Melqart
Andere Schreibweise: Melkart; Melqart (engl.)
(erstellt: Januar 2018)
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Melqart ist der Stadtgott von → Tyrus
1. Name und Verortung
Der Name Melqart müsste nach der phönizischen Schreibung mlqrt eigentlich Milqart vokalisiert werden. Es handelt sich bei ihm um eine Kontraktion von mlk „König“ und qrt „Stadt“. Er bedeutet also „Stadtkönig“.
Alle phönizischen Städte verfügten über ein zwar vergleichbar aufgebautes, jedoch je eigenständiges Pantheon (→ Göttergruppe
2. Schriftliche Zeugnisse
Melqart ist vor dem Hintergrund der bronzezeitlichen syrisch-kanaanäischen → Baal
„Die Stele, die gesetzt hat Bar[ha]dad, der Sohn des [ ] König von Aram, dem Melqart, seinem Herrn, der, als er ihm ein Gelübde tat, auf seine [Stimme] hörte“.
Der in der Inschrift genannte Weihende wird als einer der im Alten Testament genannten Könige namens Bar-Hadad von Aram-Damaskus (III.) verstanden. Sowohl für den Kult als auch die Ikonographie ist dabei aber zu bedenken, dass diese Stele in aramäischem Kontext aufgestellt worden ist (→ Aramäer
Melqart ist weiterhin neben anderen Göttern in dem Vasallenvertrag zwischen König Baal von → Tyrus
In den meisten Schriftquellen tritt Melqart uns jedoch in der interpretatio graeca als Herakles entgegen. Konkret fassbar ist dies etwa in den → Bilinguen
Die interpretatio Melqart-Herakles ermöglichte Jean-Jacques Barthélemy in der 2. Hälfte des 18. Jh.s ganz wesentlich die Entzifferung der phönizischen Schrift. Auf dieser Grundlage ist es möglich, zahlreiche Informationen aus den griechischen und lateinischen Texten zu Melqart herauszulesen.
Melqart ist eng mit der Gründung der Stadt Tyrus verbunden, wie sowohl → Eusebius
Insofern kann Melqart als Gott der Stadt Tyrus, des (dortigen) Königtums sowie der Erneuerung gelten. Die Verehrung des Melqart ist zudem im Zuge der phönizischen Expansion, in der Tyrus eine wichtige Rolle spielte, im Mittelmeerraum verbreitet worden. Den Aspekt der Gründer- und Identifikationsfigur teilt er damit mit Herakles ebenso wie die Heroisierung.
3. Ikonographische Zeugnisse
Die oben genannte Melqart-Stele bietet die einzige erhaltene Verbindung der Namensnennung Melqarts zu einer figürlichen Darstellung. Die Fensteraxt kann auch mit anderen Gottheiten, darunter auch weibliche, verbunden sein und somit nicht als spezifisches Attribut des Melqart angesehen werden. Der mit einer Fensteraxt über der Schulter schreitende Gott jedoch kann in der phönizisch-punischen Glyptik, auf den sog. Rasiermessern und einem Bronzerelief aus dem zentralen und westlichen Mittelmeerraum des 6.-3. Jh.s v. Chr. wiederentdeckt werden. Zwar fehlen hier die Zwischenglieder, doch kann bei dieser Darstellung von einem festen, überlieferten Bildschema im phönizischen Mittelmeerraum ausgegangen werden.
