Körper (AT)
(erstellt: April 2013)
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1. Quellen der Körperauffassung, Methodisches
1.1. Quellen
Zugang zu Körpervorstellungen im Alten Israel haben wir in erster Linie über die Sprache bzw. die Texte des Alten Testaments. In neuerer Zeit sind auch Bild- und archäologische Quellen hinzugekommen (s. bes. die Einzelartikel zu → Körperteilen
Bei dem sprachlichen Material geht es zum einen um „Wörter“ = „Lexeme“, mit denen bestimmte fixierbare Bedeutungsbereiche auf der Ebene der Wortsemantik / lexikalischen Semantik verhaftet sind, zum anderen um Vorstellungen, die mit dem Körper und den Körperteilen in den „Texten“ zum Ausdruck kommen. Bildliche Vorstellungen von Körperteilen können mit Sprache evoziert (Sprachbilder) oder material ausgeführt (zweidimensionale Bilder, Plastiken, → Ikonographie
Im Zusammenhang mit Wort- und Sprachanalysen ist zu bedenken, dass das Ergebnis der wortsemantischen Analyse der Körper- und Körperteil-Wörter des Hebräischen nicht gleichzusetzen ist mit einem (reflektierten philosophischen oder theologischen) „Begriff“ vom Körper und seinen Teilen; die Analyse der Wörter des Hebräischen (und Aramäischen) schafft aber Grundlagen für einen Zugang zu den Körperauffassungen des Alten Testaments. Diese können dann in heutiger Wissenschaftssprache und -tradition, also dem Alten Testament gegenüber nachträglich, in Begriffe im Sinne explizit benennbarer gedanklicher Konzepte gefasst werden. In diese nachträglich formulierten Begriffe fließen weitere, das Alte Testament betreffende Analyseerkenntnisse ein, die aus anderen Untersuchungsbereichen (Ikonographie, Archäologie) und vor allem aus der Interpretation der Texte stammen (vgl. 1.3.).
1.2. Zur Bezeichnung von Körper und Körperteilen
Der Wortschatz der Körperteilbezeichnungen im Hebräischen zeigt uns zunächst, dass die Anzahl der im Hebräischen des Alten Testaments überlieferten Körperteilnomina keine extremen Auffälligkeiten bietet.
Die Studie von Oelsner zählt für das Hebräische des Alten Testaments ca. 250 distinkte Körper- / Körperteilbezeichnungen. Dabei ist zu bedenken, dass das Hebräische des Alten Testaments sicher nur einen Ausschnitt des gesamten Althebräischen darstellt und nicht als ein das gesamte hebräische Sprachvorkommen umfassendes Corpus zu betrachten ist. Die Größe des Körper- / Körperteilwortschatzes des Hebräischen im Verhältnis zur Gesamtzahl der überlieferten hebräischen Wörter ist aber vergleichbar mit den Verhältnissen verwandter oder vergleichbarer Sprachen: Ähnlich verhält es sich auch mit der ugaritischen Sprache, die etwa 100 Körperteilbezeichnungen aufweist (Zählung anhand DUL). Für das Babylonische / Assyrische listet eine alte Untersuchung von Holma hingegen etwas mehr als 350 Körper- / Körperteilbezeichnungen auf – wobei hier zu bedenken ist, dass auch viele medizinisch-ritualbezogene Texte überliefert sind, die ein entsprechendes Vokabular mitbringen.
Das Latein, für das auch wesentlich umfangreichere Sprachzeugnisse existieren, verfügt über ca. 800 entsprechende Lexeme. In der Sprache der Insulaner von Truk in Mikronesien, einer Sprache, die aus einer stark mündlich orientierten Kultur kommt, und so in einer gewissen typologischen Weise mit dem Hebräischen vergleichbar ist, spricht Käser von einer „rund 1250 Bezeichnungen umfassenden anatomischen Terminologie“ (Käser, 147). Mögen diese Zählungen auf den ersten Blick auch stark differieren (250 vs. 1250), so sind die Zählungen zum einen ins Verhältnis zu setzen zu der Gesamtzahl der Wörter der jeweiligen Sprache (für das Lateinische sind wesentlich mehr distinkte Wörter überliefert als für das Hebräische, was sich auf den prozentualen Anteil des Körper- / Körperteilwortschatzes am Gesamtwortschatz auswirkt), zum anderen ist zu berücksichtigen, dass bei einigen Zählungen wie zur Sprache der Insulaner von Truk das Wortfeld „Körper“ sehr weit gefasst ist und auch z.B. physiologische Vorgänge wie Atmung eingeschlossen sind, zum dritten sind wesentlich andere Zahlenverhältnisse erst in modernen Sprachen erreicht, in denen ein ausgedehnter (anatomisch-medizinischer usw.) Fachwortschatz zur Bezeichnung von Körperaspekten hinzukommt; in solchen Fällen kommt es zu Zählungen von mehreren Tausend (so die meisten Anatomie-Wörterbücher) bzw. mehreren Zehntausend Körper- / Körperteilbezeichnungen (so in Medizinwörterbüchern, bei denen allerdings auch weitere, mit dem Körper, seinen Teilen und Funktionen zusammenhängende Wörter gelistet sind).
