Nomadentum
(erstellt: Januar 2020)
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1. Vorbemerkungen
Der Begriff Nomadentum ist abgeleitet vom Griechischen. Er bezeichnet die Lebensart von Menschen ohne festen Wohnsitz. Aristoteles (Polit. 1256a) setzt die Lebensweise von Hirtennomaden (bios nomadikós) der bäuerlichen (geôrgikos) entgegen, bewertet sie negativ und verbindet sie mit ethnozentrischen Konzepten. Einen analogen Begriff gibt es in semitischen Sprachen nicht. Er transportiert daher bis heute problematische, abendländisch-ideologische Verzerrungen (Briant 1982, 9-56; Auberger / Goupil 2010). So kann das Studium des Nomadentums durch verschiedene Vorurteile behindert werden:
Sedentarismus: So wie Frauen unter sexistischen, Schwarze unter rassistischen und Juden unter antisemitischen Vorurteilen zu leiden haben, sehen sich Nomaden bis heute (z.B. Sinti, Roma, Jenische) häufig einem sedentaristischen Vorurteil ausgesetzt, das sie als Vaganten herabsetzt.
Architekturismus: Die historische Rekonstruktion kann durch eine (biblische) Archäologie verzerrt werden, die architektonische Hinterlassenschaften überbetont und dadurch Nomaden tendenziell ausblendet (Ben-Yosef 2019).
Orientalismus: Die vergleichsweise junge Gesellschaftsform des Beduinentums (vgl. 3.5.) ist eine spezielle Ausprägung des Nomadentums, die viele Reisende fasziniert (hat). Eine romantisierende Perzeption des Nomadentums neigt zur anachronistischen Rückprojektion des Beduinentums in die Antike und verkennt so die Vielfalt und Entwicklung nomadischer Lebensweisen (Rosen /
2. Definitionen und Lebensformen
Nomadentum ist nicht zu verwechseln mit dem Jäger- und Sammlertum vor der neolithischen Revolution. Es setzt die Sesshaftwerdung und damit die Domestikation von Pflanzen und Tieren und auch die Sekundärprodukterevolution voraus. Das Nomadentum ist eine relativ späte spezialisierte Lebensform auf der Basis einer primär bäuerlichen, arbeitsteiligen Gesellschaft. Mit Hilfe beweglicher Behausungen und Brunnenbauten wurden durch das Hirtennomadentum neue ökologische Nischen für die Viehzucht erschlossen (2.1.). Mit Hilfe neuer Reittechnologien wurden neue Wege für den Binnenhandel (2.2.) und mit Hilfe von Verhüttungstechnologie Erzminen erschlossen (2.3.). Wegen der aus dem Erz gemachten Waffen und ihrer Waffentechnik waren Nomaden als Söldner gefragt (2.4.), aufgrund ihrer Landeskenntnisse als Reiseführer (2.5.), aufgrund ihres Kontaktes mit unterschiedlichen Kulturen und Gesellschaften als Unterhalter (2.6.). Aufgrund ihres Lebensraumes waren sie oft auch Jäger (2.7.). Schon diese Vielfalt zeigt: Nomaden lebten nie autark. Ökonomisch sind sie instabil. Sie existierten und existieren immer in Beziehung mit sesshaften Gesellschaften (Khazanov 1983). Nomaden als solche gibt es nicht. Abhängig von den ökologischen Nischen und den menschlichen Gesellschaften, in denen sie leben, haben sie ein je anderes Gepräge (Marfoe 1979; Staubli 1991).
2.1. Nomaden als Hirten und Käser
Meistens sind mit „Nomaden“ Hirtennomaden (pastoral nomads) gemeint, d.h. tribal organisierte, extensiv viehzüchtende Menschen ohne festen Wohnsitz des größten Teils der Familie (Khazanov 2009). Hirtennomadentum setzt je nach Typus die Domestizierung verschiedener Tiere voraus. Dazu gehören: 1. Die Hausziege (Capra hircus; → Ziege
Hirtennomaden waren im Vorderen Orient Teil einer dimorphen (oder polymorphen) Gesellschaft (Rowton 1974; 1976a und b; Staubli 1991). Das heißt, sie lebten in Steppenrandgebieten (mehrheitlich zwischen der 100mm- und der 400mm-Isohyete) mit stark schwankendem Klima im labilen Gleichgewicht mit Ackerbauern (und Städtern).
