Deutsche Bibelgesellschaft

Läuterungsgericht

(erstellt: Januar 2020)

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Der Begriff „Läuterung“ kommt von „lauter“ im Sinne von „rein / aufrichtig“ und bezeichnet einen Reinigungsprozess. Als Fachterminus wird er in der Metallurgie für Verfahren verwendet, die durch die Aussonderung von → Schlacke auf die Herstellung eines möglichst reinen Metalls zielen.

In späten, wohl erst exilischen Schichten der Prophetenbücher (→ Prophetie) des Alten Testaments findet sich die Vorstellung von einem Läuterungsgericht, bei dem Israel endgültig von allen Sündern gereinigt wird, damit für die Gerechten eine eschatologische Heilszeit beginnen kann (→ Eschatologie). Im Lichte dieser Vorstellung bekommt die Verkündigung der Propheten, die dem Volk als Ganzem Unheil oder Heil angesagt haben, ein neues Profil: Ihre Gerichtsankündigungen werden auf die Sünder, ihre Heilsankündigungen auf die Gerechten bezogen. Das zielt nicht mehr auf die Bestrafung Israels, sondern dient der Durchsetzung der eschatologischen Heilszeit, und Jahwe erscheint nicht mehr als ein Gott, der ganz Israel ein Ende bereitet, sondern als ein Gott, der auch und gerade in seinem Gerichtshandeln das Heil im Blick hat (→ Gottesbild).

1. Die Läuterung von Metall, z.B. von Silber

Spr 25,4 rät: „Entferne die Schlacke vom Silber, dann entsteht dem Feinschmied ein Gefäß!“ Das Wort, das im → Sprüchebuch bildlich zu verstehen ist (Silber ist im Kontext ein Bild für den König), bezieht sich auf die Läuterung von Silber. Dieses wurde in der Antike aus dem im Nahen Osten verbreiteten Mineral Galenit gewonnen, das in der Bergmannssprache als „Bleiglanz“ bezeichnet wird (chemisch: PbS, Blei(II)-sulfid). Es enthält oft einen Silberanteil von 0,5-1%. Dieses Silber musste in mehreren Schritten durch ein Läuterungsverfahren gewonnen werden. Dabei führte die Erhitzung des Minerals dazu, dass einerseits der Schwefelanteil gasförmig als Schwefeldioxid entweichen und andererseits das Blei, dessen Schmelzpunkt bei nur 327 Grad liegt, abfließen konnte. Das Silber blieb dabei mit dem Blei verbunden. Übrig blieb die → Schlacke. Das Blei wurde dann bei Luftzufuhr erhitzt, so dass es oxidierte. Aus dem Bleioxid wurde dann in einem Verfahren, zu dem vielfaches Erhitzen und Abkühlen gehörte, das Silber gewonnen. In der Praxis ist das gesamte Verfahren, von dem wir nicht wissen, wie es seinerzeit in Palästina durchgeführt wurde, sehr kompliziert und konnte leicht misslingen. Näheres s. Forbes, 234-246; Holladay, 230-232.

2. Hebräische Begriffe

Das Hebräische kennt zwei Verben, die den Vorgang des Läuterns bezeichnen können.

a) Die Wurzel ṣrp ist in vielen semitischen Sprachen bezeugt. „Die Grundbedeutung scheint … technischer Art zu sein, und zwar im Sinne von ‚brennen’ sowie vor allem in bezug auf Edelmetalle ‚läutern’ durch Brennen“ (Sæbø, 1134). Auch im Alten Testament bedeutet צרף ṣrp häufig „(Metalle) schmelzen“ (bildlich z.B. in Jes 1,25), doch kann das Verb auch metaphorisch auf Menschen bezogen werden und dann „prüfen“ bedeuten (Ri 7,4; Ps 17,3; Ps 26,2). Das Partizip bezeichnet meist einen Silber- und Goldschmied (Ri 17,4; Jes 40,19; Jes 41,7; Jes 46,6; Jer 10,9.14; Jer 51,17; Neh 3,8.32; Spr 25,4; Piel Mal 3,2f), das von dem Verb abgeleitete Nomen מַצְרֵף maṣref einen Schmelztiegel (Spr 17,3; Spr 27,21). Vgl. den Ortsnamen → Zarpat.

b) Das selten belegte Verb זקק zqq bedeutet „läutern“ (auf Metall bezogen: Qal Hi 28,1; Pu. 1Chr 28,18; 1Chr 29,4; Ps 12,7; übertragen auf dekantierten Wein: Pu. Jes 25,6; bildlich: Pi. Mal 3,2).