Im Vergleich mit Körperwortfeldern anderer Sprachen zeigt sich weiterhin, dass die Zuordnung zwischen Lexemen und Körperteilen in unterschiedlichen Sprachen verschieden ausfällt: das Hebräische besitzt etwa in einigen Fällen eine andere lexikalisch-semantische Körperteilaufgliederung als das Akkadische oder Deutsche oder andere Sprachen. So werden die Körperglieder Fuß und Bein im Hebräischen nicht lexematisch unterschieden, רֶגֶל rægæl kann sowohl Fuß wie auch Bein wie auch beides zusammen („für das Gehen notwendige Funktionseinheit“) bedeuten; das Akkadische hat dagegen verschiedene Wörter für Bein (išdu, purīdu) und auch ein Wort für Fuß (šêpu). Entsprechend ist bei jeder Körperteilbezeichnung des Hebräischen im engeren semantischen Sinn zunächst nach ihrem Bezug zu einem Körperteil zu fragen, d.h. es ist zu fragen, auf welche außersprachliche „Sache“ ein Körper- / Körperteilwort „referiert“. Ganz entscheidende Bedeutung hat diese Beobachtung für die Frage der Aufteilung körperlicher und geistiger Anteile am Menschen (s.u. 2.).
1.3. Explizite und implizite Körperkonzepte
Im Alten Testament wie im Alten Orient nähert man sich einer Erkenntnis nicht über Definitionen und Systembildungen an (vgl. Wagner 2011, 79-81). Während wir in der europäischen Tradition gewohnt sind, gedankliche Konzepte von Sachen, die hinter einem Begriff stehen, explizit zu formulieren, Begriffe zueinander in Beziehungen zu setzen, nach Begriffsschärfen, Extensionen, Interdependenzen zu fragen, Begriffe mit empirischen und experimentalen Beobachtungen zu verbinden, zu verifizieren und zu falsifizieren, nach induktiven und deduktiven Erkenntniswegen zu suchen u.a.m., bis sich ganze Systeme von Erkenntnis und Wissenschaft aufbauen, fehlt eine solche explizite und reflektierte, meist im Medium der Schrift vorliegende Erkenntnismethodik und Erkenntnissystematik in den antiken Kulturen Ägyptens, Mesopotamiens, Syrien-Palästinas u.a. (vgl. Machinist). Im (klassischen) Griechenland, insbesondere in der griechischen Philosophie, ist der Versuch, über Begriffsbildungen zu Erkenntnis zu kommen und damit auch die „Welt“ zu analysieren zu einer ersten großen Blüte gekommen; Zeugnisse davon liegen mit den „Systemabhandlungen“ von Platon zum „Staat“, von Aristoteles zur „Rhetorik und Poetik“ usw. vor. Diese Tradition hat sehr stark auf die europäische Tradition eingewirkt und bestimmt bis heute unser wissenschaftliches Denken. Im Alten Testament finden sich aber keine expliziten und systemhaften Erörterungen dieser Art, auch nicht solche über den Körper, den Menschen, das Verhältnis von Körper zu geistigen Anteilen usw.
Zudem ist die über weite Strecken vorherrschende Darbietungsform des Alten Testaments die Erzählung (Pentateuch, Geschichtsbücher) und die mehr oder weniger gestaltete Sammlung von Texten (Psalter, Sprichwörter, Prophetische Bücher). Auch daher werden wir vergebens nach Körper-Definitionen, Begriffsbestimmungen explizit reflexiver Art suchen.
