König / Königtum (Ägypten)
(erstellt: August 2006)
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1. Einleitung
1.1. Die Bezeichnung „Pharao“
Als „Pharao“ (< pr ‘3 „großes Haus“) wurde seit dem Alten Reich der innerste, „private“ Teil des königlichen Palastes bezeichnet (s. WÄS I, 516, 2; vgl. Boorn, 67: Beschreibung der Residenz in den sog. „Wesirtexten“), bis der Begriff seit Thutmosis III. (15. Jh.) auf den König in seiner amtlichen Funktion übertragen wurde (vgl. 2.3.). Allgemein versteht man unter „Pharao“ den ägyptischen König als Staats- und Regierungsspitze.
1.2. Der König als Institution
Die ägyptischen Quellen (vgl. 1.3.) stellen den König als Institution in den Vordergrund, d.h., dass wir über die persönlichen Gedanken und Schicksale nicht informiert sind. In nichtägyptischen Quellen (z.B. in Texten des Alten Testamentes) kann die Bezeichnung Pharao (hebr. par’oh) wie eine Personenbezeichnung verwendet werden. Ägyptische Beschreibungen des Königs sind im Normalfall offizielle Verlautbarungen (Klug); dies gilt auch für die sog. Königsnovellen (Hofmann) und für „private“ Quellen, in denen die dienstlichen Beziehungen von Beamten zum jeweils regierenden König geschildert werden (Rößler-Köhler), entweder in den Grabdekorationen (als Nachweis des Königsdienstes [Guksch] und damit als Voraussetzung zum Übergang ins Jenseits) oder in Expeditionstexten (Blumenthal 1977b), die auch Berichte an die jeweilige Ortsgottheit sind (Gundlach 1980; s. hierzu Shirun-Grumach).
1.3. Äußere Merkmale des Königtums
Ägyptische Quellen zum Königtum bestehen in bildlichen und textuellen Beschreibungen und Nennungen des Königs.
1.3.1. Die ikonographische Darstellung des Königs
Wichtigste ikonographische Merkmale sind die königlichen Bekleidungsstücke, insbesondere Kronen (Strauß, Goebs), das sog. Königskopftuch „Nemes“ (Müller), Zeremonialbart (te Velde), Zepter (Kaplony) und Königsschurz (Staehelin).
Die Vielfalt der Kronen erreicht ihren Höhepunkt in der griechisch-römischen Zeit. Wichtigste Kronen sind die „Weiße Krone“, ein Lederhelm, und die „Rote Krone“ aus Kupfer. Die Weiße Krone wird insbesondere mit der Feindvernichtung assoziiert und ist in diesem Zusammenhang zuerst auf der Narmerpalette belegt. Die ursprüngliche Bedeutung der Roten Krone ist im kultischen Rahmen anzunehmen (Otto 1960). Beide Kronen (Roeder) sind oberägyptischen Ursprungs und bereits während der Dyn. 0 zur sog. „Doppelkrone“ zusammengesetzt worden (belegt in der Liste der „vorgeschichtlichen Könige“ auf dem Palermostein). Sekundär wurden sie mit den „Beiden Ländern“, d.h. Ober- und Unterägypten, verbunden und dienten auch als Zeichen für die Himmelsrichtungen Süden und Norden.
Bildlich dargestellt wurde der König vor allem als Kultvollzieher, im Neuen Reich auch als siegreicher Bekämpfer der Feinde. Das seit Mitte des 4. Jahrtausends bis in die römische Zeit belegte „Erschlagen des Feindes“ ist eine Ritualhandlung, deren praktischer Vollzug nicht nachgewiesen ist, die aber entweder einen Sieg voraussetzt oder allgemein zur Manifestation der Weltherrschaft des Königs diente (Wildung; Gundlach 1988). Dieses Ritual ist zuerst belegt auf der Narmerpalette (das Motiv könnte auf eine ähnliche Szene im „Bemalten Grab“ in Hierakonpolis zurückgehen, auf der allerdings drei Feinde erschlagen werden).
