Deutsche Bibelgesellschaft

(erstellt: Januar 2011)

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1. Abgrenzung

Auf der Suche nach dem Mann im Alten Testament sind folgende Themenkreise zu unterscheiden: die gesellschaftliche Wirklichkeit des Mannes; die konkreten männlichen Gestalten, deren Geschichten und Biographien erzählt werden; einige theologisch reflektierte Aussagen über den Mann als solchen und die männlichen Eigenschaften, die Gott zugesprochen werden. Der Umstand, dass Gott sehr häufig mit männlichen Kategorien beschrieben wird, ist zumindest zum Teil kultur- bzw. gesellschaftsbedingt und soll in diesem Artikel nicht näher erörtert werden (→ Gottesbezeichnungen / Gottesnamen, → Jahwe, → Göttin, → Muttergöttin). Die theologisch reflektierten Aussagen über den Mann im Allgemeinen wären in einem viel breiteren Raum darzustellen bzw. zu systematisieren. Diese betreffen allerdings nicht nur den Mann im Sinn von männlichem Wesen, sondern auch den Mann als Menschen und müssen daher Gegenstand anthropologischer Untersuchungen sein (→ Mensch). Für die biographische und theologische Reflexion über konkrete Männer ist auf die entsprechenden Artikeln zu verweisen (z.B. → Abraham, → Mose, → David); dies gilt auch für Eigenschaften und Attribute, die im Alten Testament häufig – jedoch nicht ausschließlich – Männern zugeschrieben werden (z.B. → Schönheit, → Ehre, → Ruhm, → Stärke).

2. Sprache

2.1. Das Wortfeld von „Mann“

Im Alten Testament sind beide Geschlechter in ein soziales Gefecht eingebunden. Nach der ersten Schöpfungserzählung sind Mann und Frau gleichwertig, weil beide als ein einziges Wesen von Gott erschaffen worden sind. Beide sind nach dem Abbild Gottes erschaffen und werden zusammen „Mensch“ (’ādām) genannt (Gen 1,27; → Gottebenbildlichkeit). Die Differenzierung in „männlich“ (zākhār) und „weiblich“ (nəqevāh) erfolgt sukzessive und ist sachlich letztlich sekundär.

Mehr als durch das Vokabular ist der Mann von der Frau durch andere soziale Rollen unterschieden. Keine hebräische Vokabel stimmt mit der modernen Vorstellung, die sich hinter der Bezeichnung „Mann“ verbirgt, gänzlich überein.

Neben אִישׁ ’îš „Mann / Ehemann / Mensch“ verwendet das Alte Testament auch andere Lexeme: אָדָם ’ādām „Mann / Menschenwesen“; בַּעַל ba‘al „Ehemann / Herrscher“; גֶּבֶר gævær „Held / Kraftmensch“; גִּבּוֹר gibbôr „Held / Mann“; אֱנוֹשׁ ’änôš „Mensch / Mann / Sterbliche“; מְתִים mətîm „Mann / Ehemann“; אָדוֹן ’ādôn „Herr“; בָּחוּר bāḥûr „junger Mann“; זָקֵן zāqen „alter Mann“; כָּל־זָכָר kål zāqār „alles Männliche“.

אָדָם ’ādām bezeichnet manchmal den Mann, ist aber zugleich – wie akkadisch amêlu und lateinisch homo – ein Kollektivbegriff für die ganze Menschheit. Die Ableitung von ’ādāmāh „Erde / Erdboden“, die zur Wiedergabe von אָדָם ’ādām mit „Erdling“ führt und sich z.B. bei → Josephus findet, ist nur eine Volksetymologie. אִישׁ ’îš steht für das einzelne männliche Individuum (lateinisch vir) und wird von akkadisch ûšu „Stärke / Macht“ abgeleitet. אֱנוֹשׁ ’änôš meint den Menschen und vor allem den Mann in seiner Vergänglichkeit (akkadisch anâšu), aber auch in seinen gesellschaftlichen Beziehungen (ugaritisch ’anš „freundlich sein“). Die Wurzel גבר gbr unterstreicht die Stärke des Mannes gegenüber Frauen und Kindern (akkadisch gapru). בַּעַל ba‘al wird häufig als „Ehemann“ oder „Eheherr“ gebraucht und entspricht der gängigen einseitigen Wendung für „heiraten“: lāqaḥ l- „in Besitz nehmen für“.