Auch wenn sich in einer Kultur keine expliziten Konzepte zu einem bestimmten Phänomen wie dem Körper, der Körperauffassung etc. finden, bedeutet das nicht, dass diese Kultur nicht doch implizite Konzepte besitzt, die aufzuspüren und (sekundär) explizit zu machen wären, um heute den entsprechenden Sachverhalt begrifflich zu reflektieren. Einen analogen Fall, der leicht nachvollziehbar ist, stellt das sprachliche Wissen dar. Sprachliches Wissen ist zu weiten Teilen nur implizit verfügbar, selbst muttersprachliche, kompetente Sprechende können nur einen Bruchteil der semantischen, syntaktischen und pragmatischen Regeln einer Sprache explizit benennen, sie produzieren aber völlig mit den Regeln übereinstimmende sprachliche Äußerungen, Texte und Handlungen! Dieses implizite Sprachwissen lässt sich nach entsprechenden Analysen als „Grammatik“ explizieren.
Ähnlich verhält es sich mit dem Körper-Wissen und verwandten anthropologischen Auffassungen. Eine Gesellschaft ist auch in dieser Hinsicht immer geprägt von überlieferten und überindividuell vorfindlichen Anschauungen. Die historische Anthropologie nennt diese (meist) nicht explizit gewussten Anschauungen häufig „Mentalitäten“: „Mentalität ist das Ensemble der Weisen und Inhalte des Denkens und Empfindens, das für ein bestimmtes Kollektiv in einer bestimmten Zeit prägend ist. Mentalität manifestiert sich in Handlungen“ (Dinzelbacher, XXIV).
Diese Mentalitäten im Bereich der Körperauffassung kann man in den sprachlichen Quellen mittels Wortfeldbeobachtungen, Wort- und Kontextuntersuchungen sowie Textanalysen aufspüren (vgl. 1.1.). Beispiele für diese Zugänge finden sich im weiteren Verlauf des Artikels.
2. Körperliche und geistige Anteile im Menschen
Über lange Zeit wurde die „hebräische Anthropologie“ im Spiegel oder mit der Brille der klassisch-griechischen Philosophie betrachtet. Noch bis in die Forschung der zweiten Hälfte des 20. Jh.s hat man versucht, teils unbewusst angeleitet durch christliche Tradition, teils durch apologetisches Interesse, aus den alttestamentlichen Verhältnissen eine Zuordnung der geistigen und körperlichen Anteile des Menschen vorzunehmen, die der klassisch griechischen Konzeption entspricht. So wurde נֶפֶשׁ næfæš als „Seele“ verstanden, רוּחַ rûaḥ als „Geist“ und בָּשָׂר bāśār als „Fleisch“ und als Trichotomie (Seele – Geist – Körper) oder Dichotomie (Seele / Geist – Körper) gewertet; allerdings ohne ein vollständig befriedigendes Ergebnis zu erhalten.
In der neueren Diskussion, einsetzend mit der Anthropologie von H.W. Wolff 1973, ist hier eine neue Sichtweise gewachsen, die erkannt hat, dass im Alten Testament kein dichotomisches oder trichtomisches „System“ Mensch nachgewiesen werden kann. Seitdem hat sich herauskristallisiert, dass die Menschenkonzeption im Alten Testament (wie überhaupt im Alten Orient) anders zu fassen ist als mit Modellen aus der griechisch-europäischen Tradition (Wagner 2006; Wagner 2009; Janowski 2012; Steinert).
Gründe, sich einem anderen, neuen Körperverständnis anzunähern, sind zum einen etwa, dass neben den drei oben genannten Bezeichnungen נֶפֶשׁ næfæš, רוּחַ rûaḥ und בָּשָׂר bāśār eine Vielzahl von weiteren Körperteil- bzw. Menschenaspektbezeichnungen existieren, die beliebig kombinierbar sind und die es nicht zulassen, ausgerechnet die drei hervorzuheben, die in Analogie zur klassisch griechischen Auffassung stehen (vgl. Wagner 2009). Zum anderen sind im Alten Testament die am häufigsten verwendeten Bezeichnungen für den Menschen auch nicht נֶפֶשׁ næfæš, רוּחַ rûaḥ und בָּשָׂר bāśār, sondern פָּנִים pānîm, יָד jād und עַיִן ‘ajin (vgl. → Körperteile
Vielmehr drücken die Bezeichnungen für körperliche und geistige Bestandteile des Menschen einen bestimmten, inhaltlich benennbaren Aspekt der alttestamentlichen Menschenauffassung aus, לֵב lev → „Herz
Im Ergebnis kennt das Alte Testament keine strikte Entgegensetzung des Körpers etwa zum Geist, vergleichbar einem Leib(Körper) / Seele-Dualismus. Schon gar nicht geht das Alte Testament in der Breite davon aus, dass nicht-körperliche Elemente unsterblich seien; an die Unsterblichkeit tastet sich das Alte Testament nur vereinzelt heran (→ Tod
