Pfeifen
(erstellt: August 2010)
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1. Kultur- und religionsgeschichtlich
Pfeifen als ein Mittel der Kommunikation dürfte bis in die Frühgeschichte der Menschheit zurückreichen. Schon früh und wahrscheinlich in allen Kulturen werden die Menschen das Pfeifen zur Verständigung über größere Entfernungen eingesetzt haben. Eine der ältesten schriftlichen Erwähnungen in der Bibel findet sich in Jes 5,26
Da in Sprachen der Antike „zischen“ und „pfeifen“ mit dem gleichen Wort bezeichnet werden können, muss jeweils aus dem Zusammenhang erschlossen werden, welche Bedeutung vorliegt. Die beiden Bedeutungen können ineinander übergehen. So war es schon in der Antike üblich, sein Missfallen durch „Zischen“ bzw. „Auspfeifen“ zum Ausdruck zu bringen. Cicero legt in einem Brief an Atticus aus dem Jahre 61 v. Chr. Wert auf die Feststellung, bei Spielen Ovationen erhalten zu haben, ohne jemals ausgepfiffen worden zu sein (Cic. Att. 1,16,11).
In vielen Kulturen wurde und wird das Pfeifen mit Magie und Aberglaube verbunden. So scheint der Glaube verbreitet zu sein, dass das Pfeifen Geister anlockt. Auch der Wind, der Regen, Schlangen, Erdmännchen, Dämonen, der Teufel und viele Arten von Insekten können durch Pfeifen – gewollt oder ungewollt – herbeigerufen werden. Unzählige Märchen und Sagen machen von diesem Motiv Gebrauch.
In der älteren exegetischen Literatur zum Alten Testament hatte es sich eingebürgert, das Pfeifen angesichts von Trümmern unter Berufung auf R. Lasch als eine Vorsichtsmaßnahme zu deuten, die gefahrvolle Geister, die in Ruinen hausen, vertreiben soll. So erklären z.B. G. Fohrer und W. Eichrodt das Pfeifen in Ez 27,35f
2. Pfeifen im Alten Testament
Im Alten Testament wird „pfeifen“ mit dem Verb שׁרק šrq ausgedrückt (zwölf Mal). Drei Mal geht es darum, dass Jahwe jemanden herbei pfeift: die Assyrer gegen Israel (Jes 5,26
2.1. Sich entsetzen und pfeifen
„Entsetzen“ (hebr. שׁמם šmm) bezeichnet im Alten Testament die menschliche Schreckensreaktion auf ein drohendes oder bereits eingetretenes Unheil. Wenn sich das Entsetzen mit einem Pfeifen verbindet, bringt der Handelnde zum Ausdruck, dass ihm das Unglück zu schaffen macht. Das Pfeifen bekundet die persönliche, geradezu körperliche Betroffenheit über das Geschehen. „Sich entsetzen“ und „pfeifen“ ist im Alten Testament die typische emotionale Reaktion eines Menschen, der an einer Trümmerstätte vorbeikommt und sich das Unheil vergegenwärtigt, das über die früheren Bewohner dieses Ortes hereingebrochen ist: „Es soll Edom wüst werden, dass alle, die vorübergehen, sich entsetzen und pfeifen werden“ (Jer 49,17
2.2. Den Kopf schütteln und pfeifen
Schüttelt jemand den Kopf, so hat das in alttestamentlicher Zeit die Bedeutung von „jdn. verachten“ und „verspotten“ (2Kön 19,21
2.3. In die Hände klatschen und pfeifen
Das Händeklatschen kann im Alten Testament Ausdruck ungetrübter Freude sein (Jes 55,12
2.4. Die Zähne blecken und pfeifen
Eine der urtümlichsten Gesten aggressiven Verhaltens, die ihren Ursprung im Tierreich hat, ist das Blecken der Zähne. Die demonstrative Bloßlegung des Gebisses bringt die feindliche Ablehnung eines Gegenübers zum Ausdruck: „Er war mein Feind: er bleckte die Zähne gegen mich, mein Widersacher funkelte mich mit seinen Augen an“ (Hi 16,9
2.5. Zusammenfassung
Neben dem Pfeifen zum Herbeirufen von Menschen und Tieren drückt Pfeifen bzw. Zischen im Alten Testament die spontane Reaktion auf ein Erlebnis aus, die von Verwunderung bis zu einem tiefen Erschrecken reicht. Diese emotionale akustische Reaktion kann neben persönlicher Betroffenheit und Bestürzung auch Ablehnung, Abscheu, Verachtung, Spott und Hohn über einen Menschen oder ein Geschehen ausdrücken und die Frage nach einem göttlichen Strafgericht aufwerfen.
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
- Biblisch-historisches Handwörterbuch, Göttingen 1962-1979
- Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff
2. Weitere Literatur
- Demetrio, F., 1991, Art. Whistling, in: Encyclopedia of Philippine Folk Beliefs and Customs, Volume 1, Cagayan de Oro City, 276-277
- Edwards, E.D., 1957, Principles of whistling, Bulletin of the School of Oriental and African Studies 20, 217-229
- Eichrodt, W., 1966, Der Prophet Hesekiel, Kapitel 19-48 (ATD 22/2), Göttingen
- Fohrer, G., 1955, Ezechiel (HAT 13), Tübingen
- Greenberg, M., 2005, Ezechiel 21-37 (HThKAT), Freiburg
- Grimm, J., 1968, Deutsche Mythologie, Wiesbaden (Nachdruck der 4. Auflage von 1875-78), Kapitel XX. Wind, Sturm
- Jahnow, H., 1923, Das hebräische Leichenlied im Rahmen der Volksdichtung, Gießen
- Lasch, R., 1915, Das Pfeifen und seine Beziehung zu Dämonenglauben und Zauberei, Archiv für Religionswissenschaft 18, 589-593
- Ostwald, P.F., 1959, When people whistle (Language and speech 2), 137-145
- Opie, J. / Tatem, M., 1989, Oxford book of superstition, London
- van Stekelenburg, A.V., 2000, Whistling in Antiquity, Akroterion 45, 65-74
- Uther, H.-J. (Hg.), 2004, Deutsche Märchen und Sagen, Berlin
- Uther, H.-J. (Hg.), 2004, Europäische Märchen und Sagen, Berlin
- Uther, H.-J. (Hg.), 2006, Märchen der Welt, Berlin
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