מְתִים mətîm identifiziert den „Mann“ in Texten, wo die Geschlechtzugehörigkeit ausdrücklich betont wird (Jes 3,25; Hi 31,31) (ägyptisch und äthiopisch met; akkadisch mutu).

אָדוֹן ’ādôn → „Herr“ identifiziert im Alten Testament (über 300-mal) einen irdischen Herrscher – im Unterschied zu אָדוֹנָי ’ādônāj, der ca. 450-mal Gott bezeichnet. Es handelt sich um einen reinen männlichen Titel, dem in anderen semitischen Sprachen jedoch das Femininum ’ādat entspricht.

Eine etwas eigenartige Umschreibung der geschlechtlichen Männlichkeit mithilfe der Partizipform von שׁין šjn und der präpositionalen Verbindung בְּקִיר bəqîr kommt im Alten Testament 6-mal vor (1Sam 25,22.34; 1Kön 14,10; 1Kön 16,11; 1Kön 21,21; 2Kön 9,8). Mit der Wendung „jeder, der an die Wand pisst“ wird deutlich auf das „Mann-Sein“ der Angesprochenen hingewiesen.

Bei Texten, die vorwiegend von einer patriarchalischen Sicht der Gesellschaft geprägt sind, ist es naheliegend, wenn die Formulierungen maskulin sind (→ Frau). Dennoch wird die maskuline Form oft allgemein gebraucht und dient dazu, die Gesamtheit des Volkes, d.h. auch die Frauen, zu bezeichnen. Dies gilt für oft rekurrierende Wendungen wie „die Söhne Israels“, aber auch für den Gebrauch des Personalpronomens der 2. bzw. 3. Person maskulin. Wie Dtn 31,12 deutlich zum Ausdruck bringt, besteht die Gemeinschaft Israels aus beiden – aus Männern und Frauen.

2.2. אִישׁ „Mann“ und אִשָּׁה „Frau“ in Gen 2

In der zweiten Schöpfungserzählung ist die Erschaffung des Menschen die erste ausdrücklich genannte Schöpfungstat Gottes (Gen 2,7; → Adam und Eva). Anders als in der ersten Schöpfungserzählung erscheint Gott nicht so sehr als Herrscher (Gen 1,26), sondern als ein behutsamer Töpfer, der aus der Ackererde (’ādāmāh) einen Menschen (אָדָם ’ādām) formt und ihm Leben einhaucht (→ Schöpfung). Erst im Lauf der Erzählung wird dann klar, dass dieser Mensch ein Einzelner ist, und zwar ein Mann. Der Mann ist allein und Gott erkennt, dass er eine Partnerin benötigt. Der Mann an sich ist lebensunfähig (Pred 4,7-12) und auf eine Hilfe angewiesen, die Frau. Gott erschafft Tiere und Vögel, die der Mann benennt, zugleich aber – indem er mit der Namensgebung Macht über sie ergreift – muss er erkennen, dass sie alle ihm kein Gegenüber zu sein vermögen. Und so lässt Gott am Ende seiner Schöpfung einen Tiefschlaf über den ersten Menschen, der das Wort אָדָם ’ādām mittlerweile als Eigenname trägt, fallen und baut aus einer seiner Rippen eine Frau, die später Eva, Mutter aller Lebendigen, heißen wird. Zunächst wird sie aber als אִשָּׁה ’îššāh „Frau“ bezeichnet und der Begriff wird als Femininform von אִישׁ ’îš „Mann“ verstanden (Gen 2,22-23). Dem entspricht die deutsche Übersetzung „Männin“, doch handelt es sich, da den beiden Begriffen zwei verschiedene semitische Wurzeln zugrunde liegen, um eine philologisch nicht korrekte Volksetymologie. Auffälligerweise fällt der Begriff אִשָּׁה ’îššāh dabei, bevor erstmals von einem אִישׁ ’îš „Mann“ die Rede ist. Der erste Mensch (אָדָם ’ādām) wird damit – obgleich er vor der Frau gewesen ist – erst nach bzw. durch die Erschaffung der Frau (אִשָּׁה ’îššāh) als deren Gegenüber zum Mann (אִישׁ ’îš).