3. Körper- und Körperteile, Teile oder Ganzes?
Vom Körper im Alten Testament zu reden ist nicht möglich, ohne von seinen Teilen zu sprechen (vgl. → Körperteile
Am intensivsten wurde dieses Phänomen von der Forschung aufgezeigt anhand der Beschreibungslieder im → Hohelied
4. Körper im Rechtsbereich (Strafen und Tötungsarten)
Im altorientalischen wie im alttestamentlichen Kontext ist einer der bekanntesten Rechtstexte, die Talionsformel, ein Text, der in der wörtlichen Auslegung Bestrafung durch Körpersanktionen einschließen kann: Leben für Leben, Auge für Auge, Zahn für Zahn, Hand für Hand, Fuß für Fuß (nach Dtn 19,21
Drastische Körperstrafen werden in einigen Fällen der Rechtssätze des Alten Testaments sehr konkret beschrieben, etwa beim Abhauen von Gliedmaßen. Im Rechtsbereich sind sie selten. In Dtn 25,12
Mit Blick auf die Körperstrafen wird nach alttestamentlicher Vorstellung der Körper nicht als ein unter allen Umständen zu schützender Bestandteil der Person gesehen. Dies korrespondiert in gewisser Weise mit der unten in Abschn. 6 thematisierten Einsicht, dass im Alten Testament Körper und Individualität, Körper und individuelles Personsein nicht in derselben Weise zusammengehören, wie in späterer westlich ausgerichteter Tradition und Denkweise (wobei es auch hier große Unterschiede gibt, wie etwa die noch heute in vielen Staaten der USA zugelassene Möglichkeit zeigt, in der Schule auch Körperstrafen anzuwenden). Von einem Grundrecht auf körperliche Unverletzbarkeit, wie es etwa in der Rechtsprechung der Bundesrepublik Deutschland verankert ist, sind wir beim Alten Testament jedenfalls weit entfernt. Allerdings ist dieser Denkbereich der Körperauffassung für das Alte Testament alles andere als hinreichend erforscht, umfassende systematische Untersuchungen, welche Rolle Körperstrafen in den Gesellschaften Israels und Judas der verschiedenen Zeiten spielen, welche Körperauffassungen die Rechtsüberlieferungen des Alten Testaments haben, gibt es bisher noch nicht.
5. Bewusstsein verschiedener Körperstadien, Körperfürsorge, Schönheit, Sport
5.1. Körperstadien
Der Körper ist lebensnotwendige Voraussetzung für das Leben in der Welt. Sein Werden und Vergehen ist in den Texten des Alten Testaments reflektiert, soweit es die Erfahrungsmöglichkeiten der altorientalisch-alttestamentlichen Zeit zulassen:
- das pränatale Stadium des Embryo (גֹּלֶם golæm, das unfertige Wesen in Ps 139,16
- die Leibesfrucht der schwangeren Frau (Ex 21,22
- das Säuglingsalter (bis ca. 3 Jahre, Wolff, 181; → Säugling
- Kindheit, Jugend – „vom 5. Lebensjahr an wird mit der Arbeitskraft des Kindes gerechnet (Lev 27,5
- der Körper des älteren Menschen.
