Nachkommen (AT)
(erstellt: November 2008)
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→ Eltern
1. Die Nachkommen – der Same des Menschen
Die Hoffnung auf Nachkommen gehört im Alten Testament zu den zentralen Sehnsüchten des Menschen, denn in seinen Nachkommen entfaltet sich seine ganze Lebenskraft (→ Familie
Die Nachkommen werden sprachlich als Samen des Menschen verstanden. Dazu verwendet die Bibel dieselben Lexeme wie für den Samen der Pflanzen oder den Nachwuchs der Tiere: זרע zæra‘ bzw. σπέρμα spérma (vgl. z.B. Dtn 7,13
Neben den allgemeinen Aussagen zum Nachwuchs wird זרע zæra‘ besonders häufig verwendet, wenn das Verhältnis des Stammvaters bzw. der Stammeltern zu den Nachkommen thematisiert wird. Dies gilt sowohl im allgemein menschlichen (→ Adam und Eva
2. Nachkommenschaft als anthropologische Grundkonstante (Urgeschichte)
Die Zeugung von Nachkommen gehört aus der Sicht der priesterschriftlichen Schöpfungserzählung wesentlich zum Menschsein dazu (→ Priesterschrift
Derselbe Auftrag ergeht erneut am Ende der priesterschriftlichen Sintfluterzählung an Noah und seine Söhne (Gen 9,1
Auch für die nichtpriesterlichen Erzählungen der Urgeschichte gehört das Zeugen von Nachkommen ganz selbstverständlich zum Menschsein (vgl. Gen 4,1-2
3. Nachkommenverheißung an Israel
3.1. Verheißung von Nachkommen an die Erzväter (Genesis)
Gemäß der nichtpriesterlichen Tradition fordert Gott Abraham in Gen 12,1-3
Während das verheißene Land relativ zügig erreicht wird (bereits in Gen 12,6
Das Ausbleiben des Nachwuchses ist auch Thema in Gen 16
Doch der von Hagar geborene → Ismael
Ein letztes Mal ist die Verheißung von Nachkommen in den nichtpriesterlichen Abrahamserzählungen in Gen 22
Auch in der priesterschriftlichen Tradition spielt die Verheißung von Nachkommen eine wichtige Rolle. Die Zusage, Abraham sehr, sehr zahlreich zu machen, ist der zentrale Inhalt des Bundesschlusses (Gen 17,2
Wie schon in Gen 9
Die Mehrungsverheißung ergeht nicht nur an Abraham, sondern auch an die anderen Patriarchen. Isaak wird in Gen 26,24
Die Verknüpfung der Verheißungen von Landgabe und Nachkommen wird sowohl in der priesterschriftlichen als auch in der nichtpriesterlichen Tradition auf mehrfache Weise deutlich: In der Zusage Gottes an die Patriarchen, das Land zu geben (Landverheißungsformel), wird nur selten allein einer der Patriarchen als Empfänger des Landes genannt (Gen 13,17
3.2. Verheißungen für die Nachkommen (Deuteronomium)
Den Schwur an die Väter, das Land (ihnen und) den Nachkommen zu geben, kennt auch das Buch → Deuteronomium
Wie das Buch Genesis kennt auch das Buch Deuteronomium neben der Verheißung der Landgabe die Mehrungsverheißung. Diese ist jedoch anders als die Landgabe zumeist nicht als Erfüllung eines Väterschwurs ausgewiesen (Dtn 1,10
Dtn 30,1-10
Ein negatives Pendant finden die Verheißungen an die Nachkommen in den Fluchreihen von Dtn 28
Hier zeigen sich Berührungen mit altorientalischen Fluchreihen. So nennt z.B. der Sukzessionsvertrag des assyrischen Königs Asarhaddon insgesamt sechs Flüche, die sich auf die Nachkommen beziehen (TUAT I, 160ff). In §45 heißt es: „So möge Zerbanitu [die Gemahlin Marduks], die Namen und Samen gibt, euren Namen und euren Samen im Lande vernichten.“ Der unmittelbar folgende Fluch §46 erbittet: „So möge Belet-ili, die Herrin-der-Kreatur, Nachwuchs aus eurem Lande wehren, eure Kinderwärterin auf Straße und Platz das Geschrei der kleinen Kinder entbehren lassen.“ Ähnliche Flüche finden sich in den §§62, 66, 67 und 105. Denen, die gegen den vorstehenden Vertrag verstoßen, wird also gewünscht, dass sie ohne Nachkommen bleiben und damit ihre Lebenskraft versiegt. In gleicher Weise kennt Dtn 28,18
4. Nachkommenverheißung an Einzelne
Neben den Zusagen an die Nachkommen Noahs, die sich auf die gesamte Schöpfung beziehen, und den Verheißungen an die Patriarchen und ihre Nachkommen, die sich an das gesamte Volk Israel richten, finden sich innerhalb des Alten Testaments Ankündigungen, die drei abgegrenzte Personenkreise in den Blick nehmen: die Nachkommen Aarons, Kalebs und Davids.