2.2. Nomaden als Säumer und Händler
Nomadisierende Viehzüchter an wichtigen Verkehrsadern partizipierten aufgrund ihrer Fähigkeit zur Aufzucht von Transporttieren, dank ihrer Ortskenntnisse und dank der teils weiträumigen verwandtschaftlichen Vernetzung am Handel mit → Karawanen
2.3. Nomaden als Erzverhütter und Schmiede
2.4. Nomaden als Söldner
2.5. Nomaden als Reiseführer
2.6. Nomaden als Unterhalter
Semitische Nomaden, die u.a. von der Musik lebten, sind ikonographisch für das frühe 2. Jt. v. Chr. bezeugt (Abb. 2). Die Zusammenhänge von Nomadentum und Unterhaltung werden in einer biblischen Genealogie ausdrücklich reflektiert (Gen 4,20-22
2.7. Nomaden als Jäger
Semitische Nomaden, die u.a. von der Jagd lebten, sind ikonographisch für das frühe 2. Jt. v. Chr. bezeugt (Abb. 2). Im Übergang von der Spätbronzezeit zur Frühen Eisenzeit (ca. 12.-11. Jh. v. Chr.) finden sich in der Felskunst der Südlevante und Nordwestarabiens Jagdszenen. Zu den Beutetieren gehörten → Steinböcke
3. Geschichte des Nomadentums im Vorderen Orient
Nomadische Gesellschaften unterliegen geschichtlicher Veränderung ebenso wie bäuerliche und städtische. Die bewegliche Lebensweise, die Behausungen aus organischen Materialien und die weitgehend orale Kultur stellen die Geschichtsschreibung aber vor große Herausforderungen. Die Ursprünge werden erst allmählich erforscht (3.1.), denn die Archäologie des Nomadentums (3.2.) gestaltet sich schwierig. Bei den schriftlichen und bildlichen Daten ist zu Unterscheiden zwischen nomadischen Selbstzeugnissen und Fremdzeugnissen von Sesshaften (3.3.; 3.4.).
3.1. Voraussetzungen und Ursprünge des Nomadentums
Anfänge des Hirtennomadentums lassen sich in Nordmesopotamien schon im 5. Jt. v. Chr. nachweisen (Zarins 1990). Mehrheitlich setzt es aber mit der sogenannten Sekundärprodukterevolution im 4. Jt. v. Chr. ein. Die sekundären Produkte der Tiere zu Lebzeiten (Milch, Blut, Dünger, Haare, Transport, Arbeit) wurden wichtiger als ihre primären Produkte (Fleisch, Fell, Knochen) nach dem Tod. Diese Entwicklung ging Hand in Hand mit einer komplexen gegenseitigen Anpassung von Tier und Mensch. Dabei war das Hirtennomadentum oft gepaart mit anderen Ressourcenbeschaffungen wie dem Jagen, Sammeln, Fischen und Ackerbau. Mit der nomadisierenden Lebensweise reagierten die Menschen zudem auf die physisch, politisch und sozial sich verändernde Landschaft (Honeychurch / Makaresicz 2016).
Beispiel Zagros: Pollenanalysen vom Zeribar-See zeigen, dass die postglazialen Eichenwälder aufgrund menschlicher Eingriffe zunächst lichten Pistazien- und Eschenwäldern wichen, bevor im Chalkolithikum ideales Grasland Überhand nahm, das im weiteren Verlauf Anzeichen von Überweidung aufweist. Im ausgehenden Chalkolithikum treten erstmals isolierte Friedhöfe außerhalb von Siedlungen auf, die vielleicht auf eine nomadisierende Bevölkerung hindeuten, die unter schlechter werdenden Bedingungen dem Gras nachgehen musste. Nomadismus erweist sich als Anpassungsstrategie (Abdi 2003).
Im Großen und Ganzen scheint es, dass bis zum Ende der Frühbronzezeit das Hirtentum eng mit der Ackerbauwirtschaft verwoben ist (Khazanov 2009; Arbuckle / Hammer 2019). Erst mit der Entstehung befestigter Stadtstaaten tritt das Nomadentum nebst Bauerntum und Städtertum vermehrt als eigenständige, niemals jedoch als autarke und isolierte Wirtschaftsweise auf. Der großen Diversität ökologischer Nischen am Rand des fruchtbaren Halbmondes entsprechend bleibt das Nomadentum ein vielgestaltiges gesellschaftliches Phänomen über Jahrhunderte hinweg.