1.3.2. Die Nennungen und Beschreibungen des Königs in Texten
Textuelle Nennungen und Beschreibungen des Königs lassen sich in fünf Gruppen einteilen: königliche Titulaturen, identifizierende Beschreibungen des Königs, sog. „Eulogien“, Beschreibungen königlicher Handlungen und „literarische Bezeugungen“:
a) Titulaturen: seit dem Alten Reich erhält der König eine fünfgliedrige Titulatur, die seine Funktionen als Herrscher und Regent aufzählen (vgl. 2.3.). Die fünf (Basis-)Titel
- (I) „Horus“,
- (II) „Die beiden Herrinnen“,
- (III) „Goldhorus“,
- (IV) „König“ und
- (V) „Sohn des Re“
b) Identifizierende Beschreibungen des Königs: hier handelt es sich um Identifizierungen des Königs mit Gottheiten (z.B. in Hymnen des Mittleren Reiches und in der „Loyalistischen Lehre“) oder um Charakterisierungen des Königs als militärisch Handelnder (vgl. unter d).
c) „Eulogien“: Speziell im Neuen Reich und hier insbesondere in der Ramessidenzeit wurden sog. „Eulogien“ verfaßt, die auf der Grundlage der Titulaturen umfangreiche Ausführungen zur Königsideologie darstellen (Assmann 1977; Maderna-Sieben).
d) Beschreibungen königlicher Handlungen: Bildliche Darstellungen des Königs enthalten Beischriften zur Kennzeichnung der Kulthandlungen des Königs. Daneben werden in Feldzugsberichten (insbesondere auf Stelen als Mittel königlicher Verlautbarungen), Berichten über Tempelgründungen usw. die jeweiligen Vorgänge vornehmlich als Handlungen des Königs beschrieben.
e) „literarische Bezeugungen“: Eine Sondergruppe stellen Texte, insbes. Literaturwerke dar, in denen Beziehungen des Königs zu seinen Beamten – z.B. in der Geschichte des Sinuhe (Koch, 59ff; Lichtheim, 229-233; Burkard, 110-119) –, besondere königliche Taten geschildert werden – z.B. in dem fiktiven Testament Amenemhets I. (Helck 1969; Burkard, 104-109) – oder Ausführungen zur (fiktiven) historischen Rolle von Königen formuliert sind, so z.B. in dem Stiftungstext Hatschepsuts I. im Speos Artemidos bei Benī Ḥasan, in der die Königin sich als Vertreiberin der Hyksos beschreibt (Gardiner, bes. 47f zu den Textzeilen 37-39).
1.4. Äußerer Rahmen des Königtums: Residenzen und Nekropolen
Die Wirkungsstätten des Königs (zusammenfassend als „Residenz“ verstanden) sind Palast, Tempel und Königsnekropole (Gundlach 2004; Gundlach 2005). Der jeweilige königliche Palast ist der Ort des Vollzuges der Administration, die Tempel dienen dem Kultvollzug und die Aufgabe der Gräber der Königsnekropole ist die Sicherung der jenseitigen Existenz der verstorbenen Könige, deren Nachkomme und Amtsnachfolger der jeweils im Diesseits amtierende König ist. Administration und Kultvollzug entsprechen den drei Hauptaufgaben des ägyptischen Königs: Fürsorge nach innen, Abwehr nach außen und Kult nach oben (Gundlach 1998a, 23-26).
Während in der Frühzeit, abgesehen von der Residenz Hierakonpolis (Königsfriedhof in Abydos) zumindest zeitweise ein Reisekönigtum belegt ist, das auch als „Horusgeleit“ bezeichnet wurde (Beckerath 1980), lassen sich spätestens seit der Zeit um 3000 („Übergang“ von der Dynastie 0 zur 1. Dynastie) eine große Zahl sog. „Residenzen“ nachweisen, deren wichtigste Memphis, Theben, Amarna und Ramsesstadt sind. Im 3. und in der 1. Hälfte des 2. Jahrtausends lagen der Königssitz (Palast) und die Königsnekropole in räumlicher Nähe zueinander. Im Neuen Reich konzentrierte sich die administrative Tätigkeit der Zentralregierung auf Memphis, während die wichtigsten Tempel und die Königsnekropole in Theben betrieben wurden. In der 3. Zwischenzeit und der Spätzeit wechselten die Residenzen je nach Dynastie. Beispiele für Residenzanlagen sind der Djoserbezirk bei Saqqara (3. Dynastie) und die rekonstruierbare Residenz auf Grund der „Wesirtexte“ aus der 13. Dynastie (Boorn, 67).