Die Vorstellung von einem Läuterungsgericht ist nicht an diese Begriffe gebunden.

3. Läuterung als Bild für die Reinheit des Wortes Gottes

Bildlich können die Worte Gottes, um ihre Zuverlässigkeit anschaulich zu machen, als rein und geläutert bezeichnet werden, sogar als Silber, das sieben Mal geläutert wurde, also besonders rein ist (Ps 12,7; vgl. 2Sam 22,31 // Ps 18,31; Ps 119,140; Spr 30,5).

4. Misslungene Läuterung als Bild für die Schlechtigkeit Israels

In Jes 1,21-26 beschreibt v22 die ethischen Missstände in Jerusalem in einem Bild. Man hat die Läuterung von Silber nicht mit der nötigen Sorgfalt betrieben, so dass das Silber in der Schlacke verblieben ist bzw., zugespitzt formuliert, „zu Schlacke geworden ist“ (Jes 1,22). Dieses Bild wird in v25 aufgenommen, aber umgekehrt. Gott erscheint als ein Arbeiter am Schmelzofen, der die Schlacke erfolgreich beseitigt und reines Silber erhält. Damit wird hier Jerusalem ein Läuterungsgericht angekündigt, das Unheil bedeutet, aber auch eine Heilsperspektive eröffnet (s.u. 5.1.10.; → Schlacke).

Jer 6,27-30 veranschaulicht die Schlechtigkeit Israels in einem Bild, das Jes 1,22 entspricht. Der Schmelzer hat sich intensiv gemüht, Blei und Silber zu trennen, doch ohne Erfolg. Aus Israel lässt sich kein Silber gewinnen (vgl. Jer 5,1), sondern das Volk ist durch und durch unrein und wird deswegen „verworfenes Silber“ genannt.

Ez 22,17-22 wirft Israel vor, zu Schlacke, zu einer Mischung aus Kupfer, Zinn, Eisen und Blei verkommen zu sein. Dieser bildlichen Anklage entspricht die Ankündigung: Wie man derartiges Erz in den Schmelzofen wirft, so wird Israel ins Feuer geworfen und geschmolzen werden, doch anders als in Jes 1 nicht zur Läuterung, sondern zur Vernichtung (→ Schlacke).

Nach Jes 48,9-11 ist das künftige Heil Israels allein bei Gott begründet. Er erscheint hier als ein Silberschmied, der Israel geschmolzen hat, aber gerade nicht zu Silber, also vergeblich. Die Läuterung ist gescheitert. Israel ist nicht besser geworden, vielmehr ist es Gott, der es im Schmelzofen des Elends, dem Babylonischen Exil, erwählt, es also am Ende – anders als in Jer 6 und Ez 22 nicht verwirft, sondern ihm Heil schenkt (vgl. Hermisson, 245-250; aber auch Berges, 527f).

5. Die Ankündigung eines Läuterungsgerichts

Der missverständliche Begriff „Gerichtspropheten“ meint in der alttestamentlichen Wissenschaft nicht Propheten, die einen Gerichtsprozess erwarten, sondern Unheil ankündigen. Diese Unheilsankündigung galt ursprünglich dem ganzen Volk. Ez 21,8-9 sagt sogar ausdrücklich, dass nicht nur Sünder, sondern auch Gerechte vernichtet werden. Später stieß diese undifferenzierte Ankündigung auf Kritik, so dass → Redaktoren ihr widersprachen. Sie greifen die aus der → Weisheit geläufige Unterscheidung von Gerechten und Sündern auf, um die prophetischen Gerichtsworte auf die Sünder zu beziehen und damit den Gerechten eine Heilsperspektive aufzuzeigen. Das von den Propheten angekündigte Unheil wird gewiss kommen, aber es trifft nur die Sünder, so dass die Gerechten – von den Sündern befreit – ein heilvolles Leben führen können.

