Menstruation
(erstellt: Januar 2009)
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1. Einleitung
Es scheint heute ein weit verbreiteter Glaube zu bestehen, dass die Menstruation kein Thema mehr sei für unsere moderne und aufgeklärte Gesellschaft. Dem steht die wissenschaftliche Herausforderung gegenüber, die mit dem Thema „Menstruation“ verbundenen Riten und Tabus im Kontext ihrer religiösen Traditionen zu erforschen, Traditionen, die neben den naturwissenschaftlich-medizinischen Theorien der Antike die europäisch-westliche Ideengeschichte der Menstruation nachhaltig beeinflussten (Schlehe 1987). Die Relevanz dieser Fragestellung wird offenkundig, wenn man bedenkt, dass sowohl im Judentum und Christentum als auch in anderen Weltreligionen Frauen, religiös gesehen, nicht gleichberechtigt sind und der Verdacht nahe liegt, dies liege v.a. an der weiblichen Biologie, also auch an der Menstruation. Allerdings wird die kultische Unreinheit der Frau als traditionelle Begründung z.B. bei Auseinandersetzungen um die liturgische Rolle der Frau nicht mehr angeführt und man behauptet, das alttestamentlich-antike Sexualverständnis und insbesondere die alttestamentlichen Reinheitsvorschriften überwunden zu haben. Diese Linie wird fortgesetzt, wenn bei der Auslegung der neutestamentlichen Texte Jesus zum Außenseiter seiner Kultur stilisiert wird. Dem originären Anliegen dieser Texte – alt- wie neutestamentlich – wird diese Interpretation nicht gerecht.
2. Der theologische Kontext der biblischen Bestimmungen zur Menstruation
Die Bibel kennt den Begriff „Menstruation“ ebenso wenig wie andere Bezeichnungen für körperliche Funktionen (Schroer 1998). Während wir heute jene körperlichen Funktionen, die mit den Sexualorganen zu tun haben, mit nüchternen medizinischen Bezeichnungen benennen, umschreibt die Bibel diese Funktionsweisen des menschlichen Körpers. Ihr Interesse gilt eben nicht der medizinischen oder naturwissenschaftlichen Erfassung, sondern der Integration dieser Phänomene in einen ganz bestimmten theologischen Kontext. Dieser Kontext ist das religiöse System von rein und unrein (→ Reinheit / Unreinheit
Das Buch → Leviticus
Unrein sind nach Lev 11-15
Bei der Geburt eines Menschen (Lev 12
3. Die biblischen Texte
3.1. Altes Testament
3.1.1. Rechtstexte
Das Hebräische gebraucht ein- und denselben Ausdruck זוב zôv für den krankhaften Ausfluss des Mannes (cf. Lev 15,2
Als Abschluss des Reinigungsprozesses bringen Mann wie Frau ihr Opfer zum Priester an den Eingang des Begegnungszeltes. Für den Mann wird zusätzlich gefordert, dass er „vor JHWHs Angesicht trete“ – eine Formel, die Lev 15,15
3.1.2. Erzählende Texte
In den erzählenden Texten des Alten Testaments finden sich nur zwei Erwähnungen von menstruierenden Frauen:
1. Gen 31,33-35
2. 2Sam 11,2-5
3.2. Neues Testament
Die synoptische Überlieferung von der „Heilung der blutflüssigen Frau“ (Mk 5,24-34
Die Erzählung von der „Heilung der blutflüssigen Frau“ wird in sehr unterschiedlicher Weise von den Evangelien entfaltet und ihrer jeweiligen Intention nutzbar gemacht: Während die Frau in der kürzeren matthäischen Fassung durch das Wort Jesu in dem Moment geheilt wird, als er ihre Motivation, sich ihm zu nähern, als „Glauben“ erkennt (Mt 9,22
Die Synoptiker stellen nun diese Wundergeschichte interpolierend in den Rahmen der Erzählung von der Auferweckung der Tochter des Jairus, wodurch der Erzählung zwei grundlegende Funktionen zukommen: 1. schafft sie den nötigen Zeitraum, um den Tod der Tochter des Jairus zu exponieren (dies gilt nicht für Matthäus); 2. präsentiert sie in Antizipation der Auferweckung des Mädchens nun auf sozialer Ebene die Rückkehr einer Frau ins gesellschaftliche Leben.
