Handlung am Königsmantel zum Sinnbild des gegenwärtigen oder kommenden Ergehens (vgl. Verman). Das Zusammenfallen von Kleidung und Person ermöglicht gerade im royalen Kontext in bildlicher Weise Aussagen über die Dynastie.
Besonders in den Erzählungen um → Saul
2.2.2. Ankleiden als Amtsbekleidung
Die inhärente Verwobenheit von Kleidung und Person spiegelt sich auch in Handlungen des Ankleidens wider. Die feierliche Bekleidung durch eine höher gestellte Person beschreibt die Investitur in ein Amt oder einen Rang (vgl. Bender, 70f.). Der Pharao befördert Josef in sein Amt als Aufseher, Aaron wird mit heiligen Kleidern in den Priesterdienst eingesetzt (Gen 41,41f
2.2.3. Kleiderwechsel als Statuswechsel
In Fortführung der beiden vorangegangenen Kleiderakte verkörpert ein Kleiderwechsel in dynamischer Weise die Änderung von Zeit und Raum. Vorbereitend auf kultische Zeremonien finden sich solch Rituale des Kleiderwechsels bzw. der Reinigung als Praxis des Übergangs (Gen 35,2
3. Verkleidung
Sofern Handlungen und ihre Bedeutung Konventionen entsprechen, stiften sie Ordnung. In dieser Ordnungsfunktion garantieren sie z.B. die Unterscheidung von Heiligem und Profanem, wie es das Beispiel der Priesterkleidung zeigte (Ex 28). Der Akt des Kleiderzerreißens zeigte, wie in einer Situation der Trauer bzw. Schwäche der Rückgriff auf ein festes Ritual stabilisierend wirkend kann (vgl. dagegen die Irritation, als David gemeinschaftliche Trauerrituale durchbricht, 2Sam 12,19-23
Verkleidung durchbricht eine Ordnung, sofern sie außerhalb festgesetzter Zeiten (z.B. Karneval) und in täuschender Absicht getragen wird: „Verkleidung wird in Israel auffälligerweise nie zum Spaß eingesetzt [… Ihr] scheint etwas Problematisches, sogar Gefährliches anzuhaften.“ (Schroer, 331).
Verkleidung ist ein verfremdendes Verfahren. Sie stellt eine Illusion dar, die als solche nicht gekennzeichnet ist. Da Verkleidung mit dem Sehsinn und daraus folgernd der Idee von Erkenntnis und Wahrnehmung spielt, macht sie in subtiler Weise auf Erkenntnisprozesse aufmerksam (vgl. Kurth, 22).
3.1. Begriffe und Terminologie
Expressis verbis wird eine Verkleidungshandlung insbesondere durch die Verben חפשׂ ḥpś und שׁנה šnh dargestellt. Sich verkleiden kann durch חפשׂ ḥpś Qal „erforschen / prüfen“ ausgedrückt sein und bedeutet in der reflexiven Form im Hitp. „sich suchen lassen“ und davon abgeleitet „sich unkenntlich machen / verkleiden“ (1Sam 28,8
Des Weiteren können durch den Kontext auch allgemeine Termini der Kleiderhandhabung eine Handlung als Verkleidung eindeutig bezeichnen. Wesentlich ist dabei, dass die Erscheinungsweise diametral zur Realität steht und als bewusstes Mittel eingesetzt wird. Seine Verkleidung verstärkt → Jakob
3.2. Das Motiv der Verkleidung in Erzählungen
Kleidung als bildreiche Form von Kommunikation kann in Texten ein wichtiges Motiv sein. Verkleidung im Speziellen ist besonders in Erzählungen ein tragendes Moment. Erzählungen leben von einer spannungsvollen Darstellung, von der Entwicklung sowie der Lösung eines Konfliktes. Verkleidung als Form der Täuschung entwickelt ein solches Moment. Im Erzählverlauf kann das Verkleidungsmotiv eine unverzichtbare Funktion einnehmen, um den Handlungsverlauf (plot) zu dieser spannungsreichen Verkettung von Ereignissen zu führen (vgl. McKay, 84) und eben in ihrer kommunikativen Funktion Bedeutung schaffen: „The garments speak silently, but speak they do.“ (McKay, 93; vgl. auch Silverman).
Dadurch, dass Kleidung und Handlungen mit Kleidung aber immer auch in ihrem symbolischen Sinngehalt gedeutet werden können, sind diese Szenen auf die Art und Weise des Erzählverlaufs hin zu befragen (story). Die folgenden Erzählungen werden dahingehend auf die Gesichtspunkte befragt: Wie ist der Verkleidungsakt in die Erzählung eingewoben? Wie gestaltet sich der Verkleidungsakt an sich? Welche erzählerische Intention kann am Verkleidungsakt festgemacht werden (vgl. Silvermann, 2)?