3.2. Das Problem einer Archäologie des Nomadentums
Untersuchungen im → Negev
Hinweise auf Nomaden können geben:
a) Vegetation: Aus den Vegetationstypen der Steppen kann auf ihre langjährige Beweidung oder Überweidung durch Nomaden zurückgeschlossen und die Landschaftsgeschichte rekonstruiert werden. Erst in Ansätzen durchgeführt sind archäobotanische Analysen des Dungs von Schafen und Ziegen (Riehl 2006).
b) Zooarchäologie: Knochenreste geben Aufschluss über Art und Nutzung der Tiere. Sie belegen die sehr lokale und umfassende Nutzung von klimatisch gut angepasstem Kleinvieh (Hesse 1995; Sasson 2010).
c) Nomadenlager: Ähnlich wie die Lager von Jägern und Sammlern können unter günstigen Bedingungen auch die Lager von Nomaden nachgewiesen werden. Für den Negev wurde für das 4. und frühe 3. Jt. v. Chr. die sog. Timnische Nomadenkultur nachgewiesen, während im 2. Jt. ein Nomadentum in der Region zu fehlen scheint und erst im Verlauf des 1. Jt.s v. Chr. wieder archäologisch greifbar wird (Rosen 2002; 2003; 2008; 2010; 2017).
d) Kultstätten: Im Negev und im Sinai konnten für das 6. bis 3. Jt. v. Chr. Gräber und Heiligtümer nachgewiesen werden, bei denen Tiere, meistens Ziegen oder Steinböcke, geschlachtet und → Mazzeben
e) Sedentarisierungsprozesse: Ein Rückverweis auf nomadische Bevölkerung sind primitive Siedlungsformen von Viehzüchtern, die sesshaft werden. Dabei orientieren sich diese einerseits an → Hausformen
f) Friedhöfe: Isolierte Friedhöfe am Rand des fruchtbaren Halbmondes werden oftmals mit Nomaden in Beziehung gesetzt (vgl. Eakins 1993). Eindeutige Nachweise bleiben oft schwierig. Beim Fundort BHS18 im Emirat Schardschah konnte allerdings dank eines Friedhofs bereits für das 5. Jt. v. Chr. eine nomadisierende, Kleinvieh züchtende Bevölkerung nachgewiesen werden, die kaum Kontakte mit sesshaften Ackerbauern pflegte (Uerpmann u.a. 2006).
g) Schlacke: Die nomadisierende Bevölkerung → Edoms
h) Mauern: Der Versuch zentralistisch organisierter Staaten, Nomaden zu kontrollieren, provozierte deren Widerstand (Metzler 1988). Diverse Großmauern zeugen von konfliktbeladenen Beziehungen zwischen Stadtstaaten mit Ackerbau und viehzüchtenden Nomadenclans. Das gilt für die ca. 280km lange sog. „Amurriter-Mauer“ der sumerischen Könige Schulgi und Schu-Suen am Ende des 3. Jt.s v. Chr. gegen Nomaden im Diyala-Gebiet östlich des Tigris (Sallaberger 2009). Es gilt vermutlich auch für die ebenso alte 220km lange „Syrische Mauer“, die sich östlich der Stadtstaaten Ebla, Hama und Qatna bis in die nördlichen Ausläufer des Antilibanongebirges erstreckte (Geyer 2009). Der ca. 150km lange Khatt Shebib in Jordanien aus persischer Zeit war als Steinmauer von ca. 1m Breite und 50cm Höhe kein unüberwindbares Hindernis, aber wohl eine Demarkationslinie für Viehzüchter und Ackerbauern (Al-Khasawneh u.a. 2019).
3.3. Selbstzeugnisse
Nomadische Verwaltung, Rechtsprechung und Erinnerungskultur ist mündlicher Art. Daher gibt es keine Archive auszuwerten wie im Falle antiker Stadtstaaten. Felsige Steppen boten aber Flächen, auf denen Nomaden Botschaften in Bild- und – falls sie alphabetisiert waren – auch in Textform hinterlassen konnten.
