Petucha / Setuma
(erstellt: Juni 2011)
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1. Allgemein
Petucha und Setuma sind Bezeichnungen für unterschiedlich lange Pausen im mündlichen Vortrag des hebräischen Bibeltextes. Auch auf der Ebene der Verschriftlichung des Textes bezeichnen die beiden Begriffe ursprünglich keine Textabschnitte, sondern unterschiedlich starke Einschnitte im Textvortrag. Erst sekundär haben sie auch die Bedeutung von „Abschnitten“ erhalten.
Dieser unterschiedliche Gebrauch der Termini lässt sich bei → Maimonides
Auch die weiteren Strukturierungen des Textes in Verse, Halbverse und Phrasen haben ihren ursprünglichen Ort in seiner mündlichen Überlieferung. Sie wurden aber nicht in den Text der Torarollen aufgenommen, sondern als Bestandteile der mündlichen Überlieferung (der „Masora“) tradiert und durch unterschiedliche Zeichen und Kommentare zum Konsonantentext verschriftlicht.
In der schriftlichen Tradition des Bibeltextes, die ihren Sitz im Leben in der gelehrten Beschäftigung mit ihm hat, haben dagegen die Kapiteleinteilung und die Kapitelzählung sowie die Verszählung ihren „Sitz im Leben“. Deshalb sind sie erst spät und zögerlich – wenn überhaupt – in die hebräischen Texte aufgenommen worden, zwar nicht in die Kodizes, aber schon früh immer häufiger in die gedruckten Bibelausgaben.
2. Funktion von Petucha und Setuma
Nach Sifra, der Midrasch-Auslegung des Buches Leviticus (Nedaa 1,9, 13), verfolgt die Textgliederung durch Petucha und Setuma das Ziel, „Mose eine Nachdenkpause zwischen den einzelnen Äußerungen (Gottes), zwischen einem Thema und dem nächsten zu geben“ (Sagiv 2009, 205-220). Aus dieser Aussage können folgende Schlüsse gezogen werden: 1) Petucha und Setuma stammen nach der jüdischen Tradition ebenso wie der Text (der Tora) selbst aus der Gottesrede an Mose. 2) Als Nachdenkpausen dienen sie den Zuhörerinnen und Zuhörern dem tieferen Verständnis des Textes. 3) Die zwei Arten von Gliederungszeichen dienen offensichtlich verschiedenen Zwecken. Nach diesem Zitat unterscheiden sie sich eventuell in der Weise, dass die Setuma zwischen einzelnen Äußerungen Gottes, die Petucha zwischen einzelnen Themen trennt.
Heute ist unbestritten, dass Petucha und Setuma die Funktion haben, den Text in Sinneinheiten zu gliedern. Von der grafischen Form ihrer Kennzeichnung her liegt der Schluss nahe, dass das freie Zeilenende bzw. die Leerzeile der Petucha den gewichtigeren, das Spatium in der Zeile der Setuma den leichteren Texteinschnitt anzeigt. Diskutiert wird, ob die Abschnitte, die zwischen den gewichtigeren Gliederungszeichen stehen, Hauptabschnitte, jene, die durch die Leichteren angezeigt werden, Unterabschnitte bilden (Ulrich 2003, 279-307; Tov 2004, 144, Anm. 193-194). Die Textdarstellung, die durch diese beiden Arten von Gliederungszeichen entsteht, spricht für diese Theorie. Ihre Relevanz wird allerdings durch den Umstand eingeschränkt, dass Petucha und Setuma in ihrer Qualität nicht einheitlich überliefert zu sein scheinen.
3. Kennzeichnung von Petucha und Setuma
3.1. In synagogalen Torarollen
Heute werden in synagogalen Torarollen die Petucha durch ein großes freies Zeilenende (9 Buchstaben oder mehr), die Setuma durch ein großes Spatium in der Zeile (9 Buchstaben oder mehr) dargestellt. Die überlieferungsgetreue Kopierung wird im Babylonischen Talmud, Traktat Schabbat 103b (Text Talmud
Über die Art und Weise, wie Petucha und Setuma in der Textverschriftlichung zu kennzeichnen sind, gibt diese Stelle keine Anweisungen. Auskünfte darüber geben die Kleinen Traktate Sefer Tora I 10-11 und Soferim I 15-16. Allerdings stimmen sie dabei nur teilweise überein. Der Hauptunterschied liegt in der Kennzeichnung der Petucha, die nach Sefer Tora durch ein Spatium am Ende der Zeile, nach Soferim I 15 durch ein Spatium von mindestens drei Buchstaben am Anfang der Zeile geschieht.