2. Aspekte des Königtums
2.1. Zum Begriff der „Königsideologie“
Die Gesamtheit der ägyptischen Vorstellungen zum Königtum wird vielfach mit dem Begriff „Königsideologie“ bezeichnet (Blumenthal 1980). Er umfasst sowohl die Theologie des Königtums als auch dessen staatsrechtliche Stellung, seine politische und soziale Funktion bzw. Rolle. Als Grundlage königlichen Handelns findet sie Eingang in die jeweilige Königstitulatur, verbunden mit zeitgebundenen Zielen der königlichen Regierung, dem „Regierungsprogramm“ (Gundlach 1998a, 43). In den folgenden Abschnitten werden die wichtigsten Komponenten der ägyptischen Königsideologie skizziert.
2.2. Diesseitiger und jenseitiger König
Ideologisch gilt jeder König als „Sohn“ seines Vorgängers, für dessen Totenkult er verantwortlich ist (Assmann 1976, bes. 41-46). Der Vorgänger übernimmt (belegt bereits in den Pyramidentexten) die Herrschaft im Jenseits und wird in unterschiedlicher Weise mit dem Sonnengott identifiziert; damit ist der diesseitige König der Sohn des Sonnengottes, von dem er durch Thronbesteigung und Krönung (vgl. 2.5.) die Königswürde und die magischen Machtmittel des Sonnengottes erhält (vgl. 2.4.). Diese Übertragung wird im Verlaufe seiner Regierungszeit regelmäßig erneuert (vgl. 4.). Als vom Sonnengott legitimiert ist er (im Diesseits) der einzige legitime Herrscher der Welt, zuständig für den gesamten Kosmos. Er garantiert den Bestand der Weltordnung (Maat) „bis zu den Himmelsstützen“ und prägt die Ordnung der Unterwelt mittels der „wirklichkeitsschaffenden“ Dekoration des jeweiligen Königsgrabes – im Neuen Reich mittels der „Unterweltsbücher“ (Hornung 1982a und 1982b) –, in deren Rahmen der jenseitige König agiert und jeden Morgen die Neugeburt der Sonne – also seiner „Behausung“ – zelebriert.
Die Dualität Sonnengott (= jenseitiger König) + diesseitiger König wird ergänzt durch die „neben“ dem Sonnengott anzuordnende Himmelsgöttin (z.B. Hathor) als göttliche Mutter des diesseitigen Königs, deren Rolle die leibliche Mutter des Letzteren und in bestimmten Ritualen auch die Hauptgemahlin kultisch übernehmen kann (→ Königin in Ägypten
2.3. Zentrum des Staates: Herrscher und Regent
Frühzeit. Die am frühesten belegte Bezeichnung des Königs ist „Horus“. Ihre Herkunft ist umstritten. Während die Parallelität vom Sonnengott Horus und dem gleichlautenden Königstitel spätestens seit der Thinitenzeit (1./2. Dynastie) festzustellen ist – was Schlussfolgerungen zu Kompetenz und Rolle des Königs zulässt (Gundlach 1998a, 49-57) –, ist neuerdings aus der Analyse abydenischer Schriftzeugnisse aus der 0. Dynastie postuliert worden, dass sich der Name des Königs Horus ähnlich wie in der römischen Kaiserzeit der Name „Caesar“ zum Titel entwickelt hat (Dreyer, 180). Auf jeden Fall trat schon in der Thinitenzeit daneben der Königstitel nj-sw.t-bj.tj auf (traditionell als „König von Ober- und Unterägypten“ übersetzt: im Folgenden als „Amtskönig“ verstanden).
Altes Reich. Die Titulatur des Alten Reiches (s.o.) zeigt deutlich einen Aspektunterschied zwischen beiden Bezeichnungen: Die Horusqualität wird über die Doppelkrone (vertreten durch die „Beiden Herrinnen“) auf den Amtskönig übertragen. Horus erscheint als „nichthandelnder Herrscher“ und der Amtskönig als administrativ (und kultisch) tätiger „Regent“ (Gundlach 1998a, 152-159). „Die Beiden Herrinnen“ sind noch kein selbständiger Bestandteil der Titulatur (Schott, 56-61). Dagegen ist die Bezeichnung „Goldhorus“ wohl ein Hinweis auf die Verknüpfung der Amtstracht des Königs mit dem Sonnengold. Der Unterschied zwischen „Herrscher (=Horus)“ und „Regent (=Amtskönig)“ wird u.a. deutlich in den Dekreten des Alten Reiches und der beginnenden 1. Zwischenzeit: Unter dem Horus wird das Dekret erlassen und in der Anwesenheit des Amtskönigs gesiegelt (Goedicke, 9 und 12).