Dabei werden Charakteristika registriert, die die verschiedenen Entwicklungsstadien kennzeichnen: Jes 11,8
5.2. Körperfürsorge
Der Körper kommt in diesen verschiedenen Stadien nicht ohne die jeweils angemessene Fürsorge aus. Man muss ihn versorgen mit Essen und Trinken, sonst führt das zu Schwachheit und Tod (→ Speisen
Körperpflege in kosmetischer Hinsicht wird an einigen Stellen des Alten Testaments thematisiert: 1Sam 8,13
In ritueller Hinsicht spielen Waschungen des Körpers bzw. von Körperteilen eine Rolle. Fußwaschungen sind Zeichen der Gastlichkeit (Gen 18,4
Eine Nachsorge für den Körper nach dem Tod gibt es kaum; nur bei Jakob und Josef wird von der Salbung ihrer Leichname erzählt (Gen 50,2
5.3. Körperschönheit
→ Schönheit
5.4. Körper und Kampf, Übung, Training, Sport
Im Alten Testament sind einige Texte und Szenen überliefert, in denen es um Kampf (1Sam 17
6. Körper und Individualität
Ganz sicher sind individuelle Körpermerkmale bei den Menschen des Alten Orients bzw. des Alten Israel ebenso vorhanden und ausgeprägt gewesen wie heute. Hätte man einzelne Menschen kennengelernt, hätte man sie an ihrer Gesichtsphysiognomie, ihrer Statur, Größe, Hautfarbe / Hautbeschaffenheit / Augenfarbe / Ohrenform / Hand- / Arm- / Fußform, ihrem Geruch, ihrer Ausstrahlung etc. wiedererkannt.
Auch in den Körperbeschreibungen der Texte sind individuelle Merkmale so selten, dass es kaum mehr Belege gibt als den Hinweis auf die Größe Sauls, der einen Kopf größer war als andere Menschen (1Sam 10,23
Aus diesen Beobachtungen sind nun Schlüsse für das Körperverständnis zu ziehen: Es ist sicher nicht so, dass der Körper für den Menschen des Alten Testaments und des Alten Orients unwichtig gewesen wäre. Aber Körperindividualität gehört nach dem Befund der Texte und Bilder nicht zum Beschreibungsrepertoire der Selbst- und Fremdbilder von Individuen. Alle Formen von „Körperkult“, wie er den westlich orientierten Gesellschaften bes. des 20. und 21. Jh.s bekannt ist, fehlt in den Kulturen des Alten Testaments und Alten Orients völlig. Das hängt sicher zum einen daran, dass Individualität eine geringere Rolle spielt. Das liegt aber eben auch daran, dass der Körper in die Konstruktion der Individualität nicht bzw. nicht in derselben Weise einbezogen ist wie etwa in der europäischen Neuzeit (oder auch, in Anfängen, der griechisch-römischen Antike).
7. Körper Gottes
7.1. Körper Gottes und das Bilderverbot
Verbietet das → Bilderverbot
Zudem muss man genau wahrnehmen, dass das Bilderverbot auf Darstellungen Jahwes bezogen ist und sicher kein allgemeines Verbot jeglicher Bilddarstellung meint; die Darstellung anderer Motive fällt damit nicht unter das Verbot!
Jenseits dieser beiden Stoßrichtungen gibt es also auch von den Zehn Geboten her „Bilderfreiräume“: Zum einen ist für das Alte Israel damit zu rechnen, dass es vielfältig mit Bildern zu tun hatte, wenn es um Dinge geht, die abseits von Jahwe liegen. Neuere Zusammenstellungen des gefundenen Materials geben hier heute einen guten Eindruck von der tatsächlichen Bilderfülle, von der auch Israel umgeben war (vgl. IPIAO). Zum anderen wird in vielen Texten des Alten Testaments eine „Kontur“ des Gottes Jahwe gezeichnet, die uns eine ganz klar bildhafte Vorstellung nahelegt – ohne dass sie in die Abbildung in Form einer Statue ausmündet.
7.2. Anthropomorphismen
Texte, sprachliche Darstellungen bieten die Möglichkeiten der Schaffung sprachlicher „Bilder“ an. Sprachliche Bilder führen zu Bildern in der Vorstellung, die unsere Wahrnehmung von Dingen prägen, und von dieser Möglichkeit hat das Alte Testament bezüglich des Körpers Gottes reichlich Gebrauch gemacht.
Wenn gesagt wird, dass Gott sein Ohr neigen soll (2Kön 19,16
Kopf (3-mal); Jes 59,17
Gesicht / Angesicht (598-mal); Gen 33,10
Auge (123-mal); Am 9,3
Ohr (28-mal); 2Kön 19,16
Nase (162-mal); 2Sam 22,9
Mund (57-mal); Lev 24,12
Kehle, Hals (16-mal); Jer 6,8
Arm (42-mal); Ex 15,16
Rechte (34-mal); Ps 48,11
Hand (218-mal); Jer 18,6
Fuß (Bein) (13-mal); Jes 66,1
An insgesamt ca. 1300 Stellen des Alten Testaments kommen diese Körperausdrücke vor und formen in Gedanken bei den Lesenden beständig ein „Körperbild“, ein Gedankenbild, kein materiales Bild.
