Patros
(erstellt: September 2021)
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1. Etymologie und Lautform
In der → Völkertafel
Die → Septuaginta
Der von Gauthier (1925, 159) mitgeteilte Vorschlag von Em. Vercamer, die Patrusim mit der ägyptischen Völkerbezeichnung pḏ.tiw-šw zusammenzubringen (Vercamer 1924-1925, 285), ist lautlich und inhaltlich gleichermaßen abwegig. Irrig ist auch die Idee von Ebers (1868, 115-120), es mit Pathyris, also der griechischen Form des Namens der Stadt Gebelein (pr-ḥw.t-ḥr), und dem davon abgeleiteten Namen des vierten oberägyptischen Gaues als Pathyrites zu verbinden. Es ist inzwischen unstrittig, dass Patros auf ägyptisches p3-t3-rsi, wörtlich „das südliche Land“ zurückgeht, das in demotischen Quellen als Verwaltungsterminus ab dem 6. Jh. v. Chr. klar belegt ist (Rendsburg 1987, 91; Fontinoy 1989, 92-93; Vittmann 1998, 287-290); unsicher bleibt, ob der gleichnamige Ausdruck im deutlich älteren pBM EA 10375 (LRL 45,9-10; vgl. Ritner 2020, 1366) vom Ende der 20. Dynastie bereits gleichartig eine definierte Verwaltungseinheit darstellt oder nur eine lose Bezeichnung südlicher Regionen ist. Dennoch gibt es hinsichtlich der Lautentsprechungen sowie der Frage der genauen Lokalisierung einige Probleme.
Erklärungsbedürftig ist zunächst der Tonvokal. Im masoretischen Text ist er grundsätzlich für den Völkernamen u, für den Ortsnamen ō, wobei die leichte Divergenz durch den Antritt der Pluralendung und die dadurch verursachte Änderung der Silbenstruktur beim Völkernamen bedingt sein dürfte. Die Septuaginta und Vulgata korrespondieren damit beim Völkernamen gut. Komplexer ist dagegen der Fall des Ortsnamens. Hier entspricht nur die Vulgata-Form für Jes 11,11 gut der masoretischen Version. Für die restlichen Prophetenstellen zeigen dagegen Septuaginta und Vulgata eng übereinstimmend eine klare Divergenz, indem sie pathourēs beziehungsweise fatures bieten; die etwas abweichende Septuaginta-Form Παθουρη Pathourē Jer 51,15 LXX (= Jer 44,15 MT) könnte darauf beruhen, dass dort das auslautende s als Nominativ-Endung betrachtet und deshalb, weil an der konkreten Stelle das Wort im Dativ steht, weggelassen wurde.
Zu beachten ist hier, dass es in der ägyptischen Sprache einen Lautwandel gibt, in dem ursprüngliches ū sekundär zu ē wird (Peust 1999, 222-226). Dieser Lautwandel ist nur sehr approximativ datierbar. In den keilschriftlichen Briefen aus Amarna (14. Jh. v. Chr. → Amarnabriefe
Muchiki (1999, 234-235), der nur die Wiedergabe im masoretischen Text betrachtet, erwägt, das Wort sei vor dem Eintritt dieser Lautverschiebung ins Hebräische aufgenommen worden. Vittmann (1998, 289 Anm. 114) betrachtet die masoretische Form einfach als ungenau und denkt, die Septuaginta habe die korrektere Form. Breyer (2019a, 96-97; 2019b, 124) schwankt in etwas unklarer Weise zwischen den Positionen von Vittmann und Muchiki. Vycichl (1983, 178) sieht für die Formen der Septuaginta eine gute Entsprechung zur assyrischen Form, wundert sich aber über die Wiedergabe des Artikels als pa und nicht pi.
In der bisherigen Diskussion ist zu wenig beachtet worden, dass die Septuaginta und Vulgata bei der Lautform durchaus inkonsistent sind. Bei der Wiedergabe des Völkernamens sowie für die Stelle Jes 11,11, die nur in der Vulgata phonetisch wiedergegeben ist, zeigen sie den letzten Vokal als o beziehungsweise u, stimmen also mit der masoretischen Wiedergabe überein. Lediglich für die sonstigen Belege des Ortsnamens bei den Propheten wählen sie eine Wiedergabe dieses Vokals als e, die mit der assyrischen Umschrift und der realen Aussprache im späten Ägyptisch übereinstimmt.
Denkbar sind prinzipiell die folgenden Optionen: 1. Der Völker- und der Ortsname gehen auf zwei verschiedene, zunächst voneinander unabhängige Entlehnungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten und deshalb mit unterschiedlichen Lautformen zurück. In diesem Falle hätte die Septuaginta den ursprünglichen Zustand bewahrt, während der masoretische Text Resultat einer sekundären Uniformierung wäre. 2. Es handelt sich um eine einzige Entlehnung nach Eintritt der spätägyptischen Vokalverschiebung. In diesem Falle wäre in der Völkertafel ein relativ früher Fehler aufgetreten (eventuell aufgrund einer Verschreibung von hebräischem י in ו, was auch sonst belegt ist), der nur im masoretischen Text auch auf die Belege des Ortsnamens bei den Propheten übertragen worden wäre. 3. Es handelt sich um eine einzige Entlehnung vor Eintritt der spätägyptischen Vokalverschiebung (so Osing 1978, 378). Sie wurde im masoretischen Text korrekt erhalten. Die Septuaginta hat demgegenüber für den Ortsnamen eine sekundäre Modifikation vorgenommen, um ihn an die zeitgenössische ägyptische Aussprache anzupassen. Dies würde dazu passen, dass die in Ägypten durchgeführte Übersetzung der hebräischen Bibel ins Griechische auch sonst Modifikationen in Kenntnis der lokalen Gegebenheiten aufweist (Pfeiffer 2008; Pfeiffer 2016). Die Vulgata folgt für den Ortsnamen der Septuaginta-Wiedergabe, wo diese verfügbar ist, für Jes 11,11
Die dritte Option (die ich für die wahrscheinlichste halte) hat gewisse chronologische Implikationen. Sie eröffnet für → Jesaja
2. Geographische Verortung
Für die Ausdehnung des ägyptischen Begriffs am aufschlussreichsten sind die Angaben im Papyrus Rylands IX. In pRylands IX, 5,14-15 wird dieses Gebiet bei der Beschreibung einer Amtszuständigkeit (im Jahr 4 → Psammetich I.
Rezent hat Robert Ritner (2020) vorgeschlagen, griechische Graffiti im Tempel von Philae von 434 n. Chr. (Nr. 190-191), in denen ein Prophet von / des Ptiris erwähnt wird, als Beleg für die geographische Bezeichnung zu sehen. Inhaltlich ist es aber wenig plausibel, dass ein Prophet einem derart ausgedehnten geographischen Raum und nicht einer spezifischen Gottheit oder einem konkreten Tempel zugeordnet sein sollte.
Spezifisch in Jes 11,11
Jer 44,1
Auffällig ist Ez 29,13-16
Ez 30,10-19
Literaturverzeichnis
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