Deutsche Bibelgesellschaft

Andere Schreibweise: Leah (engl.)

(erstellt: August 2013)

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Genesis

1. Name

Die Etymologie des Namens Lea (hebr. לֵאָה le’ā) ist unsicher. Unter Verweis auf akkadisch lītu, littu (< *li’tu) „Kuh“ und arabisch lu’lu’a „Wildkuh“ sowie auf andere hebräische Personennamen, die von Tiernamen abgeleitet sind (→ Debora; → Hulda), wird die Bedeutung „Kuh“ erwogen. Im Zusammenhang der stammesgeschichtlichen Auslegung verstand man die Frauennamen der Erzelternerzählung als Bezeichnungen für Stämmegruppen und als Hinweise auf historische Tatbestände: die Söhne Leas seien (nomadische) Rinderzüchter, die Söhne → Rahels (sesshafte) Schafzüchter gewesen (Noth 1980, 10). Oder man sah mit Verweis auf die Jungkuh → Anat aus → Urgarit hinter Lea eine „kanaanäische“ Fruchtbarkeitsgöttin (Mowinckel, 123).

In Frage kommt aber auch die Ableitung von der Wurzel *L’J „stark sein“ (akkadisch le’û; vgl. AHw 547) mit theophorem Element, so im Akkadischen GN-le’i („die Gottheit xy ist stark“).

In der → Septuaginta wird der Name mit Λεια Leia, in der Vulgata mit Lia wiedergegeben.

2. Lea im Alten Testament

Lea ist die ältere Schwester von → Rahel. Beide sind Töchter des Aramäers → Laban, einem Bruder → Rebekkas. Mit Lea und Rahel heiratet → Jakob also zwei seiner Cousinen, die Töchter des Mutterbruders. Lea ist die Mutter der Jakobssöhne Ruben, Simeon und → Levi, → Juda, Issachar und Sebulon und einer Tochter mit Namen → Dina. Ihre Magd ist → Silpa.

2.1. Lea in den Erzelternerzählungen

Der Erzvater → Abraham erhält die dreifache göttliche Zusage, dass JHWH ihn zu einem großen Volk machen und ihn segnen werde und dass sein Name groß sein werde (Gen 12,2). Damit werden Erwartungen geweckt, die im Erzählverlauf erst sukzessiv eingelöst werden. Zwar wird auch aus Ismael ein großes Volk, aber es wird deutlich: Der Stammvater Israels muss ein Sohn Saras sein. Die Zahl der Nachkommen des gemeinsamen Sohnes Isaak mit seiner Frau Rebekka ist aber alles andere als groß. Dass aus Abram schließlich ein großes Volk wird, zeigt sich erst in den Söhnen, die Jakob mit seinen vier Frauen Lea und Rahel, Silpa und → Bilha hat und aus denen die 12 → Stämme Israels hervorgehen. Mit Blick auf die göttliche Verheißung kann die Unfruchtbarkeit der Erzmütter nur temporär sein. Aus den Söhnen Jakobs mit seinen Frauen (Gen 46,26) wird schließlich das Volk der Söhne Israels (Ex 1,9).

Lea nimmt in den Erzelternerzählungen verschiedene Rollen ein: Sie tritt auf als verzweifelte nicht-geliebte, aber fruchtbare Ehefrau, als ärgste Rivalin der eigenen Schwester und als ältere Tochter, über die der Vater verfügt und von dem sie sich zugunsten ihres Mannes lossagt. Dabei wird sie als eine der Stammmütter Israels gezeigt.