Die Vorstellung von einem Israel betreffenden Läuterungsgericht findet sich im Kontext von Unheilsankündigungen (Am 9,8b-10; Jes 29,17-21; Zef 2,3.7.9b; Zef 3,11-13, Ez 20,32-38; Mal 3,13-21), dem von Heilsankündigungen (Ez 34,17-22; Jer 30,23f; Jes 56-66) und dem von beiden (Jes 1,27f; Jes 25,4f; Jes 26,4-6.7ff; Jes 33,7-16).

5.1. Die Texte

5.1.1. Amos 9,8b-10

Die um 760 v. Chr. anzusetzende Unheilsankündigung des → Amos gipfelt in Am 8,2 in dem Satz: „Das Ende ist gekommen für mein Volk Israel!“ Demgegenüber bietet der Schluss des Amosbuches in Am 9,11ff einen heilvollen Ausblick, doch setzt die Ankündigung des Wiederaufbaus der „zerfallenen Hütte Davids“ die Zerstörung der Stadt der Davididen, also Jerusalems, 587 v. Chr. voraus (→ Zerstörung Jerusalems), mithin Verhältnisse über 170 Jahre nach Amos. Dadurch ist evident, dass es sich bei dem Heilswort um einen späteren Zusatz handelt. Die Spannung zwischen der Unheilsankündigung des Amos und der Heilsankündigung des Bearbeiters wird in der → Fortschreibung Am 9,8b-10 durch das Bild von einem Sieb ausgeglichen: Das von Amos angekündigte Unheil soll nicht ganz Israel treffen, sondern nur die ausgesiebten Sünder in Israel. Nur sie sollen durch das Schwert sterben (vgl. Am 9,10 gegenüber Am 9,4). Übrig bleiben die Gerechten, denen die Heilsankündigung von Am 9,11ff gilt. Die Gerichtsankündigung des Amos wird hier folglich als Ankündigung eines Läuterungsgerichts interpretiert, das eine Heilszeit eröffnet. So hat auch das Buch des Propheten, der sich einst vehement gegen jede Heilserwartung gewandt hatte (Am 5,18-20), einen heilvollen Ausblick erhalten.

5.1.2. Jesaja 29,17-21

Jes 29,1-16 sagt ganz Jerusalem das Gericht an. In Jes 29,17-21 folgt eine Fortschreibung, die demgegenüber ein Läuterungsgericht ankündigt und damit auch die voranstehende Gerichtsankündigung in diesem Sinne interpretiert: In dem bevorstehenden Gericht werden nur die Sünder, die Gewalttätigen und die Eingebildeten, umkommen (v20-21), während für die leidenden Frommen eine eschatologische Heilszeit beginnt (v17-19). Gottes richtendes Handeln wendet sich also nicht gegen die Frommen, sondern dient letztlich dazu, eine Heilszeit heraufzuführen, in der sie nicht mehr von Übeltätern bedrängt werden.

5.1.3. Zefanja 2,3.7.9b; 3,11-13

Das Buch → Zefanja kündigt Juda und Jerusalem im späten 7. Jh. den → Tag Jahwes als einen schrecklichen Unheilstag an (Zef 1,4.18). In Zef 2,3.7.9b; Zef 3,11-13 finden sich jedoch Fortschreibungen, die dem Tag Jahwes eine ganz andere Deutung geben. Das Unheil wird nicht mehr ganz Jerusalem angesagt, sondern nur den Stolzen in Jerusalem. Der Tag Jahwes wird nicht mehr als der Tag des alles zerstörenden eschatologischen Gerichts verstanden, sondern als der Tag, mit dem für die Demütigen eine eschatologische Heilzeit beginnt. Aus der Ankündigung eines uneingeschränkten Gerichts bei Zefanja ist die eines Läuterungsgerichts geworden, das den Demütigen eine Heilzeit eröffnet (vgl. Irsigler, 400). Denn sie werden dann die Gebiete fremder Völker besitzen und dort in einem unrechtsfreien Friedenszustand leben.

