Micha ben Jimla
Andere Schreibweise: Micaiah ben Imlah (engl.); Michajehu
(erstellt: Januar 2010)
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Micha ben Jimla ist ein Prophet, der zur Zeit des israelitischen Königs → Ahab
1. Name
Der in der Einheitsübersetzung als Micha bezeichnete Prophet trägt in 1Kön 22
In 1Kön 22,8
2. Inhalt der Michaerzählung
Die Erzählung vom Auftreten Michas ist eingebettet in die Darstellung des Kriegszugs der Könige → Ahab
Der Auftakt des Kapitels (1Kön 22,1-4
Die Kriegsberichte bilden einen Rahmen um den Textabschnitt 1Kön 22,5-28
In einer ersten Szene (1Kön 22,6-12
Erst in einer zweiten Prophetenszene (1Kön 22,15-28
Mit 1Kön 22,15
Angesichts dieser Vision sieht Ahab sich in seinem bereits in 1Kön 22,8
Ohne auf diesen Einwurf des Königs zu reagieren, schließt Micha eine zweite Visionsschilderung an (1Kön 22,19-22
Die Interpretation dieser Vision durch Micha findet sich in 1Kön 22,23. Hier deutet Micha das Auftreten der übrigen Propheten von der Vision her und erkennt in ihrer Botschaft das Wirken des Lügengeistes, der Ahab ins Verderben führen soll. Das in der zweiten Vision Geschilderte liegt also bereits in der Vergangenheit, seine Auswirkungen aber sind in der (erzählten) Gegenwart greifbar.
Auf seine Rede erhält Micha in 1Kön 22,24-28
Die zweite Reaktion ist die des Königs: Er befiehlt Micha so lange im Gefängnis festzusetzen, bis er selbst wohlbehalten aus Ramot-Gilead heimkehrt (v 27). Dieser Befehl lässt erkennen, dass er, auch nachdem er die Visionsschilderungen Michas gehört hat, weiterhin zum Kriegszug entschlossen ist. Er hat sich somit dazu entschieden, die Verkündigung Michas nicht zu beherzigen. Darüber hinaus setzt er den Visionen Michas, die Ahabs Tod in Ramot-Gilead als Plan Gottes ankündigen, die Erwartung einer guten Rückkehr entgegen.
Auf diesen Befehl des Königs reagiert Micha mit einer abschließenden Feststellung (1Kön 22,28
An diesem Punkt bricht die Prophetenszene ab. Die Erzählung folgt nun den Königen nach Ramot-Gilead und beschäftigt sich mit dem Ausgang ihres Kriegszugs bzw. mit dem Ende des Ahab. Das weitere Geschick Michas aber wird nicht mehr thematisiert.
3. Die Darstellung des Micha
Hinsichtlich der Darstellung der Figur Michas ist auffällig, dass der biblische Erzähler selbst in 1Kön 22
3.1. Die Selbstdarstellung des Micha
Micha thematisiert relativ ausführlich seine eigene Prophetenrolle – auch in Abgrenzung und Abhebung zu den anderen Propheten. Dabei sind zwei inhaltliche Schwerpunkte auszumachen: die Selbstdarstellung als „wahrer“ Prophet (3.1.1) und als Visionär (3.1.2).
3.1.1. Micha als wahrer Prophet
Die Selbstdarstellung des Micha als „wahrer Prophet“ ist eingebunden in die die gesamte Prophetenszene durchziehende, grundsätzlichere Frage nach wahrer und falscher Prophetie (→ falsche Prophetie
Die 400 Propheten des Ahab stehen in der Tradition der (ekstatischen) Gruppenpropheten, wie sie v.a. in den Geschichtsbüchern (bzw. den „Vorderen Propheten“) erwähnt werden (vgl. z.B. 1Sam 10,5-12
Erst in Folge der ersten Visionsschilderung Michas (1Kön 22,17
Darüber hinaus macht Micha in seinen Reden die Wahrheitsfrage bzw. seinen Anspruch, ein wahrer Prophet zu sein, auch explizit zum Thema. Dies geschieht zunächst besonders ausführlich in den Szenen, die sein eigentliches Auftreten vor den Königen rahmen. Hier greift er auf „vorgegebene“ Kriterien für wahre und falsche Prophetie zurück und wendet diese auf sich selbst an. So hält er – noch bevor er den Schauplatz des Geschehens am Tor von Samaria erreicht – dem Boten, der ihn aufgefordert hat, es den anderen Propheten gleichzutun, entgegen, dass er sich an das Wort JHWHs gebunden sieht, das allein er wiedergeben wird (1Kön 22,14
In der Beschreibung der zweiten Vision (1Kön 22,19-22
Zuletzt wird die Selbstdarstellung als „wahrer Prophet“ auch über die Disqualifizierung der anderen Propheten eingebracht. Micha führt deren Botschaft in 1Kön 22,23
Bemerkenswert ist dabei, dass Micha in keinem dieser genannten Punkte ohne Widerspruch bleibt: Zedekia protestiert handgreiflich gegen Michas Deutung der Vision und insistiert auf seiner (unverfälschten) Inspiration, während Ahab die Ankündigung des verlustreichen Ausgangs in Frage stellt und seine Rückkehr aus der Schlacht antizipiert.
