Leiche / Leichenschändung
(erstellt: Juni 2009)
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→ Bestattung
1.Terminologie
In der hebräischen Bibel gibt es für den toten menschlichen Körper mehrere Ausdrücke.
1. נְבֵלָה nəvelāh. Die häufigste Bezeichnung ist נְבֵלָה nəvelāh (Dtn 21,23
2. פֶּגֶר pægær. Das Lexem פֶּגֶר pægær taucht vorrangig im Kontext kriegerischer Auseinandersetzungen auf und bezeichnet überwiegend den toten menschlichen Körper (Lev 26,30
3. גְּוִיָּה gəwijjāh. Den lebenden wie den toten menschlichen Körper bezeichnet גְּוִיָּה gəwijjāh (Gen 47,18
4. עֶצֶם ‘æṣæm. עֶצֶם ’æṣæm wird wie im Deutschen „Gebein“ pars pro toto für Verstorbene verwendet (Gen 50,25
5. נֶפֶשׁ næfæš. In einigen Fällen kann auch נֶפֶשׁ næfæš die Bedeutung „Leiche, Leichnam“ annehmen, wobei es sich mit der Ausnahme Hag 2,13
6. Partizip von מות mwt. Ebenso kann das Partizip von מות mwt „sterben“ Ausdruck für den Leichnam sein (Num 19,16
2. Der alltägliche Umgang mit Leichen
2.1. Erfahrung des Sterbens
Der Tod, d.h. die Erfahrung des Sterbens (bei anderen), löst gegenläufige Reaktionen in der Bandbreite von Angst und Abscheu bis zu Pietät und Verehrung aus (Tsukimoto, 240f.). Wie in den Nachbarkulturen und weltweit (s. Assmann / Trauzettel; Assmann / Maciejweski / Michaels; Kümmel / Schweizer / Veit) wurde der Umgang mit diesen bedrängenden Erfahrungen auch bei den Israeliten durch ritualisiertes Verhalten kanalisiert. Es gibt im Alten Testament ein umfängliches Repertoire von Trauerritualen, die während der in der Regel sieben Tage andauernden → Trauer
2.2. Rein-Unrein
Im → Heiligkeitsgesetz
Denkt man an die → Bestattung
Aufgrund der relativ späten priesterlichen Texte stellt sich die Frage, ob die Reinheitsvorstellungen erst in exilisch-nachexilischer Zeit auf den Bereich des Todes Anwendung fanden. Gegen eine frühe Anwendung der Kategorien „rein“ bzw. „unrein“ auf den Bereich der Leichen spricht auch, dass die Königsgräber in Jerusalem und Samaria gemäß altorientalischer Tradition wohl inmitten der Siedlung lagen (s. dazu Novák; Bretschneider; Niehr), obwohl ein archäologischer Nachweis der Königsgräber bislang nicht gelungen ist (Wenning 2006). Erst in Ez 43,7-9
Geradezu das Gegenbild zu den priesterlichen und deuteronomischen Gesetzestexten zeigt sich in der prophetischen Wundererzählung 2Kön 13,20-21
Weitere Wundererzählungen aus dem Bereich der Elia- und Elisaüberlieferung zeigen ähnliche Strukturen. In 2Kön 4,8-37
2.3. Behandlung des Leichnams
2.3.1. Bestattungsrituale
Es ist davon auszugehen, dass bei Eintritt des Todes den Verstorbenen die Augen geschlossen wurden, wie es in den meisten Kulturen üblich ist (erwähnt ist es zum Beispiel in der griechischen Tradition bei Homer, Ilias XI, 453; Odyssee XXIV, 296; Text gr. und lat. Autoren). Der einzige Beleg im Alten Testament, Gen 46,4
Zu den ersten Ausdrücken des Schmerzes und der intensiven Beziehung zu dem bzw. der Toten kann auch das Berühren und Küssen des Leichnams durch die nächsten Angehörigen gehören (Gen 50,1
