Mann (AT)
(erstellt: Januar 2011)
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→ Arbeit
1. Abgrenzung
Auf der Suche nach dem Mann im Alten Testament sind folgende Themenkreise zu unterscheiden: die gesellschaftliche Wirklichkeit des Mannes; die konkreten männlichen Gestalten, deren Geschichten und Biographien erzählt werden; einige theologisch reflektierte Aussagen über den Mann als solchen und die männlichen Eigenschaften, die Gott zugesprochen werden. Der Umstand, dass Gott sehr häufig mit männlichen Kategorien beschrieben wird, ist zumindest zum Teil kultur- bzw. gesellschaftsbedingt und soll in diesem Artikel nicht näher erörtert werden (→ Gottesbezeichnungen / Gottesnamen
2. Sprache
2.1. Das Wortfeld von „Mann“
Im Alten Testament sind beide Geschlechter in ein soziales Gefecht eingebunden. Nach der ersten Schöpfungserzählung sind Mann und Frau gleichwertig, weil beide als ein einziges Wesen von Gott erschaffen worden sind. Beide sind nach dem Abbild Gottes erschaffen und werden zusammen „Mensch“ (’ādām) genannt (Gen 1,27
Mehr als durch das Vokabular ist der Mann von der Frau durch andere soziale Rollen unterschieden. Keine hebräische Vokabel stimmt mit der modernen Vorstellung, die sich hinter der Bezeichnung „Mann“ verbirgt, gänzlich überein.
Neben אִישׁ ’îš „Mann / Ehemann / Mensch“ verwendet das Alte Testament auch andere Lexeme: אָדָם ’ādām „Mann / Menschenwesen“; בַּעַל ba‘al „Ehemann / Herrscher“; גֶּבֶר gævær „Held / Kraftmensch“; גִּבּוֹר gibbôr „Held / Mann“; אֱנוֹשׁ ’änôš „Mensch / Mann / Sterbliche“; מְתִים mətîm „Mann / Ehemann“; אָדוֹן ’ādôn „Herr“; בָּחוּר bāḥûr „junger Mann“; זָקֵן zāqen „alter Mann“; כָּל־זָכָר kål zāqār „alles Männliche“.
אָדָם ’ādām bezeichnet manchmal den Mann, ist aber zugleich – wie akkadisch amêlu und lateinisch homo – ein Kollektivbegriff für die ganze Menschheit. Die Ableitung von ’ādāmāh „Erde / Erdboden“, die zur Wiedergabe von אָדָם ’ādām mit „Erdling“ führt und sich z.B. bei → Josephus
מְתִים mətîm identifiziert den „Mann“ in Texten, wo die Geschlechtzugehörigkeit ausdrücklich betont wird (Jes 3,25
אָדוֹן ’ādôn → „Herr
Eine etwas eigenartige Umschreibung der geschlechtlichen Männlichkeit mithilfe der Partizipform von שׁין šjn und der präpositionalen Verbindung בְּקִיר bəqîr kommt im Alten Testament 6-mal vor (1Sam 25,22
Bei Texten, die vorwiegend von einer patriarchalischen Sicht der Gesellschaft geprägt sind, ist es naheliegend, wenn die Formulierungen maskulin sind (→ Frau
2.2. אִישׁ „Mann“ und אִשָּׁה „Frau“ in Gen 2
In der zweiten Schöpfungserzählung ist die Erschaffung des Menschen die erste ausdrücklich genannte Schöpfungstat Gottes (Gen 2,7
3. Das Leben des Mannes
3.1. Die Geburt
Mann wie Frau sehnen sich nach der Geburt eines Sohnes (Gen 16-17
3.2. Die Beschneidung
Eines der wichtigsten Rituale der Initiation war in Israel die Beschneidung (Gen 34
3.3. Die Rolle als Sohn und junger Mann