Die interpretatio als Herakles bietet außerdem die Zuordnung eines weiteren Motivs zu Melqart, das des Löwenkampfes. Hier ist entweder der Kampf zwischen Mensch und Löwe dargestellt oder der Sieger trägt das Löwenfell umgehängt und den Löwenkopf als Helm aufgesetzt. Die ideologische königliche Konnotation der Löwenjagd (→ Löwe
Nicht auszuschließen ist zudem, dass Melqart auch mit dem Thronenden Gott der phönizisch-punischen Glyptik identifiziert werden könnte – wenngleich der Thronende Gott zumeist als Baal Hamon (→ Baal
Es ist jedoch zu bedenken, dass die phönizischen Götter grundsätzlich nicht über eine Individual-Ikonographie verfügten, die sie über Attribute identifizierbar machen würde. Sie sind vielmehr in einer jeweiligen Funktions- oder Wesens-Ikonographie dargestellt. Dabei wurden verschiedene Schemata (z.B. Löwen-Bezwingen, Thronen, Schreiten, Speer-Schleudern) austauschbar auf die jeweiligen lokalen Götter angewandt. Dies lässt etwa eine Verbildlichung Melqarts als Löwenbezwinger zu, ist jedoch vermutlich weder seine einzige noch seine exklusive Darstellungsmöglichkeit. Spätestens mit der Verfügbarkeit der griechischen Herakles-Ikonographie als Löwenbezwinger ab dem 6. Jh. v. Chr. fand eine Aneignung dieser Darstellung für Melqart statt. Es ist dabei bemerkenswert, dass die anderen Aspekte des griechischen Herakles für den phönizischen Melqart keine Rolle spielten und nicht im Bild dargestellt wurden. Die interpretatio dürfte über die gemeinsamen Wesenszüge der Löwenbezwingung und der Heldenhaftigkeit, weiterhin die Rolle im Zusammenhang mit Expansion- und Kolonisationsbewegungen sowie die damit zusammenhängenden Identitätsbildungen funktioniert haben.
Analog sind auf Münzen und Siegeln die Darstellungen des Löwenbezwingers oder des Kopfes mit Löwenhelm im Zusammenhang mit phönizischen Städten als solche des Melqart bezeichnet worden: so etwa der Löwenbezwinger auf dem Avers der Münzen von Kition auf Zypern seit König Baalmilk (ca. 475-450 v. Chr.) bis zum Ende des Königshauses 312 v. Chr. sowie der Kopf mit Löwenhelm auf den Münzen unter König Milkyaton (ca. 392-362 v. Chr.).
Gleiches gilt für den Kopf mit Löwenhelm auf dem Avers der 5. Serie der sikulo-punischen Silber-Prägungen von etwa 300-289 v. Chr., ausgegeben von der karthagischen Militärverwaltung Siziliens, und auch für den Kopf mit Löwenhelm auf dem Avers der Münzprägung von Gadir / Gades seit barkidischer und noch in römisch-republikanischer Zeit. Das vorübergehend geprägte Aversbild eines Kopfes mit Löwenhelm einiger süditalischer Städte, z.B. Bruttium, dürfte denn auch im Zusammenhang mit Hannibals Aufenthalt in Süditalien zu sehen sein. Für die Münzprägung im Zeithorizont des 2. Punischen Krieges in Iberien wird auch der unbärtige, manchmal bekränzte, manchmal barhäuptige Männerkopf, gelegentlich mit Keule im Hintergrund bisweilen als Melqart bezeichnet, wenngleich auch eine Identifizierung mit einem der Barkiden in Betracht zu ziehen ist.
Insbesondere der Kopf mit Löwenhelm ist ein bekanntes Bild in der Münzprägung bereits vor, aber gerade mit und nach den Alexandermünzen. Insofern dürfen wir zwar annehmen, dass die Herakles-Melqart-Ikonographie im phönizischen Raum als geeignet für eigene Münzprägungen angesehen worden ist. Wir sollten aber die semantische oder gar religiöse Aussagekraft des Bildes nicht überinterpretieren, sondern auch politische, identitätsbildende Aspekte und auch die Adressaten und deren Akzeptanz der Münze berücksichtigen.