Natürlich könnte man es ohne Weiteres in ein materiales Bild überführen. Solche materialen Bildausführungen gab es schon in der Antike, auch im jüdischen Kontext. Uns geläufig sind eher die malenden Bibelausleger der späteren Zeit, etwa die Maler der Renaissance, die das Bild Gottes ebenfalls in Menschengestalt wiedergegeben haben (vgl. Wagner 2008). – Übrigens findet sich für die meist gewählte Darstellweise von Gott als älterem Mann im Alten Testament kaum ein Hinweis, nie ist von einem Bart Gottes die Rede und auch sonst finden sich keine Körperaussagen mit Hinweisen auf einen „älteren Körper“. Zu den äußeren Körperteilen kommen noch die inneren Organe Gottes wie Herz etc.
Interessant ist nun wiederum, das Körperbild Gottes im Alten Testament auf seine Aussagen hin zu befragen:
- In erster Linie finden sich Körperteile, die mit dem Handeln und dem Kommunizieren verbunden sind. Hände, Füße, Arme stehen für das Wirken Gottes, für seine Taten; die Kommunikationsorgane zum Sehen, Reden, Hören, mimischen Kommunizieren zeigen deutlich, dass der alttestamentliche Gott nicht ein ferner, unnahbarer, menschenabgewandter Gott ist, sondern dass er Ohren hat, zu hören, Augen, zu sehen usw. Die Kommunikation zwischen Gott und Mensch wird so stark unterstrichen. Diese beiden Grundcharakteristika prägen ja auch sonst das Gottesbild, das wir im Alten Testament von Gott gewinnen: Im Vordergrund stehen seine Heilstaten, etwa die Rettung bzw. Herausführung aus Ägypten oder sein Mitgehen, Stärken und Zuhören, von dem viele Psalmen bestimmt sind (→ Gott / Gottesbild
- Interessant ist auch, dass in diesem Körperbild geschlechtliche Merkmale völlig ausgespart werden. Das kann angesichts der Fülle der Belege kaum Zufall sein. Das Geschlecht Gottes bleibt verborgen, spielt im Vorstellungsbild keine Rolle.
- An ganz wenigen Stellen finden sich auch Körperaussagen, die von der Menschengestaltigkeit abweichen. Das ist etwa bei den 6-mal genannten Flügeln Gottes der Fall (Martin). Aber es sind verschwindend wenige Belege, die tiergestaltige Körperteile mit ins Bild nehmen. Sehr stark im Vordergrund steht die Menschengestaltigkeit.
Mit der Vorstellung der Menschengestaltigkeit Gottes hängt wohl auch der Gedanke der → Ebenbildlichkeit
Mit der Gestaltähnlichkeit von Gott und Mensch wird also klar gemacht, dass der Mensch, wenn auch in geringerem Ausmaß als Gott, doch ebenso mit Kommunikations- und Handlungsmöglichkeiten ausgestattet ist; so kann er in der Welt, stellvertretend für Gott und mit Gott in Beziehung und Kommunikation stehend, Verantwortung einnehmen und für die ihm anvertraute Schöpfung eintreten.
Literaturverzeichnis
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Abbildungsverzeichnis
- Betergruppe (Pithos B; Kuntillet ‘Aǧrūd; 8. Jh. v. Chr.). Aus: O. Keel / Chr. Uehlinger, Götter, Göttinnen und Gottessymbole (QD 134), Freiburg, 5. Aufl. 2001, Abb. 221; © Stiftung BIBEL+ORIENT, Freiburg / Schweiz
- Darstellung ohne individuelle Züge: Der israelische König Jehu (oder sein Stellvertreter) wirft sich vor dem assyrischen König Salmanassar III. (858-824 v. Chr.) zu Boden (Schwarzer Obelisk aus Kalchu). © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
- Skaraboid mit dem Motiv des königlichen Helden (6. Jh. v. Chr.). Aus: O. Keel / C. Uehlinger, Götter, Göttinnen und Gottessymbole (QD 134), Freiburg u.a. 5. Aufl. 2001, 360b; © Stiftung BIBEL+ORIENT, Freiburg / Schweiz
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