Peschitta
(erstellt: Februar 2021)
Permanenter Link zum Artikel: https://bibelwissenschaft.de/stichwort/30808/
Peschitta bezeichnet die Bibel der syrischen Christen.
1. Name
Der Name Peschitta wird seit dem 9. Jh. verwendet (Mose bar Kepa, 813-903) und bedeutet „ausgebreitet“ i.S. von „verbreitet“ oder „einfach“ / „allgemein“ pəšiṭ. Letztere Charakterisierung kann dabei im Sinne von „gewöhnlich“ (vgl. → Vulgata
2. Sprache
Die Peschitta ist in syrischer Sprache verfasst, einem Dialekt des Aramäischen, der vor allem im Bereich von Edessa, dem heutigen Urfa (Koordinaten: N 37° 09' 45'', E 38° 48' 06''
3. Entstehung
Während die Tradition eine Entstehung der Peschitta bereits in die Zeit → Salomos
War die Vorlage der syrischen Bibel bezüglich der kanonischen Bücher der Hebräischen Bibel ein hebräischer Text, so ergeben sich nichtsdestotrotz bisweilen Übereinstimmungen mit der Septuaginta gegenüber dem heutigen masoretischen Text. Diese erklären sich wohl weniger durch eine gemeinsame, vom masoretischen Konsonantentext abweichende hebräische Vorlage als vielmehr eine Beeinflussung der Übersetzer oder Kopisten durch die Septuaginta. Trotz gelegentlicher Übereinstimmungen mit aramäischen Targumim, insbesondere Targum Onqelos, wird die in der älteren Forschung verbreitete These, der Peschitta läge ursprünglich ein aramäischer → Targum
4. Handschriften
Aufgrund der Spaltung der syrischen Kirche im Zusammenhang mit den christologischen Auseinandersetzungen in eine westsyrische (Jakobiten) und eine ostsyrische (Nestorianer) Kirche werden in der Forschung oft zwei Überlieferungsströme postuliert, die sich allerdings nur im Bereich der Psalmenüberlieferung nachweisen lassen (Gordon). Dies weist darauf hin, dass zur Zeit dieser Spaltung im 5. Jh. der überwiegende Teil der syrischen Bibel bereits vorlag.
4.1. Handschriften des Alten Testaments
Im Hinblick auf das Alte Testament ist als älteste Handschrift Ms Add. 14425 aus dem Jahr 464 anzusprechen, welche die Bücher Genesis, Exodus, Numeri und Deuteronomium umfasst. Die bedeutendste alte Peschitta-Handschrift liegt im westsyrischen Codex Ambrosianus (B.212 Inferiore) 7a1 aus dem 6./7. Jh. vor, der nicht nur die kanonischen Bücher der Hebräischen Bibel enthält, sondern auch eine Reihe von deuterokanonischen und apokryphen Schriften (Weisheit, Brief des Jeremia und Baruch, Bel und der Drache, Susannaerzählung, Judith, Sirach, 1-4Makkabäer, 2Baruch mit dem Brief des Baruch, 2Esdras sowie das VI. Buch des Bellum judaicum, außerdem die Baruch-Apokalypse und 4Esra). Ein photolitographisches Faksimile des Codex Ambrosianus wurde von A.M. Ceriani 1876-1881 als „Translatio Syri Pescitto Vetus Testamenti ex Codice Ambrosianus“ publiziert. Da mit dem Codex Ambrosianus die älteste und umfassendste syrische Handschrift der kanonischen und deuterokanonischen bzw. apokryphen Schriften des Alten Testaments vorliegt, wird er den neuen Peschitta-Ausgaben zugrunde gelegt. In den kritischen Ausgaben des Peschitta-Instituts (s.u.) wird er allerdings dort mit Konjekturen versehen, wo Verlesungen vorzuliegen scheinen. Die Verlesung selbst ist im Apparat dokumentiert.
4.2. Handschriften des Neuen Testaments
Das wohl älteste Manuskript der Peschitta im Hinblick auf das Neue Testament stellt Ms Add. 14479 aus dem Jahr 534 dar. Geschrieben im Schrifttyp Estrangelo, enthält es die vierzehn Paulusbriefe. Ein weiteres Manuskript Ms Add. 14459 mit zwei Evangelien (Matthäus [ab Mt 6,20
5. Textausgaben
5.1. Textausgaben des Alten Testaments
Ältere Ausgaben der Peschitta des Alten Testaments sind die Pariser Polyglotta von 1645, die auf einer Handschrift aus dem 17. Jh. beruht. Ihr Text wurde in der Londoner Polyglotta des anglikanischen Bischofs Walton von 1657 übernommen. Darüber hinaus wären die Mosul-Edition (Khayyath / David, 1887-91) und die Ausgabe von S. Lee (London 1932) zu nennen.
