Magie (AT)
(erstellt: Mai 2006)
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1. Terminologie
Der im Allgemeinen mit „zaubern / Magie betreiben / hexen“ übersetzte hebräische Begriff ist kšp (Pi.). Personen, die kšp betreiben, sind məkhaššəfîm, maskulin məkhaššef, feminin məkhaššəfāh. Die → Septuaginta
kšp und seine Ableitungen erscheinen 13-mal im Alten Testament: Im Pentateuch in Ex 7,11
a) Die negative Bewertung des Schadenszaubers zeigt insbesondere der apodiktische Rechtssatz im Bundesbuch Ex 22,17
b) Die Berufsgruppe der Ritualspezialisten ist in Jer 27,9
c) Neben dem Gebrauch von kšp für Hexerei und schadenszauberische Umtriebe im Allgemeinen findet sich ein stärker spezifizierter Gebrauch zur negativen Akzentuierung fremder religiöser Praxis insbesondere in den Fremdvölkerworten in Jes 47,9
Wie die genannten Belege zeigen, bezeichnet kšp religiöse bzw. rituelle Praktiken, die als verboten, unerwünscht und gesellschaftsschädigend gelten oder als fremd empfunden werden.
Neben kšp kennt das biblische Hebräisch noch eine Reihe weiterer, zumeist ebenso pejorativ gebrauchter Begriffe für Magie: In Hi 3,8
Die Wurzeln lchš (lautmalerisch für „flüstern / wispern / zischeln“) und nchš (wohl als Denominativ von nchš „Schlange“) werden im übertragenen Sinn für „beschwören“ gebraucht (Gen 30,27
chover chæbær (Dtn 18,11
Die Bezeichnung ba‘al hallāšôn „Herr der Zunge“ erscheint nur in Pred 10,11
chǎkham chǎrāšîm in Jes 3,3
charṭom (Gen 41,8
Eng verwandt mit kšp ist der Terminus ’aššāf, pl. ’aššāfîm, der nur im Danielbuch (Dan 1,20
2. Forschungsgeschichte
1) Die Beschäftigung mit dem Phänomen der Magie im Alten Testament war bis weit in die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg von dem von Edward Burnet Tylor (1873), Lewis Henry Morgan (1877) und James George Frazer (1907-1915; 1923) geprägten animistisch-dynamistischen Paradigma beeinflusst, das Magie als eine evolutionäre Vorstufe der Religion betrachtete. Im Rahmen dieses Paradigmas wurde Magie (im Gegensatz zur Religion) in der alttestamentlichen Wissenschaft als eine auf bestimmten metaphysischen (dynamistischen) Zwangswirkungen beruhende, quasi-automatische (ex opere operato) Einwirkung auf Dinge oder Personen zum egoistischen Vorteil oder zum Schaden von Ritualgegnern verstanden (Pedersen 1914, 1926; Bertholet 1926). Der biblische Monotheismus habe aber die Magie überwunden (Gunkel 1908, 60f.; von Rad, 9. Aufl. 1987, 48). Wo magische Praktiken im Alten Testament erscheinen, wurden diese entweder als survivals der kanaanäischen Religion (Smith 1899; Mowinckel 1921, 1924, 1953; Fohrer, 1966, 2204-2205) bzw. als zumeist späte Kontamination der monotheistischen Religion durch mesopotamische Vorstellungen betrachtet (Galling, 1960, 601).
