Kultpersonal (AT)
(erstellt: Februar 2007)
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→ Priester
1. Begriff
Sprachlich ist der Begriff „Kult“ dem lat. cultus entlehnt und bedeutet im religiösen Sinne Verehrung wie z.B. einer Gottheit oder eines Heiligen. Als synonymer Begriff für Kult ist Ritual gebräuchlich (→ Ritus
In der Regel werden einzelne Angehörige einer Verehrungsgemeinschaft delegiert, spezifische Aufgaben innerhalb des Kultes zu übernehmen. Auf sie wird der Begriff „Kultpersonal” angewandt.
2. Altes Israel
2.1. Religiöse Praxis und soziokulturelle Lebensmuster
1. Spektrum der Tätigkeiten. Im alten Israel existierte seit der vorstaatlichen Zeit und über Jahrhunderte hinweg eine Vielzahl unterschiedlicher kultischer Dienste mehr oder weniger gleichberechtigt nebeneinander. Die Menschen waren vertraut mit Ahnenkult (1Sam 28,8
So wird → Samuel
2. Hierarchie. An den Tempeln war das Kultpersonal Teil eines hierarchisch gegliederten Systems (1Chr 24
3. Ort. Kultische Handlungen können prinzipiell an jedem Ort durchgeführt werden. In der Regel aber entscheiden lokale Instanzen über Ort und Zeit einer Kulthandlung (vgl. Dtn 12,1-12
4. Amtsträger. Mit kultischen Aufgaben wurden Haushaltvorstände, Lineage-Älteste (s. Wörterbuch der Völkerkunde, 1999) und königliche Familienmitglieder auf Grund ihres sozialen Status betraut. Sie übernahmen diese je nach Bedarf (Ex 12,1-14
Außerdem stellten Haushalte, Stämme (vgl. Ri 17
Der Wert der kultischen Dienste hatte viele Facetten und wirkte vieldimensional auf die Kommunikationsgemeinschaften zurück. Ein Haushaltsvorstand oder Lineage-Ältester war durch seinen kultischen Dienst (z.B. Opfer; vgl. Ex 12
Einen großen Unterschied in der Bewertung kultischer Arbeit machte der Tempel, der auf Grund umfangreicher Einnahmen und Veräußerungen beträchtliche Werte zu verteilen hatte (vgl. Neh 12,44ff
Die Stellung des Kultpersonals im machtpolitischen Gefüge (Stamm; Königtum) war nicht allgemeingültig geregelt. Priester in Spitzenpositionen waren rechtliche Autoritäten, in deren Verantwortungsbereich auch Entscheidungen über Strafmaßnahmen lagen (vgl. Jer 20
Bei militärpolitischen Entscheidungen wurden Kultpersonen als Ratgeber hinzugezogen (Jer 21
Die Zahl der Lineages, die Positionen im Kult reklamierten, weil Herkunft, Tradition und/oder kultische Kompetenz sie dazu legitimierten, war hoch (vgl. Dtn 18,6
5. Leistungen der Amtsträger. Das Kultpersonal war zum Teil schriftkundig und im Allgemeinen ausgebildet, die für tribal-agrarstaatlichen Gesellschaften üblichen Kommunikationsmittel einzusetzen: Bilder (2Kön 23,4
Aus der Vielfalt der Kulte emergierten zwei, die auf die gesellschaftliche Gestaltung Alt-Israels einen hohen Einfluss hatten, der Opferkult des Tempels und das Religionsrecht (→ Tora
Am Tempel sorgte das Opfer für ein vergleichsweise hohes Aufkommen an Gaben (v.a. Nahrungsmittel), die verarbeitet werden mussten. Die Folge war, dass Tempelangehörige zu Wirtschaftsexperten wurden, die Werte in Besitz nahmen, sie berechneten, aufbewahrten, veräußerten und in andere Werte transformierten. Der Besitz musste verwaltet und die Vorgänge mussten dokumentiert werden. Gebäude und Personal wurden im Sinne einer ökonomischen Aufgabenbewältigung strukturiert. So wurden auch Köche, Bäcker, Wächter usw. zu Kultpersonen (vgl. Esr 7,24
Das dem Religionsrecht verpflichtete Kultpersonal musste sich auf Grund seiner religiösen Thematik mit der allgemeinen (säkularen) Rechtsproblematik auseinandersetzen. Dazu gehörten Kompetenz im Abfassen und Durchsetzen von Gesetzen, Präsenz in der Rechtsprechung sowie die Organisation von entsprechenden Institutionen samt deren Personal (vgl. Dtn 17,8-13
6. Leviten. Von dem altisraelitischen Kultpersonal werden namentlich genannt vor allem die → Leviten