Obwohl das Waschen und Herrichten des Leichnams für die Beerdigung in der hebräischen Bibel nicht erwähnt ist, sind diese Tätigkeiten an dem Leichnam doch wohl vorauszusetzen. Ein Blick in die altorientalische Umwelt zeigt jedenfalls in der Schilderung eines Ersatzrituals (Übertragung der Krankheit eines Menschen auf ein Tier) aus Babylon, das wohl die realen Bestattungsrituale widerspiegelt, dass das Waschen und Ausstaffieren des Leichnams zu den Ritualen gehört: „Das Innere des Toten (= des Zickleins) sollst du mit Wasser waschen, es mit Öl salben“ (Text nach Nasrabadi, 41f, zum Ablauf der Riten ebd. 33; auf den archäologisch nachweisbaren Einfluss mesopotamischer Begräbnisriten auf das Gebiet von Israel und Jordanien macht Zorn aufmerksam). In Ägypten ist das Waschen im Rahmen der Einbalsamierung vorgesehen (Altenmüller, 615f.). Schermesser zur Reinigung des Leichnams sind im westlichen Mittelmeerraum belegt (Niemeyer, 278).
Eine Einbalsamierung und die damit verbundene → Mumifizierung
2.3.2. Grablegung
Die Toten wurden bekleidet in das Grab gelegt und umwickelt. Dies ist durch die erhaltenen Reste von Kleidung archäologisch belegt (s. Bloch-Smith, 87; Wenning 2005, 127f; Kamlah, 269-271). Auch im Text des Alten Testaments gibt es Hinweise: Ez 32,27
Im Normalfall wurde im israelitischen Kernland kein Sarg benutzt. Schon die altägyptische Erzählung des → Sinuhe
An der Küste und ebenso im ammonitischen und moabitischen Gebiet wurden anthropoide Tonsarkophage verwendet, die auf ägyptische Vorbilder zurückgehen (Weippert, 490f; Stern, 255.264f; Lieven, 103f).
Im ammonitischen Sahab wurden Reste zweier Bestattungen in Holzsarkophagen entdeckt (Weippert, 414). Der vereinzelte Gebrauch von Tonsärgen in mesopotamischer Tradition begann wohl schon in der Zeit der assyrischen Vorherrschaft (Stern, 472). In späteren Zeiten scheint der Gebrauch von Holzsärgen stärker verbreitet zu sein (Hachlili, 515.). Durch die Ausgrabungen von Tell es-Sa’īdīje [Tell es-Saidije ] sind auch Topfbestattungen belegt, wobei es sich vornehmlich um Kinder handelt (Kamlah, 265).
2.3.3. Verbrennung
Das Verbrennen der Leichen wird in der hebräischen Bibel durchwegs abgelehnt. In der Gesetzgebung wird es als extreme Todesstrafe bei Sexualdelikten (Lev 20,14
Ein einziges Mal wird das Verbrennen von Leichen ohne pejarotive Note in 1Sam 31,12
2.4. Bestattung der Toten als Akt der (familiären) Solidarität
2.4.1. Aufgabe der Familie bzw. des Sohnes
Die Sorge für den Leichnam und die Bestattung oblag im Normalfall der Familie. In der → Simsonerzählung
In der Regel wurde die Bestattung wohl sehr schnell vollzogen, wobei die klimatischen Bedingungen sicher von großer Bedeutung waren. Aus Dtn 21,22f
Schwierig ist die Situation für diejenigen, die keine Nachkommen haben können. In Dtn 23,2
Im Buch → Tobit
2.4.2. Keine Bestattung
Die Bedeutung der Bestattung (im Familiengrab) zeigt sich auch in der Angst davor, nicht bestattet zu werden. In Ps 79,2f
Die Androhung, nicht bestattet und den Aasfressern als Beute vorgeworfen zu werden, gehört zu den schlimmsten Dingen, die einen Menschen treffen können (s. Dtn 28,26