2) Im Gefolge der religionswissenschaftlichen Diskussion seit Bronislaw Malinowski (1973) und beeinflusst vor allem durch die Arbeiten von Edward E. Evans-Pritchard (1981, 1988) und Stanley Tambiah (1990) wird Magie, verstanden als performativer, ritualsymbolischer Akt, jedoch heute als integraler Bestandteil religiöser Praxis betrachtet. Dem tragen auch die neueren Arbeiten zur Magie im Alten Testament Rechnung (Cryer 1991, 1992; Albertz, 1991, 691-695; Jeffers 1996; Schmitt 2004) die magisches Handeln nicht in einem grundlegenden Gegensatz zur Jahwe-Religion sehen, sondern als reguläre Praxis innerhalb der Jahwe-Religion. Hier sind jedoch Differenzierungen zwischen dem legitimen ritualsymbolischen Handeln der autorisierten Ritualspezialisten (Priester, Propheten, Gottesmänner, insbesondere → Elia
3. Magie- und Ritualspezialisten im Alten Testament
3.1. Grundlagen magischer Praxis im Alten Testament
Magie im Alten Testament ist – wie in der Umwelt Israels – keine Beeinflussung von Dingen und Personen durch dynamistische Krafteinwirkung, sondern eine theozentrische Praxis mit der Gottheit als letzter Wirkinstanz. Auch Wort und Fluch (hebr. ’rr, auch: qll, ’lh, qbb, z‘m, nqb) sind nicht aus eigener Dynamis wirksam, sondern sowohl nach den epigraphischen (Fluchformeln nach dem Muster: ’rr + Gottesname) als auch nach den alttestamentlichen Texten von der Exekution durch die Gottheit abhängig (Schottroff 1969; Veijola, 2000, 76ff.) – Bileam kann nicht verfluchen, wen Gott nicht verflucht Num 23,8
3.2. Die Bewertung von Magie im Alten Testament
Die Bewertung von Magie im deuteronomisch-deuteronomistischen, im priesterlichen und prophetischen Schrifttum ist keinesfalls pauschal negativ, wie im Rahmen des Deutungsmusters von der „Überwindung des Magischen“ in der Jahwereligion behauptet, sondern unterscheidet zwischen der legitimen Magie der autorisierten Ritualspezialisten (Priester und Propheten) und unautorisierter religiöser Praxis. Das apodiktische Gebot des Bundesbuches in Ex 22,17
3.3. Magische Praktiken und ihr sozio-religiöser Kontext
3.3.1. Kultmagie
Als Kultmagie können diejenigen Rituale bezeichnet werden, die am Tempel vor allem zur individuellen und kollektiven Entsühnung (kpr) praktiziert worden sind (→ Sühne
3.3.2. Therapeutische Magie
Über die von Propheten und Gottesmännern (’îš hā’älohîm) geübte therapeutische Magie berichten vor allem die Erzählungen von den Gottesmännern des Nordreiches → Elia
Die wichtigsten Quellen bilden hierbei die Wundergeschichten, die in der „Elisa-Biographie“ gesammelt worden sind, welche nach-deuteronomistisch in das → deuteronomistische Geschichtswerk
Der ’îš hā’älohîm erfüllte im 9. Jh. ein breites Spektrum religiöser Funktionen: Er ist magischer Nothelfer in existentiellen Krisen des Individuums (2Kön 5,1-27
3.3.3. Magie im Dienste prophetischer Verkündigung
Magisch-ritualsymbolische Handlungen durch Propheten spielen auch eine gewichtige Rolle in der prophetischen Verkündigung, wie die zahlreichen Symbolhandlungen zeigen, die insbesondere von Ezechiel (Ez 3,1-3
3.3.4. Kriegszauber
Eng verwand mit den prophetischen Symbolhandlungen sind die vom König selbst oder von Propheten vollzogenen Feindvernichtungsrituale. Die Praktizierung eines dem ägyptischen sḏ dšrwt („Zerschlagen der roten Töpfe“) ähnlichen Feindvernichtungsrituals durch Zerschlagen von Töpfen durch den judäischen König legt im Alten Testament Ps 2,9
3.3.5. Magische Praktiken im Bereich der familiären Religion
Als erlaubte apotropäische Praktik galt die Applikation von Blut auf den Türpfosten als Bestandteil des Passarituals, um die Familie vor dem „Verderber“–Dämon zu schützen (Ex 12,7
Insbesondere Darstellungen eindeutig erotischen Inhalts, wie Figurinen mit übergroßen Geschlechtsteilen (Abb. 1) oder Objekte in Form männlicher Glieder, die archäologisch gut bezeugt sind (Schmitt 2004, 153-154; 187-189, Abb. 24-29), dürften im Liebeszauber Verwendung gefunden haben. Wie in Mesopotamien fungierten Hundeterrakotten (Abb. 2) in der Abwehr von → Dämonen
4. Magie im zwischentestamentlichen Schifttum und der jüdischen Literatur in der hellenistisch-römischen Zeit