Maimonides (1135-1204) musste deshalb am Ende des 12. Jh.s die verwirrenden Kennzeichnungs- und Überlieferungsdarstellungen der Petucha und Setuma in den Bibelhandschriften konstatieren. Um wieder die älteste ihm erreichbare Gliederungsüberlieferung in Geltung zu setzen, schreibt er in seinem Hauptwerk „Mischneh Tora“ verbindlich und ausführlich vor, wie Petucha und Setuma darzustellen sind und an welchen Stellen in der Tora sie vorzukommen haben (Ahaba, Chilkot Sefer Tora, VII, 1-2.4). Danach ist eine Petucha so zu kennzeichnen, dass man am Ende der Zeile ein Spatium von mindestens neun Buchstaben oder – wenn dazu der Platz fehlt – eine ganze Leerzeile frei lässt und danach am Anfang der neuen Zeile zu schreiben beginnt. Die Setuma dagegen wird entweder durch ein Spatium in der Zeile „nach geeignetem Maß“ (כשׁיער) oder – wenn dazu der Platz fehlt – durch ein eventuelles Restspatium am Ende der Zeile und ein kleines Spatium am Beginn der Zeile (Alinea) gekennzeichnet.
Vorbild für diese Kennzeichnungsvorschriften ist ihm höchstwahrscheinlich der Befund im Kodex Aleppo gewesen, dem „Buch in Ägypten, das in Jerusalem war und das Ben Ascher korrigiert hatte“. Aus ihm hatte er auch die verbindliche Liste der Petuchot und Setumot („Liste des Maimonides“) sowie die konkrete Darstellungsweise der Lieder Ex 15
Die Regelungen des Maimonides konnten sich neben einer lang geübten alternativen Tradition nicht allgemein durchsetzen. Diese bestanden vielmehr unter den Autoritäten Abulafias und Ascheris noch einige Zeit weiter. Davon zeugen einerseits die Ausführungen Ascheris (1270-1340) zur gleichen Materie in Tur, Joreh De’ah, § 275 und andererseits z.B der Befund in einer in der Kennzeichnung und Gliederung nach den Vorschriften des Maimonides korrigierten Torarolle in der Staatsbibliothek München (BSB or. 487; vgl. dazu Oesch 2003, 175-176 und Hubmann / Oesch 2008, 105-183). Der entscheidende Schritt zu einer einheitlichen Kennzeichnung von Petucha und Setuma erfolgte im 16. Jh. durch das Gesetzeskompendium „Schulchan Aruch“, wonach Petucha und Setuma nur noch auf die beiden zu Beginn erwähnten Weisen dargestellt werden dürfen. Die für den Toraschreiber eher schwierig zu realisierende Schreibpraxis hat zusammen mit den übrigen Darstellungsvorschriften im 19. Jh. zu einer relativ vereinheitlichten Form von Torarollen in 248 Kolumnen zu je 42 Zeilen geführt (vgl. Abb. 1).
Auch die Darstellung „wie ein Lied“ (כשׁירה) wird im Babylonischen Talmud, Traktat Schabbat 103b, nicht näher ausgeführt. Im Traktat Megilla 16b und Soferim I 11 finden sich Weisungen, wie Ex 15,1-19
3.2. In Masorakodizes
3.2.1. Pentateuch
Der Wechsel des Schriftträgers von der Rolle zum Kodex fand im Judentum bei den hebräischen Bibeltexten etwa im 8. Jh. statt und dürfte mit dem Bemühen um die Fixierung der Aussprachetradition und dem damit verbundenen Anwachsen des masoretischen Materials (Punktation und vergleichende Textbeobachtungen) zusammenhängen (Oesch 1979, 117-118).
Nach Tov (1997, 169) ist die Form des Kodex für die hebräische Bibel nicht vor 700 bezeugt; Dukan (2006, 37) denkt im Wesentlichen an das 10. Jh. Aber der älteste erhaltene Kodex stammt von 895 (Kairoer Prophetenkodex). Dieser hatte sicher ältere, nicht erhaltene Vorläufer. Auch die Menge des darin sowie im St. Petersburger Prophetenkodex (916) und im Aleppokodex (ca. 925) vorhandenen masoretischen Materials spricht für eine gewisse Vorgeschichte.
