Deutsche Bibelgesellschaft

(erstellt: August 2015)

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1. Botanisch

Lotus 01

Der Lotus (die Seerose) kam vor allem in der Küstenebene Palästinas, in der Jesreelebene und im oberen Jordantal vor. Belegbar sind zwei Arten, die heute nur noch äußerst selten anzutreffen sind: Die weiße Seerose ( Nymphaea alba) und die blaue Seerose (Nymphaea caerulea Savigny). Früher, als in den genannten Gegenden noch größere Sümpfe zu finden waren, müssen die beiden Arten häufiger gewesen sein.

Die blaue Seerose war vor allem wegen ihres schweren und süßen Duftes beliebt.

2. Altes Testament

2.1. Terminologie

Lotus 02

Das hebräische שׁוּשַׁן šûšan / שׁוֹשַׁנַּה šȏšannāh „Lotus“ ist ein ägyptisches → Lehnwort (abgeleitet von ägyptisch s-š-n bzw. s-š-š-n). Viele deutsche Übersetzungen geben den hebräischen Pflanzennamen mit → „Lilie“ wieder und folgen damit der Übersetzungstradition der → Septuaginta, die für שׁוּשַׁן šûšan / שׁוֹשַׁנַּה šȏšannāh den griechischen Begriff κρίνον krinon „Lilie“ verwendet und damit die griechische Vorstellungswelt abbildet, die der des Alten Testaments nicht entspricht (vgl. dazu auch Herodot, Historien 2,92). Vom hebräischen → Pflanzennamen ist der Personenname Susanna / Susanne abgeleitet. Über seine Verwendung als Pflanzenname hinaus findet sich der Begriff שׁוּשַׁן šûšan auch als kunsthandwerklicher (s.u. 2.4.) und musikalischer (s.u. 2.2.) Terminus technicus.

2.2. Metaphorischer Gebrauch

Lotus 03
Der Lotus ist seit dem 2. Jahrtausend v. Chr. als Symbolpflanze vor allem in Ägypten wichtig. Dort war er ein beliebtes Bild für Regeneration und Vitalität, was insbesondere an das nächtliche Verschwinden und morgendliche Wiederauftauchen der Blüte anknüpft. Diese tägliche Verwandlung der Pflanze prädestinierte sie geradezu zum Symbol für Neu- und Wiedergeburt, Leben und Fruchtbarkeit.

Die Liebesprache des → Hohenlieds nimmt auf diese Symbolik Bezug, wenn sich die Geliebte selbstbewusst als → Lilie und als Lotuspflanze (Hhld 2,1f) bezeichnet. Wie diese ist sie Kraft- und Lebensquelle für den Geliebten, der in seiner Antwort in Hhld 2,2 die Selbstprädikation der Geliebten aufnimmt: Der hier aufgezeigte Kontrast zwischen Lotus und Dornen unterstreicht einmal mehr die lebensspendende Kraft, die von der Geliebten ausgeht.

Lotus 04

Andere Stellen konkretisieren diese Aussagen, indem sie die Lippen und den Schoß der Geliebten mit Lotuspflanzen gleichsetzen und so ihre Küsse und ihre Intimität als Lebensquelle herausstellen ( Hhld 5,13; Hhld 7,3). Anderwärts ist in der Liebessprache auch vom „Pflücken“ der Lotusblumen bzw. vom „Weiden unter Lotus“ die Rede (Hhld 6,2f; Hhld 2,16), was nichts anderes meint, als Lebensfreude und den Genuss der Liebe.

Sir 50,8 unterstreicht den Glanz und die Pracht des Hohenpriesters Simon u.a. durch den Vergleich mit einer Lotuspflanze an Wasserläufen. Hos 14,6f enthält eine Heilsschilderung, die das Aufblühen und die Belebung des Landes auch durch den Verweis auf die Lotuspflanze herausstellt.

2.3. שׁוּשַׁן šûšan / שׁוֹשַׁנַּה šȏšannāh in Psalmenüberschriften

Die Angabe „nach der Weise ‚Lotusblüte‘“ (שׁוּשַׁן šûšan / שׁוֹשַׁנִּים šȏšannîm / שֹׁשַׁנִּים šošannîm) findet sich viermal in Psalmenüberschriften: Ps 45,1; Ps 60,1; Ps 69,1; Ps 80,1. Die genaue Bedeutung dieser Angabe ist unklar; möglicherweise handelt es sich um eine Melodieangabe (Seybold 1996, 186).

