Deutsche Bibelgesellschaft

(erstellt: Februar 2020)

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Nagel 01
Der Gebrauch von Nägeln ist archäologisch in Palästina gut belegt. Sie bestanden aus Bronze oder Eisen und variierten in Länge und Dicke sowie in der Größe und Form des Kopfes. Dieser konnte flach oder gewölbt sowie rund oder quadratisch, selten auch polygonal sein oder nur aus einer kleinen Abwinkelung bestehen. Die Spitze hatte die Form eines Kegels oder einer Pyramide. Geschlagen wurden Nägel in Holz, z.B. beim Bau von Dachkonstruktionen, Türen, Geräten wie Webstühlen und → Möbeln, dort auch zur Befestigung von → Elfenbeinschnitzereien, die zuweilen entsprechende Löcher aufweisen. Auch Metallspitzen von Lanzen wurden manchmal mit Nägeln befestigt. In Stein konnte man Nägel nicht schlagen. In Wänden wurden sie deswegen allenfalls zwischen zwei Steine eingeklemmt.

1. Altes Testament

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1. Das althebräische Nomen für „Nagel“ ist מַסְמֵר masmer (zu מַשְׂמֵרָה maśmerāh s.u.). Dieses Wort ist auch in anderen semitischen Sprachen in eben dieser Bedeutung belegt, z.B. akkadisch samrūtu, aramäisch מסמר msmr, mittelhebräisch מסמר msmr (→ Qumran-Texte, Damaskusschrift XII,17) und arabisch mismār.

Im Alten Testament findet sich מַסְמֵר masmer „Nagel“ nur fünf Mal. Im Kontext der Polemik gegen die Herstellung von → Götterbildern wird die Arbeit des Schmieds beschrieben, der sein Werk mit Nägeln auf einem Sockel befestigt, damit es nicht wackelt (Jes 41,7; Jer 10,4; → Götterpolemik). Nach 1Chr 22,3 besorgte → David für den Bau des Jerusalemer Tempels neben vielen anderen Materialien auch Eisen für Nägel, die für die Türen benötigt wurden. 2Chr 3,9 notiert, dass → Salomo im Tempel beim Bau des mit Gold verkleideten Allerheiligsten Nägel aus Gold mit einem Gewicht von 50 Schekel verarbeiten ließ. Da ein Schekel ca. 12 Gramm entspricht (→ Gewichte), soll das Gold nur ca. 600 Gramm gewogen haben. Davon hätte man nicht viele Nägel machen können. Da Nägel aus Gold zudem zu weich sind, um als Nägel verwendet zu werden, denkt der Autor, wenn er hier nicht auf jeden Realitätsbezug verzichtet, vermutlich an eine Vergoldung von Eisennägeln (vgl. Rudolph, 203). Die → Königsbücher, aus denen die → Chronikbücher ihre Informationen beziehen, erwähnen die Nägel in keinem der beiden Fälle.

Pred 12,11 vergleicht die Worte der Weisen – möglicherweise ein Sprichwort zitierend – mit → Ochsenstacheln und Nägeln (מַשְׂמֵרָה maśmerāh). Mit den Nägeln dürften angesichts des Parallelismus die Nägel gemeint sein, die die Spitze von Ochsenstacheln bilden konnten (Hertzberg, 122). Entscheidend ist: Diese Spitzen schneiden ein und schmerzen, aber sie weisen auch den Weg und geben Halt. Bei dem Vergleich schwingt ein Wortspiel mit: Die Wurzeln der hebräischen Begriffe für „Wort“ und „Ochsenstachel“ ähneln sich stark: דבר dbr und דרב drb („Der Weisen Sprechen ist wie Stechen …“). מַשְׂמְרוֹת maśmerôt „Nägel“ weist mit שׂ ś statt ס s eine singuläre Schreibvariante auf, wohl um auf שׁמר šmr „beachten“ anzuspielen und damit auf das Beachten des Wortes zu verweisen (Koenen, 25-26).