2.1.1. Lea als Frau Jakobs (Gen 29,16-30)

Wie der Knecht Abrahams Rebekka, der zukünftigen Frau → Isaaks, an einem Brunnen begegnet (Gen 24,15), so trifft Jakob an einem Brunnen auf Rahel, die er küsst (Gen 29,6; → Wasserversorgung 7.3.). Nach → Haran hat ihn sein Vater geschickt, um dort eine Frau zu finden, die derselben Familie angehört (Gen 28,2). Jakob bleibt einen Monat bei Laban, Rahels Vater. Erst dann erwähnt der Erzähler: „Laban hatte zwei Töchter“ (Gen 29,16). Noch vor dem ersten Auftreten Leas ist offensichtlich, dass sie es schwer haben wird, Jakobs Liebe zu gewinnen. In ihre Gefühle erhält der Leser aber keinen Einblick. Die zwei Schwestern werden über ihr Alter und ihr Äußeres vorgestellt: Lea ist die Ältere; ihre Augen sind matt. Rahel ist die Jüngere; sie ist wirklich schön. Nur für Rahel gilt: Jakob liebt sie (Gen 29,16-18).

Das Adjektiv רַךְ rakh, das die Augen Leas beschreibt, wird an dieser Stelle gewöhnlich mit „matt“ übersetzt. Bei Flavius Josephus ist die ältere Tochter explizit „nicht so schön wie Rahel“ (Antiquitates I 301; Text gr. und lat. Autoren). Andere Belegstellen zeigen die Bedeutung „zart / schwach / sanft / weich“ (vgl. Dtn 28,54; Dtn 28,56; Jes 47,1). Die trüben Augen Isaaks werden hingegen mit dem Verb כהה KHH „müde werden“ beschrieben. Die Darstellung Leas muss also nicht zwangsläufig darauf hinauslaufen, dass sie unattraktiv oder körperlich weniger anziehend als ihre Schwester ist. Möglich ist auch, die Charakterisierung auf Leas auffallende Augen (Jacob, 588) oder auf ein eher zurückhaltendes Verhalten zu beziehen. Das Targum Onkelos übersetzt „schön“, und auch die Tosafisten übernehmen die Deutung „weich und gut“. Im Babylonischen Talmud wird die Beschreibung Leas nicht als „Schimpf“, sondern als Lob ausgedeutet (Traktat Baba Batra 123a; Text Talmud).

Als Laban Jakob nach einem Lohn für seinen Dienst bei ihm fragt, wählt Jakob die jüngere Tochter Rahel, um die er sieben Jahre dient (Gen 29,20). Am Abend der Hochzeit schiebt Laban Jakob die ältere Schwester Lea unter, mit der Jakob die Nacht verbringt. Warum er den Betrug erst am nächsten Morgen bemerkt, darüber schweigt der Text. Den Vorwürfen Jakobs entgegnet Laban gelassen mit dem Verweis auf ortsübliche Bräuche, die Jüngere nicht vor der Älteren zu verheiraten (Gen 29,26). Allerdings bietet er Jakob an, nach der Brautwoche auch Rahel zur Frau zu erhalten – um weitere sieben Jahre Dienst (Gen 29,27). Beide Schwestern sind der Verfügungsgewalt ihres Vaters ausgesetzt, die letztlich jedoch ihrer Versorgung dient. In der Dreiecksbeziehung bleibt die ältere im Vergleich zur jüngeren Schwester in Bezug auf die Liebe des Mannes zurückgesetzt: „Er liebte Rahel mehr als Lea.“ (Gen 29,30).

2.1.2. Lea und ihre Söhne (Gen 29,31 – 30,24)

Zu dem Motiv der Rivalität von Erst- und Zweitgeborener, der Bevorzugung der Jüngeren vor der Älteren, in der sich die Rivalität von Jakob und Esau spiegelt (Gen 27), tritt ein weiteres hinzu: Die geliebte, aber unfruchtbare und die ungeliebte, aber fruchtbare Ehefrau. Wie → Sara und → Hanna wird Rahel von ihrem Mann geliebt, ist aber unfruchtbar (Gen 29,31; vgl. 1 Sam 15,), wie → Hagar und Penina bringt die weniger geliebte bzw. Nebenfrau Kinder zur Welt.