4. Die kulturgeschichtliche Relevanz
Bei der Suche nach dem Ort des biblischen Umgangs mit der Menstruation wird deutlich, dass weder die Aussagen des Alten Testaments als eindeutiger Beleg für die Unterdrückung und Diskriminierung der Frau in der orientalisch jüdischen Antike noch das Schweigen des Neuen Testaments als eindeutiger Beleg für die Befreiung der Frau innerhalb desselben Kontextes gedeutet werden können. Mitzubedenken sind vielmehr die immer vorhandenen halb oder auch ganz unbewussten Strukturen in der Eigenkultur des Interpreten bzw. der Interpretin.
Den gerne als „archaisch“, „primitiv“ und „überholt“ qualifizierten levitischen Bestimmungen zur Menstruation steht nämlich – kulturgeschichtlich gesehen – eine äußerst hartnäckige und widerstandsfähige Permanenz bis in die Gegenwart gegenüber, insbesondere in Bezug auf viele Tabus um weibliche Körperlichkeit (Feld 1996).
Historisch wie theologisch erscheint jedoch eine positive Rezeption dieses Befundes nicht möglich. Bedenkenswert sind aber folgende Implikationen des priesterlichen Reinheitskonzeptes:
1. Leviticus versteht menschliche Körperlichkeit, d.h. das Weiblich-sein und das Männlich-sein als Zugang zu Menschwerdung und Religion, als Teil der religiösen Kultur. Diese Wahrnehmung steht für die christliche Theologie noch aus, ebenso wie die Anerkennung, dass Leviticus mit diesen Bestimmungen auch den schöpfungstheologisch unverzichtbaren Wert der Sexualität festhält.
2. Das priesterliche Reinheitskonzept gründet sich in der Sehnsucht nach Heiligkeit im Vollzug des Lebens; „unser“ modernes Reinheitsstreben hat schöpfungsgefährdenden Charakter angenommen und „Heiligkeit“ ist kein Kriterium mehr – weder im Umgang mit Menschen noch mit der Natur.
„Und Gott sah, dass es gut war.“ (Gen 1,31
Literaturverzeichnis
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- The Anchor Bible Dictionary, New York 1992
- Exegetisches Wörterbuch zum Neuen Testament, 2. Aufl., Stuttgart u.a. 1992
- New International Dictionary of Old Testament Theology and Exegesis, Grand Rapids 1997
- Calwer Bibellexikon, Stuttgart 2003
- Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, 6. Aufl., München / Zürich 2004
- Handbuch theologischer Grundbegriffe zum Alten und Neuen Testament, Darmstadt 2006
2. Weitere Literatur
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- Kahl, B., Jairus und die verlorenen Töchter Israels. Sozioliterarische Überlegungen zum Problem der Grenzüberschreitung in Mk 5, 21-43; in: Schottroff, L. / Wacker, M.-T. (Hgg.), Von der Wurzel getragen. Christlich-feministische Exegese in Auseinandersetzung mit Antijudaismus (Biblical Interpretation Series 17), Leiden u.a. 1996, 61-78
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- Metternich, U., Sie sagte ihm die ganze Wahrheit. Die Erzählung von der ‚Blutflüssigen’ feministisch gedeutet, Mainz 2000
- Schlehe, J., Das Blut der fremden Frauen. Menstruation in der eigenen und in der anderen Kultur, Frankfurt 1987
- Schroer, S. / Staubli, T., Die Körpersymbolik der Bibel, Darmstadt 1998
- Smith, C.H., The Literary Structure of Leviticus, JSOT 70 (1996), 17-32
- Milgrom, J., Leviticus 1-16 (AncB 3), New York u.a. 1991
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