Insbesondere der Titel des „Amtskönigs“ wird durch spezifizierende Nebentitel ergänzt:
▪ nb-t3.wj „Herr der beiden Länder“ ist wohl als „Staatschef“ zu verstehen (Gundlach 1999, 30-31), also als Beschreibung der administrativen Funktion des Amtskönigs (t3.wj „Die beiden Länder“, können vielleicht fallweise mit den Landesteilen Ober- und Unterägypten identifiziert worden sein, obwohl sie aufgrund des dualistischen Denksystem der Ägypter eine Bezeichnung für ganz Ägypten sind; spätestens in der frühen 11. Dynastie ist die Bedeutung „Staat“ fassbar);
▪ nb-jr.t-jch.t „Herr des Kultvollzuges“ drückt die neben der administrativen Funktion des Amtskönigs entscheidende alleinige königliche Zuständigkeit für den Vollzug des (Götter-)Kultes aus;
▪ nb-ch‘j.w wörtlich „Herr der Kronen“ verweist vielleicht auf die umfassende Verfügungsgewalt des Amtskönigs über seine „magisch aufgeladene“ Amtstracht (allerdings ist ch‘j.w auch als Krönungsgestalt des Königs zu verstehen, daher wohl auch als „Herr [= Inhaber] der Krönungsgestalt“ zu übersetzen, vgl. 2.5.).
Mittleres Reich. Nach dem (allerdings nur kurzfristigen) Zusammenbruch des Königtums nach dem Tode Pepis II. (Ende der 6. Dynastie und damit des Alten Reiches) wurde im (IV.) thebanischen Gau durch die dortigen Gaufürsten ein neues Königtum aufgebaut, das vom Horustitel des Gaufürsten als Kultvollzieher und „Sohn“ der Hathor von Dendera seinen Ausgang nahm (Gundlach 1999, 32-33). Dieser neue „Horus“ (mit eigenem Horusnamen) nahm als nächste Würde die des „Amtskönigs“ an. Die beiden Titel des Alten Reichs „Die beiden Herrinnen“ und „Goldhorus“ ergänzten den Horustitel zum „Sonnengottabschnitt“ der Titulatur, ohne zunächst spezielle Namen zu erhalten. In der folgenden 12. Dynastie wurde dieses dann nachgeholt. Im Mittleren Reich beschrieb der Horusname spezielle kultbezogene Funktionen des Sonnengottes Re (Mentuhotep II.: nb-ḥp.t-R‘.w „Herr des Steuerruders ist Re“) oder auch besondere Wirksamkeiten des Königs (Amenemhet I.: wḥm-ms.wt, „Der die Schöpfung wiederholt“).
Nach dem Sturz der 13. Dynastie (= Ende des Mittleren Reiches) durch die Hyksos wurde, wiederum in Theben, mit der 17. Dynastie ein neues Königtum konzipiert (Ryholt), das den König als „Prozessionsstatue (ẖn.tj) des Re“ verstand. Dieser Qualität wurde unter dem Gründer des ägyptischen Weltreiches, Thutmosis I., die „tj.t“ („Hieroglyphe [des Sonnengottes]“) hinzugefügt (Gundlach 1987, 30).