3.2.1. Gen 27: Jakob als Esau
Die Szene der Verkleidung von → Jakob
→ Isaak
Aufgedeckt wird die Verkleidung, als Esau mit dem gewünschten Essen und für den Segen vor den Vater tritt (Gen 27,30-40
Der Verkleidungsakt wird mit לבשׁ lbš Hif. „jemanden etwas anziehen lassen“ ausgedrückt. Dabei dürfte die Frage der Verantwortlichkeit im Hintergrund stehen. Jakob wendet auf den Plan der Mutter ein: „ich würde vor ihm dastehen, als ob ich ihn betrügen wollte, und brächte über mich einen Fluch und nicht einen Segen.“ (Gen 27,12b
Die Erzählung drückt in ihren Ambivalenzen eben jene Spannung aus, die sich in der Geburtserzählung in Gen 25 zwischen familiärer und göttlicher Bestimmung angedeutet hat. Die Verkleidung Jakobs ist funktional angelegt und gibt in ihrer Verbindung von edlen Gewändern und Ziegenfellen ein clownesques Bild ab. Der Verkleidungsakt wird in die Hände der Mutter gelegt, doch in seiner Lüge: „Ich bin Esau, dein erstgeborener Sohn.“ (Gen 27,19
Die Täuschung selbst wird spannungsreich ausgestaltet. Der Tast- und Geruchssinn Isaaks kann getäuscht werden, durch sein Hören droht für einen Moment die Tarnung aufgedeckt zu werden. Doch letztlich ist die eingeschränkte Wahrnehmung zu dominierend und hält das Trugbild aufrecht.
Die Ambivalenzen des Verkleidungsakts und seiner intendierten Illusion deuten auf das undurchsichtige Schicksal des Segensträgers hin. Denn weder ist seine familiäre Vorrangstellung darin besiegelt (Jakobs Flucht in Gen 27,41ff
3.2.2. Gen 38: Tamar als Hure
Die Erzählung um → Tamar
Die List, mit der sich Tamar zu Kindern verhilft, ist eine Verkleidung, die mit der sozialen Codierung von Witwen und Prostituierten spielt. Als Witwe ist ihr ein Beischlaf untersagt, als Prostituierte ist dieser gegen Bezahlung möglich. Sie legt das Erkennungsmerkmal der Witwenkleider ab, verhüllt sich mit einem Schleier und setzt sich vor das Tor (Gen 38,14
Ein listreiches Verhalten von Frauen mit dem Ziel zu Kindern zu kommen, ist immer wieder Thema und die Täuschung erfolgt auch andernorts durch ein Trüben der Sinne, sei es durch Trunkenheit oder die Dunkelheit der Nacht (vgl. Gen 19: Lots Töchter; Gen 29: Jakobs Eheschließungen; Rut 3: Rut bei Boas, vgl. Fischer, → Rut
Die Handlungen des Ablegens und Verhüllens, die Tamar in gegenläufiger Bewegung vollzieht, haben in ihrer Semantik auch die Konnotationen moralisch-ethischer Verhaltensweisen. Das Ablegen (סור swr) wird auch im Sinne des Abweichens gebraucht und kennzeichnet das Abkommen vom rechten Weg (z.B. Dtn 5,32f
Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Vergleich mit der Figur der klugen Frau aus → Tekoa
3.2.3. 1Sam 28: Saul in Verkleidung zur Orakelschau
In 1Sam 28,3-25
Die Verkleidung funktioniert zunächst, die Frau von En-Dor erkennt den Ratsuchenden nicht als Saul und wehrt dessen Anfrage mit Verweis auf das erst kürzlich erlassene Gebot des Königs ab: „Warum willst du mir eine Falle stellen, dass ich getötet werde?“ (1Sam 28,9
Saul lässt sie Samuel heraufbeschwören. Doch als sie Samuel sieht, schreit sie auf und klagt den nun erkannten Saul des Betruges an (1Sam 28,12
In dieser und auch den folgenden Erzählungen von Königen (s.u.) wird das Verkleidungsmotiv stärker funktional eingesetzt. Der König ist an seiner spezifischen Kleidung und erzählerisch auch nur an dieser erkennbar. Darin knüpft sich eine Identifizierung allein an das königliche Gewand. Die Verkleidung selbst wird nicht detailreich beschrieben, da sie zweckdienlich ist und zu der übergeordneten Erzählintention nur hinzukommt (zu diesem märchenhaften Zug vgl. Friede).