Eine kritische Ausgabe der Peschitta des Alten Testaments wird vom Peschitta-Institut der Universität Leiden unter dem Titel „The Old Testament in Syriac according to the Peshitta Version“ erarbeitet, von der seit 1972 bislang 17 Faszikel erschienen sind (s. Lit.).
5.2. Textausgaben des Neuen Testaments
Ältere Ausgaben der Peschitta des Neuen Testaments liegen vor in S. Lee / C. Buchanan (1816) und „The New Testament in Syriac“ (1905). Eine neuere Ausgabe hat Wierwille (1983) herausgegeben.
6. Übersetzungen der Peschitta
6.1. Übersetzungen des Alten Testaments
Eine Übersetzung des Alten Testaments und weiterer deuterokanonischer und apokrypher Schriften der Peschitta liegt vor in: „The Syriac Peshiṯta Bible with English Translation. The Antioch Bible Series“ mit vokalisiertem syrischem Text und englischer Übersetzung in einzelnen Faszikeln (Gorgias Press). Erschienen ist bis auf die Bücher Esra und Nehemia das gesamte Alte Testament nebst einer Reihe von apokryphen Schriften.
Weitere Übersetzungen der Peschitta beziehen sich auf einzelne Bücher. So liegt eine Übersetzung des Buches Jesus Sirach ins Englische und Spanische auf der Basis des Codex Ambrosianus vor (Calduch-Benages / Ferrer / Liesen). Eine Übersetzung der syrischen Version des Sirach ins Deutsche mit syrischer Textvorlage (in Estrangelo) auf der Basis dreier alter Handschriften (7a1; 7h3 und 8a1) ist im Rahmen der Erstellung einer diplomatischen Synopse des Sirachbuches (s.u.) in Vorbereitung.
6.2. Übersetzungen des Neuen Testaments
Neuere Übersetzungen der Peschitta des Neuen Testaments finden sich bei Brock (2006) und Kiraz (2021).
7. Weitere Arbeitsmittel
Eine Konkordanz zur Peschitta Version des Sirachbuches wurde vom Peschitta-Institut herausgegeben (Winter 1976). Eine elektronische Fassung des syrischen Textes des Alten und Neuen Testaments mit Konkordanzfunktion, jedoch ohne Einzelworterklärung, findet sich in „Bible Works 10“. Die „Bible Software Accordance 13“ bietet ein Modul mit dem Peschitta Text des Neuen Testaments nebst englischer Übersetzung sowie dem Peschitta Text des Alten Testaments auf der Basis des Codex Ambrosianus an.
8. Hermeneutik
Eine umfassende Arbeit zur Hermeneutik der Peschitta bzw. der Erarbeitung der theologischen Semantik zentraler, von ihr verwendeter Lexemata ist ein Desiderat der Forschung. Zu einzelnen Büchern, insbesondere denen des Alten Testaments, liegt jedoch bereits eine Reihe von grundlegenden Werken vor, die sich auf sprachliche, formale und inhaltliche Aspekte beziehen. Im Hinblick auf die syrische Version des Buches Jesus Sirach ist hier van Peursen (2007) zu nennen. Weitere diesbezügliche Erkenntnisse sind von der sich derzeit noch in Bearbeitung befindlichen Synopse der vier antiken Sprachversionen des Sirach zu erwarten (s.u.). Weitere einschlägige Studien haben Dirksen / van der Kooij (1995), Morrison (2001), Greenberg (2002), Carbajosa (2008), Dyk / van Keulen (2013) und Tully (2015) vorgelegt.