Neues Reich. Das System der Königstitulatur von der 18.-20. Dynastie (= Neues Reich) verwendete die fünfgliedrige traditionelle Titulatur als Formular, mit dem die Abfolge der Regierungsübernahme des Königs beschrieben und damit manifestiert wurde (Gundlach 2003):
▪ (V) die Person des Königs (Individualname [Beispiel: Thutmosis I.], eingeleitet durch den Titel z3-R‘.w „Sohn des Re“) erhält die Befugnis zum Kultvollzug als Inhabers des zentralen Kultortes in Theben (ḥq3-W3s.t „Inhaber von Theben“ bzw. ḥq3-Jwn.w „Inhaber von Heliopolis“; vermutlich des Re-Heiligtums nördlich des „Festtempels“ Thutmosis III.I);
▪ (IV) der Kultherr in Theben wird zum „Amtskönig“ gekrönt (vgl. 2.5.), erhält seinen „Thronnamen“, mit dem das politisch-religiöse Motto der Regierung des individuellen Königs beschrieben wird: ‘3j-chpr-k3-R‘.w „(wörtlich) Groß ist die Erscheinung des Ka des Re“, m.E. „Groß ist das Königtum des Re“, und legitimatorische Qualitäten (vgl. 2.4.);
der alte „Sonnengott-Abschnitt“ (I-III) dient jetzt zur Beschreibung der Grundlage der Regierung und politischer Tätigkeitsfelder:
▪ (I) der Horus-Titel leitet die Grundlage der Regierungstätigkeit ein (Mrj.j-M3‘.t „Auserwählt von der Weltordnung“),
▪ (II) der Herrinnen-Titel (Ch‘j-m-nzr.t „den Thron bestiegen mit der Roten Krone“ und der darauf beruhenden und die Außenpolitik ermöglichenden militärische Qualifikation ‘3j-pḥ.tj „Groß an Körperkraft“) und
▪ der (III) Goldhorus-Titel (Nfr-rnp.wt „Vollkommen an Regierungsjahren“ und die darauf beruhende Fähigkeit S‘nch-jb.w „Der die Herzen [= Ägypter] belebt bzw. versorgt“) bezeichnen spezielle Felder politischer Aufgaben (hier am Beispiel Thutmosis’ I. die Bereiche „Außenpolitik“ und „Innenpolitik“).
Spätzeit. Mit dem Ende der Ramessidenzeit (1. Hälfte des 11. Jh. v. Chr.) änderte sich die Königsideologie grundlegend: die Kultbeziehung zwischen Sonnengott und König blieb zwar bestehen, aber als eine Folge der Orakeltätigkeit des Ersteren „übernahm“ dieser formal die Herrschaft und erhielt eine Königstitulatur (Gundlach 1994). Damit entfiel auch die Notwendigkeit des rituell vollzogenen Überganges von der Horus- zur Osiriswürde: die Königsnekropole im Tal der Könige wurde geschlossen (Jansen-Winkeln 1992; ders. 1995). Hand in Hand damit erfolgte die faktische Teilung der Herrschaftsgebiete des in Tanis regierenden Königs und des thebanischen Hohenpriesters. Die Könige der 3. Zwischenzeit (21.-24. Dynastie) haben oftmals keine vollständigen Königstitulaturen. Das änderte sich erst unter den Kuschiten (25. Dynastie) und den Saiten (26. Dynastie; archaisierende Bestrebungen !). Die Perserkönige (27. Dynastie) erhalten durch die Aktivität des ägyptischen Beamten Udjahoresnet (Spalinger) eine abgekürzte Titulatur, bestehend maximal aus Horus-Abschnitt, Thronname und Eigenname. Besonders die 30. Dynastie kehrt dann zu der vollständigen Titulatur zurück. Die pharaonische Königsideologie der makedonischen Herrscher (Hölbl, 69-107, 141-154, 228-269) und die der römischen Kaiser bis einschließlich Antoninus Pius ist u.a. an oft ausführlichen Titulaturen abzulesen, deren leitende Bedeutung aber infolge der kulturellen Zweiteilung zwischen der Hauptstadt Alexandria und der „Provinz“ Ägypten nicht mehr gegeben war. Gerade unter den Ptolemäern wird diese pharaonische Königsideologie nach deren politischen Zielen ausgerichtet.
2.4. Legitimation
Die Herrschaft und Regierung Ägyptens durch den König wurde stets als selbstverständlich angesehen (Otto 1969). Das lag an der unmittelbaren Verknüpfung des Königsamtes mit dem Sonnengott, die grundlegend war für die Existenz von Staat und Kosmos. Im Rahmen des Staates entwickelte sich die pharaonische Kultur, die ihre Grundlage nie verlassen hat. Die Institution königlicher Herrschaft und Regierung benötigte keine rechtfertigende Legitimation.