Levitismus ist eine im Mittleren Osten und in Afrika verbreitete religiös-kulturelle Erscheinung, vorwiegend in tribal-dörflichen Lebenswelten und tendenziell nicht tempelkultisch orientiert. Zu seinen Merkmalen zählen Heiligenverehrung, Segensvermittlung, Wundertätigkeit und das Bestreben, bei rechtlichen, militärischen, wirtschaftlichen und anderen Problemlösungen richtungsweisend zu sein. Es ist deshalb ein wesentlicher Charakterzug des Levitismus, dass Vermittlungsfunktionen in machtpolitisch entscheidenden Bereichen angestrebt bzw. übernommen werden. Die religiös-politischen Führergestalten, die der Levitismus immer wieder hervorbringt, haben hier ihren Ursprung. In diesem Sinn ist die Heiligengestalt Mose eine Idealverkörperung des altisraelitischen „Levitismus“. Einzelgesellschaftlich wird der Gestaltungsspielraum „Levitismus” unterschiedlich genutzt. So waren im alten Israel Leviten u.a. auch als Priester am Tempel ritualistisch tätig. Eine Reduzierung der altisraelitischen Leviten auf clerus minor wäre jedoch problematisch (vgl. Schulz, 1987). Zur Bedeutung des Wortes „Levi” s. → Levi / Leviten
7. Aaroniden. Hinsichtlich der Kulttätigkeit der Aaroniden herrscht indes Konsens. Sie verkörperten ein Priestertum altorientalischer Prägung mit einem Schwerpunkt in der Opferpraxis. Über ihre genealogische Herkunft und die Stätten ihres Wirkens – Bethel, vorexilisches Jerusalem und/oder Silo – ist sich die Forschung nicht einig. Das liegt unter anderem daran, dass sich in den Büchern Ri-2Kön keine der genannten Priesterschaften auf Aaron beruft. Es wird deshalb angenommen, wenn auch mit unterschiedlichen Begründungen, dass Zadokiden (vgl. 1Kön 2,35
Priesterschaften nicht-aaronidischer(-zadokidischer) Herkunft sind in den Heimkehrerlisten Neh 7,40-42
2.2. Die Nachwirkungen des Exils auf den Kult
Die Zerstörung des Tempels, das Exil und die Rückkehr einflussreicher Gruppen nach Juda bzw. Jerusalem (vgl. Neh 7,6ff
(a) Religiös: Das Kultpersonal wurde mit neuen Aufgaben und Kontrollfunktionen konfrontiert, die je nach Gruppenzugehörigkeit von unterschiedlichem Ausmaß waren. Dazu zählten Ausbau und Intensivierung der religionsrechtlichen Praxis, eine ethnisch qualifizierte Religiosität und ein Verbot von Handlungen, die dem Ahnenkult, der Zauberei und Orakeltätigkeit (Wolken deuten; aus dem Becher weissagen; Dtn 18,10
Das im „Levitismus“ verwurzelte Religionsrecht fand in Juda zunehmend an Bedeutung und Akzeptanz. Sein wichtigstes Medium war die → Tora
(b) Religionspolitisch: Die Festlegung der Religion auf Monojahwismus (Dtn 6,4
© Politisch: Das politische Machtgefüge änderte sich mit der Etablierung theokratischer Verhältnisse (u.a. Taubes, 1987), die in der Kunstfigur „Melchisedek“ idealtypisch dargestellt sind (Gen 14,17ff
3. Kulturgeschichtliche Aspekte
Die Geschichte der Religionen zeigt, dass allgemein-kulturelle Probleme dem Kult eine erste Orientierung und Richtung geben. Dazu zählen solche transkulturellen Güter wie Werte und Normen, Kunst und Wissen, Techniken und Ideologien. Sie bilden einen den vielfältigen Lebenswelten übergeordneten Bezugsrahmen bzw. Gestaltungsraum. Ritualisten und Mythologen nutzen kommunikative Kompetenzen mittels Zeichen, Signal, Symbol, Sprache und Bild. Wundertäter orientieren sich am Handwerk, Religionsrechtsgelehrte am Argumentations- und Begriffsapparat des Rechts („Gott als Richter“; Bundesbuch), Priester an Möglichkeiten des ästhetischen Ausdrucks (Gesang, Rezitation, Kleidung usw.) und Opferspezialisten an ökonomischen Denk- und Handlungsweisen. Die Beispiele verweisen auf grundlegende Modelle. Sie eröffnen scheinbar endlose Differenzierungsmöglichkeiten durch Verknüpfen, Ausgrenzen und Hierarchisieren. Kultische Instanzen verfahren deshalb selektiv. Sie legen fest, welches der Grundproblem-Modelle richtungsweisend sein soll und welche Eigenschaften (bis hin zu Nahrung und Kleidung) zu den kultischen Differenzierungen gehören sollen (vgl. Religionstypologien). Daraus resultieren religionsspezifische Unterschiede in der Organisierung und Institutionalisierung von Kultpersonen und der Gestaltung von kultischen Aufgaben (vgl. Tempel und Synagoge bzw. Priestertum und Levitentum in Alt-Israel).