Als Folge resultierte eine Diskussion über den erlaubten Gebrauch solcher Kodizes in der Synagogenliturgie zwischen den rabbanitischen und karäischen Juden, wobei Letztere sich für den Gebrauch, Erstere nach einigem Zögern gegen die Verwendung des Kodex entschieden (Maimonides hatte die Kodexform für den liturgischen Vortrag nicht definitiv ausgeschlossen; ein endgültiges Verbot sprach erst der Schulchan Aruch in Orach Chajim 143,2 aus; vgl. dazu Dukan 2006, 37-42).
Eine solche Diskussion war nur möglich, wenn Petucha und Setuma in den besten Kodizes mit ebensolcher Sorgfalt wie in den Torarollen dargestellt wurden, und zwar prinzipiell auf dieselbe Art und Weise wie in den Torarollen. Dies ist im bereits erwähnten Kodex Aleppo, aber auch in allen späteren sorgfältig gestalteten Bibelkodizes zu beobachten (vgl. Abb. 3). Wegen der geringeren Breite der Kolumnen in den meist dreispaltigen Kodizes konnten allerdings die Spatiengrößen von neun Buchstaben nicht immer eingehalten werden.
3.2.2. Propheten und Schriften
Die halachischen Vorschriften zur Schreibung der Petucha und Setuma betreffen direkt nur den Text der Tora. Dort, wo zum ersten Mal die ganze hebräische Bibel in einem Kodex zusammengeschrieben wurde, nämlich im Kodex Aleppo, zeigt es sich, dass die prosaischen Teile der übrigen Bücher in gleicher Weise gegliedert werden und dass die poetischen Texte wie Ri 5
3.3. In gedruckten Bibelausgaben
In der Biblia Hebraica Stuttgartensia (BHS) werden Petucha und Setuma durch die Sigla פ (Peh) und ס (Samech) in kleine Spatien im Text oder am Zeilenende beim Zeilenübergang gekennzeichnet. Im Textlayout spielt diese Gliederung im Allgemeinen keine Rolle; vielmehr wird dieses wie in der BHK nach „wissenschaftlichen Gesichtspunkten“ gestaltet (Abb. 4).
Die Biblia Hebraica Quinta (BHQ) folgt dagegen dem Kodex Leningradensis B 19a in der Darstellung der überlieferten Petucha- und Setuma-Gliederung. Im Anhang bietet sie dazu Varianten der Petuchot und Setumot in verschiedenen wichtigen Kodizes. Auch in den poetischen und listenartigen Abschnitten folgt sie soweit als möglich und sinnvoll den Vorgaben des Kodex (ein Problem gibt es z.B. bei Dtn 32
Die Hebrew Union Bible (HUB) verfolgt in den ersten Faszikeln (Jes, Jer, Ez,) eine ähnliche Praxis wie die BHS, nur setzt sie die Sigla פ und ס in eckige Klammern, um sie als Zufügungen der Herausgeber zu kennzeichnen.
Die Rabbiner Bibel von 1525 kennzeichnet in der Tora Petucha und Setuma durch einfache Spatien (und setzt zusätzlich das Siglum פ oder ס in die entsprechenden Spatien). Ex 15
3.4. In Haftarot- und Festrollen
An den Vortrag aus der Tora schließt im Synagogengottesdienst eine Lesung aus den „Propheten“ an, eine „Haftara“. Der Traktat Soferim untersagt die Herstellung von Rollen dieser Haftarot, da sie nur diese ausgewählten Texte aus den Nebiim enthalten und somit als unvollständige Bibeltexte in der Synagoge gebraucht würden (Soferim X 8). In den trotzdem erhaltenen Haftarotrollen zeigt es sich, dass Petucha und Setuma zwar als Gliederungszeichen vorkommen, ihre Darstellung aber nicht mit gleicher Sorgfalt wie in den Torarollen erfolgt. Die Abgrenzung der einzelnen Haftarot basiert aber an ihrem Anfang und / oder Ende zumeist auf Petucha- oder Setuma-Einschnitten (vgl. dazu Oesch 1979, 32-33).