Damit ist die Möglichkeit der Erinnerung bedroht und die Gefahr gegeben, dass die Existenz ausgelöscht wird (Jes 26,14
In 2Sam 21,1-14
Auf dem Hintergrund dieser Erzählung ist die Anordnung in Dtn 21,22f
2.4.3. Weiterexistenz nach dem Tod
Es ist zu berücksichtigen, dass die alttestamentliche Religion, anders als das benachbarten Ägypten, ein individuelles Weiterleben nach dem Tod erst spät kennt (s. z.B. Jes 26,14
Die Bestattung war dabei der Weg, der den richtigen Übergang in das Totenreich gewährleistete. Die Vorstellung eines umherirrenden und übelwollenden Totengeistes wie in Mesopotamien (eṭemmu) ist biblisch nicht belegt. Möglicherweise sind jedoch die ’iṭṭîm in Jes 19,3
2.4.4. Totenpflege / Totenkult / Nekromantie
Aus Dtn 26,14
Es ist durchaus möglich, dass die jährlichen Sippenfeiern (1Sam 20,5f
Die Bedeutung der Toten für die Lebenden zeigt ebenfalls die Praxis der Nekromantie (Totenbeschwörung), die in Dtn 18,11
Möglicherweise waren die Terafim (Gen 31,19
Die archäologisch nachweisbaren Grabbeigaben lassen jedoch nicht darauf schließen, dass es in Israel einen regelmäßigen Totenkult gab. Sie sind vergleichsweise arm und eher als Beigaben für den Weg ins Totenreich zu interpretieren. Von daher bleibt Kamlah im Hinblick auf einen Totenkult in Israel skeptisch.
3. Leichenschändung
3.1. Störung der Totenruhe durch Grabräuber
Schon in der Antike war die Störung der Totenruhe ein Problem. Antrieb waren wohl meist die vermuteten Kostbarkeiten, die den Toten in das Grab mitgegeben worden waren. In einer phönizischen Inschrift auf dem Sarkophag des Königs Tabnit ist zu lesen:
„Wer auch immer du bist, jeder Mann, der du auf diesen Sarg stößt: Öffne (ihn) nur ja nicht über mir, und störe mich nicht, denn man sammelte für mich kein Silber, und man sammelte für mich kein Gold noch sonstige Reichtümer, sondern ich (allein) ruhe in diesem Sarg. Öffne (ihn) nur ja nicht über mir, und störe mich nicht, denn solch eine Tat ist der Astarte ein Gräuel! Wenn du ihn aber tatsächlich öffnest über mir und mich tatsächlich störst, sollst du keine Nachkommen bei den Lebenden unter der Sonne haben und keine Ruhestätte bei den Totengeistern!“ (Text: TUAT II/4, 489f.; KAI 13; ähnliche Formulierungen im mesopotamischen Bereich bei Tsukimoto, 187; Nasrabadi, 19, Hauser, 147).
Formulierungen dieser Art sind im israelitischen Bereich nur selten belegt. Das deutlichste Beispiel ist die Grabinschrift aus der Nekropole Silwan in Jerusalem aus der Zeit um 700 v. Chr. Dort ist in einem Felsgrab eingemeißelt:
„Dies ist das Grab des …yahu, des Haushofmeisters. (Hi)er ist kein Silber und kein Gold; (n)ur (seine Gebeine) und die Gebeine seiner Dienerin (Nebenfrau) mit ihm. Verflucht sei der Mensch, der…“ (Jer(7):2, Text: HAE I, 261-265).
Weippert (490) sieht in dem Formular wohl zu Recht einen Anschluss an phönizische Traditionen. Eine weitere Grabinschrift überliefert nur fragmentarisch die Einleitung „Wer das Grab öffnet …“ (Jer(8):6). Es ist damit zu rechnen, dass im weiteren Text auch die entsprechenden Verfluchungen von Grabräubern standen (s. HAE I, 191-192).