Ursache für kultische Vielfalt und Disparität sind zudem die kulturspezifischen Voraussetzungen. Sie beeinflussen das gesamte Spektrum kultischer Arbeit. So verlor in Alt-Vorderasien der Opferkult (→ Opfer
Die Opferpraxis orientiert sich am Modell der in tribalen Gesellschaften vorherrschenden Gabenökonomie, einem Wirtschaftstyp ohne allgemein-gültiges Tauschmittel. Das Opfer ist deshalb ein kulturtypisches Phänomen (Dahm, 2003b). Es fällt jedoch auf, dass auch in Agrarstaaten, die über ein allgemein-gültiges Tauschmittel verfügen, Opferkulte praktiziert werden. Das hat seinen Grund darin, dass in der wirtschaftlichen Praxis agrarkultureller Gesellschaften die Gabenökonomie oft weiterhin dominiert, besonders in ländlichen Regionen (gegenwärtiges Afrika; vgl. Antike). Zum anderen geben Religionsgemeinschaften ihre religiösen Traditionen oft nur widerstrebend und unterschiedlich schnell auf (vgl. Geschlechterdiskriminierung in industriestaatlichen Religionsgemeinschaften).
Andere Beispiele sind die rituelle Kommunikation, die in der modernen Religionspraxis immer weniger praktiziert wird (u.a. Stausberg, 2004) oder die Art und Weise, wie Kultpersonen den Göttern und Diensten zugeordnet werden. Tribale Dorfgemeinschaften kreieren z.B. andere Kultfunktionen und ordnen diese nach anderen Kriterien als urbane oder industriekulturelle Religionsgemeinschaften. So sind Deszendenz-Zugehörigkeiten in modernen Religionsgemeinschaften kaum ein Argument für die Inanspruchnahme oder Reklamation einer Position im Kult, für tribale Gesellschaften sind sie dagegen oft ausschlaggebend.
Zur Profilierung des je eigenen Kultpersonals werden Qualifizierung und Spezialisierung auf bestimmte Aufgaben gefördert. Es entsteht ein Expertentum. Während auf dörflicher Ebene einzelne Personen je nach Bedarf ein ganzes Bündel an Kultaufgaben erfüllen, haben an großen Tempelanlagen größere Personengruppen eng umrissene Aufgabenfelder, wie es z.B. an den altorientalischen Tempeln üblich war. Die ökonomische Lage bestimmt mit darüber, wie viel Zeit einem Kult gewidmet werden kann und ob einem Kult auf Dauer gesonderte Stätten zur Verfügung gestellt werden können. Andererseits hat ein kultisches Expertentum Einfluss auf die Gestaltung von Lebensformen und -welten. So wächst mit dem Grad der Ausdifferenzierung von Kultaufgaben potentiell die Professionalisierung der jeweiligen Arbeit und damit auch die Tendenz zu sozialer Hierarchisierung (vgl. altorientalische Tempelhaushalte; u.a. Menzel, 1981). Es wird entschieden, welcher Aufgabe hohe Bedeutung zukommt und welche von geringerem Wert ist. Konflikte sind deshalb vorprogrammiert, weil Individuen und Gruppen entsprechend ihrer Aufgabe Ansehen und Einfluss – wie Beziehungen zur politischen Macht, Ausübung rechtlicher Gewalt usw. – gewinnen oder einbüßen. Literaturen über das Kultpersonal in den Religionen dokumentieren deshalb auch konfliktreiche und gewalttätige Auseinandersetzungen (vgl. 2Kön 23
Um sozial angesehene Ämter konkurrieren Kandidaten (s.u.) mit Attributen, die einerseits Qualifikation zum Amt signalisieren sollen und andererseits eine hohe Akzeptanz erwarten lassen. Dazu zählen solche Differenzierungsmerkmale wie Besitzlosigkeit als Lebensstil (Num 18,20ff
Die Qualifizierung für ein kultisches Amt ist von Selektionsentscheiden betroffen, die den Ausschluss von bestimmten Personen und Gruppen garantieren, wie Diskriminierungen gegen Alter, Geschlecht und Herkunft zeigen. Hierfür ist verantwortlich, dass sich kultpolitische Personalentscheidungen an kultur-, gesellschafts- und gruppenspezifischen Modellen orientieren und folglich Sozial- und Kultpolitik stabilisierend aufeinander wirken. So konnte z.B. die Zentralisierung der politischen Macht am Jerusalemer Tempel einer Zentralisierung des Opferkultes nur allzu förderlich sein.