Für das adäquate Verständnis der Frage nach wahrer und falscher Prophetie ist dabei die Wahrnehmung bedeutsam, dass die Auseinandersetzung um wahre und falsche Prophetie (und damit um den Anspruch Michas, ein „wahrer Prophet“ zu sein) auf der Ebene der Figurenreden zwischen Micha einerseits und seinen prophetischen und königlichen Gegenspielern andererseits geführt wird. Der Erzähler aber bleibt in dieser Frage völlig neutral und gibt damit auch dem Leser kein explizites Urteil über die Wahrheit der einzelnen Positionen vor. Der Leser steht also vor der gleichen Entscheidung, wie die in der Erzählung handelnden Figuren: Er muss – im Zuge seiner Lektüre – selbst eine Antwort darauf finden, ob er die Botschaft und die Selbstdarstellung des Micha akzeptiert oder nicht (Schmitz, 325f.).
3.1.2. Micha als Visionär
In seinen Reden präsentiert Micha ben Jimla sich selbst – auch in Abhebung von den übrigen Propheten – vor allem als „Seher“ bzw. Visionär. Vor den Königen berichtet er von zwei → Visionen
Die erste Vision (1Kön 22,17
Besonders augenfällig ist die Ähnlichkeit der Micha-Vision zu den „Szenen im Himmel“ in Hi 1,6-2,10. In diesen finden sich jeweils JHWH und das Heer des Himmels, aus dessen Mitte eine „besondere“ Figur heraustritt, der → Satan
Da weder das Himmelsheer noch der → Geist
Daneben ist die Parallelität der Szenerie des göttlichen Thronrates, die Micha in seiner Vision (1Kön 22,19
Diese Parallelität der Szenen verdeutlicht ihren inneren Zusammenhang: Micha deckt mit seiner Vision die „himmlische“ (transzendente) Wirklichkeit hinter dem „vordergründigen“ Geschehen auf: In den am Stadttor von Samaria vor dem Thron der Könige auftretenden Propheten ist der „Lügengeist“ wirksam, der in der Vision vor JHWH steht und mit der Betörung beauftragt ist, die zur Vernichtung des Ahab führen soll.
Micha nimmt also für sich selbst in Anspruch, über seine Visionen einen Einblick in die tiefere Wirklichkeit hinter dem in 1Kön 22
Gleichzeitig enthalten seine Visionen eine eindeutige Drohung und Mahnung an die Adresse des Königs, an den zumindest die zweite Vision durch den Hör-Aufruf („Darum – höre das Wort des Herrn“) in 1Kön 22,19
Durch Micha erfährt der König vom Plan JHWHs und wird über die erste Visionsschilderung Michas sogar in die Zeit nach der Schlacht versetzt, in der der König gefallen und der Plan JHWHs realisiert ist. In der erzählten Situation am Stadttor Samarias erhält diese drastische Verkündigung des Propheten den Charakter einer dringenden Warnung. Ahab wird durch die Visionsschilderung in die Lage versetzt, die Botschaft der anderen Propheten, die ihn in seinen Kriegplänen bestärken, nochmals von einer anderen Warte aus zu bedenken und auf ihren „wahren Gehalt“ zu durchschauen, um daraufhin den Kriegszug abzusagen und so dem Unheil zu entgehen. Somit findet sich Micha letztlich im klassischen Dilemma „wahrer Prophetie“ wieder: den negativen Ausgang eines Geschehens anzukündigen (bzw. in diesem Fall sogar visionär vorwegzunehmen), damit er nicht eintreten muss.
3.2. Die Charakterisierung durch den König von Israel
Aus der Außenperspektive wird Micha lediglich durch die Figur des Ahab charakterisiert. Dieser spricht über Micha erst, nachdem Joschafat auf die Befragung eines JHWH-Propheten insistiert. Ahabs Rede lässt erkennen, dass er Micha ben Jimla als unzweifelhaften Propheten JHWHs wahrnimmt – was offensichtlich zumindest von den 400 Propheten nicht in gleicher Weise gilt, die in dem Dialog der Könige (1Kön 22,6-9
Für den Verlauf der Erzählung ist bedeutsam, dass das Urteil des Königs sich als starr und unrevidierbar erweist. So vermutet Ahab eine Lüge, als Micha bei der Befragung zunächst das positiv klingende Votum der übrigen Propheten wiederholt (1Kön 22,15
4. Micha ben Jimla und Micha aus Moreschet-Gat
Der letzte Ausruf des Micha in 1Kön 22,28
Dieser Hör-Aufruf wird von vielen Kommentatoren als Glosse verstanden, die auf eine Identifikation der beiden gleichnamigen Propheten abzielt, die chronologisch allerdings nicht stimmig ist.
Micha ben Jimla lebt zur Zeit der Könige Ahab von Israel und Joschafat von Juda, Micha aus Moreschet-Gat ausweislich der Überschrift des Michabuchs (Mi 1,1
Da der Verweis auf das Michabuch durch die Aufnahme von Mi 1,2 die Datierung des Auftretens des Micha aus Moreschet-Gat in der Buchüberschrift (Mi 1,1) „überspielt“, kann der Aufruf des Micha ben Jimla in 1Kön 22,28
Tatsächlich zeigen sich zahlreiche thematische Verbindungslinien. So kann die Vision in Mi 1,2-7
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
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2. Weitere Literatur
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- Schmitz, B., 2008, Prophetie und Königtum (FAT 60), Tübingen
- Werlitz, J., 2002, Die Bücher der Könige (NSK.AT 8) Stuttgart
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