Gedeutet wird die auf Gott zurückgeführte Fruchtbarkeit Leas durch den Erzähler als JHWHs Reaktion darauf, dass Lea „gehasst“ ist (Gen 29,31). Allerdings wird nur in der Figurenrede Jakobs Gott als der Verursacher von Rahels Unfruchtbarkeit genannt (Gen 30,2). In der Namensgebung ihrer Söhne Ruben und Simeon und deren Erklärung führt Lea ihre Fruchtbarkeit auf Gott zurück, der ihr Elend gesehen habe (Gen 29,32). Es zeigt sich die Hoffnung Leas, über die Kinder die Liebe ihres Mannes zu erlangen. Lea möchte geliebt werden. Daher sind ihr sogar ihre Kinder Mittel zum Zweck.

Doch auch Rahel, die das hat, was Lea sich so sehnlich wünscht, nämlich die Liebe ihres Mannes, empfindet ihre Situation als unerträglich: Sie möchte Kinder. Als sie den Umweg über ihre Magd Bilha wählt, die zwei Kinder zur Welt bringt, zieht Lea, die ebenfalls keine weiteren Kinder geboren hat, nach. Auch ihre Magd Silpa bringt zwei Söhne, Gad und Ascher, zur Welt.

In einer weiteren Szene (Gen 30,14-21) erreicht der Konflikt der Schwestern seinen Höhepunkt: Als der Lea-Sohn Ruben auf dem Feld Alraunen findet, Pflanzen, von denen eine Fertilitätssteigerung erhofft wird, verhandeln die beiden Frauen über die Liebe Jakobs, seine → Sexualität, die Alraunen und die erhofften Kinder. Rahel erbittet von der Schwester das → Fruchtbarkeit steigernde Mittel. Lea befürchtet, damit den einzigen Vorteil, den sie ihrer Schwester gegenüber hat, ihre exklusive Fruchtbarkeit, zu verlieren (Gen 30,14). Rahel nimmt ein weiteres Kind der Schwester in Kauf, wenn sie der Schwester Jakob für eine Nacht zur Verfügung stellt, um an die Pflanzen zu kommen (Gen 30,15). Genau dies tritt ein, und wieder wird die Geburt des Kindes als göttliche Reaktion auf die Bitte Leas gedeutet (Gen 30,17): Lea bringt Issachar und Sebulon und schließlich auch eine Tochter mit Namen Dina auf die Welt.

Völlig ohne Zusammenhang zum vorhergehenden Handel der Schwestern, die wie Jakob und Esau Rang und Status käuflich absichern wollen (vgl. Gen 25,31), und dem Versuch, mit natürlichen Mitteln zu Fruchtbarkeit zu gelangen, erscheint das plötzliche Sich-Erinnern Gottes in Bezug auf Rahel. Sie wird erhört, so die Deutung des Erzählers (Gen 30,22). Bei der Geburt benennt Rahel ihre Situation der Kinderlosigkeit als Zeit der Schande, die nun beendet ist (Gen 30,23).

In den Verhältnissen der patriarchal verfassten Gesellschaftsordnung mit polygyner Eheschließung (anders jedoch Lev 18,18), die die Texte beschreiben, definiert sich der soziale Status der Frau über ihre Fruchtbarkeit. In diese Thematik hinein verwoben ist die Frage nach Über- und Unterordnung im Rahmen einer natürlich vorgegebenen Rangordnung der Erst- und Zweitgeborenen. Über diese kontextgebundenen Gegebenheiten hinaus wird auch deutlich, wie verzweifelt Menschen um Anerkennung und Zuneigung ringen, wie der Blick auf das vermeintlich Begehrenswerte zu Neid und missgünstigem Handeln führt und wie dem als kontingent Erfahrenen mittels religiöser Deutemuster Sinn bzw. die Verfügungsgewalt über Leben und Tod Gott allein zugeschrieben wird. Dies geschieht um den Preis einer Aporie (Meurer, 108): Was in der Perspektive der Zurückgesetzten als Befreiung erlebt wird, ist die Zurücksetzung Anderer. Von einem universalen Standort aus scheint Gottes Handeln nicht als gerecht gedacht werden zu können. Die Erzählung bietet kein billiges Happy End. Lea bleibt die Ungeliebte; das Ungewicht des einen bzw. dann der zwei Rahel-Söhne bleibt gegenüber den sechs Lea-Söhnen bestehen. Gerade deshalb spiegelt die Erzählung aber menschliche Erfahrungen.