5.1.4. Ezechiel 20,32-38

Wie → Deuterojesaja verheißt Ez 20,32-38 (→ Ezechiel) dem im Babylonischen → Exil klagenden Volk, dass Jahwe es aus der Fremde nach Jerusalem zurückführen wird. Doch anders als bei Deuterojesaja wird der Zug durch die Wüste hier nicht als prachtvolle Reise gepriesen, vielmehr soll dort ein großes Läuterungsgericht stattfinden. Wie Gott seinerzeit mit der Wüstengeneration des Ägyptenauszugs (→ Exodustradition) ins Gericht gegangen ist, so auch mit der Generation des neuen Auszugs. Denn damals wie heute sollen die Sünder das Land nicht betreten. Anders als damals wird jetzt jedoch nicht eine ganze Generation umkommen, sondern es wird ein Läuterungsgericht geben, eine Sichtung der einzelnen Israeliten, um die Sünder herauszufiltern und ihnen den Zutritt zum Land zu verweigern (Ez 20,37-38). Nach dieser Reinigung Israels sollen nur die Frommen das Land erhalten. Am neuen Exodus haben also alle Exulanten Teil, an der neuen Landgabe dagegen nur die Gerechten unter ihnen.

Auch Ps 66,10-12 verbindet die Vorstellungen von Läuterung und Exodus, jedoch im Rückblick. Israel musste in seiner Geschichte viel Leid erdulden. Es war Gott, der ihm das Leid auferlegt hat, aber er hat dies getan, um Israel zu läutern. Dem Leid wird damit eine Erklärung gegeben: Silber wird durch Feuer geläutert, um rein zu werden, und Israel wurde wie Silber geläutert (Ps 66,10), um als reines Volk aus dem Exil geführt zu werden. Für dieses Heilshandeln sollen die Völker Gott loben (Ps 66,8).

5.1.5. Maleachi 3,13-20

Das Buch → Maleachi hat in Mal 3,13-20 (Zusatz: v21) eine Fortschreibung erfahren, die eine Läuterung Israels am Tag Jahwes ankündigt. Alle Sünder sollen dann beseitigt werden und über den Gerechten wird anschließend die Sonne der Gerechtigkeit leuchten. Heil und Unheil werden nicht Israel angekündigt und wie in dem 3,13ff voranstehenden Text davon abhängig gemacht, ob es umkehrt oder nicht, sondern auf zwei Gruppen verteilt, Gerechte und Frevler. In dem neu bearbeiteten Buch gilt der Umkehrruf von Mal 3,7 nicht mehr dem Volk, sondern den Einzelnen.

5.1.6. Daniel 11,31-35

Das → Danielbuch ist erst im 2. Jh. v. Chr. entstanden und bezieht sich auf die Auseinandersetzungen in der Zeit der → Makkabäer. Dan 11,31-35 kündigt schreckliches Unheil an, auch den Märtyrertod von einigen Frommen, den es nach der Vorstellung vom → Tun-Ergehen-Zusammenhang eigentlich nicht geben dürfte und der deswegen einer besonderen Begründung bedarf. Er wird damit erklärt, dass die Gruppe der Frommen bis zur Zeit des nahen Endes geläutert und gereinigt werden soll (Dan 11,35).