Dagegen musste die Übernahme und Ausübung des Königsamtes durch einen individuellen Träger stets legitimiert werden (Barta 1975, 29ff, 44ff, 124ff; Barta 1980). Das System der Legitimationen des ägyptischen Königs (Gundlach 1997) war im Laufe der ägyptischen Geschichte starken Veränderungen unterworfen (Blöbaum), die aus den jeweiligen Umformulierungen der Königsideologie resultierten. Dieses System gliedert sich in zwei Bereiche, den des Zuganges zur Amtsübernahme und den der Durchführung königlicher Herrschaft und Regierung. Ersterer umfasst Vorstellungen der politischen, juristischen und göttlichen Legitimation, die im Rahmen der Etappen der Amtsübernahme beschrieben werden können. Die politische Legitimation (blutmäßige Erbfolge oder Besitz der tatsächlichen Regierungsgewalt; hier ist wohl auch die „Legitimation durch Wirksamkeit“ nach E.Otto einzuordnen) ist die historisch wichtigste, für die juristische und göttliche Legitimationen aber formal ohne Bedeutung, da diese Bereiche eigenen Rechts sind. Die juristische Legitimation besteht im Kern aus einer Designation durch den Vorgänger, was aber auch durch Adoption seitens des Vorgängers oder durch „göttliche Ersatzvornahme“ erfolgen konnte. Die göttliche Legitimation wird erst im Augenblick der Amtsübernahme wirksam und besteht in der Erteilung einer „Sonnengottrolle“, der Gottessohnschaft und der göttlichen Erwählung. Fiktiv sind diese Qualitäten bereits „seit der Urzeit“ dem jeweiligen Empfänger zuerkannt worden. Die (blutmäßige) Erbfolge verpflichtet den Nachfolger zur ordnungsgemäßen Bestattung des Vorgängers (unmittelbar nach der Thronbesteigung), ist also in die Etappen der Amtsübernahme eingegliedert.
Die Übernahme des Königsamtes durch (die bisherige Regentin) Hatschepsut I. geschah auf Grund ihres Besitzes der tatsächlichen Regierungsgewalt. Die Krönung war regelwidrig, da jetzt neben Thutmosis III. ein zweiter Horus an die Spitze des Staates trat. Dafür ließ sie sich ein göttliches Orakel seitens des Sonnengottes erteilen. Der Vorgang ist im Orakel- und Krönungsbericht („texte historique“) in der Chapelle Rouge und in Dēr el-Bahri [Der el-Bahri] geschildert (Lacau, 97-153; Gundlach 1998b). Nach Assmann (Assmann 1987, 55) erkennt man hier „… (eine) neuartige Konzeption des (Sonnen-)Gottes als des planenden, absichtsvollen Herrn der Geschichte, der seinen Willen in Orakeln kundtut und in die Geschicke des Landes eingreift.“
Die göttliche Legitimation für das Königsamt gilt grundsätzlich für die gesamte Lebensdauer des Inhabers, wird aber, vornehmlich wegen der ideologischen Verknüpfung mit dem Sonnengott, regelmäßig „aktualisiert“: täglich (der König „erscheint jeden Morgen wie Re“), jährlich (z.B. im Opetfest in Theben; im Alten Reich ist die jährliche rituelle Neuzeugung des regierenden Königs in den Meret-Heiligtümern der Hathor, die dabei von der Königin vertreten wird, anzunehmen) und im „Generationsabstand“ (durch das Sedfest; vgl. 4.). Im Neuen Reich lässt sich in den nubischen Felstempeln eine besondere Form der „Erhöhung“ des regierenden Königs („Amtskönig“) finden, in denen durch Texte und Darstellungen der königliche Nachweis erbracht wird, die beiden Aufgaben „Kultvollzug“ und „Weltherrschaft“ ausgeführt zu haben. Diese „Dekorationsachse“ führt zur Kultbildnische, in der der regierende König (Amtskönig) u.a. mit dem Sonnengott im „Gemeinsamen Thronen“ in die Gemeinschaft der Götter aufgenommen wird. Durch den Kultvollzug im jeweiligen Tempel, der den Göttern in der Kultbildnische gilt, wird diese Manifestation des Idoneitätsnachweises regelmäßig aktualisiert.