3.3.1. Felskunst
3.3.2. Inschriften
Safaitische Inschriften illustrieren viele Aspekte des nomadischen Lebens. Es gibt Namensinschriften mit bis zu zehn Filiationen. Viele dieser Kurztexte drücken eine Klage aus. Beispiel (SSWS 6): „Von Qnf, Sohn des Db, Sohn des Qmr, Sohn des Ḥy: Er verbrachte die Jahreszeit des Spätregens in diesem Tal mit Weinen wegen Liebeskummer.“ Andere Sehnsucht. Beispiel (C 2832): „Von Ẓnn, Sohn des Wdm, Sohn des ‘ḏ, Sohn des ‘ḏ, Sohn des Ġṯ: Er verkaufte das weibliche Kamel seines Bruders ‘ḏ für hundert und er sehnt sich nach seinem Vater und seinen zwei Brüdern.“ Andere Dankbarkeit. Beispiel (LP 157): „Von Hrt, Sohn des ’s, Sohn des Ṣmk: Er entkam den Römern und hütete die Ziegen der Ḍf-Sippe.“ Andere bestehen aus einer einfachen Bitte um Segen und Schutz. Beispiel (AAEK 85): „Von ’nhb, Sohn des R’s, Sohn des Tmlh, Sohn des Rhš, Sohn des Bnt aus der Familie Bdg: Allat möge ihm Sicherheit gewähren.“ Wieder andere drücken Stolz über erfolgreiche Geschäfte aus. Beispiel (JaS 11): „Von F‘m, Sohn des Ḫṣr, Sohn des Srdt, Sohn des Ġṭfn, Sohn des Ḥsd: Er handelte mit Wolle und nahm in Besitz.“ Oder die Freude über Nachwuchs in der Herde. Oft sind es Hinweise für andere Nomaden in Bezug auf den Weidegang oder einfach Erinnerungen daran. Beispiel (C2556): „Von Ḫlṣ, Sohn des Sḫr, Sohn des ‘bd, Sohn des ’dm, Sohn des Msk, Sohn des Ġlmt, Sohn des Š‘b: Er lagerte hier und dann führte er die [Kamele] in dieses Tal zur Weide und bewachte die Kamele. Mögen Allat und Gd‘wśḏ Sicherheit gewähren.“ Manchmal werden Bezüge zu größeren Zusammenhängen hergestellt. Beispiel (LP 326): „
3.4. Fremdzeugnisse: Westsemitische Nomaden des 2. und 1. Jt.s v. Chr. in den Archiven von Großmächten
Weitaus mehr Informationen über Nomaden stammen aus den Archiven von Stadtstaaten, die mit Nomaden zu tun hatten. Die Beziehungen zu Nomaden waren im Normalfall symbiotischer Natur, da Ziegen, Schafe, Rinder sowie deren Sekundärprodukte wichtige ökonomische Grundlagen aller Stadtstaaten im alten Vorderen Orient waren. Zu Konflikten kam es insbesondere dann, wenn ein Stadtstaat seine Kontrolle über Gebiete mit nomadisierenden Stämmen ausdehnen wollte, ohne diese in sein Herrschaftsgefüge einzubinden.
Eine kontinuierliche Geschichte des altorientalischen Nomadentums lässt sich freilich aufgrund dieser Quellen nicht schreiben. Vielmehr eröffnen sie für bestimmte Epochen ein Fenster auf einzelne Regionen.
3.4.1. Nomaden am Mittleren Euphrat und in der Chabur-Region (18.-16. Jh. v. Chr.)
Textquellen (besonders aus → Mari
In den Augen der Sesshaften gilt die nomadische Lebensweise als barbarisch, wie ein Auszug aus der „Heirat des Martu“, einem sumerischen Text vom Beginn des 3. Jt.s v. Chr., zeigt (übersetzt nach Charpin 2015, 31-32):
„Nun, ihre Hände sind zerstörerisch, ihre Gesichtszüge sind die von [Affen], / sie essen das Tabu des Gottes Nanna, sie haben keine Ehrfurcht, / mit ihrem ständigen Ortswechsel […] / [sind sie] den Göttertempeln ein Gräuel, / ihr Verstand ist verwirrt, sie sprechen wirr, ein Volk, bekleidet mit einem Ledersack, das […] Das unter einem Zelt lebt, Wind und Regen [ausgesetzt], das kein Gebet [verrichtet], das in den Bergen wohnt, das die Orte [der Götter nicht kennt], ein Volk, das am Bergfuß Trüffel ausgräbt, aber nicht die Knie zu beugen weiß, das rohes Fleisch isst, das zu Lebzeiten kein Haus hat und im Tod kein Grab.“