In der Münzprägung von Tyrus selbst erscheint seit 390 v. Chr. ein bärtiger Reiter auf einem Hippokamp, einer Mischung aus Pferd und Seeungeheuer, auf dem Avers. Er wird als Melqart betrachtet, da dieser zu Meer und Seefahrt in Verbindung steht. Mit der städtischen Autonomie von Tyrus um 126/25 v. Chr. sowie in römischer Zeit wird der Herakles-Melqart-Kopf auf dem Avers geprägt. Der Kopf ist hier nun zwar nicht mit einem Löwenhelm bedeckt, aber ein unter dem Kinn verknotetes Löwenfell deutet auf die Herakles-Ikonographie hin. Zudem ist auf dem Revers, das einen → Adler
4. Heiligtümer und Kult
Archäologisch ist von dem oben genannten Melqart-Tempel in Tyrus nichts erhalten, wenngleich ihn einige Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen im Bereich der großen Kreuzfahrerbasilika vermuten. Jedoch erfahren wir einiges aus Schriftquellen, insbesondere im Zusammenhang mit Alexander dem Großen: Dieser bestand darauf, im Tempel des Melqart auf der Insel selbst ein Opfer darzubringen und somit faktisch die Insel in Besitz zu nehmen – was ihm von den Tyrern jedoch verweigert wurde und somit zur monatelangen Belagerung und Eroberung der Stadt führte. Herodot (2, 44) und Arrian (Anabasis 2, 16, 1) verweisen auf das hohe Alter des Tempels, der mit reichen Weihgaben ausgestattet sei und über zwei Säulen, eine aus Gold und die andere aus Smaragd, verfüge (Herodot 2, 43-44; Plinius, Naturalis historia 37, 74). Auf einem heute verlorenen Relief aus der assyrischen Residenz Sargons II. in Chorsabad (→ Dur Scharrukin
In der tyrischen Gründung Gadir (röm. Gades, heute Cádiz), auf der antiken Insel Kotinoussa (Strabo 3, 5, 5), befand sich ein Tempel des Melqart, der leider ebenfalls archäologisch nicht fassbar ist. Vermutlich liegt er heute unter Wasser bei der Insel Sancti Petri, wo bronzene Statuetten des 8./7. Jh.s v. Chr. in der Haltung des sog. Smiting god, eines lanzenwerfenden Kriegers, gefunden wurden. Das Heiligtum war in phönizischem Stil errichtet und es wurden dort phönizische Riten praktiziert (Arrian, Anabasis 2, 16, 4; Appian, Hispanica 1, 2) – wobei leider nicht ganz klar ist, was wir darunter konkret zu verstehen haben. Silius Italicus (3, 32-44) erwähnt z.B., dass Frauen kein Zutritt gewährt wurde, und nur einige Personen Zugang zum Innersten hatten, diese Leinengewänder und ein Stirnband aus Pelusischem Flachs trugen, ein Rauchopfer mit ungegürteten Gewändern darbrachten und bei einem Opfer Gewänder mit einem breiten Streifen trugen, barfüßig waren und rasierte Köpfe hatten. Hier wurden die sacra aus Tyrus aufbewahrt (Justinus 44, 5, 2) – ohne dass wir jedoch wüssten, um was es sich dabei genau handelt. Daraus lässt sich aber immerhin erschließen, dass es sich um ein offiziell eingerichtetes Filialheiligtum zu jenem in Tyrus gehandelt haben muss. Auch hier fand jährlich ein Fest statt, bei dem der Aspekt des Todes durch Verbrennung (und damit der Wiederauferstehung) im Vordergrund stand (Philostratos 5, 4; Pausanias 10, 4, 6). In der Nähe dürfte sich gar ein monumentaler Bau als Grab des Melqart befunden haben. Es brannte ein dauerndes Feuer auf einem der vielen Altäre (Silius 3, 30-31), Statuen von Alexander und Themistokles waren im Heiligtum aufgestellt (Philostratos 5,4; Sueton 8; Diodor 37, 52) und zwei Stelen gaben in Inschriften Auskunft über die Kosten des Heiligtums (Strabo 3, 5, 5; Philostratos 5, 5). Es gab jedoch kein Kultbild (Arrian, Anabasis 3, 16,4; Philostratos 5, 5; Silius 3, 30-31), wie es für phönizische Kulte üblich war. Die Bronzebeschläge der Türen waren nach Silius Italicus (3, 32-44) mit Bildern der Taten des Melqart geschmückt, die er nach denen des Herakles benennt: die Bezwingung der Schlange, des Löwen, des Höllenhundes, der Pferde, des Ebers, der Hirschkuh, des Riesen, der Kentauren, des Flusses sowie die Heroisierung durch Verbrennung. Dahinter dürfen wir jedoch nicht die Darstellung des „griechischen“ Heros und erst recht nicht die seiner kanonischen Taten vermuten, sondern entsprechende Taten des Melqart, für die wir jeweils Parallelen in der altorientalischen Bilderwelt finden.