Sowohl in der didaktisch-erzählerischen als auch in der apokalyptischen Literatur der hellenistisch-römischen Zeit erscheint Magie primär als kosmotheistisches Wissen, das den Menschen von Mittlerwesen zum Guten oder Schlechten vermittelt wird: Tobias erhält von dem Engel → Rafael
Die rabbinische Literatur greift in ihrer Beurteilung des Schadenszaubers und der „Amoriterbräuche“ (drkj h’mwrj) auf die Normierungen des Pentateuch zurück (insbesondere Ex 22,17
5. Magie in der Umwelt Israels
Magische Praktiken aus der Umwelt Israels sind in einer Vielzahl von Ritualtexten aus Mesopotamien, Kleinasien und Syrien (Ugarit) sowie aus Ägypten belegt. Eine nach dem ex opere operato-Prinzip wirkende dynamistische Magie-Vorstellung ist dem antiken Vorderen Orient genauso fremd wie dem Alten Testament. Magische Handlungen sind rückgebunden an die Götterwelt: Die ritualsymbolischen Handlungen der Beschwörungspriester (akkad. mašmaššu bzw. āšipu, in Kleinasien zumeist die sog. SalŠU.GI „Weise Frau“) sind im polytheistischen Mythos begründet, der die Symbole für den spezifischen ritualsymbolischen Akt in der Regel durch eine Interaktion der Götter erklärt. Magie ist das Werkzeug der Götter, die mit ihrer Hilfe ordnungswidrige Mächte bekämpfen. Grundlegende Struktur ist die Dichotomie zwischen Störung (→ Chaos
Die Funktion von Magie in den altvorderorientalischen Kulturen kann in eine Vielzahl von gesellschaftlichen und individuellen Leistungsbezügen differenziert werden: Grundsätzlich verweisen die Dichotomien von Chaos / Ordnung, harmonischer Gottesbeziehung / gestörter Gottesbeziehung etc. auf eine primär gesellschaftsstabilisierende Funktion magischer Rituale, die insbesondere auf den König bezogen und durch bzw. für ihn praktiziert, in der langen Reichweite die kosmische und damit die staatliche Ordnung sichern, indem potentiellen und manifesten Beeinträchtigungen der Ordnung durch das Chaos rituell begegnet wird. In diesem Kontext erhalten die Reinigungs- und Eliminationsrituale für den König dessen Kommunikationsfähigkeit mit den Göttern und sichern somit das Wohlergehen der Gesellschaft. Die rituelle Bekämpfung von Hexerei (insbesondere in der Serie Maqlû) kanalisiert und verarbeitet potentielle Gefährdungen von Herrschaft, stigmatisiert potentielle Gegner und lässt sie der symbolischen Vernichtung durch die Götter anheim fallen. Die rituelle Bekämpfung von Hexerei dient somit auch der Herrschaftssicherung. Im familiären und individuellen Bereich dienen die Rituale der Beschwörungspriester zur Abwehr sowohl akuter existentieller Bedrohungen, wie Krankheit, dämonischer Bedrückung, Hexerei, Impotenz etc., als auch zur Abwehr von durch Omina oder ominöse Zeichen angezeigten Gefahren wie in den Namburbi-Ritualen (Maul 1994). Mögliche soziale Antagonismen werden rituell „abreagiert“ und der Ritualmandant als gerechtfertigt und in Harmonie mit seiner Gottheit befindlich bestätigt, der Ritualgegner hingegen (obwohl zumeist ungenannt) als „Hexe / Hexer“ stigmatisiert. Inter- und intrapersonale sowie gesellschaftliche Antagonismen werden nach außen projiziert und das „Böse“ somit wirksam ausgegrenzt. Die soziale Dimension wird dort deutlich, wo der Kranke von seiner Familie, seinen Freunden, ja der Gesellschaft als ganzer entfremdet ist. Die magischen Rituale stellen hier durch ihren Vollzug gestörte Gemeinschaft wieder her und re-integrieren den Kranken in seine Familie bzw. in die Gesellschaft. In individual-psychologischer Hinsicht stabilisieren magische Rituale das Individuum, beseitigen Schuld und Angst, harmonisieren den Einzelnen mit sich selbst, seiner sozialen Umwelt und seinem Gott bzw. den Göttern.
Literaturverzeichnis
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Abbildungsverzeichnis
- Pfeilerfigurine (Terrakotte aus Juda; 7. Jh. v. Chr.). © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
- Hundeterrakotte (Juda; 8./7. Jh. v. Chr.). Aus: O. Keel / C. Uehlinger, Götter, Göttinnen und Gottessymbole (QD 134), Freiburg u.a. 5. Aufl. 2001, 206a: © Stiftung BIBEL+ORIENT, Freiburg / Schweiz
- Mit Draht gefesselte Bleifiguren (hellenistische Zeit). Aus: Bliss, F.J. / Macalister, R.S.A., 1902, Excavations in Palestine During the Years 1898-1900, London, Pl. 85
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