Dennoch findet am Ende eine Heirat zwischen der Städterin und dem im Gott Martu typisierten Nomaden statt. Die beiden Lebensweisen waren eben über Jahrtausende hinweg komplementär. Das geht besonders aus dem Archiv von Mari deutlich und facettenreich hervor. Die Anweisung eines Aufsehers an Delegierte, die an eine Friedensverhandlung geschickt werden, illustriert es (FM 6 9, Charpin 2015, 45):
„Folgendes habe ich zu ihnen gesprochen: ‘Seit immer und ewig sind die Hanäer (= Nomaden) deine Hirten und du, du bist ihr Ackerbauer. Warum hältst du jetzt das Getreide der Hanäer zurück?’ Das habe ich ihnen unter anderem gesagt. Mit Worten habe ich ihr Gemüt beruhigt und jetzt hat man zum Zeichen der guten Beziehungen den Nomaden 21 Liter Olivenöl und […] Eselsladungen Getreide für jeden deponiert.“
Den Nomaden hingegen galt die eigene Lebensweise als ehrenvoll und begehrenswert, wie ein Brief eines Nomadenhäuptlings aus dem Mari-Archiv bekundet (A. 1146, übersetzt aus Charpin 2015, 42-43):
„Vor meinem Aufbruch habe ich so gesprochen: ‘Du musst mit mir kommen! Zimri-Lim hat beschlossen, sich auf den Weg zu machen.’ Du aber ziehst es vor, zu essen, zu trinken und zu schlafen und nicht mit mir zu kommen. Müßig liegenzubleiben lässt dich nicht erröten. Ich schwöre dir, ich bin keinen Tag ruhig zu Hause geblieben! Wenn ich nicht nach draußen an die frische Luft gehe, habe ich das Gefühl zu ersticken. […] Sag bloß, warum sollte ich dich verleumden? Vielleicht schlug Dir noch nie heißer oder kalter Wind ins Gesicht! Du bist deines Volkes unwürdig! Genau dort, wo Vater und Mutter deine Gesichtszüge studierten, nachdem du aus dem Schoß deiner Mutter gepurzelt bist, suchst Du nur den weiblichen Schoß auf. Du hast keine Ahnung vom Leben! Schau hingegen mich an: Bis jetzt bin ich nicht untergegangen, sondern dem Tod entronnen. Mitten in der Stadt Ahuna bin ich zehnmal einem Krawall entkommen. Warum sollte ich mich also nicht für einen Dumuzi halten? In jedem Kalenderjahr tötet man ihn […] er aber kommt zum Ahnentempel zurück. Ich selber gehe immer so vor: Ich lege keine Getreidereserven an, aber […].“
3.4.2. Nomaden im Sinai und Nordwestarabien unter ägyptischer Hegemonie (14.-11. Jh. v. Chr.)
In den ägyptischen Dokumenten des 14.-12. Jh.s v. Chr. sind Nomaden der Südlevante und Nordwestarabiens unter dem Namen → Schasu
Die kanaanäischen Stadtfürsten erwähnen die Sutäer (Schasu) in ihrer Korrespondenz mit dem Pharao in einem Atemzug mit → Hapiru
3.4.3. Nomaden der Levante unter neuassyrischer und neubabylonischer Hegemonie (8.-6. Jh. v. Chr.)
Die Assyrer bezeichneten die am Rande und zwischen den levantinischen Stadtstaaten lebenden Steppenbewohner global als Aribi (auch Arabi, Aribu, Arubu; → Araber
Großmächte, die über den ländlichen Raum herrschen wollten, waren auf das Knowhow der Araber angewiesen. So verfügte → Hiskija
3.4.4. Nomaden der Levante in griechisch-römischer Zeit (3. Jh. v. Chr.- 4. Jh. n. Chr.)
Die Römer erkannten den dimorphen Charakter der jüdischen Gesellschaft, die einerseits auf dem mediterranen Ackerbau basierte, mit Getreide und Wein als wichtigsten Produkten (vgl. die judäische Münzprägung), und andererseits an der nomadisch geprägten Handelskultur Arabiens partizipierte. Auf den Münzen, die den römischen Sieg über Juda feiern, stellten sie Juda als Bacchanten dar, also als Bevölkerung mit mediterranen, dionysischen Sitten (Abb. 10a-b). Das unterschied sie von den eng verwandten, nomadischen Nabatäern.