Die Inschrift in Chirbet el-Qōm (→ Chirbet el-Qōm
In den Gräbern von Chirbet Bēt Lajj (Chirbet Bet Lajj; 8 km östlich von Lachisch) dagegen sind in BLay(7):4-7 Fluchformeln überliefert, wobei allerdings nicht immer klar ist, ob sie allgemein gegen Grabräuber gerichtet sind oder sich auf die in Ritzzeichnungen dargestellten Feinde beziehen (s. HAE I, 250).
3.2. Schändung von Leichen auf dem Schlachtfeld
In kriegerischen Auseinandersetzungen stellte sich die Frage, was mit den Leichen der Erschlagenen anzufangen ist. Drastisch schildert Nah 3,3
„Sie haben die Leichname deiner Knechte den Vögeln unter dem Himmel zu fressen gegeben und das Fleisch deiner Heiligen den Tieren im Lande. Sie haben ihr Blut vergossen um Jerusalem her wie Wasser, und da war niemand, der sie begrub.“
Es konnte also durchaus sein, dass im Moment einfach nicht die Möglichkeit bestand, Bestattungen vorzunehmen. Schon aus Eigennutz ist jedoch damit zu rechnen, dass dieser Situation möglichst schnell ein Ende gesetzt wurde und auch die Feinde möglichst bald bestattet wurden (s. Ez 39,11-15
Dies war natürlich eine Schande und bedeutete die Vernichtung der Existenz. Möglicherweise handelt es sich bei dem in Jes 30,33
3.3. Schändung von Leichen zur Abschreckung und Demütigung
Eine andere Intention des Umgangs mit Leichen zeigt sich in Jos 8,29
Ein kultischer Aspekt schwingt in Num 25,4
Die abschreckende Wirkung wird auch im Text des so genannten Rassam-Zylinders deutlich, wo es im Rahmen der Darstellung der Feldzüge Sanheribs heißt:
„(46) Altaqū und Tamnā (die judäische Stadt Timna / Tell el-Baṭāšī) schloss ich ein, eroberte und plünderte ich. Ich näherte mich Amqarrūna und tötete die Statthalter und Fürsten, die Verfehlungen zugelassen hatten, und hängte ihre Leichen an die Türme rings um die Stadt.“ (Text : TUAT.NF II, 2005, 71).
Neben Entmutigung und Abschreckung ist auch der Aspekt der Trophäe zu berücksichtigen. So kommt der abgeschlagene Kopf → Goliats
Der Aspekt der Trophäe zeigt sich ebenfalls in der Aufgabe, die → Saul
Demütigung und der Wille zur Vernichtung zeigen sich in der Ermordung der Königin → Isebel
3.4. Vernichtung von Leichen
Im Zusammenhang eines schon sowieso mit Leichen überfüllten Jerusalem (Jer 7,33
In Jer 7,32f
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Abbildungsverzeichnis
- Anthropoider Tonsarkophag. © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
- Inschrift am Grab des Haushofmeisters in Silwan. Aus: Wikimedia Commons; © Mustafaa, Wikimedia Commons, lizensiert unter CreativeCommons-Lizenz cc-by-3.0 unported; Zugriff 15.5.2014
- Die Eroberung von Lachisch und die Pfählung von Einwohnern (Relief aus Ninive; 8. Jh. v. Chr.). Aus: H. Greßmann, Altorientalische Bilder zum Alten Testament, Berlin / Leipzig 2. Aufl. 1927, Abb. 141
- Geköpfte Feinde (Narmer-Palette, Ägypten, 1. Dyn.). Aus: H. Greßmann, Altorientalische Bilder zum Alten Testament, Berlin / Leipzig 2. Aufl. 1927, Abb. Nr. 26
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