Außerbiblisch ist von Nägeln z.B. in einem aramäischen Brief aus → Elephantine (411 v. Chr.) die Rede, in dem es um die Renovierung eines Schiffes geht. Hier werden in einer Liste zur Materialbeschaffung „Nägel“ (msmr) aus Bronze und Eisen erwähnt (TAD A:6 2(5),12.15.16; vgl.ARI; DNWSI, 665). In einer phönizischen Inschrift, die in Lapethos auf Zypern gefunden wurde und um 275 v. Chr. angesetzt wird, rühmt sich der Stifter, eine Tafel an einer Wand „befestigt“ (smr genagelt?) zu haben (KAI 43,13; vgl. DNWSI, 793).

2. יָתֵד jāted wird zuweilen mit „Nagel“ wiedergegeben (z.B. in der Lutherbibel: Jes 22,23.25), bezeichnet aber einen → Pflock, z.B. einen Zeltpflock (vgl. Sir 27,2, wo die Lutherbibel πάσσαλος passalos mit „Nagel“ übersetzt, jedoch ein Pflock gemeint sein dürfte).

Nagel 03

3. Auch das Wort וָו wāw wird im Deutschen vielfach mit „Nagel“ wiedergegeben (z.B. HALAT; Gesenius 18. Aufl.; Lutherbibel 1984, 2017; aber: 1545: „Knäufe“; 1912: „Haken“), während in englischsprachigen Bibeln durchweg mit „hook“ übersetzt wird. Der Begriff wird nur in der Erzählung vom Bau des Offenbarungszelt am → Sinai verwendet (→ Stiftshütte). Nach der fiktiven Darstellung der → Priesterschrift gab es in dem Zelt einen Vorhang, der das Allerheiligste abtrennte. Dieser Vorhang war befestigt an vier vergoldeten Holzpfosten (die Übersetzung „Säulen“ ist irreführend) mit Sockeln aus Silber und וָוִים wāwîm aus Gold (Ex 26,32; Ex 36,36). Ganz ähnlich hing am Eingang der Stiftshütte ein Vorhang an fünf vergoldeten Holzpfosten mit Sockeln aus Bronze und וָוִים wāwîm aus Gold (Ex 26,37; Ex 36,38). Auch der Bezirk, in dem sich die Stiftshütte befunden haben soll, war mit Vorhängen abgegrenzt, die an eben solchen, wenn auch einfacher ausgeführten Konstruktionen hingen, nämlich Pfosten mit Sockeln aus Bronze und וָוִים wāwîm aus Gold sowie Querstangen (Ex 27,10.11.17; Ex 38,10.11.12.17.19). Angesichts der Gewichtsangabe in Ex 38,28 ist vielleicht nicht an massives Gold, sondern nur an eine Vergoldung gedacht (Propp, 668f).

Bei den וָוִים wāwîm handelt es sich kaum um Nägel, da deren Funktion unklar bliebe. Mit Propp (418f) dürfte vielmehr als Pendant zum Sockel der obere Abschluss der Pfosten im Blick sein, nämlich ein Aufsatz, der in einer Gabelung oder in einem nach oben offenen Halbkreis gipfelte, ungefähr also die Form eines Y hatte und der damit geeignet war, einem aufliegenden Querbalken Halt zu geben. Für diese Deutung spricht:

Nagel 04

a) Die → Septuaginta gibt וָוִים wāwîm mit κεφαλίδες kephalides „Kapitelle“ wieder (Vulgata: capita). Diese Übersetzung entspricht zwar – wie die Bezeichnung der Pfosten als στῦλοι styloi „Säulen“ – eher einem (griechischen) Tempel als einem Zeltheiligtum, zeigt aber, dass sie das obere Ende der Pfosten im Blick hat. b) Darstellungen von Zelten zeigen, dass deren Pfosten oben eine Gabelung haben konnten, die als Halterung für einen Querbalken diente (Abb. 3). c) וָו wāw bezeichnet auch den sechsten Buchstaben des hebräischen Alphabets. Dieser weist in der → Eisenzeit II – wie z.B. die moabitische Inschrift des Königs → Mescha zeigt (Abb. 4) – oft die Y-Form der besagten Gabelung von Zeltpfosten auf (vgl. Renz, Taf. 1-37). All das spricht dafür, dass וָו wāw nicht einen Nagel bezeichnet, sondern – abgeleitet von der Form des Buchstabens (vgl. Tur-Sinai, 170-174; Hallo, 136f) – die Gabelung an Zeltpfosten, die in der Stiftshütte von einem vergoldeten Aufsatz gebildet wurde und eine Halterung darstellte.