In 1Sam 28 wird die Vorbereitung, sich unkenntlich zu machen, in dreifacher Reihung geschildert. Allein ein Ablegen des spezifischen Oberkleides als Erkennungszeichen (wie z.B. der Priesterrock für Samuel in 1Sam 28,14
Die Erzählung wirft kein gutes Licht auf Saul. Er selbst erkennt Gesetze nicht an, die von ihm erlassen wurden. Er selbst macht sich unkenntlich, um diese zu übertreten. Ein Verhalten, das seinen Untergang begründet (vgl. die explizite Deutung der Verfehlung als falsches Vertrauen in 1Chr 10,13f
3.2.4. 1Kön 14: Jerobeams Frau in Verkleidung zur Prophetenbefragung
In der biblischen Darstellung um den Nordreich-König → Jerobeam I.
In einer geschichtspolitischen Rahmung (1Kön 13,33f
Die Erzählstimme berichtet, dass Jerobeams Sohn → Abija
Die Frau geht zu dem altersblinden Ahija, der jedoch vorab durch ein Gotteswort erfährt, wer zu ihm kommt (1Kön 14,4f
Die Frau Jerobeams soll sich auf dessen Anweisung hin verkleiden, damit niemand erkenne, dass sie seine Frau sei. Auf welche Weise dies konkret geschah, wird nicht beschrieben; allein 1Kön 14,5f
Das Motiv spielt im weiteren Verlauf der Erzählung, die sich dann in der prophetischen Unheilsschilderung erschöpft, keine explizite Rolle mehr. Grundsätzlich mag die Unheilsansage angeknüpft an das Schicksal des Kindes auch ohne „die – sinnlose – Verkleidung“ (Knauf, 397) funktionieren und einer späteren Redaktion zuzuschreiben sein. Umso lauter stellt sich die Frage nach deren Intention.
Dass Jerobeam nicht selbst die Begegnung mit dem Propheten Ahija sucht, ist einer gewissen Zurückhaltung geschuldet, die sich aus der Erfahrung der letzten Begegnung in 1Kön 11,29-39
3.2.5. 1Kön 20: Eine prophetische Zeichenhandlung
Ein weiterer König erhält in der Begegnung mit einem Propheten unter Zuhilfenahme des Verkleidungsmotivs eine Lehre. In 1Kön 20 wird von den Kriegen des israelitischen Königs → Ahab
Die konkrete Handlung der Verkleidung zeigt sich in der „Verhüllung der Augen mit einer Binde“ (1Kön 20,38
Die Absicht dieser Verkleidungshandlung auf der Erzählebene besteht primär darin, den eigenen Stand, die eigene Profession als Prophet zu verschleiern und als verwundeter Knecht dem König entgegenzutreten.
Denn erst in dieser Rolle kann er die Parabel, als eigenes Geschick getarnt, vor den König bringen und darin ein unverhülltes Urteil von diesem erwarten. Darüber hinaus wird in der Aufdeckung der Verkleidung vor den Augen des Königs dieser selbst seines Urteils überführt. Die schmerzhafte Erkenntnis zeichnet das Wegreißen der Binde und das Öffnen der Augen ganz bildhaft nach. Der sekundäre, königskritische Einschub verdeutlicht anhand des Verkleidungsmotives einen Verstehensprozess (vgl. ähnlich 2Sam 12 Nathanparabel; → Nathan
3.2.6. 1Kön 22: König Ahab ohne königliche Kleidung
Ein weiteres Mal wird anhand der Ahab-Figur in 1Kön 22 eine Erzählung mit dem Verkleidungsmotiv gestaltet. In der Passage zu Ahabs Tod (1Kön 22,29-40
Gemeinsam mit → Joschafat
Die Verkleidung wird durch kein Objekt oder weitere Handlungen näher beschrieben. Die Gegenüberstellung beider Könige macht deutlich, dass Ahab sich wohl eine Kleidung oder kriegerische Ausrüstung anlegt, die nicht als königlich identifizierbar ist; er soll also z.B. als gemeiner Soldat aufgetreten sein (vermutlich trägt ein König einen wertvollen Schuppenpanzer, der abgelegt werden kann, vgl. Weippert, 248). So will er der feindlichen Strategie, allein den König von Israel zu töten, entgegenwirken, indem er eben genau diesen königlichen Status verbirgt.