Im Tempel des Melqart von Gadir opferte Hannibal im Jahr 219 v. Chr. nach dem Sieg über Sagunt und am Vorabend seines Zuges über die Alpen. Damit trat er wie Alexander auf seinem Feldzug auf (Silius 1, 12-13). Diesem Beispiel folgte der römische Konsul Fabius Maximus Aemilianus vor dem Feldzug gegen die Lusitanier 145 v. Chr. (Josephus, Antiquitates 9, 14, 2).
Weitere Kultstätten des Melqart sind im Mittelmeerraum und Vorderen Orient erschließbar, sei es über die interpretatio graeca oder über inschriftliche Nennungen des Melqart, so etwa in Kition-Bamboula auf Zypern, in Lixus in Marokko, auf Malta, in Tharrros, Sulcis, Antas auf Sardinien, um nur einige zu nennen. Diese machen aus Melqart wahrlich einen Archegeten der phönizischen Expansion. Häufig findet sich eine Nähe zu Astartekulten, weswegen Melqart und Astarte auch als göttliches Paar verstanden werden können. Jedoch sind weder Raumorganisation noch Architektur noch Funde in phönizischen Heiligtümern so spezifisch, dass die Zuordnung zu einer Gottheit auf dieser Basis vorgenommen werden könnte.
Auf Sizilien hat sich zudem eine Stadt namens Ras Melqart („Kap des Melqart“) befunden, wie wir aus den Münzprägungen erfahren. Eine abgesicherte Lokalisierung ist nicht möglich, doch wird manchmal eine Identifizierung von Ras Melqart mit Lilybaion in Betracht gezogen. Als Säulen des Herakles schließlich ist die Gegend der Meerenge von Gibraltar bekannt, bezogen vielleicht konkret auf die Felsen von Gibraltar, vielleicht aber auch sinnbildlich auf die Heiligtümer in Gadir und Lixus (Strabo 3, 5, 5).
Erstaunlich dürftig sind indes die Zeugnisse eines Melqart-Kultus in Karthago. Die Stadt gilt zwar der Legende nach (z.B. Justinus 18, 4-6) als gegründet durch die Königstochter Elissa / Dido aus Tyrus. Es lassen sich jedoch etliche Unterschiede zu anderen phönizischen Niederlassungen feststellen, nicht zuletzt darunter etwa zu der offiziellen Implementierung des tyrischen Melqart-Kultes in Cádiz. Allerdings hören wir von karthagischen Gesandten, die an dem jährlichen Fest in Tyrus teilnahmen (Arrian, Anabasis 2, 24, 5; Curtius Rufus 4, 2, 10; Diodor 7, 41, 8; 20, 14). Vielleicht passte dieser königliche Heros, Schützer des Königshauses und Archeget auch nicht so recht zu der Geschichte, Entwicklung und dem politischen System in Karthago.
Literaturverzeichnis
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- Gold-Hemistater aus Kition (um 332 v. Chr.). Mit Dank an © Staatliche Museen zu Berlin. Preußischer Kulturbesitz, lizenziert unter Namensnennung – Nicht-kommerziell – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland (CC BY-NC-SA 3.0 DE), Ident.Nr. 18217656; Zugriff 20.2.2018
- Silberne Tetradrachme (sikulo-punisch, um 300-289 v. Chr.). Mit Dank an © The Trustees of the British Museum; BM 1967,1110.3
- Silberner Doppelschekel aus Tyrus (um 425-394 v. Chr.). Mit Dank an © Staatliche Museen zu Berlin. Preußischer Kulturbesitz, lizenziert unter Namensnennung – Nicht-kommerziell – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland (CC BY-NC-SA 3.0 DE); Ident.Nr. 18256962; Zugriff 20.2.2018
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