3. Das Leben des Mannes

3.1. Die Geburt

Mann wie Frau sehnen sich nach der Geburt eines Sohnes (Gen 16-17; Gen 29-30; bes. Gen 30,8; Ps 127,3-5), da er für die Existenzsicherung der Eltern extrem wichtig war und die Sippe (Gen 15,2-3) bzw. die königliche Dynastie fortsetzen konnte (2Chr 11,21; 2Chr 13,21). Die Geburt einer Tochter war dagegen ein untergeordnetes bis unbedeutendes Ereignis. Die unterschiedliche Wertschätzung hat ihren Grund in der patrilinearen Ausrichtung der israelitischen – wie der altorientalischen – Gesellschaft, in der Abstammung und → Erbschaft nach der Verwandtschaft mit dem Vater geregelt wurden (Dtn 21,15f). Sie zeigt sich z.B. in der priesterlichen Vorstellung, dass eine Frau nach der Geburt eines Jungen nur eine Woche als unrein gilt, nach der eines Mädchen dagegen doppelt so lange (Lev 12,2-5). → Genealogien (Gen 4; Gen 5; 2Chr 1-9) werden meist nur die Söhne namentlich genannt, nur selten wird angemerkt, dass ein Ahnherr „Söhne und Töchter“ hatte (Gen 5,4; Gen 11,11). Die Verheißung der Geburt eines Sohnes ist ein weit verbreitetes Motiv (→ Isaak Gen 21,2-3; → Simson Ri 13,24; → Immanuel Jes 7,13-16; → Salomo 1Chr 22,8-10; → Josia 1Kön 13,2). Die Geburt einer Tochter dagegen wird im Alten Testament nie angekündigt und nur selten überhaupt berichtet (Gen 30,21; Ri 12,9). Söhne sind demnach das eigentliche Zeichen des → Segens und der Macht, Töchter sind möglicherweise vorhanden, zählen aber nur bedingt (Hi 1,2; Hi 42,13-14). So ist es auch kein Zufall, wenn in Ps 127,3-5 feierlich erklärt wird, dass nur Söhne ein Geschenk JHWHs sind (so auch Spr 17,6).

3.2. Die Beschneidung

Eines der wichtigsten Rituale der Initiation war in Israel die Beschneidung (Gen 34; Ex 4,25; Jos 5,2-4), die nur an Jungen bzw. Männern vollzogen wurde. Ursprünglich war sie eine religiöse – vielleicht apotropäische – Handlung (→ apotropäische Riten), die mitunter als Mannbarkeits- oder Hochzeitsritus erklärt worden ist (→ Beschneidung). Später verlegte man sie in die Zeit unmittelbar nach der Geburt, um sie als Zeichen der Volkszugehörigkeit möglichst früh zu vollziehen. Seit nachexilischer Zeit wurde sie am 8. Lebenstag durchgeführt und avancierte zum Zeichen des Bundes sowie zum Symbol der Zugehörigkeit zur jüdischen Gemeinde. Die Verantwortung für die Durchführung der Beschneidung trug das Familienoberhaupt (Gen 17,14).

3.3. Die Rolle als Sohn und junger Mann

In Israel – und allgemein im Alten Orient – als Mann zur Welt zu kommen, bedeutete in einen familiären Kontext hineingeboren zu werden, aus dem man sich nicht einfach lösen könnte. Der älteste Sohn war Stellvertreter des Vaters und als solcher für alle – männlichen und weiblichen – Mitglieder der Familie zuständig. Er war für die ganze Sippe verantwortlich, war in sie integriert und gehörte ihr das ganze Leben lang an – im Unterschied zur Frau, die nach der Eheschließung zur Sippe des Ehemannes wechselte. Der junge Mann orientierte sich an seinem Vater; allerdings gibt es im gesamten Alten Testament keinen einzigen Text, in dem ein Junge – oder auch ein Mädchen – eine zentrale Rolle spielt. Die meisten in der → Genesis erzählten Ereignisse aus dem Leben von → Isaak, → Ismael, → Jakob, → Esau und → Josef sind nicht in ihrer Kindheit anzusiedeln, sondern in ihrer Jugend. Von Geburt und Rettung des → Mose aus dem Fluss erfährt man nur insofern, als der Text seine Bedeutung für das Volk betonen will. Ähnliches gilt auch für → Josef, → Samuel, → David und → Salomo.