2. Neues Testament

Im Neuen Testament ist von Nägeln nur in Joh 20,25 die Rede. Der Apostel Thomas will erst glauben, dass Jesus von den Toten auferstanden ist, wenn er an Jesu Händen die Male der Nägel (τύπος τῶν ἥλων typos tōn hēlōn „Abdruck der Nägel“) der Kreuzigung sieht und berührt.

Kol 2,14 spricht davon, dass Christus eine Schuldurkunde ans Kreuz genagelt (προσηλώσας prosēlōsas) und sie damit gegenstandslos gemacht hat. Da eine entsprechende Sitte nicht bekannt ist, soll vermutlich nur locker auf die Kreuzigung Jesu angespielt werden.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Biblisch-historisches Handwörterbuch, Göttingen 1962-1979
  • The Interpreter’s Dictionary of the Bible, Nashville / New York 1962 (Supp. 1976)
  • Biblisches Reallexikon, 2. Aufl., Tübingen 1977
  • Calwer Bibellexikon, 2. Aufl., Stuttgart 2006

2. Weitere Literatur

  • Baumgärtel, F., Die Ochsenstachel und die Nägel in Koh 12,11, ZAW 81 (1969), 98
  • Hallo, W.W., Isaiah 28:9-13 and the Ugaritic Abecedaries, JBL 77 (1958), 324-338
  • Hertzberg, H.W., Palästinische Bezüge im Buche Kohelet, ZDPV 73 (1957), 115-124
  • Johnstone, W., Biblical Hebrew Wâwîm in the Light of Phoenician Evidence, PEQ 109 (1977), 95-102
  • Koenen, K., Zu den Epilogen des Buches Qohelet, BN 72 (1994), 24-27
  • Krüger, Th., Kohelet (Prediger) (BK.AT XIX, Sonderband), Neukirchen-Vluyn 2000
  • Macalister, R.A.S., The Excavation of Gezer 1902-1905 and 1907-1909, Bd. 2, London 1912
  • Propp, W.H.C., Exodus 19-40 (The Anchor Bible), New York u.a. 2006
  • Renz, J., Handbuch der althebräischen Epigraphik, Bd. III, Darmstadt 1995
  • Rudolph, W., Chronikbücher (HAT I,21), Tübingen 1955
  • Schwienhorst-Schönberger, L., Kohelet (HThK.AT), Freiburg 2004
  • Tur-Sinai, H., The Origin of the Alphabet (Continued), JQR 41 (1950), 159-179

Abbildungsverzeichnis

  • Bronzenägel aus Geser (Eisenzeit I bis hellenistische Zeit). Aus: R.A.S. Macalister, The Excavation of Gezer 1902-1905 and 1907-1909, Bd. 3, London 1912, Pl. CXCIV, 14-22 (vgl. Bd. 2, 245-247)
  • Eisennägel aus Geser (Eisenzeit II bis hellenistische Zeit). Aus: R.A.S. Macalister, The Excavation of Gezer 1902-1905 and 1907-1909, Bd. 3, London 1912, Pl. CXCIV, 23-36 (vgl. Bd. 2, 245-247)
  • Zelte mit Pfosten, die oben eine Gabelung aufweisen (Relief; Nordpalast in Ninive, Raum L; Zeit Assurbanipals, 668-626 v. Chr.). Mit Dank an © The Trustees of the British Museum; BM 124927 lizenziert unter Creative Commons-Lizenz, Attribution-Share Alike 4.0 International; Zugriff 10.2.2020; unten: © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
  • Der Buchstabe Waw in Zeile 15 und 16 der Mescha-Inschrift. Aus: Wikimedia Commons; © Mbzt 2012, Wikimedia Commons, lizenziert unter Creative Commons-Lizenz, Attribution-Share Alike 3.0 unported; Zugriff 26.2.2020

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