2.1.3. Lea und ihr Vater (Gen 31,4-18)

Als es zu Rivalitäten zwischen Jakob und den Söhnen Labans kommt und sich das Verhältnis von Onkel und Neffe verschlechtert, erhält Jakob den göttlichen Auftrag, in das Land seiner Väter zurückzukehren. Er beratschlagt sich mit seinen beiden Frauen Rahel und Lea und begründet seinen Wunsch, in seine Heimat zurückzukehren, mit dem betrügerischen Handeln Labans und einem Traumgesicht (Gen 31,4-13). Einmütig stellen sich die beiden Schwestern gegen ihren Vater und sagen sich von ihm los (Gen 31,14).

Den Hintergrund der Szene mögen sozialrechtliche Vorgänge bilden. Lea und Rahel sprechen vom Haus ihres Vaters (hebr. בֵּית אָב bêt ’āv), einer formalen Größe, der der pater familias vorsteht. Indem sich die Töchter von ihrem Vaterhaus abwenden, wird es Jakob möglich, selbst zum pater familias zu werden (Shectman, 12). So ist auch ihre rhetorische Frage „Haben wir noch Anteil oder Erbe im Haus unseres Vaters?“ (Gen 31,14) weniger mit Bezug auf das → Erbrecht auszulegen, sondern sie ist als Aufkündigung der Bindungen an das Vaterhaus zu verstehen.

Liest man die Erzelternerzählungen nicht als reine Familien-, sondern als Volksgeschichte, dann beschreibt diese Szene nicht das Verhältnis widerspenstiger Töchter zu ihrem Vater, sondern Auseinandersetzungen zwischen der Jakobssippe, also Israel, und dem Haus Labans, also → Aram. Aus dieser Perspektive zeigt sich auch die Bedeutung Leas: Sie ist die Mutter Judas, aus dessen Stamm die Dynastie der Davididen stammen wird, und die Mutter von Levi, aus dem → Mose und das aaronitische Priestertum (→ Aaron) hervorgehen.

Die Einmütigkeit der Schwestern und ihre Gleichbehandlung sind allerdings nur von kurzer Dauer. Beim Aufeinandertreffen mit seinem Bruder → Esau, von dem Jakob nichts Gutes erwartet, wird in der Aufstellung der Familie eine klare Rangordnung deutlich: Nach den Mägden und ihren Kindern stehen Lea und ihre Kinder und erst am Ende in der sichersten Position Rahel und Josef (Gen 33,1.2.7)

2.2. Lea außerhalb der Erzelternerzählungen

In der Aufzählung der Söhne Jakobs, die nach Ägypten kommen (Gen 46,8-27), werden die Lea-Söhne an erster Stelle genannt: „Das sind die Söhne der Lea, die sie dem Jakob in Paddan-Aram geboren hatte, und seine Tochter Dina.“ (Gen 46,15). Es folgen anders als in Gen 35,23-26 die Söhne von Leas Magd Silpa, die beiden Söhne Rahels und die Söhne ihrer Magd Bilha.

Weder wird von Leas Tod berichtet noch, dass sie mit nach Ägypten reist. Erst später erschließt sich, dass sie vorher gestorben ist. Jakob trägt seinen Söhnen auf, ihn in der Höhle Machpela zu begraben. Er verweist dabei darauf: „Dort haben sie Abraham begraben und seine Frau Sara; dort haben sie Isaak begraben und seine Frau Rebekka; und dort habe ich Lea begraben.“ (Gen 49,31). Leas Grab befindet sich also anders als das ihrer Schwester Rahel, die am Wegesrand begraben ist, bei dem der anderen Erzeltern.

Im Wunsch des Volkes und der Ältesten an Boas (→ Rut) wird mit Rahel und Lea die Gründung des ganzen Haus Israel angesprochen: „JHWH mache die Frau, die in dein Haus kommt, wie Rahel und wie Lea, die beide das Haus Israel gebaut haben!“ (Rut 4,11). Erinnert werden hier beide Schwestern gleichberechtigt, aber ohne Nennung ihrer Mägde als die, denen das Volk Israel entstammt.