Welche Kulttypen sich in einer Kommunikationsgemeinschaft behaupten, ist Gegenstand zahlreicher und nicht immer gewaltfreier Konflikte (vgl. Ex 32
Das Verhältnis zwischen einer Kommunikationsgemeinschaft und seinem Kultpersonal wird grundsätzlich positiv und attraktiv gestaltet. Davon zeugt das Angebot, die großen, teilweise nicht lösbaren Probleme wie Hunger, Tod, Krankheit bewältigen zu können. Die erklärte sozialreligiöse Sonderstellung des Kultpersonals verspricht zudem übernatürliche Leistungen, denen gemeinhin die Fähigkeit zugeschrieben wird, Wohlstand erlangen oder politische Macht verkörpern zu können. Nicht minder überzeugend wirkt die Ablehnung von politischer Macht oder ein Leben in Armut. Dies sind nur einige Beispiele. Prinzipiell gilt für das Kultpersonal, sich des Menschen umfassend anzunehmen, seine Arbeit und sozialen Beziehungen, seine Gefühle und sein Wissen anzusprechen, ihm eine Identitätsorientierung zu vermitteln. Dieses Aufgabenverständnis und eine ausgeprägt ästhetische Gestaltung der Kultpraxis – z.B. durch Malerei, Gesang, Tanz bzw. Verbote derselben und Förderung anderer Ausdrucksweisen wie Räume ohne Kultobjekte, ein Kult ohne Instrumentalmusik usw. – tragen dazu bei, den Einfluss eines Kultpersonals auch auf sozial relevante Entscheidungen zu fördern und es zu einem Identifikationsfokus zu machen.
Das Kultpersonal ist nicht ohne Einfluss auf Verarbeitung, Lösung und Kreierung nicht-religiöser Probleme. Dazu zählen u.a. Erschließung neuer Technologien, soziale und kognitive Fortschritte, Verbreitung von Kommunikationsformen, Mobilisierung von Arbeit. Altorientalische Tempelhaushalte sind ein Beispiel für wechselseitige Abhängigkeiten von Ökonomie, Arithmetik und Schriftentwicklung, verbunden mit dokumentarischen und bibliothekarischen Kompetenzen (Nissen, 1990). Welche Denk- und Handlungspotentiale sich von Fall zu Fall ergeben und welche nicht, resultiert aus den Inhalten kultischer Arbeit bzw. den Modellen, an denen sich die Aufgabengestaltung orientiert. So war das tribal-ökonomische Modell „Haushalt“ entscheidend für den machtpolitischen Einfluss des altorientalischen Opferkultes und die Entwicklung von wirtschaftlichen Problemlösungsstrategien einschließlich ihren sozial-repressiven Implikationen (u.a. Deimel, 1931; Günther / Schrot, 1961; Lipiński, 1979; Dahm, 2003b).
Literaturverzeichnis
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Abbildungsverzeichnis
- Priester mit hoher Mütze und langem Gewand (Fresko; Bel-Tempel in Dura-Europos, Nordsyrien; 2. Jh. v. Chr.). © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
- Ägyptischer Priester nähert sich einer Gottheit mit einer Libationsvase, aus der er Flüssigkeit zu Boden gießt, und einem Räucherarm, auf dem er Weihrauch verbrennt; dahinter spielen vier Musiker auf Instrumenten. © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
- Ein König spendet einer Gottheit Flüssigkeit als Opfergabe in einen Opferständer; dahinter fungiert eine (niedere) Göttin als Mittlerin (Wandmalerei aus Mari; 2. Jt. v. Chr.). © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
- Beter tritt vor eine thronende Gottheit (Obelisk Assurnasirpals II., 884-858 v. Chr.). © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
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