Gegen nomadisierende Stämme in Arabien, die sich nicht ins Römische Reich einbinden ließen, wurde von Karawanenstädten wie → Palmyra
3.5. Beduinentum
Die Verbreitung der Kamelzucht und einer damit einhergehenden differenzierten Satteltechnologie (→ Reiten
4. Nomadentum in der Bibel
Die biblischen Texte, von Schreibkundigen niedergeschrieben, entstanden in städtischen Kontexten der Südlevante, Mesopotamiens und Nordägyptens und somit in Gegenden, wo sowohl das Hirtennomadentum als auch das in den Langstreckenhandel involvierte Kamelnomadentum präsent war. Das gelobte Land wird als ein Hirtenland charakterisiert, ein „Land, in dem Milch und Honig fließen.“
Das vielschichtige Verhältnis zwischen Sesshaften und Nomaden, zwischen räumlicher Nähe und sozialer Distanz, zwischen ökonomischer Verwobenheit und politischem Machtspiel verschiedener Player in diesem Land schlägt sich in den Texten facettenreich nieder. Dabei kommen verschiedene „nomadisierende“ Gruppen in den Blick: Lokale (agro-pastorale) Hirtennomaden (enclosed / internal nomadism), pastoral-nomadische bzw. protobeduinische Kamelnomaden (→ Araber
4.1. Implizite „Soziologie“ des Nomadentums
4.2. Explizite „Soziologie“ des Nomadentums
Im Modus der → Genealogie
4.3. Nomadisches in Brauchtum und Kult
Im Festbrauchtum und Kult Israels haben sich Elemente erhalten, die auf einen ursprünglichen Sitz im Leben von Nomaden zurückverweisen:
4.3.1. Das Passa war ursprünglich wohl ein Blutritus nomadisierender Hirten zur Abwehr von → Dämonen
4.3.2. Im sog. → „kleinen geschichtlichen Credo
4.3.3. Das ursprünglich efraimitische Stammesheiligtum, die sog. → Lade
4.3.4. Ps 132 feiert den Einzug der Lade im Tempel und damit die Sedentarisierung des Kultes mit dem Ruf „Mache dich auf, JHWH, zu deiner Ruhestatt, du und deine machtvolle Lade“. Die im Psalm evozierte Liturgie hat eine analoge Entsprechung im Reliefschmuck des Beltempels von Palmyra (Abb. 13; Staubli 1991, 249-250).
4.3.5. Im Kontext der Kupferabbaustätten von → Timna
4.3.6. Der archaisierende Gebrauch von „Zelt“ für „Haus“ verweist zurück auf nomadische Wurzeln (→ Zelt
4.3.7. Das → Sukkot
4.4. Nomadisches in der Literatur
Die biblische Literatur, die sich an ein sesshaftes, mehrheitlich städtisches Publikum richtet, evoziert verschiedentlich nomadische Milieus. Das war nur in einem Kontext plausibel, wo solche Milieus aus der Umgebung bekannt waren:
4.4.1. Die → Ahnen
4.4.2. Der Hebräer → Mose
4.4.3. Die komplexe und artifizielle Komposition der → Wüstenwanderung
4.4.4. In den Richter- und Davidgeschichten werden externe Kamelnomaden als Feinde dargestellt, die „zahlreich wie Heuschrecken“ (Ri 6,5
4.4.3. Während Nomaden in den → Königsbüchern
4.5. Idealisierungen des Nomadentums?
Dass Israel nomadische Ahnen hat, deutet nicht automatisch auf eine Idealisierung des Nomadentums. Viele selbstverständliche Verhaltensweisen der nomadischen Erzeltern werden durch die → Tora
Auch impliziert das Lob → Jeremias
→ Deuterojesaja
Idealisierungen unterschiedlicher Art finden sich hingegen außerhalb der Bibel:
Das strenge Ethos der nomadischen Rechabiter hat die fromme christliche Phantasie beflügelt. In der apokryphen Schrift „Geschichte der Rekabiter“ (9. Jh. n. Chr. ?; auch bekannt als „Zosimus-Apokalypse“) findet sich eine Art Midrasch zu Jer 35. Der Einsiedler Zosimus wird auf seinen innigen Wunsch hin auf die Insel der Gesegneten entrückt. Es sind die Rechabiter, die dort nackt und enthaltsam auf glückselige Weise von Baumfrüchten und köstlichem Wasser und an Festtagen von → Manna
Der arabische Historiker Ibn Chaldun (1332-1406) hob die starke Stammessolidarität (arab. ‘asabīja) der Beduinen hervor, die jener der Städter überlegen sei. Daher werde die zur Dekadenz neigende städtische Kultur von Zeit zu Zeit durch Beduinen zerstört und ein neuer Zyklus begründet.
Die Bibelwissenschaft des 19. Jh.s, besonders einflussreich Ernest Renan, romantisierte die Wüste, die nomadischen Erzeltern und den in der Wüste erscheinenden urmonotheistischen Gott JHWH und schuf so das utopische Bild einer nomadischen, reinen Urzeit.