Die Darstellung der Megillot, der Festrollen, hatte ursprünglich wohl nach den gleichen Vorschriften zu geschehen, die auch für Torarollen gelten. Dies kann aus Soferim XIII 2 und den heute noch gebräuchlichen liturgischen Esterrollen geschlossen werden. Sowohl der Kodex Aleppo als auch Leningradensis enthalten Petuchot und Setumot in diesen Büchern. Wegen der relativ großen Unterschiede in der Überlieferung dieser Gliederungszeichen im Buch Ester wird in jüngeren Esterrollen meist der Regel gefolgt, die Shlomo Ganzfried in seinem Handbuch für das Schreiben liturgischer Rollen zitiert, dass alle Gliederungszeichen Setumot sein sollen (Keset-ha-Sofer 28,5).
4. Alter und Überlieferung von Petucha und Setuma
Spatien in den Zeilen, die wohl bewusst als Gliederungszeichen im Text eingesetzt werden, sind bereits in den ältesten hebräischen und griechischen Bibelhandschriftenfunden belegt (vgl. dazu Tov 2004, 131-217). In der jüdischen Tradition sind die Gliederungszeichen schon im Verbot der Mischna, dass eine Petucha nicht zur Setuma gemacht werden darf und umgekehrt, auf den Begriff gebracht worden. Auch im Samaritanischen Pentateuch finden sich Gliederungszeichen im Text, die allerdings nur von einer Art sind und Qiṣṣôt (Sing. Qiṣṣah) genannt werden. Ihre Zahl schwankt zwischen 962 und 966, liegt also um mehr als ein Drittel höher als die Petuchot und Setumot der Liste von Maimonides (669).
Bedenkt man den Umstand, dass fast alle Bibeltexte unter den Handschriftenfunden vom Toten Meer den Text gegliedert darstellen (Oesch 2009, 81-122) und dass die ältesten dieser Texte aus einer Zeit stammen, als noch nicht einmal alle Bibeltexte geschrieben waren, liegt die Annahme nahe, dass mindestens die Letztfassungen der hebräischen Bibeltexte schon gegliedert geschrieben wurden. Weniger nahe liegt die Annahme, dass diese „Originalgliederungen“ in den mittelalterlichen Handschriften erhalten sind. Denn diese bezeugen nicht wenige Differenzen in der Petucha- und Setuma-Kennzeichnung (vgl. dazu Tov 1997, 40-41, Oesch / Hubmann 2010, 168-193). Untersuchungen an den Gliederungen in allen althebräisch geschriebenen und allen Genesis-Texten vom Toten Meer haben ergeben, dass einerseits eine hohe Übereinstimmung von Petucha und Setuma mit der Liste des Maimonides und andererseits die Existenz einer freier gestaltenden Tradition feststellbar ist (dazu Oesch 2009, 81-122). Auch gibt es nicht unbedeutende Unterschiede sowohl in masoretischen Listen als auch den Bibelkodizes in der Bezeugung von Petucha und Setuma (vgl. dazu Perrot 1969, 50-91; Dukan 2006, 108-110). Systematische Forschungen an den Überlieferungen in den mittelalterlichen Handschriften haben aber noch nicht stattgefunden, sodass zu dieser Frage noch keine gesicherten Aussagen getroffen werden können.
5. Petucha und Setuma im Vergleich zu den Texteinteilungen in Verse und Kapitel sowie liturgische Einheiten
5.1. Tabellarische Übersicht
Die Tabelle erfordert einige Erläuterungen:
1. Kapitel und Verse sowie die liturgischen Größen Sedarim und (große) Paraschen sind Textabschnitte, während Petucha und Setuma Einschnitte in diese Texteinheiten darstellen. Für einen Vergleich, der Abschnittgrößen einander gegenüberstellt und dabei nicht zwischen den beiden Arten von Einschnitten unterscheidet („wie viele Verse zählen im Durchschnitt die durch Petuchot und Setumot erzeugten Textabschnitte im Vergleich zur durchschnittlichen Länge der Kapitel“), muss man zur Anzahl der Petuchot und Setumot jeweils 1 addieren, um auszugleichen, dass die Zahl der Einschnitte zwischen Textabschnitten immer um einen geringer ist als die Zahl der Textabschnitte.