3. Rezeption

Im frühjüdischen Jubiläenbuch (→ Jubiläenbuch) erfährt die Figur der Lea eine Aufwertung. So wird die Brunnenszene ausgelassen, die Rahel und nicht Lea von vornherein als für Jakob vorherbestimmte Frau erscheinen lässt. Aus dem von Laban angeführten Brauch, erst die ältere Schwester zu verheiraten, wird ein Gesetz göttlichen Rangs (Jub 28,6-7). Leas Namensdeutungen, die ihre Zurückgesetztheit zur Sprache bringen, fehlen. Nach Rahels Tod wird explizit erwähnt, dass Jakob und seine Frau Lea zu seinem Vater Isaak kommen (Jub 33,1). Als Lea stirbt, wird die Trauer aller Söhne und Jakobs, der sie sehr geliebt habe, seit Rahel gestorben ist, breit erzählt, und ihre Tugenden werden aufgezählt (Jub 36,21-24). In Anklang an die weisheitliche Tradition wird Lea nicht nur als schön, sondern auch als ideale und weise (Ehe-)Frau beschrieben. In der Chronologie des Jubiläenbuches ist Lea drei Jahre länger die geliebte als die nicht-geliebte Frau. Diese durchweg positive Darstellung Leas ist einzigartig.

In Genesis Rabba erscheint sie als schlau und selbstbewusst, aber als betrügerisch. Am Morgen nach der erschlichenen Hochzeitsnacht dreht sie die Anschuldigung Jakobs um, der sie als Betrügerin bezeichnet, weil sie sich mit Rahel hat anreden lassen: Er selbst habe sich doch auch von seinem Vater Esau nennen lassen (GenR 70,19).

Manchen jüdischen Traditionen zufolge sei auch Dina ursprünglich ein männlicher Embryo gewesen. Da die Zahl der 12 Stämme jedoch vorherbestimmt sei, bei sieben Söhnen Leas nur ein Sohn für Rahel übrig geblieben wäre, bittet Lea, dass das Kind in ein Mädchen verwandelt werde, damit Rahel zumindest denselben Status wie die Mägde mit zwei Söhnen haben könne (Babylonischer Talmud, Traktat Berakhot 60a [Text Talmud]; vgl. Genesis Rabba 72,6; Targum Pseudo-Jonathan).

Weitere Leerstellen der biblischen Erzählung werden geschlossen. So gibt Flavius Josephus eine Erklärung, wie es zur Verwechslung der beiden Frauen in der Hochzeitsnacht kommen kann: Jakob ist von Weinrausch und Dunkelheit getäuscht (Antiquitates I 301). Laut Talmud haben Jakob und Rahel Erkennungszeichen ausgemacht. Diese verrät Rahel an Lea, damit sie nicht beschämt wird, so dass Jakob den Tausch der Schwestern nicht bemerkt (Traktat Megilla 13a.b).

Im Buch Zohar (Spanien, 13. Jh. n. Chr.) tritt Lea ebenfalls aus dem Schatten der Schwester heraus. Die Begegnung Jakobs mit Rahel am Brunnen wird als Mittel zum Zweck gesehen, dass Jakob schließlich Lea heiraten wird, aus der ja die zahlreichen Stämme Israels hervorgehen. Dies kann nicht das offensichtliche Ziel Labans sein, da Lea das Verborgene, Rahel jedoch das Äußere ist, für das Jakob allein Augen hat. So wird Lea gerade wegen ihrer vermeintlichen Zurücksetzung zur eigentlichen Hauptperson des Geschehens.