2.4. Lotus im Kunsthandwerk

Lotus 05

Im kunsthandwerklichen Bereich findet sich מַעֲשֵׂה שׁוּשַׁן ma‘ǎśeh šûsan als Bezeichnung für die Lotuskapitelle der Säulen des Salomonischen Tempels (1Kön 7,19.22: Abb. 4; → Tempel). Und der Rand des Ehernen Meeres (→ Kultinstallationen) war nach 1Kön 7,26 wie der Rand eines Lotus-Blüten-Bechers (Beispiele für solche Becher bei Keel 1984, 66). Die Lebenssymbolik des Lotus wird so auch im Tempel, dem Intensivbereich des Lebens, aufgenommen. Auch auf anderen Gebieten des Kunsthandwerks wie Stempelsiegeln, Elfenbeinschnitzereien, Gefäßen und Wandmalereien ist der Lotus ein beliebtes Motiv (Abb. 3).

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Reallexikon der Assyriologie und vorderasiatischen Archäologie, Berlin 1928ff
  • Der Kleine Pauly, Stuttgart 1964-1975 (Taschenbuchausgabe, München 1979)
  • Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff
  • Lexikon der Ägyptologie, Wiesbaden 1975-1992
  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
  • Calwer Bibellexikon, 2. Aufl., Stuttgart 2006

2. Weitere Literatur

  • Hepper, F.N., Pflanzen der Bibel. Eine illustrierte Enzyklopädie, Stuttgart 1992, 72f.184
  • Keel, O. / Küchler, M. / Uehlinger, Chr., Orte und Landschaften der Bibel. Ein Handbuch und Studienreiseführer zum Heiligen Land, Bd. 1: Geographisch-geschichtliche Landeskunde, Zürich u.a. 1984, 85-88
  • Keel, O., Das Hohelied (ZBK.AT 18), Zürich 1986
  • Keel, O., Deine Blicke sind Tauben. Zur Metaphorik des Hohen Liedes (SBS 114/115), Stuttgart 1984, 63-78
  • Neumann-Gorsolke, U. / Riede, P. (Hgg.), Das Kleid der Erde. Pflanzen in der Lebenswelt des alten Israel, Neukirchen-Vluyn 2002
  • Schroer, S., In Israel gab es Bilder (OBO 74), Freiburg (Schweiz) / Göttingen 1987, 55-60
  • Seybold, K., Die Psalmen (HAT I/15), Tübingen 1996
  • Zwickel, W., Zur Symbolik der Pflanzen im Salomonischen Tempel, in: Neumann-Gorsolke / Riede (Hg.), Das Kleid der Erde, 194-221

Abbildungsverzeichnis

  • Weißer Lotus (Nymphaea alba). Aus: Wikimedia Commons; © DerHexer, Wikimedia Commons, lizenziert unter CreativeCommons-Lizenz cc-by-sa 3.0 unported; Zugriff 3.11.2015
  • Blauer Lotus (Nymphaea caerulea). Aus: Wikimedia Commons; © T.Voekler, Wikimedia Commons, lizenziert unter CreativeCommons-Lizenz cc-by-sa 3.0 unported; Zugriff 3.11.2015
  • Lotusbecher aus Fayence (3. Zwischenzeit; 945-715 v. Chr.). Der Kelch weist die Form einer Lotusblume auf, die sich nach oben hin öffnet. Vermutlich handelt es sich hier um eine Darstellung des Blauen Lotus, wie die sich überlappenden Blätter mit den spitzen Enden nahelegen (BIBEL+ORIENT Datenbank Online). Mit Dank an © Stiftung BIBEL+ORIENT, Freiburg / Schweiz
  • Anchesenamun, die Gemahlin Tutachamuns hält ihrem Mann einen Strauß von Lotusblumen und Liebesäpfeln an die Nase. Beides sind Symbole der Liebe (bemalte Elfenbeinplatte auf einer Truhe aus dem Grab Tutanchamuns; um 1325 v. Chr.). Aus: O. Keel, Deine Blicke sind Tauben. Zur Metaphorik des Hohen Liedes (SBS 114/115), Stuttgart 1984, Abb. 66; © Stiftung BIBEL+ORIENT, Freiburg / Schweiz
  • Kapitelle mit Blättern von Lotusblüten am Ansatz der Kapitelle (Ramesseum, der Totentempel Ramses’ II in Theben; 13. Jh. v.Chr.). © public domain (Foto: Klaus Koenen, 2010)

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