Da die Überlieferungen von Petuchot und Setumot nicht einheitlich sind, werden hier nur deren zusammengerechnete Werte in den Vergleich einbezogen. Versteht man die Petucha als Hauptabschnitt und in ihnen die Setumot als Unterabschnitte, müssten korrekterweise zuerst die Anzahl der Petuchot um eine Einheit erhöht und dann jeweils die Anzahl der Unterabschnitte in den einzelnen Hauptabschnitten errechnet werden, wobei jeweils die Anzahl der Setumot um den Wert 1 erhöht werden müsste.
2. Die Anzahl der Petuchot und Setumot gibt in den prosaischen Texten die Anzahl ihrer Kennzeichnungen im Codex Leningradensis wieder, so wie sie im Konkordanzprogramm BibleWorks7 (BW7) als פ bzw. ס angezeigt werden. Dasselbe gilt von den poetischen Texten, bei denen allerdings zu bedenken ist, dass Spatien in der Zeile in der BHS nicht als Setumot notiert werden und deshalb in BW7 nicht aufscheinen. Die entsprechenden Werte können deshalb ein verzeichnetes Bild wiedergeben.
3. Ein Sonderfall stellt das Psalmenbuch dar, da die BHS darin keinerlei Petucha- und Setuma-Angaben notiert und das Konkordanzprogramm demnach keine solchen anzeigt. Im Codex Leningradensis werden aber die einzelnen Psalmen grafisch voneinander durch freie Zeilenenden getrennt und – wo vorhanden – stehen Überschriften, die durch Spatien zentriert in der Zeile über dem neuen Psalm geschrieben sind. Außerdem werden die einzelnen Alphabetgruppen in Ps 119
4. Die Kapitelzählung entspricht der Zählung in der BHS. Die Verszählung ist den Angaben der Schlussmasora des Codex Leningradensis entnommen. Die Sedarimwerte folgen den Angaben im Codex Leningradensis und den Werten, die in der BHS dazu eingetragen sind. In Klammer werden die gelegentlich leicht abweichenden Zählungen aus Ginsburgs Masorastudien dazu gesetzt, zu denen der Autor aber ebenfalls geringfügige Varianten notiert (Ginsburg 1897, 32-65). Die Zahlen zu den großen Paraschen (פרשׁייות) sind Ginsburg entnommen (Ginsburg 1897, 66).
5. Den in der Tabelle angegebenen Werten haftet insbesondere bei den kleinen Paraschen und den Sedarim eine gewisse Willkür an. Sie stützen sich auf den Kodex Leningradensis als älteste durchgehende Datenquelle. Als Vergleichsgrößen sind in der Tora die Werte der Liste des Maimonides und bei den Sedarim jene dazugeschrieben, die Ginsburg aus der Masora erhoben hatte. Eine vollständigere Auswertung der einschlägigen Quellen ist ein Desiderat der Forschung.
5.2. Erste Auswertung der Daten
1. Die einzelnen Sammlungen „Tora“, „Nebiim“ und „Ketubim“ enthalten unterschiedlich viele Bücher (5, 8, 11) und sind unterschiedlich lang (5845, 9292 und 8064 Verse). Da Mose im Judentum als der Prophet schlechthin und als Autor der „Tora“ gilt, stehen den „prophetischen“ Büchern mit einem Umfang von etwa 15000 Versen die „Schriften“ gegenüber, die etwas mehr als die Hälfte ihres Umfangs einnehmen.
2. Die einzelnen Bücher sind von sehr unterschiedlichem Umfang (21 bis 2527 Verse), die in bis zu 66 Kapitel unterteilt sind. Auch die Länge der Kapitel, gemessen an der Versanzahl, schwankt sehr stark. Sieht man von Obadja ab, dessen ganzes Buch nur 21 Verse zählt, enthält das Hohelied mit knapp 15 Versen pro Kapitel im Durchschnitt die kürzesten, das Buch Numeri mit fast 36 Versen die längsten Kapitel. Die unterschiedlichen Werte zeigen an, dass sicher keine mechanischen Kriterien bei diesen Einteilungen den Ausschlag gegeben haben. Generell sind in den prosaischen Texten die Kapitel länger (27 bis 38 Verse), in den prophetischen und poetischen Texten kürzer (15 bis 26 Verse).