2.5. Thronbesteigung und Krönung
Die Trennung der beiden Hauptetappen der königlichen Amtsübernahme (Barta 1980b; Bonnet, 395-400) dürfte spätestens seit Beginn des Alten Reiches erfolgt sein, ist aber schon für das 4. Jahrtausend anzunehmen. Die Folge ‚Tot des Vorgängers – Thronbesteigung des Nachfolgers – Bestattung des Vorgängers – Krönung des Nachfolgers’ ist wahrscheinlich in der 12. Dynastie geändert worden, um die (formale) Koregentschaft des Nachfolgers und damit die Sicherheit des Überganges sicherzustellen (s. 3.): ‚Krönung des Nachfolgers – Tod des Vorgängers – Thronbesteigung des Nachfolgers – Bestattung des Vorgängers’ (die Beleglage gerade in der 12. Dynastie ist aber noch unsicher). Im Neuen Reich ist durch die Dekoration der Königsgräber aber gesichert, dass die vollständige Amtsübernahme durch den Nachfolger, und damit die Horus-Würde, erst nach der während der Bestattungszeremonien vollzogenen Überführung des Vorgängers in die Osiris-Qualität möglich war. Dieses wird z.B. im Grab des Haremhab deutlich, wonach der König im Grabschacht noch „Amtskönig“ ist, ausgewiesen durch die beiden Titel „Herr der beiden Länder (= „Staatschef)“ und „Herr der Kronen“ (Hornung 1971, 82), während er in der Vorkammer zur Sarkophaghalle Osiris ist: „Osiris-König“ (Hornung 1971, 99).
Die Stadien der Krönungsfeierlichkeiten sind – stark interpretativ verkürzt – in sog. „Krönungszyklen“ dargestellt: Reinigung des „Kandidaten“ – Übergabe der Herrschaftsinsignien – Einführung beim Sonnengott – Vollzug der Krönung in der Kultbildkammer (abgebildet z.B. bei Bonnet, 397).
2.6. Die Aufgabe des Königs: Roi de guerre und Roi connetable (Gundlach 2006)
Die Grundaufgabe des Königs war die Abwehr nach außen zur Bekämpfung des Chaos. Durch diese Abwehr entsteht als ein „heiliger Raum“ ein Ordnungsraum, der identisch ist mit dem tatsächlichen Herrschaftsgebiet des Königs (hier ist der Gedanke „Ägypten als Tempel“ anzusiedeln). Innerhalb dieses Ordnungsraumes übt der König die Fürsorge nach innen und den Kult nach oben aus (s.o.). Wenn auch jedes „Irreguläre“ als „chaotisch“ angesehen wurde, wie Verfall von Tempeln usw., geht es bei der Abwehr vornehmlich um die Bekämpfung äußerer Feinde (die als „Feinde des Sonnengottes“ gelten) und damit um die militärische Tätigkeit des Königs. Diese wird ergebnisorientiert und zusammenfassend in dem Motiv des „Erschlagens des Feindes“ geschildert, bei dem es sich aber um ein Ritual handelt und nicht um eine Kampfhandlung (s.o.). Alle Feldzüge Ägyptens werden gemäß der Staatsdoktrin als Handlungen des Königs verstanden: der König zelebriert den Krieg als wesentlichen Aspekt seines Königtums; er ist grundsätzlich „roi de guerre“. Die persönliche Teilnahme des Königs an Feldzügen ist insbesondere im Neuen Reich nachweisbar (hierfür ist die Formulierung „sporting king“ gebräuchlich): der König als sein eigener Feldherr (wie z.B. Thutmosis III., Amenophis II. und Ramses II.); hier lässt er sich als „roi connétable“ verstehen.
3. Die Frage der Koregentenschaften
Eine noch kontrovers diskutierte Frage in der Ägyptologie ist die nach der Doppelbesetzung des Königsamtes: der Nachfolger wird vor dem Tode des Vorgängers schon als „Horus“ mit voller Königstitulatur installiert und (so die diesbezügliche Theorie) übernimmt bereits dessen Amtsgewalt. Gut bezeugt ist zunächst die Doppelherrschaft Thutmosis’ III. und Hatschepsuts I. Weiterhin sind Überschneidungen der Herrschaftszeit mehrfach in der 12. Dynastie belegt (s.o.). Ansonsten sind die Ansichten sehr geteilt: einer großen Zahl angenommener Koregentschaften (Murnane 1977 und 2001) stehen nur wenige unumstrittene gleichzeitige Amtsinhaberschaften gegenüber (Helck 1982): abgesehen von der 12. Dynastie lediglich die mögliche Koregentschaft Thutmosis’ III. und Amenophis’ II. und einige wenige im 1. Jahrtausend (Helck 1982, 156-157: A9). Darüber hinaus deuten nur Indizien auf mögliche Koregentschaften hin: der grundsätzliche Einwand betrifft die königsideologische Unmöglichkeit, dass der „Horusthron“ von zwei Amtsinhabern gleichzeitig besetzt sein könnte. Für die 12. Dynastie ist auch anzunehmen, dass der sog. „Seniorpartner“ die volle Amtsgewalt behielt und der „Juniorpartner“ nur in dessen Auftrag handeln konnte.