In Israel – und allgemein im Alten Orient – als Mann zur Welt zu kommen, bedeutete in einen familiären Kontext hineingeboren zu werden, aus dem man sich nicht einfach lösen könnte. Der älteste Sohn war Stellvertreter des Vaters und als solcher für alle – männlichen und weiblichen – Mitglieder der Familie zuständig. Er war für die ganze Sippe verantwortlich, war in sie integriert und gehörte ihr das ganze Leben lang an – im Unterschied zur Frau, die nach der Eheschließung zur Sippe des Ehemannes wechselte. Der junge Mann orientierte sich an seinem Vater; allerdings gibt es im gesamten Alten Testament keinen einzigen Text, in dem ein Junge – oder auch ein Mädchen – eine zentrale Rolle spielt. Die meisten in der → Genesis
Die ersten Lebensjahre waren Söhne – aber auch Töchter – stark von der Beziehung zur Mutter bzw. zu den Frauen des Vaters geprägt (1Sam 1,21-28
Von einem Sohn wurde → Gehorsam
Ein störrischer, unangepasster Sohn galt als eine Schande für die ganze Familie (Dtn 21,18-21
Sehr früh schon wird dem Sohn vom Vater große Verantwortung übertragen: → David
Die meisten Informationen über die Beziehung zwischen Vater und Sohn beziehen sich allerdings auf den ältesten Sohn: er soll schließlich die Führungsrolle übernehmen, er war der Hauptverantwortliche für die Erhaltung des geerbten Landes und musste die väterliche Abstammungslinie fortführen.
3.4. Die Rolle als Ehemann
Es gibt im gesamten Alten Testament kein eindeutiges Modell für einen perfekten Ehemann. So wird → Abraham
Es gab zwar wahrscheinlich auch Männer, die aus beruflichen Gründen ehelos lebten (Wanderpriester in Ri 17,7-13
Als „Normalfall“ (Spr 18,22
In der Ehe kam dem Mann quasi ein Besitzanspruch gegenüber seiner Frau zu. Bereits die Zahlung des Brautpreises vor der Ehe (Gen 34,12
Die alttestamentliche Rechtsprechung sieht eine Ehe bis zum Tode des Partners vor (Dtn 24,3
3.5. Die Rolle als Vater
3.5.1. Vater und Sohn
Die Beziehung zwischen Vater und Sohn beginnt mit der Zeit der Entwöhnung, ein Ereignis, das festlich begangen wurde (Gen 21,8
Da der Sohn vom Vater lernen sollte, für die ganze Familie Verantwortung zu tragen, musste der Vater ihn für das berufliche Leben ausbilden (Ri 8,20
3.5.2. Vater und Tochter
Selbstverständlich standen auch Töchter (Ex 21,7
Hauptaufgabe des Vaters war es aber, die Tochter gut zu verheiraten (Sir 7,25
Auch wenn die Tochter mit der Ehe offiziell in die Familie des Ehemannes eintritt, bleibt der Vater ein Leben lang für sie zuständig. Der Vater soll bei Eheproblemen einschreiten (Dtn 22,16-17
3.6. Die Rolle in der Gesellschaft
Innerhalb der Gesellschaft war die Rolle des Mannes klar definiert, und zwar in der Arbeit (Gen 3,17-19
Das antike Israel war androzentrisch. Trotz mancher Ausnahmen werden alle übergeordneten öffentlichen Ämter (z.B. Rechsprechung) sowie repräsentative Aufgaben in Familie und Gesellschaft von Männern ausgeführt. Frauen wie → Mirjam
Das → Buch der Sprüche
3.7. Der Tod
Sterben und Tod – im Familienkreis oder auf dem Schlachtfeld – werden im Alten Testament fast nur von Männern erzählt. Dabei gehört es zu den festen Erzählmotiven, dass berühmte Männer in der Todesstunde ihre Söhne versammeln, um sie zu segnen (Gen 49
Nach dem Tod gehört es zur Pflicht der Frauen, den Verstorbenen rituell zu beklagen (2Sam 11,26
Literaturverzeichnis
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