Dabei lassen sich etwa folgende grundlegende Aussagen treffen: Die syrische Übersetzung ist, ähnlich wie die griechische Übersetzung des Alten Testaments in Gestalt der Septuaginta, keine Übersetzung im modernen Sinn, die eine dem Ausgangstext möglichst entsprechende Transformation in die Zielsprache darstellt. Vielmehr finden sich neben Verlesungen auch bewusste Änderungen gegenüber dem Ausgangstext, die teils formalen Aspekten, teils theologischen Anliegen, teils eigenen Textinterpretationen der syrischen Übersetzer geschuldet sind. Formale Aspekte können etwa die Herstellung der Stilform des Parallelismus membrorum sein (recht häufig im syrischen Sirach, weitere stilistische Eigenarten ausführlich bei van Peursen 2007). Theologische Anliegen sind z.B. die häufig anzutreffende Vermeidung von Anthropomorphismen Gottes (in Sirach, vgl. van Peursen 2007, 50ff), die offenbar ein transzendenteres Gottesbild voraussetzen (ähnlich der Septuaginta). Hinsichtlich bewusster, vom hebräischen Ausgangstext abweichender Interpretationen sollen zur Veranschaulichung einige Beispiele angeführt werden:
So übersetzt Peschitta die hebräische Fassung von Mi 6,7b
Bei der Benennung jenes neugeborenen Königskindes in Jes 9,5
In Pred 10,4
Hinsichtlich ihres bisweilen interpretativen Charakters weist somit Peschitta Ähnlichkeiten mit den aramäischen Targumim auf, ohne dass man davon ausgehen könnte, dass sie bereits einen Targum als Vorlage hatte (s.o.).
Ein Desiderat wäre gewiss eine dem Modell von Septuaginta-Deutsch entsprechende systematische Kommentierung der Abweichungen des syrischen Textes vom masoretischen Text bzw. der gleichzeitigen Klärung möglicher Abhängigkeiten bzw. Beeinflussungen durch die Übersetzungstradition der Septuaginta.
9. Relevanz
Die Peschitta stellt eine wichtige Textzeugin eines protomasoretischen Textes der Hebräischen Bibel dar, wobei dieser vom Konsonantenbestand her weitgehend dem heutigen masoretischen Text entsprochen haben dürfte. Hinsichtlich der deuterokanonischen bzw. apokryphen Schriften des Alten Testaments ist die Peschitta eine wichtige Textzeugin für das Buch Jesus Sirach. Hier kommt der syrischen Version in den etwa 33% des Buchbestandes, die nicht durch hebräische Manuskripte belegt sind, besondere Bedeutung hinsichtlich einer möglichen Rekonstruktion der hebräischen Vorlage zu, wird doch meistens angenommen, dass der syrische Text auf einer solchen fußt. Dennoch ist beim Gebrauch immer im Blick zu bewahren, dass es sich hier nicht um eine Übersetzung im modernen Sinn handelt (s.o.), wiewohl die Peschitta durchaus bemüht ist, ihrer Vorlage zu entsprechen, zumal im Fall der Hebräischen Bibel die Übersetzung in eine eng verwandte Sprache vorgenommen wird. Insofern ist die Peschitta nicht nur hinsichtlich der Textgeschichte der Hebräischen Bibel, sondern auch ihrer Interpretations- und Rezeptionsgeschichte von erheblicher Bedeutung.
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
- Biblisch-historisches Handwörterbuch, Göttingen 1962-1979
- The Interpreter’s Dictionary of the Bible, Nashville / New York 1962 (Supp. 1976)
- Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998-2007
- Calwer Bibellexikon, 2. Aufl., Stuttgart 2006
- Herders Neues Bibellexikon, Freiburg u.a. 2008
2. Editionen und Übersetzungen
- Brock, S., 2006, The Bible in the Syriac Version Tradition, English Version, Piscataway
- Calduch-Benages, N. / Ferrer, J. / Liesen, J., 2. Aufl. 2015, Wisdom of the Scribe. Diplomatic Edition of the Peshitta of the Book of Ben Sira according to Codex Ambrosianus with Translations in Spanish and English (Biblioteca Midrásica), Estella (Navarra)
- Codex Ambrosianus, in: Bible Rseorces der Bible
Manuscript Society
- Khayyath, G.E.-J. / David, C.J. (Hgg.), 1887-91, Biblia sacra juxta versionem simplicem quae dicitur Peschitta, 3 Bde., Mosul
- Kiraz, G.A., 2021 (Hg.), Peshitta English New Testament. The Antioch Bible English Translation, Piscataway