4.6. Nomadische Völker im Horizont Israels
Im Horizont Israels lebte eine Vielzahl von nomadischen Völkern, Stämmen, Stammesverbänden oder Sippen. Sie werden teils als Freunde, Verwandte oder Vorbilder, teils als Gegner und Feinde dargestellt.
4.6.1. Nomadische Freunde
Im Nordostnegev (vgl. Ri 1,16
Nach 1Chr 2,55
Auch die Jerachmeeliter mit ihrer Stadt → Aroer
4.6.2. Nomadische Feinde
Nomaden der gleichen Gegend, die Israel feindlich erlebte, fungieren unter dem Namen → Amalekiter
Israel soll sich mit Amalek nicht versöhnen (Dtn 25,17-19
4.6.3. Die weiter entfernt wohnenden nomadischen „Verwandten“
Nebst den befreundeten oder verfeindeten unmittelbaren nomadischen Nachbarn gab es die östlich des Jordan wohnhaften „Söhne des Ostens“, aufgrund ihres Lebensraumes auch als → Araber
Nach den assyrisch-babylonischen Kämpfen gegen die Araber repräsentiert Ismael die westlichen Nomaden. Als Alliierter der Perser, denen er den Weg nach Ägypten öffnet (Herodot, Historien III,88), und damit auch als Verbündeter der Provinz Jehud wird er in den jüngeren Schichten des Pentateuchs prominent integriert (Gen 16
Der Völkerspruch (Gen 16,12
Die biblische Listenwissenschaft hat ein System von zwölf Stämmen Ismaels geschaffen (Gen 17,20
4.6.4. Edom: Nomadenstaat und Brudervolk
Die bedeutenden Kupferverhüttungsstätten von Fēnān, Chirbet en-Nahas und → Timna
Die Genesis hat eine Erinnerung daran bewahrt, dass → Edom
Edom, genealogisch personalisiert in → Esau
Literaturverzeichnis
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Abbildungsverzeichnis
- Hirt mit Kleinviehherde, bestehend aus Fettschwanzschafen und Ziegen (Wandrelief; Gips; Nimrud (Kalhu), Zentralpalast; Tiglatpileser III. 733-732 v. Chr.). Mit Dank an © The Trustees of the British Museum; BM 118881 lizenziert unter Creative Commons
-Lizenz, Attribution-Share Alike 4.0 International ; Zugriff 10.2.2020 - Nomadisierende, semitische Gruppe von Jägern mit Speer und Bumerang, Bergleuten mit gefalteten Blasebälgen auf den Eseln und Musikantinnen mit Leierspieler (Fresko; Beni Hasan: Grab Chnumhotep II [Nr. 3], Ausschnitt aus der Nordwand; 12. Dyn., um 1900 v. Chr.). Aus: P.E. Newberry, Beni Hasan I, London 1893, PI. XXXI
- Söldner im ägyptischen Heer beim Appell. Hinten zwei Schasu mit Krummschwertern und Speeren, erkenntlich an Schurzen mit Quasten, Spitzbart und langem, zusammengebundenem oder herabfallendem Haar, das durch ein Band zusammengehalten wird (Relief; Theben, Medinet Habu, Erster Hof, östliches Ende der Südwand; 20. Dyn., Ramses III., 1184-1153 v. Chr.). Aus: H.H. Nelson, Medinet Habu, Vol. 2: Later Historical Records of Ramses III (Oriental Institute Publications 9), Chcago 1932, PI. 62
- Die Ägypter haben auf Stelen des Hathorheiligtums bei den Türkisminen im Sinai lokale Reiseführer verewigt. Nach den Beischriften heißt der Scheich auf dem Esel Schakirum und der Treiber Rapium (Zeichnung nach einer Sandsteinstele mit Farbresten [Ausschnitt]; Serābīṭ el-Chādim; 12. Dyn., Amenemhet III, 1844-1794 v. Chr.). Kollorierte Zeichnung von Barbara Connell nach der Vorlage bei Allan H. Gardiner / T. Eric Peet, The Insciriptions of Sinai. Part II: Translations and Commentary (ed. J. Černy), London 1955, Fig. 17 (© Stiftung BIBEL+ORIENT, Freiburg / Schweiz
) - Safaitische Felszeichnung: Jungkamel auf Muttertier. Beischrift: „Für Ngh, Sohn des Ḥzqn: Das junge weibliche Kamel.“ (Felszeichnung; Rif Dimashq, zwischen Ǧebel Sajs und Wādī Ġara). Aus: Online Corpus of the Inscriptions of Ancient North Arabia, C 187
