Natur (AT)
(erstellt: Dezember 2016)
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1. Begrifflichkeiten
Das Alte Testament kennt keinen eigenen Begriff für „Natur“. Stattdessen spricht es beispielsweise vom Werk / den Werken Gottes (Ps 19,2
2. Ansätze eines naturwissenschaftlichen Denkens im Alten Testament
Ansätze einer naturwissenschaftlichen Betrachtung der Welt finden sich zuhauf in der altorientalischen Listenwissenschaft, die zusammengehörige Naturerscheinungen systematisch zu erfassen sucht (vgl. Alt 1953). Im Alten Testament gibt es Spuren von Naturweisheit (vgl. dazu Kottsieper 1996), z.B. in 1Kön 5,13
Die Schöpfungserzählungen, insbesondere Gen 1, ordnen die Tiere den ihnen entsprechenden Lebensräumen (Erde, Luft, Wasser) zu, was bereits ein gewisses systematisierendes Interesse voraussetzt. Zugleich zeigt sich ein Wissen um verschiedene Arten von → Tieren
3. Gott und Natur
Das Alte Testament kennt keine Vergöttlichung der Natur oder von Naturelementen (vgl. Weish 13,1ff
Die Natur wird darüber hinaus in vielfältiger Weise zum Wirkungsraum Gottes. In ihr finden sich Manifestationen von Gottes Macht (Ex 14f
Die Natur, Tiere, Pflanzen und auch die übrigen Naturerscheinungen haben eine eigene Gottesbeziehung (vgl. Riede 2002). Sie zeigt sich im bittenden Anrufen Gottes (Ps 147,9
4. Mensch und Natur
Der Mensch hat eine besondere Verantwortung für die Natur, die sich z.B. im sog. Herrschaftsauftrag zeigt (Gen 1,26-28
Menschliche Handlungen wirken sich in der Natur aus. Wo Sünde und Ungerechtigkeit das Land „kontaminieren“, wird die Natur geschädigt. Das Land „trauert“ infolge dessen und seine Bewohner siechen dahin (Hos 4,1-3
Mensch und Natur können aber auch das gleiche Geschick haben, wie z.B. Pred 3,19
Dass Mensch und Natur einen friedlich-harmonisch Zustand erreichen können, in dem die natürlichen Antagonismen zwischen Raubtieren und dem Menschen und seinen Haustieren überwunden sein werden, ist Thema von Traditionen, die den Tierfrieden entfalten, der in eschatologischer Perspektive umfassendes Heil für alle Lebewesen ermöglicht (vgl. Jes 11,6ff
Die Natur und Naturerscheinungen können dem Menschen zu Vorbildern werden, so die → Ameise
5. Der Schutz der Natur
Gesetzliche Bestimmungen schützen Tiere, Pflanzen und den Boden (vgl. Riede 2002, 224-226; Riede 2009, 12f; Riede 2016). Haus- und Arbeitstiere haben Teil an der sabbatlichen Ruhe (Ex 20,10
6. Gefährdungen der Natur und durch die Natur
Die Natur ist je und je gefährdet. Trockenheit, Kriege, Erdbeben und andere Naturkatastrophen und die damit verbundenen Folgen wie z.B. Mangel an Nahrungsmitteln und Wasser bedrohten die Lebewesen und die Natur und nahmen ihnen den Raum und die Möglichkeiten zum Leben. Hier wird deutlich, dass Mensch und Natur in einer Schicksalsgemeinschaft verbunden sind (vgl. Gen 6ff; Jer 14,5f
Die Natur enthält zudem Kräfte, die die Ordnung der Welt gefährden, wie die Chaoswasser, die die ihnen gesetzten Grenzen zu überschreiten versuchen (Ps 77; Ps 93,3f
7. Naturmetaphorik
Die Natur und Naturerscheinungen werden immer wieder zu Metaphern für Heil und Leben, Gericht und Untergang, Werden und Vergehen von Menschen, Nationen und Regionen oder werden zur Schilderung der Größe und Macht Gottes herangezogen (vgl. Riede 2002, 54ff.240ff.247ff; Riede 2009, 39ff). Wasser und Gewässer, die Tier- und Pflanzenwelt, die Gestirne (Ps 147,4
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
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- Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel, Gütersloh 2009
2. Weitere Literatur
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