Die ersten Lebensjahre waren Söhne – aber auch Töchter – stark von der Beziehung zur Mutter bzw. zu den Frauen des Vaters geprägt (1Sam 1,21-28). Die starken emotionalen Bindungen, die auf dieser Weise entstanden (Gen 25,28; Gen 27,6-8; 1Kön 1,11-13; 1Kön 2,13-15; Spr 31,28; Jer 15,10; Jer 20,14-18), waren u.a. durch die Abwesenheit des Vaters charakterisiert. Daraus resultierende Probleme waren der Rechtsprechung durchaus bewusst, wenn etwa jegliche sexuelle Beziehung des Sohnes zur Mutter bzw. zu einer anderen Frau des Vaters verboten wurde (Lev 18,7-8; Dtn 27,20). In einem ähnlich familienbezogenen Kontext sind auch die Vorschriften zur → Erbschaft zu lesen, in denen dem Vater verboten wird, den Sohn der Lieblingsfrau zu bevorzugen (Dtn 21,15-17).

Von einem Sohn wurde → Gehorsam erwartet. Die Erzählung von → Abraham und → Isaak in Gen 22 bietet dabei ein musterhaftes Beispiel: Isaak folgt Abraham – trotz dessen seltsamer Vorbereitungen – ohne nachzufragen. Gen 22 bezeugt aber auch, dass der Sohn dem Vater im Allgemeinen rechtlich ausgeliefert war, so dass die Nachricht, dass es dem Volk gelingt, das Todesurteil eines Vaters gegen seinen Sohn aufzuheben, als besonderer Sonderfall zu betrachten ist (1Sam 14,43-45).

Ein störrischer, unangepasster Sohn galt als eine Schande für die ganze Familie (Dtn 21,18-21; Spr 17,25; Spr 19,26). Die rechte Bildung hingegen, wie sie der Sohn nur vom Vater erhalten kann, führt zur Fülle des Lebens (Spr 4,1-3). Da dieser Umstand als selbstverständlich erachtet wurde, war eine ausdrückliche Festlegung nicht notwendig. In narrativen Texten wird allerdings sehr wohl das Fehlen bzw. das Nicht-Akzeptieren der väterlichen Vorschriften gebrandmarkt (Gen 4,19-22; Ri 11,1-3; Gen 37,23-28).

Sehr früh schon wird dem Sohn vom Vater große Verantwortung übertragen: → David ist noch ein Kind, als er bereits das weidende Vieh hüten soll (1Sam 16,11; 1Sam 17,37); der junge → Josef verrichtet Botendienste zwischen Vater und Brüdern (Gen 37,14-15); Jeter, der Sohn → Gideons, wohnt neben seinem Vater einer traumatischen Schlacht bei (Ri 8,20); → Joasch wird mit 7 Jahren zum König (2Kön 14,21); → Jeremia protestiert gegen seine → Berufung zum Propheten mit dem Argument, er sei zu jung gewesen (Jer 1,6); → Jesaja und → Hosea üben ihre prophetische Tätigkeit gemeinsam mit ihren Kindern aus (Jes 7,3; Jes 8,3-4; Hos 1,6-9). Auch im Kriegsfall vereint das Schicksal Väter und Söhne (Dtn 20,13; Ri 9,5; 2Sam 12,13-15).

Die meisten Informationen über die Beziehung zwischen Vater und Sohn beziehen sich allerdings auf den ältesten Sohn: er soll schließlich die Führungsrolle übernehmen, er war der Hauptverantwortliche für die Erhaltung des geerbten Landes und musste die väterliche Abstammungslinie fortführen.