Dennoch stirbt er und 1Kön 22,38
Bezogen auf Königsfiguren kann zusammenfassend festgehalten werden, dass durch die Verkleidungsszene die Schuldhaftigkeit der Figuren verdeutlicht wird. Jeglicher Versuch des Verbergens offenbart ihre Vergehen umso mehr; die Oberflächlichkeit der Verkleidung untergräbt die Würde des königlichen Amtes. „It is clear that bounds are set to the royal authority; it is God who will determine the course of events, whatever the king may think or attempt to bring about.“ (Coggins, 60).
3.3. Die Problematik der Verkleidung
Jenseits von Bühne und Karneval kann die Verkleidung nur als Verstellung gelten. Gleich wie in der Sprache die Ironie (→ Humor
Bei der Verwendung des Verkleidungsmotivs lassen sich verschiedene Prinzipien unterscheiden. Zunächst drückt sich in formaler Hinsicht durch den Wechsel schlicht eine Veränderung aus (vgl. Eberhardt, 65). Darin, dass Kleidung nicht zu ihrem Träger passt, ja ihm sogar widerspricht, drückt sich als zweites Prinzip ein Gegensatz aus, der zu Spannungen führt (vgl. Eberhardt, 62). Als drittes Prinzip mag jenes der Mischung genannt sein. Auch wenn Träger und Getragenes äußerlich getrennt bleiben, so bemüht sich der Träger doch, die Rolle, die Figur anzunehmen. Darin kann sich eine ambivalente Wahrnehmung ausdrücken (vgl. Eberhardt, 66).
Die Verkleidung Tamars ist als einzige in expliziter Weise als Wechsel geschildert. Sie kleidet sich wieder in ihr Witwengewand, bevor ihre Verkleidung aufgedeckt werden kann. Die Veränderung, die dadurch herbeigeführt wird, ist in ihrer existentiellen Bedeutung nicht zu unterschätzen, da sie sich durch die List ihr Recht verschafft und damit soziale Integration wieder möglich wird.
Die Weise der sozialen Rehabilitierung erfolgt in Form einer Selbsterniedrigung. Gleichwie der königliche Mantel zum Statussymbol wird und die entsprechende Ehrerbietung zur Folge hat, kann das Äußere einer Prostituierten als eine Art vestimentäres „Stigma-Symbol“ (Jütte, 67) eine abwertende soziale Information vermitteln. Auch ein Stigma-Symbol reguliert und schafft eine Ordnung, da diese zugleich die Unversehrtheit „ehrbarer, bürgerlicher“ (Jütte, 73) Frauen schützt und klar abtrennbare Räume für bestimmte Verhaltensweisen nebeneinanderstellt. Nach dem Prinzip des Wechsels zeigt sich in der so erzählten Aneignung der Kleidung eine Störung der Ordnung in der Durchbrechung regulierter Räume und Zeiten.
Unter das Prinzip des Wechsels fällt auch das Verbot des Kleidertausches zwischen den Geschlechtern in Dtn 22,5
Die Erzählungen der verkleideten Könige folgen einem Prinzip des Gegensatzes. Die Verleugnung der eigenen Rolle bei gleichzeitiger Unachtsamkeit gegenüber der sozialen Bedeutung königlicher Kleider führt zu den Spannungen, die zu Ungunsten der königlichen Figur aufgelöst werden können. Die Erkennbarkeit der sozialen bzw. politischen Stellung einer Person an ihrer Kleidung – je höher diese Stellung desto feinsinniger die „Etikettensensibilitäten“ (Staubli, 14) – kann zeitweise vor der menschlichen Wahrnehmung getrübt werden. Doch angesichts einer göttlichen Ordnung erweist sich jedes Bemühen, dieser Rolle zu entkommen, als vergeblich (vgl. Staubli, 17). „[D]as von Gott bestimmte Schicksal ereilt die Verantwortlichen unerbittlich, mögen sie sich noch solche Mühe gegeben haben, ihrer königlichen Rolle für einmal zu entkommen.“ (Schroer / Staubli, 390).
Wie sehr eine Verkleidung gemäß dem Prinzip der Vermischung eine Ordnung unterläuft, zeigt sich an der Jakobsfigur. Die Verkleidung selbst vermengt Nicht-Zusammengehörendes und steht darin einem Prinzip der Reinheit entgegen (vgl. Verbot der Gewebevermischung Lev 19,19
Die Kleidung, verstanden als second skin, ist eng mit dem Körper und der Person verbunden. Einem Verkleiden, einem Ablegen dieser sozialen Haut, haftet letztlich immer etwas Anrüchiges an (vgl. Schroer / Staubli, 390).
Literaturverzeichnis
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