Bei den Kirchenvätern wird die Ehe Jakobs mit den beiden Frauen typologisch ausgedeutet: Sie wird von Justin auf die beiden Völker der Glaubenden aus Juden und den Heiden hin gelesen. Lea verkörpert das Volk der Juden und die Synagoge, Rahel die Christen und die Kirche. Die schwachen Augen Leas sind die schwachen Augen des Geistes der Juden, also für Justin ihre mangelnde Einsicht. Rahel hingegen hat die Götter des Vaters entwendet, so dass es für die Christen keine Götterbilder mehr gibt. Jakob ist mit beiden Frauen verheiratet, wie Christus beiden, der Kirche aus Juden und Heiden, dient (Dialog mit dem Juden Tryphon, 134; Bibliothek der Kirchenväter). Die Götzen Labans sind mit Rahel verbunden, weil diese Typos der Völker ist, die Götzen dienten (vgl. auch Caesarius von Arles, Sermo 88).

In der christlichen Ikonographie erscheinen Rahel und Lea im Anschluss an diese Typologien als Ecclesia und Synagoge, z.B. am nördlichen Querschiff der Kathedrale von Chartres (Anfang 13. Jh.). Sie gelten als Prototypen für Maria und Martha bzw. Vita activa und contemplativa, so in der Darstellung von Michelangelo (Abb. 1).

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

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  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
  • The Anchor Bible Dictionary, New York 1992
  • Calwer Bibellexikon, Stuttgart 2003
  • Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (im Internet)

2. Weitere Literatur

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  • Cohen, N., 1983, Sibling Rivalry in Genesis, Judaism 32, 331-342
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  • Fischer, I., 1995, Gottesstreiterinnen. Biblische Erzählungen über die Anfänge Israels, Stuttgart
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  • Jacob, B., 1934, Das erste Buch der Tora. Genesis, Berlin
  • Klein, R.A., 2002, Leseprozess als Bedeutungswandel. Eine rezeptionsästhetische Erzähltextanalyse der Jakobserzählungen im Buch Genesis (ABG 11), Leipzig
  • Klein, R.A., 2007, Jakob. Wie Gott auf krummen Linien gerade schreibt (BG 17), Leipzig
  • Meurer, Th., 2001, Der Gebärwettstreit zwischen Lea und Rahel. Der Erzählaufbau von Gen 29,31 – 30,24 als Testfall der erzählerischen Geschlossenheit einer zusammenhanglos wirkenden Einheit, BN 107/108, 93-108
  • Mowinckel, S., 1958, „Rahelstämme“ und „Leastämme“, in: J. Hempel / L. Rost (Hgg.), Von Ugarit nach Qumran. Beiträge zur alttestamentlichen Forschung (FS O. Eißfeldt), Berlin, 129-150
  • Noth, M., 1980, Die israelitischen Personennamen im Rahmen der gemeinsemitischen Namengebung, Hildesheim / New York, 2. reprographischer Nachdruck der Ausgabe Stuttgart 1928
  • Noth, M., 1978, Das System der zwölf Stämme Israels, Darmstadt, unveränderter reprographischer Nachdruck der Ausgabe 1930
  • Noth, M., 1966, Überlieferungsgeschichte des Pentateuch, Stuttgart, 3. Aufl., unveränderter reprographischer Nachdruck der 1. Auflage 1948
  • Nöldeke, Th., 1886, in: ZDMG 40 (1886), 167
  • Pabst, I., 2002, Szenen zweier Ehen. Beobachtungen zu den Erzelternpaaren Rebekka und Isaak und Rahel / Lea und Jakob, in: E. Klinger / St. Böhm / Th. Franz (Hgg.), Paare in antiken religiösen Texten und Bildern. Symbole für Geschlechterrollen damals und heute, Würzburg, 93-131
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  • Wünsche, A., 1881, Der Midrasch Bereschit Rabba. Das ist die haggadische Auslegung der Genesis, Leipzig

Abbildungsverzeichnis

  • Rahel und Lea, in der Mitte Mose (Marmorstatuen; Michelangelo Buonarroti; San Pietro in Vincoli, Rom; 1545). Aus: Wikimedia Commons; © Jean-Christophe BENOIST, Wikimedia Commons, lizenziert unter CreativeCommons-Lizenz cc-by-3.0
  • Rahel und Lea (Raphael; 16. Jh.).

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