3. Auch die Texteinschnitte durch Petuchot und Setumot geschehen in den einzelnen Büchern in sehr unterschiedlicher Kadenz. Abgesehen vom Buch Obadja, das ohne Pause durchgelesen wurde, findet sich in den Klageliedern im Durchschnitt alle 1,7 Verse ein Texteinschnitt, während in Kohelet nur alle 44,4 Verse eine Pause eingeschaltet wird. Abgesehen von diesen Extremwerten liegt der Durchschnitt in der Hebräischen Bibel bei knapp sieben Versen, wobei er in der Tora deutlich höher (8,5; 16,5 in Genesis!), in den „Propheten“ (5,8) und „Schriften“ (6,3) darunter liegt.
4. In der Sedarim Einteilung fallen die sehr unterschiedlichen Werte unter den einzelnen Sammlungen auf. Während die einzelnen Sedarim in der Tora im Durchschnitt 35 Verse zählen (in Num 39
5. Der Umfang der Paraschen des babylonischen Lesezyklus liegt im Durchschnitt bei 108 Versen. Dabei zählen die Bücher Genesis, Exodus und Numeri signifikant mehr (121-129), Leviticus und Deuteronomium signifikant weniger (86-87) Verse. Demnach sind auch diese liturgischen Abschnitte nicht unter numerischen Gesichtspunkten gebildet worden, sondern wurden in Hinblick auf ihre Verwendung im Gottesdienst gebildet.
6. Die Abgrenzungen der einzelnen Texteinheiten und Texteinschnitte fallen im Allgemeinen mit den Versgrenzen zusammen. Eine Ausnahme bilden die relativ seltenen Fälle der „Pisqā’ bə’emṣā‘ pāsûq“, der „Pause mitten im Vers“. In der Tora ist dies – gemäß den Petuchot und Setumot der Liste des Maimonides – an folgenden Stellen anzutreffen: Gen 35,22b
7. Die Sedarimgrenzen fallen gelegentlich mit Kapitelübergängen zusammen, doch weisen sie im Wesentlichen andere Strukturen auf. Im Einzelnen wird ihr Verhältnis zur Kapiteleinteilung und zu den Petuchot und Setumot noch zu erforschen sein.
8. Die Paraschen des babylonischen Lesezyklus beginnen und enden im Allgemeinen in den Texteinschnitten der Petuchot und / oder Setumot. Nur in Gen 47,28
6. Exegetische Bedeutung der überlieferten Gliederungen
Petucha und Setuma beanspruchen – wenigstens was die Tora betrifft – in der jüdischen Tradition die gleiche Hochachtung wie der Text selbst. In der kritischen Exegese spielen sie heute außer in der Psalmeneinteilung praktisch keine Rolle, während die Kapitel- und Versgliederung in den Textausgaben und Kommentaren vorerst einmal übernommen und nur in sperrigen Fällen diskutiert oder übergangen werden. Dieser Usus ist wissenschaftlich nicht begründbar, da diese Gliederungsdaten sich auf älteste Bezeugungen der Textüberlieferung stützen können. Allerdings können sie ebenso wenig wie der Text selbst kritiklos übernommen werden. Für den wissenschaftlichen Umgang mit den Texten in der Exegese ist deshalb eine Disziplin „Gliederungskritik“ als methodischer Schritt im Rahmen der Textkritik zu entwickeln, die einerseits die zur Verfügung stehenden Daten zu erheben und andererseits die methodischen Schritte zum kritischen Umgang mit ihnen zu beschreiben hat.
Vgl. dazu die von der Gruppe „Pericope“ in Angriff genommenen Arbeiten (http://www.pericope.net
Literaturverzeichnis
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Abbildungsverzeichnis
- Torarolle mit 42 Zeilen; Text: Lev 9,23-10,16; Petucha in Zl. 23 und 30 (ca. 19. Jh.). © Stift Seitenstetten
- Torarolle Seitenstetten; Text: Ex 14,28-15,23 (aschkenasische Schrift, 19.Jh.?). © Stift Seitenstetten
- Kodex (Seitenstetten Cod. 262 HDS); Text: Jes 43,22-44,26; Setumot in 1., 2. und 4. Kolumne von rechts, Petucha in 3. Kolumne von rechts. © Stift Seitenstetten
- Biblia Hebraica Stuttgartensia (1977); Text: Jes 43,15-28; Samech vor Jes 43,16.22.25.28. © Deutsche Bibelgesellschaft,- Stuttgart
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