5.1.7. Ezechiel 34,17-22

Die Ankündigung eines Läuterungsgerichts findet sich auch im Kontext von Heilsankündigungen. Im Buch → Ezechiel sagt Jahwe in Ez 34,11-16 dem Volk Israel, von dem hier als Gottes Herde die Rede ist, Heil an: Gott selbst wird seine Schafe weiden. In Ez 34,17-22 findet sich eine Fortschreibung dieser Bildrede, doch erscheint die Herde jetzt nicht mehr als Einheit, sondern ist in Starke und Schwache, in Unterdrücker und Unterdrückte gespalten. Die Rettung Jahwes soll nicht der ganzen Herde zuteil werden, sondern nur dem bedrängten Teil dieser Herde. Gott wird zwischen den Schafen richten (Ez 34,17.20.22). Das bedeutet, wie die Form des Gerichtsworts deutlich macht, dass die Starken, die ihre Volksgenossen unterdrücken, untergehen werden. Ausdrücklich erwähnt ist der Untergang der Starken nicht, weil er aus dem Bild fiele: Ein Hirte würde seine starken Tiere ja nicht töten! An dem zuvor angekündigten Heil werden die Starken jedenfalls nicht partizipieren. Insofern wird Israel auch hier einer Läuterung unterzogen.

Ez 20,32-38 (s.o. 5.1.4.) bietet die Fortschreibung eines Textes mit einer Unheilsperspektive, Ez 34,17-22 dagegen die einer Heilsankündigung. Beide Texte wollen die voranstehende Unheils- bzw. Heilsperspektive einschränken, indem sie die Vorstellung eines Läuterungsgerichts einführen. Für Ez 20 bedeutet die Einführung dieser Vorstellung, dass eine Heilsperspektive eröffnet wird, für Ez 34 dagegen, dass die voranstehende Heilserwartung eingeschränkt wird. Beide Texte gipfeln in der Erwartung einer von Sündern befreiten Gemeinde der Gerechten.

5.1.8. Jeremia 30,23-24

Jer 30,18-22 verheißt Israel Heil. Demgegenüber kündigt der anschließende, Jer 23,19-20 entnommene Text Jer 30,23-24 den Frevlern das Ende an. Damit wird die voranstehende Heilsankündigung ausschließlich auf die Gerechten bezogen. Die Frevler werden nach v23f in einem Läuterungsgericht beseitigt, das die in v18-22 beschriebene Heilszeit erst ermöglicht.

5.1.9. Jesaja 56-66*

Im Bereich → Tritojesaja (Jes 56-66) kündigt eine Grundschicht, insbesondere in Jes 60-62, Israel eine Heilszeit an. Eine Fortschreibungsschicht differenziert demgegenüber im Kontext eines aktuellen Konfliktes deutlich zwischen Gerechten und Frevlern und ihrem jeweiligen Ergehen. Die Heilsworte der Grundschicht gelten jetzt allein den Gerechten (Jes 56,1; Jes 57,1-2.20-21). Die Ankündigung, dass der Erlöser zum Zion kommen wird, soll sich nur noch auf diejenigen in Jakob beziehen, die sich von der Sünde abwenden (Jes 59,20). Für die Unbußwilligen rüstet sich Jahwe dagegen zu einem Kampf (Jes 59,15b-20), den Jes 63,1-6 in grellen Farben ausmalt. Die mächtigen Gegner, die die Gerechten aus der Gemeinde ausgeschlossen haben (Jes 66,5), sollen untergehen (Jes 65,13-14). Danach wird für die „Knechte Jahwes“ die eschatologische Heilszeit beginnen, die → Deuterojesaja und die Grundschicht von Jes 56-66 angekündigt haben.

5.1.10. Jesaja 1,27-28

Die Ankündigung eines Läuterungsgerichts findet sich schließlich auch in Kontexten, die sowohl Heil als auch Unheil ankündigen.

Jes 1,21-26 beschreibt zunächst Missstände in Jerusalem. Bildlich gesprochen hat man Silber verunreinigt und Bier gepanscht (s.o. 4.). In Entsprechung dazu kündigt Jahwe ein Läuterungsgericht an: Er wird die → Schlacke beseitigen, freilich um Silber zu erhalten. Jerusalem wird also nicht völlig vernichtet, sondern im Gegenteil durch die Reinigung zu einem „Ort der Gerechtigkeit“ (Jes 1,26) gemacht.