4. Götterkult und Königskult
Die Arten des ägyptischen Kultes lassen sich nach den Kultempfängern unterscheiden: Götter, Könige und private Tote. Zwischen diesen drei Gruppen gibt es Übergänge: zu den Göttern müssen „vergöttlichte Könige“ gezählt werden, vornehmlich als „Ortsgötter“ wie Unas in Saqqāra [Saqqara] (Altenmüller), Mentuhotep II. in Dēr el-Bahri [Der el-Bahri] (Bietak, 25), Amenophis I. in Dēr el-Medīna [Der el-Medina] (Cerný) und Sesostris III. in Nubien (Simpson), sowie (in wenigen Fällen) vergöttlichte Private, wie Heka-ib auf Elephantine (Habachi). Allen gemeinsam ist, dass sie durch bildliche Darstellungen (vornehmlich Statuen) an „heiligen Orten“ vertreten werden können und entweder direkt Kult empfangen oder indirekt (durch Statuen an Prozessionswegen oder Speisetischszenen in Tempeln) an den Opfern teilhaben. Der Königskult lässt sich danach untergliedern, ob es sich um diesseitige Herrscher (zu ihren Lebzeiten) oder um den Grabkult toter Könige handelt. Letztere legitimieren als unmittelbare Vorgänger den jeweils nachfolgenden diesseitigen König, gliedern sich in den Sonnenlauf ein, haben auf jeden Fall im Jenseits Herrscherfunktion. Der Kult für den diesseitigen König gilt den Etappen seiner Regierungszeit (Gundlach 1998b): Zeugung und Geburt (wie in den „Chemmis-Prozessionen“ im Rahmen des thebanischen Talfestes oder auch in Abu Simbel), Krönung, Jahresfeste gemeinsam mit dem Sonnengott (wie Opetfest [Murnane 1982; Bell] und Talfest [Graefe] in Theben), Jubiläumsfest („Sedfest“ [Martin]) sowie der (ständige) Kult zum Nachweis der „Idoneität“ des Königs (wie in Felstempeln im Rahmen des „Gemeinsamen Thronens“ [Gundlach 2001, 375]).
5. Der ägyptische König interdisziplinär als „Sakralherrscher“
Seit G. van der Leeuw (235-236) wird der ägyptische König parallel zu anderen Königen als „Vertreter Gottes“ (im Rahmen „heiliger Menschen“) gesehen. Bei G. Widengren (360-393) wird das Königtum als „sakrales Königtum“ bezeichnet, wie es schon im Thema des 8. Internationalen Kongresses für Religionsgeschichte zum Ausdruck kommt: „La regalità sacra“ (publiziert in Leiden 1959). Bis jetzt kann man nur davon sprechen, dass ähnliche oder ähnlich scheinende Phänomene der „Staatsspitze“ zusammensortiert wurden (Gundlach 1992) und dass die diesbezüglichen Diskussionen noch am Anfang stehen: Der durch Ernst Kantorowicz ausgeführte Grundgedanke sollte hierfür die Basis bilden (Kantorowicz).
Literaturverzeichnis
1. Lexika
- Lexikon der Ägyptologie, Wiesbaden 1975-1992 (= LÄ)
- The Oxford Encyclopedia of Ancient Egypt, Oxford 2001
2. Weitere Literatur
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- Assmann, J., 1977, Art. Eulogie, Königs-, in: LÄ II, 40-46.
- Assmann, J., 1976, Das Bild des Vaters im Alten Ägypten, in: H. Tellenbach (Hg.), Das Vaterbild in Mythos und Geschichte, Stuttgart, 12-49.
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- Barta, W., 1980b, Thronbesteigung und Krönungsfeier als unterschiedliche Zeugnisse königlicher Herrschaftsübernahme, SAK 8, 33-53.
- Beckerath, J. von, 1980, Art. Horusgeleit, in: LÄ III, 51-52.
- Beckerath, J. von, 1999, Handbuch der ägyptischen Königsnamen (MÄS 49), Mainz.
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