- Lee, S. / Buchanan, C., 1816, Novum Testamentum Syrice denuo recognitum atque ad finem codicum munscriptorum emendatum, London
- Lee, S., 1823, Vetus Testamentum Syriace: Eos tantum libros sistens qui in canone Hebraico habentur, ordine vero, quoad fieri potuit, apud Syros usitato dispositos. In usum Ecclesiae Syrorum Malabarensium jussu Societatis Biblicae, London
- The New Testament in Syriac, London 1905
- The Old Testament in Syriac according to the Peshitta Version, Peshitta Institute, Leiden: Bd. 1,1, 1977, Preface.- Genesis; Exodus; Bd. 1,2, 1991, Leviticus; Numbers; Deuteronomy; Bd. 2,1, 1991, Joshua, hg. von L. Drijvers / H. Hospers / E. van Vliet; Bd. 2,1a, 1993, Job, hg. von L.G. Rignell; Bd. 2,2, 2016, Judges; Samuel; Bd. 2,3, 1980, The Book of Psalms; Bd. 2,4, 2000, Kings; Bd. 2,5, 1979, Proverbs; Wisdom of Salomo; Ecclesiastes; Song of Songs; Bd. 3,1, 1993, Isaiah, hg. von S. Brock; Bd. 3,2, 2019, Jeremiah; Lamentationes; Epistle of Jeremiah; Epistle of Baruch; Baruch, hg. von B. Albrektson / D. Dedering / D.M. Walter / K.D. Jenner / J.G. Veldmann; Bd. 3,3, 1993, Ezekiel, hg. von M.J. Mulder; Bd. 3,4, 1980, Dodekapropheton; Daniel-Bel-Draco, hg. von A. Gelston; Bd. 4,2, 1999, Chronicles, hg. von R.P. Gordon; Bd. 4,3, 1973, Apocalypse of Baruch; 4Esdras; Bd. 4,4, 2013, Ezra; Nehemiah; 1/2 Maccabees, hg. von M. Albert / A. Penna; Bd. 4,6, 1972, Canticles or Odes; Prayer of Manasseh; Apocryphal Psalms; Psalms of Salomo; Tobit; I(3)Esdras; Bd. 5,1, 1997, Concordance. Bd. 1: Pentateuch, hg. von P.G. Borbone / K. Jenner
- Weitzman, M.P., 1999, The Syriac Version of the Old Testament, Cambridge
- Wierwille, P., 1983, The Aramaic New Testament: Estrangelo Script, Based on the Peshitta and Harklean Versions, New Knoxville
3. Weitere Literatur
- Aland K. / Aland, B., 1981 (2. Aufl. 1988), Der Text des Neuen Testaments. Einführung in die wissenschaftlichen Ausgaben und in Theorie wie Praxis der modernen Textkritik, Stuttgart
- Carbajosa, I., 2008, A Study of Psalms 90-150 in the Peshitta, Peshitta Institute, Leiden / Boston
- Carbajosa, I., 2016, Peshitta, in: A. Lange / E. Tov (Hgg.), The Hebrew Bible (Volume 1A), Leiden / Boston, 262-277
- Dirksen, P.D. / van der Kooij, A. (Hgg.), 1995, The Peshitta as a Translation. Papers read at the II Peshitta Symposium Held at Leiden 19-21 August 1993, Peshitta Institute, Leiden
- Dyk, J.W. / Keulen, P.S.F. van, 2013, Language System, Translation Technique, and Textual Tradition in the Peshitta of Kings, Peshitta Institute, Leiden / Boston
- Fischer, A.A., 2009, Der Text des Alten Testaments. Neubearbeitung der Einführung in die Biblia Hebraica von Ernst Würthwein, Stuttgart
- Gordon, R.P., 1989,The Syriac Old Testament: Provenance, Perspective and Translation Technique, in: J. Krašovec (Hg.), The Interpretation of the Bible. The International Symposium in Slovenia (JSOTSupplement 289), Sheffield, 355-369
- Greenberg, G., 2002, Translation Technique in the Peshitta to Jeremiah, Leiden / Boston
- Morrison, C.E., 2001, The Character of the Syriac Version of the First Book of Samuel, Leiden / Boston
- Peursen, W.Th. van, 2007, Language and Interpretation in the Syriac Text of Ben Sira. A Comparative Linquistic and Literary Study, Leiden / Boston
- Tully, E., 2015, Translation and Translator of the Peshitta of Hosea, Peshitta Institute, Leiden / Boston
- Winter, M., 1976, A Concordance to the Peshitta Version of Ben Sira, Peshitta Institute, Leiden / Boston
Abbildungsverzeichnis
- Codex Ambrosianus, Sir 8/9/10 (Faksimile-Edition von Antonio Maria Ceriani, 1876-1881).
PDF-Archiv
Alle Fassungen dieses Artikels ab Oktober 2017 als PDF-Archiv zum Download:
Abbildungen
Unser besonderer Dank gilt allen Personen und Institutionen, die für WiBiLex Abbildungen zur Verfügung gestellt bzw. deren Verwendung in WiBiLex gestattet haben, insbesondere der Stiftung BIBEL+ORIENT (Freiburg/Schweiz)