In Jes 1,27-28 expliziert eine Fortschreibung, wer dem Gericht anheimfällt und wer an der eschatologischen Heilszeit partizipiert. In Fortsetzung von v26 kündigt v27a an, dass Zion erlöst wird, aber v27b erläutert diese Zusage dahingehend, dass diejenigen in Zion erlöst werden, die zu Jahwe umkehren. Was damit impliziert ist, sagt v28 expressis verbis: Wer sich nicht zu Jahwe bekennt, sondern ihn verlässt, wird nicht erlöst werden, sondern untergehen. Das Gericht zielt also auf eine Reinigung Jerusalems.

5.1.11. Jesaja 25,4-5; 26,4-6.7-12

Jes 24-27 bilden die sog. → Jesaja-Apokalypse, die erst relativ spät in das → Jesajabuch eingefügt wurde. Sie schildert ein die ganze Welt betreffendes, eschatologisches Gericht, das in Jahwes Vernichtung der alten Welt sowie dem Aufbau einer neuen Welt und eines neuen Jerusalem besteht.

Innerhalb der Jesaja-Apokalypse finden sich in Jes 25,4-5 und Jes 26,4-6 zwei Fortschreibungen, die vielleicht vom selben Bearbeiter stammen. Sie künden den Elenden Rettung, ihren Unterdrückern dagegen den Untergang an (lies in Jes 25,5 זֵדִים „Stolze“ statt זָרִים „Fremde“). Im Licht dieser Zusätze gelten die eschatologischen Gerichts- und Heilsankündigungen des Kontexts Einzelnen bzw. Gruppen. Die im Kontext breit ausgeführten Vernichtungsaussagen, die dort der Erde bzw. einer Stadt gelten, werden jetzt auf die Stolzen und Gewalttäter bezogen. Umgekehrt gelten die Heils- und Rettungsankündigungen jetzt den leidenden Gerechten. Das erwartete eschatologische Gericht wird damit als ein Läuterungsgericht interpretiert, in dem nur die Übeltäter beseitigt werden. An der dem Gericht folgenden Heilszeit partizipieren dementsprechend nur die leidenden Gerechten.

Der psalmistische Text Jes 26,7-12 bezieht sich auf Jes 26,4-6. Er ist von dem Vertrauen bestimmt, dass Jahwe Gerechten und Frevlern ein ihrem Verhalten entsprechendes Ergehen zuteil werden lässt. Damit untermauert er in weisheitlich geprägten Formulierungen, was Jes 26,4-6 bereits zum Ausdruck gebracht hat.

5.1.12. Jesaja 33,7-16

Auch bei Jes 33,7-16 handelt es sich um eine Fortschreibung, die die voranstehenden Heils- und Unheilsaussagen aufnimmt, um ihnen einen neuen Sinn zu geben. Sie sollen verschiedenen Gruppen des Volkes gelten. Das Gericht wird jetzt als ein Läuterungsgericht verstanden, das außer den Völkern Sünder und Gottlose trifft. Sie sind es, die von dem angekündigten verzehrenden Feuer dahingerafft werden. V15 formuliert demgegenüber die ethischen Bedingungen für die Teilhabe am Heil. Wer sie erfüllt, soll nach der Beseitigung der Sünder ein heilvolles Leben führen.