3.4. Die Rolle als Ehemann

Es gibt im gesamten Alten Testament kein eindeutiges Modell für einen perfekten Ehemann. So wird → Abraham sowohl positiv (Gen 18,1-8.19; Gen 22,1), als auch negativ gekennzeichnet (Gen 12,9-10.16.20). Das Ziel eines jungen Mannes war zweifelsohne die Eheschließung mit einer Frau, erfüllte er doch dadurch das erste Gebot Gottes: „Seid fruchtbar und mehret euch!“ Die → Ehe war sehr wichtig, Ehebruch wurde mit dem Tod bestraft (Dtn 22,22). Wenn die Frau bereits verheiratet war und mit einem fremden Mann in flagranti ertappt wurde, war die → Todesstrafe für beide vorgesehen (Dtn 22,22-24). Der Umgang des Mannes mit Prostituierten machte dabei keine moralischen Probleme (Gen 38,13; Ri 11,1; Ri 16,1; 1Kön 3,16).

Es gab zwar wahrscheinlich auch Männer, die aus beruflichen Gründen ehelos lebten (Wanderpriester in Ri 17,7-13; Heerführer; Kaufleute in 1Kön 9,26-28), doch wird dies nie gutgeheißen. → Absalom, der unverheiratet war, ließ sich zu Lebenszeit ein Steinmal errichten, denn er hatte keine Söhne, die ihm nach seinem Tod diesen Dienst der Liebe und Anerkennung hätten erweisen können (2Sam 18,18).

Als „Normalfall“ (Spr 18,22) galt die Ehe, verbunden mit der Zeugung von Kindern (Gen 12,2; Gen 24,60). Die Eheschließung war ein freudiges Ereignis (Gen 29,28; Ri 14) und zugleich ein Vertragsschluss zwischen Ehemann und Braut-Vater.

In der Ehe kam dem Mann quasi ein Besitzanspruch gegenüber seiner Frau zu. Bereits die Zahlung des Brautpreises vor der Ehe (Gen 34,12; Ex 22,16; Dtn 22,29; 1Sam 18,25-27) deutet darauf hin. Der Mann agiert als Vormund für seine Frau, wie Num 30,2-17 deutlich zum Ausdruck bringt. Der etwa rätselhafte Spruch von Jer 31,22 („Die Frau wird den Mann [gævær] umgeben“) will diese Vorstellung möglicherweise im Sinne einer Umkehrung von patriarchalischen Strukturen und Weltanschauungen korrigieren.

Die alttestamentliche Rechtsprechung sieht eine Ehe bis zum Tode des Partners vor (Dtn 24,3), ermöglicht es dem Mann aber dennoch, die Frau zu entlassen, sich also scheiden zu lassen. Die deuteronomische Gesetzgebung (→ Deuteronomium), die zum Teil versucht, Scheidungen zu unterbinden (Dtn 22,13-15), zeigt, dass diese in der Praxis verbreitet war. Dtn 24,1-4 und Jer 3,1 bezeugen das Recht des Mannes, die eigene Frau ohne Rechtsverhandlung und ohne Angabe von Gründen zu entlassen. Nur Ri 19,2 berichtet, dass eine Frau ihren eigenen Mann verlassen hat, was eine sehr seltene Ausnahme gewesen sein dürfte.

3.5. Die Rolle als Vater

3.5.1. Vater und Sohn

Die Beziehung zwischen Vater und Sohn beginnt mit der Zeit der Entwöhnung, ein Ereignis, das festlich begangen wurde (Gen 21,8; 1Sam 1,25). Von jetzt an übernimmt der Vater die Erziehung des Sohnes (Spr 4,1-3), wenngleich ihm die Mutter – vor allem in problematischen Situationen (Dtn 21,18) – weiterhin beisteht (Ex 20,21; Spr 1,8).

Da der Sohn vom Vater lernen sollte, für die ganze Familie Verantwortung zu tragen, musste der Vater ihn für das berufliche Leben ausbilden (Ri 8,20; 1Sam 17,15), gegebenenfalls auch für den Militärdienst (Ri 8,20), und ihn durch Sexualerziehung auf die Ehe vorbereiten (Spr 2,16-18; Spr 5,1-3; Spr 7,5). Details im Umgang zwischen Vater und Sohn sind im Alten Testament vielfach überliefert: der Sohn fragt, der Vater erklärt (Ex 13,14; Dtn 6,20; Jos 4,6.21) bzw. schärft ein (Dtn 6,7; Spr 19,18).