4.1. Aaron
→ Aaron
Besonders hervorgehoben werden Aarons Enkel → Pinhas
4.2. Kaleb
Ähnlich wie Pinhas wird auch → Kaleb
4.3. David
In 2Sam 7,12
An → Jojachin
5. Das Verhältnis von Vorfahren und Nachkommen
Von den Nachkommen (זרע zæra‘) ist zumeist auch in Texten die Rede, die von den Auswirkungen der an die Ahnherren und Erzeltern ergangenen Verheißungen auf ihre Nachkommen sprechen. Diese Auswirkungen sind zumeist segensreicher Natur, können gelegentlich aber auch unheilvoll sein. Allerdings sind die Ahnherren und -frauen nicht einfach die erste einer längeren Reihe von Generationen, sondern nehmen eine Sonderstellung ein, denn in ihnen verdichten sich Heil und Unheil des von ihnen abstammenden Personenkreises in besonderer Weise. Entsprechend sagen diese Texte wenig über das Verhältnis von Vorfahren und Nachkommen im Allgemeinen aus. Die Texte, die diese Frage thematisieren, sprechen gewöhnlich von Vätern / Vorfahren (אבות ’avôt) und Söhnen / Kindern (בנים bānîm). Dabei lassen sich drei Grundlinien feststellen: die Auswirkungen der Schuld der Vorfahren auf die Nachkommen, das heilvolle Erbe der Vorfahren und das Stehen der Nachkommen in der Tradition der Vorfahren.
5.1. Auswirkungen von Schuld auf die Nachkommen
Den mit Abstand breitesten Raum nimmt die Frage ein, ob und wie sich die Schuld der Vorfahren auf die Nachkommen auswirkt. Diese Frage entzündet sich nicht zuletzt an Ereignissen wie dem Babylonischen → Exil
Ob sich die Schuld der Vorfahren auf die Nachkommen auswirkt, wird im Alten Testament kontrovers diskutiert. Gegen die aus dem familiären Umfeld stammende Aussage, dass die Schuld der Vorfahren an den Nachkommen heimgesucht wird (Ex 20,5
Wie die Vorfahren schuldig geworden zu sein (Jer 2,5-9
Das Alte Testament kennt folglich beides: Die Annahme der Schuld der Vorfahren durch die Nachkommen als Teil der eigenen Geschichte und die Gewissenserforschung, wo im eigenen Leben ähnliche schuldhafte Vorgänge unheilvoll wirken, aber auch die Distanzierung, die Umkehr bewirkt und die eigene Chance ermöglicht.
5.2. Das heilvolle Erbe der Vorfahren
Die Vorfahren haben jedoch den Nachkommen nicht nur ein unheilvolles Erbe hinterlassen. Wie die Schuld wirkt sich auch die Glaubenstreue der Vorfahren auf die Nachkommen aus, und zwar deutlich nachhaltiger (Ex 20,6
5.3. Die Nachkommen in der Tradition der Vorfahren
Die Nachkommen sind in die von den Vorfahren überlieferten Tradition hinein genommen. Der Glaube der Vorfahren ist auch der Glaube der Nachkommen (vgl. die vor allem in den Chronikbüchern, aber auch im Buch Deuteronomium verwendete Bezeichnung „Gott der Väter“; → Vatergottheiten
6. Nachkommen im Neuen Testament
Anders als das Alte Testament sind die Nachkommen im Neuen Testament nur begrenzt Thema. Das mag seinen Grund in der Konzentration des Neuen Testaments auf das Christusereignis und die beginnende Kirche haben, während das Alte Testament durch seine Ausrichtung auf die Geschichte Israels einen wesentlich größeren Zeitraum in den Blick nimmt.
Dass auch für das Neue Testament die Hoffnung auf Nachkommen zu den menschlichen Grundzügen gehört, zeigt sich in Mk 12,18-27
Vor allem wird im Neuen Testament an die Abstammung der Israeliten von Abraham und den damit verbundenen Verheißungen erinnert (Lk 1,55
Apk 12
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
- Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament, Stuttgart 1933-1979 (Art. σπέρμα)
- Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff (Art. זרע)
2. Weitere Literatur
- Biberger, B., 2003, Unsere Väter und wir. Unterteilung von Geschichtsdarstellungen in Generationen und das Verhältnis der Generationen im Alten Testament (BBB 145), Berlin / Wien
- Fraine, J. de, 1962, Adam und seine Nachkommen. Der Begriff der „Korporativen Persönlichkeit“ in der Heiligen Schrift, Köln
- Köckert, M., 1988, Vätergott und Väterverheißungen. Eine Auseinandersetzung mit Albrecht Alt und seinen Erben (FRLANT 142), Göttingen
- Lohfink, N., 1991, Die Väter Israels im Deuteronomium. Mit einer Stellungnahme von T. Römer (OBO 111), Freiburg (Schweiz) / Göttingen
- Müller, A. R., 1989, Die Mehrungsverheißung und ihre vielfältige Formulierung, in: M. Görg (Hg.), Die Väter Israels. Beiträge zur Theologie der Patriarchenüberlieferungen im Alten Testament (FS J. Scharbert), Stuttgart, 259-266
- Römer, T., 1990, Israels Väter. Untersuchungen zur Väterthematik im Deuteronomium und in der deuteronomistischen Tradition (OBO 99), Freiburg (Schweiz) / Göttingen
- Steymans, H. U., 1995, Deuteronomium 28 und die adê zur Thronfolgeregelung Asarhaddons. Segen und Fluch im Alten Orient und in Israel (OBO 145), Freiburg (Schweiz) / Göttingen
- Streck, M. P., 1998, Die Flüche im Sukzessionsvertrag Asarhaddons, ZAR 4, 165-191
- Westermann, C., 1976, Die Verheißungen an die Väter. Studien zur Vätergeschichte (FRLANT 116), Göttingen
Abbildungsverzeichnis
- Abraham erhält seine Verheißung unter dem Sternenhimmel (Wiener Genesishandschrift; 6. Jh.).
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