5.2. Der Ablauf des Läuterungsgerichts

Die Vorstellung von einem Läuterungsgericht sieht dieses als einen Vorgang aus mehreren Phasen. Am Anfang steht die Trennung von Sündern und Gerechten. Sie kann bildlich beschrieben werden. Am 9,9 spricht von einem Sieb, mit dem Jahwe Israel schütteln wird, um die Sünder auszusondern. In Ez 20,37-38 erscheint Jahwe zunächst als ein → Hirte, der seine Herde unter dem Stab hindurchführt, um so alle Einzelnen zu sichten. Die eigentliche Trennung wird dann im Bild einer Reinigung ausgedrückt. Jahwe wird das Volk von Sündern säubern. Jes 65,8 veranschaulicht die Trennung im Bild von einem Traubenbüschel. Dieses wirft man nämlich nicht als Ganzes weg, sondern holt das Gute, den Most, heraus und vernichtet nur den Rest. In Jes 1,25 erscheint Jahwe als ein Metallhandwerker, der Schlacke aussondert. In Sach 13,8-9 kündigt Jahwe an, dass zwei Drittel des Volkes vernichtet werden und dass auch das verbleibende Drittel wie Silber im Feuer geläutert werden soll, bis ein reines Volk übrig ist. Mal 3,3 verwendet dasselbe Bild im Blick auf die Läuterung der Leviten. Andere Texte verzichten auf Bilder. Ez 34,17-22 gebraucht mehrfach die Wendung „richten / unterscheiden zwischen ...“, Zef 3,11 den Ausdruck „aus deiner Mitte werde ich (sc. Jahwe) entfernen“.

Dem Trennungsvorgang folgt das Gericht über die Sünder. Jahwe wird sie zerbrechen (Jes 1,28), niederschlagen (Jes 25,5; Jes 26,5) und ausrotten (Jes 29,20), ja er wird ein Blutbad anrichten (Jes 59,15b-20). Das Schwert wird die Sünder töten (Am 9,10; Jes 65,12), Feuer wird sie verbrennen (Jes 33,11.14; Mal 3,19) und ein Sturm ihr Haupt ergreifen (Jer 30,23). Zef 3,11 und Ez 20,38 sprechen eine weniger drastische Sprache, doch kommt auch hier deutlich zum Ausdruck, dass über die Sünder Unheil kommen wird. Jahwe wird sie aus Jerusalem entfernen bzw. ihnen die Heimkehr nach Jerusalem verwehren. In Ez 34,17-22 ist das Unheil der Sünder nicht expressis verbis erwähnt, weil es nicht zum Bild der Herde passt. Es ist jedoch durch die Form des Gerichtswortes impliziert.

Nach der Beseitigung der Sünder führt Jahwe für die Gerechten eine Heilszeit herauf, welche die Redaktoren teilweise überschwänglich und irdische Verhältnisse transzendierend beschreiben. Die Gerechten sollen erlöst werden (Jes 1,27; Ez 34,22). Die Zeit der Drangsal und der Not wird zu Ende sein (Jes 26,4f; Ez 34,22). Sie werden genug zu essen haben (Jes 33,16; Jes 65,13) und sicher wohnen (Jes 33,16). Ihr Land wird blühen (Jes 29,17; Jes 65,10), ja sie werden neue Ländereien besitzen (Zef 2,7.9b; Zef 3,13). Frei von allem Unrecht werden sie in Gerechtigkeit und Frieden (Zef 3,13; Mal 3,20) ein von Jubel und Freude erfülltes Leben führen (Jes 29,19; Jes 65,13-14). Jahwe, ihr Gott, wird sich um sie kümmern (Jes 25,4; Jes 26,4-5; Jes 29,18; Zef 2,7), und sie werden ihn verehren (Jes 65,16a; Zef 3,12; Mal 3,18.20). In Am 9,8b-10 und Ez 20,32-38 ist vom Heil der Gerechten nur implizit die Rede, nämlich insofern, als sie das den Sündern angekündigte Unheil nicht treffen wird. Sie werden nicht vom Schwert getötet, und ihnen wird die Rückkehr nach Jerusalem nicht verwehrt sein. Alle Texte zielen darauf, den Gerechten Heil anzukündigen. Von daher ist es durchaus sachgemäß, wenn ihnen später häufig Heilsschilderungen angehängt wurden (Jes 29,22-24; Jes 33,17-24; Am 9,11-15; Zef 3,14-20; Ez 20,39-44; Ez 34,23-31). Diese gelten, da sie im jetzigen Textzusammenhang der Ankündigung eines Läuterungsgerichts folgen, nur den Gerechten, auch wenn das zum Teil nicht ihrer ursprünglichen Intention entsprechen mag.

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