3.5.2. Vater und Tochter

Selbstverständlich standen auch Töchter (Ex 21,7) in der Verfügungsgewalt des Vaters (Dtn 22,28-29) – eine Erzählung wie Ri 11,30-40 zeigt aber lediglich eine Episode, aus der keine allgemeinen Rückschlüsse gezogen werden können. Dass → Jeftah seine Tochter opfern muss, ist einer tragischen Verknüpfung von Ereignissen zuzuschreiben und stellt sicherlich keine gängige Praxis dar. Hi 42,13-15 zeigt hingegen die besondere emotionale Bindung eines Vaters zu seinen Töchtern, die – im Unterschied zu den Söhnen – Kosenamen erhalten.

Hauptaufgabe des Vaters war es aber, die Tochter gut zu verheiraten (Sir 7,25 [Lutherbibel: Sir 7,27]). Die väterliche Einflussnahme auf die Tochter bei der Eheschließung ist sprachlich formelhaft geprägt: „Vater gibt (nātan) seine Tochter dem XY zur Frau“ oder „XY nimmt sich (lāqaḥ) XY zur Frau“ (nämlich vom Vater).

Auch wenn die Tochter mit der Ehe offiziell in die Familie des Ehemannes eintritt, bleibt der Vater ein Leben lang für sie zuständig. Der Vater soll bei Eheproblemen einschreiten (Dtn 22,16-17) – er trägt die Verantwortung dafür, das Zeichen der Jungfräulichkeit seiner Tochter aufzubewahren, um späteren rechtlichen Streitigkeiten vorzubeugen (Dtn 22,13-21).

3.6. Die Rolle in der Gesellschaft

Innerhalb der Gesellschaft war die Rolle des Mannes klar definiert, und zwar in der Arbeit (Gen 3,17-19), d.h. vor allem in der Landwirtschaft (→ Ackerbau; → Viehwirtschaft), seltener in → Handwerk und → Handel. Mit Ausnahme des Priesterberufs (→ Kultpersonal) gibt es keine männlichen Berufe, die Frauen von vorneherein vorenthalten geblieben wären. Der Ausschluss der Frau vom Priesterberuf steht im Alte Testament in Verbindung mit ihrer biologischen Verfassung. Die monatlichen Blutungen und die Geburt machen die Frau – nach damaliger Vorstellung – unrein und somit für den ständigen Opferdienst am Tempel untauglich (Lev 12; Lev 15,19). Zwar gibt es im Alten Testament kein ausdrückliches Verbot, aber die Texte, welche die Tätigkeit des Priesters beschreiben, beziehen sich eindeutig auf den Mann (Ex 28; Lev 8; Dtn 18,1-8; 2Sam 6,17). Dtn 22,5 deutet außerdem mit hoher Wahrscheinlichkeit darauf hin, dass der Kriegsdienst im Prinzip reine Männersache war. Als literarische Figuren kämpfen allerdings auch Frauen gegen Israels Feinde (→ Deborah, → Judith).