- Der Pharao im Kampf gegen Schasu-Nomaden, die sich auf einen Fliehfelsen zurückziehen und zum Zeichen der Ergebenheit den Bogen zerbrechen (ganz oben, mittlere Figur). Verzweifelte Zivilbevölkerung (links unten): Greis, Frau, Kind (Relief; Karnak, Außenseite der Nordostecke des großen Säulensaales des Amuntempels; 19. Dyn., Sethos I., 1293-1279 v. Chr.). Aus: The Epigraphic Survey (Hg.), The Battle Reliefs of King Sety I, Reliefs and Inscriptions at Karnak IV (The University of Chicago Oriental Institute Publications 107), Chicago 1986, Pl. 2
- Schamsi, die Königin der Araber, ergibt sich im Kampf gegen die Assyrer (Wandrelief; Gips; Nimrud [Kalchu], Zentralpalast; Tiglatpileser III.; 728 v. Chr.). Mit Dank an © The Trustees of the British Museum; BM 118901 lizenziert unter Creative Commons
-Lizenz, Attribution-Share Alike 4.0 International ; Zugriff 10.2.2020 - Assyrisches Heer im Kampf mit Arabern auf Kamelen. Diese sitzen im Huckepack auf den Tieren. Der Vordermann lenkt, der Hintermann schießt (Wandrelief; Gips; Ninive [Kujundschik], Nordpalast, Raum L; Assurbanipal, 645-635 v. Chr.). Mit Dank an © The Trustees of the British Museum; BM 124926 lizenziert unter Creative Commons
-Lizenz, Attribution-Share Alike 4.0 International ; Zugriff 10.2.2020 - Assyrische Krieger massakrieren die nomadische Zivilbevölkerung in ihren Zelten und verbrennen sie (Wandrelief; Gips; Ninive [Kujundschik], Nordpalast, Raum L; Assurbanipal, 645-635 v. Chr.). Mit Dank an © The Trustees of the British Museum; BM 124927 lizenziert unter Creative Commons
-Lizenz, Attribution-Share Alike 4.0 International ; Zugriff 10.2.2020 - Die Römer stellen die bezwungenen Judäer als einen Bacchanten dar, der neben einem Kamel kniet. Auf der römischen Münze, die die Bezwingung der Nabatäer feiert, steht stattdessen der Name des Königs Aretas. Ansonsten stimmen die Münzen überein, was den Brudercharakter der beiden Ethnien unterstreicht (a: Denar; Silber; Rom; Aulus Plautius, 55 v. Chr.; b: Denar; Silber; Rom; Aemilius Scaurus, 58 v. Chr.). Aus: a) Othmar Keel, Die Geschichte Jerusalems und die Entstehung des Monotheismus, Göttingen 2007, Abb. 680 (mit Dank an © Stiftung BIBEL+ORIENT, Freiburg / Schweiz
); b) Staubli 1991, Abb. 78a - Berittene Wüstenpolizisten auf Kamelen und Pferden sorgten für die Sicherheit der Karawanenstraßen im Umfeld Palmyras in römischer Zeit. Hier bei einer Räucherzeremonie im Tempel (Kalksteinrelief; Palmyra oder Umgebung; 213 n. Chr.; Damaskus, Nationalmuseum). Aus: Staubli 1991, Abb. 110
- Südliches Juda im 10. Jh. v. Chr.: Hier trafen protobeduinische Kamelnomaden der Negevstämme und transhumierende lokale Hirtennomaden der judäischen Dörfer aufeinander. Letztere wurden nach 1Sam 25 vor den Razzien der Protobeduinen von landlosen Hebräern beschützt, die zeitweise auch als Söldner für die philistäischen Städte gegen die Protobeduinen kämpften. Nach Staubli 1991, 243 Fig. 21B
- Prozession mit Palladium auf Kamelrücken, angeleitet von einem frei laufenden Esel. Am Ort, wo er stillsteht, wird ein Grundstein oder eine Mazzebe gesetzt. Grüßende Männer und voll verschleierte Frauen begleiten die Prozession (Relief; Palmyra, Baalstempel; um 32 n. Chr.; Freiluftmuseum beim Baalstempel). Aus: Henry Seyrig, Bas-reliefs monumentaux du temple de Bel à Palmyre, Syria 15 (1934), Pl. XIX
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