Das antike Israel war androzentrisch. Trotz mancher Ausnahmen werden alle übergeordneten öffentlichen Ämter (z.B. Rechsprechung) sowie repräsentative Aufgaben in Familie und Gesellschaft von Männern ausgeführt. Frauen wie → Mirjam, → Deborah, → Isebel, → Hulda und Ester sind wenige, jedoch bedeutende Ausnahmen. Männer regeln die Rechtssprechung in den „Toren der Stadt“ (Ex 18; Dtn 16,18; Dtn 21,5; Dtn 25,7; 1Kön 3,9; Rut 4,1), sie bilden den Rat der → Ältesten, der auch familienrechtliche Angelegenheiten entscheidet (Ex 24,9-11; Num 11,24; Dtn 22; Ez 20,1), sie sind zum Priesterdienst zugelassen (Ex 28,1; Num 3,12), sie können König werden und staatliche Führungspositionen einnehmen (Dtn 17,15), z.B. im Heer (Num 1,1-3; 2Sam 23,8-38) oder auch Propheten werden (Am 3,7; Jer 7,25; Num 11,25). Dtn 16,18-18,22 wird zu Recht als eine Art Verfassungsentwurf gelesen. Nach ihm konstituiert sich die Gesellschaft Israels über vier Ämter: Richter, König, Priester und Prophet. Der Gesetzgeber macht seine Einstellung gegenüber diesen vier Ämtern eindeutig. Die Richter werden auf Grund eines Gottesbefehls eingesetzt. Das Königtum hingegen kommt lediglich aufgrund einer Anfrage des Volkes Zustande. Das Priestertum ist zwar bereits vorhanden, soll jedoch reformiert werden, während die prophetische Institution, die zum Teil eschatologisch gekennzeichnet ist, als einzige durch eine zitierte direkte Rede Gottes gerechtfertigt wird. Jede dieser Institutionen soll von Menschen ausgeübt werden, die aus dem Kreis der männlichen Mitglieder Israels („deine Brüder“) ausgewählt wurden. Neben kulturellen und sozialen Gegebenheiten, die einer solchen Vision zugrunde liegen, ist es wichtig zu erwähnen, dass die deuteronomische Vision keineswegs die Herrschaft des Mannes in der Gesellschaft, sondern die Herrschaft des göttlichen Gesetzes begründen will. Der Richter soll dafür sorgen, dass die → Tora respektiert wird, der König soll sie lesen und meditieren, der Priester soll sie aufbewahren und der Prophet sie verkünden.

Das → Buch der Sprüche tadelt eindeutig den Säufer und Faulenzer (Spr 20,13; Spr 23,29-35; Spr 24,30-34), sowie den törichten oder auch weichen Mann (Spr 10).

3.7. Der Tod

Sterben und Tod – im Familienkreis oder auf dem Schlachtfeld – werden im Alten Testament fast nur von Männern erzählt. Dabei gehört es zu den festen Erzählmotiven, dass berühmte Männer in der Todesstunde ihre Söhne versammeln, um sie zu segnen (Gen 49 aber auch Dtn 33) und damit das künftige Sippen- und Familienleben zu sichern (→ Abschiedsreden).

Nach dem Tod gehört es zur Pflicht der Frauen, den Verstorbenen rituell zu beklagen (2Sam 11,26; Jer 9,19; Jo 1,8; → Totenklage), aber im Alten Testament sind keine Abschiedsszenen überliefert. Der Tod des Familienoberhauptes war für die Witwe und die Kinder – falls diese noch unmündig waren – eine, vor allem auch wirtschaftliche, Tragödie. Beide hatten weder einen rechtlichen noch einen ökonomischen Beistand und galten deshalb innerhalb der alttestamentlichen Gesellschaft als die Armen schlechthin (Dtn 24; 1Kön 17,10; 2Kön 4,1). Wenn der Verstorbene keine Söhne hatte, musste sein Bruder die Witwe zur Frau nehmen und mit ihr einen Stammhalter für den Verstorbenen zeugen (Dtn 25,5; Gen 38; Rut 3; → Levirat). Dieses Leviratsgesetz ist im gesamten Alten Orient mit geringfügigen Variationen bekannt und bezeugt die Wichtigkeit der patrilinearen Nachkommenschaft, die nicht personen-, sondern familien- bzw. sippenbezogen ist.

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  • Wacker, M.-Th., 2007, Mannsbilder der Bibel. Impulse der exegetischen Männerforschung und der masculinity studies für die Bibellektüre von Frauen, Schlangenbrut. Zeitschrift für feministisch und religiös interessierte Frauen, 97, 36-37
  • Wacker, M.-Th., 2008, Bibelwissenschaft und Männerforschung. Zur Einführung, BiKi 63, 126-131
  • Wilhelm, D., 2003, Männer. Annäherung an eine Randgruppe, in: M. Küchler u.a. (Hgg.), Randfiguren in der Mitte. Hermann-Josef Venetz zu Ehren, Freiburg, 158-167

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