Priester (Ägypten)
(erstellt: Januar 2006)
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Im Alten Ägypten gab es keine strikt von der übrigen Bevölkerung getrennte Priesterklasse, sondern die meisten Priesterämter rotierten verteilt auf sog. Phylen. Im Alten Reich gab es fünf Phylen, danach wurde die Zahl auf vier reduziert (erst das Kanopusdekret führt 238 v. Chr. wieder fünf ein). Dies führte dazu, dass ein Priester nur ein Viertel des Jahres im Tempel Dienst tat, den Rest seiner Zeit hingegen anderen Geschäften nachging und dabei häufig verschiedenste priesterliche und nichtpriesterliche Ämter häufte. Andererseits partizipierte ein größerer Teil der Bevölkerung am Kult, als es ohne das Rotationssystem möglich gewesen wäre. Lediglich besonders spezialisierte Funktionen, die eine Sonderkompetenz erforderten, waren von diesem System ausgenommen.
Die Priesterschaft eines Tempels war hierarchisch organisiert, allerdings waren nicht an allen Tempeln alle idealiter zu vergebenden Posten besetzt. Sehr kleine Schreine konnten durchaus als Ein-Mann-Betrieb geführt werden, wobei der betreffende Verantwortliche in Personalunion alle relevanten Ämter vom Hohenpriester bis zum Türhüter innehatte. Die wichtigste Quelle über die Priesterränge und ihre Dienstpflichten ist das sog. Buch vom Tempel, ein Handbuch der Ägypter selbst zur architektonischen und personellen Ausstattung eines idealen Tempels, das überregionale Verbindlichkeit besaß.
Die meisten Priesterämter wurden von Männern versehen, doch gab es einige Ämter, die entweder eigens für Frauen gedacht waren oder für die zumindest auch weibliche Inhaberinnen möglich waren. So konnten Frauen besonders im Alten Reich als Priesterinnen im Kult weiblicher Gottheiten fungieren. Ein per se nur von einer Frau zu versehendes Amt war etwa das der sog. „Gottesgemahlin“, das im Falle des Reichsgottes → Amun
Idealiter sollten als eigentliche Priesterämter an einem gut ausgestatteten Tempel mindestens Hem-netjer „Gottesdiener“, d.h. Hohepriester, in der Ägyptologie analog zum Gebrauch bei den antiken griechischen Autoren auch als „Propheten“ bezeichnet, und Wab-Priester, „Reine“, vorhanden sein. Von den Propheten konnte es bis zu vier nach Rang durchnumerierte Vertreter geben. Dazu kamen insbesondere der Vorlesepriester (Cheri-hab(et) „Der unter der Fest-Schriftrolle ist“) und der Heri-seschta „Der, der über dem Geheimnis ist“.
Während dieses Schema überregional verbindlich war, gab es durchaus auch lokale Spezifika. So trugen die höchsten Priester wichtiger Kultorte eigene Titel wie etwa „Größter der Schauenden“ (Hoherpriester des Re in Heliopolis) oder „Größter der Handwerker“ (Hoherpriester des Ptah in Memphis), die nur ihnen zukamen und sie mit den jeweils lokal verehrten Hauptgottheiten verbanden. Handbücher explizierten die mythologischen Ursprünge und götterweltlichen Korrelate der jeweiligen Ämter.
Einige Ämter verfügten über eine charakteristische Amtstracht. So trug der Vorlesepriester Straußenfedern auf dem Kopf, weswegen er griechisch als „Pterophoros“ bezeichnet wurde. Dem Se(te)m hingegen stand ein Pantherfell zu, das freilich ein Imitat aus Stoff sein sollte, da die Priester einem Woll- und Lederverbot unterlagen.
Das genannte Verbot war nur ein Element innerhalb einer Reihe von Reinheitsvorschriften, denen sich die Priester unterziehen mussten. Dazu gehörten Regeln über sexuelle Enthaltsamkeit, Speisegebote und elaborierte Anweisungen zur körperlichen Hygiene. Vor Dienstantritt musste sich der Priester eine vorgeschriebene Frist lang unter anderem dem Kauen von Natron unterziehen. Auch die Entfernung der Körper- und Kopfbehaarung und die Beschneidung gehörten zu diesen Vorschriften.
Besitz. Zu einem Priesteramt gehörte eine Pfründe, die je nach Größe eine recht lukrative Einnahmequelle darstellen konnte. Die Priester profitierten auch von den dargebrachten Opfern, die im sog. Opferumlauf idealiter erst an die Götter, dann an die Toten und schließlich realiter an die lebende Belegschaft des Tempels gingen. Trat ein Priester altersbedingt in den Ruhestand, so wurde ihm weiterhin Versorgung gewährt. Ebenso erhielten im Todesfall seine Frau und seine Kinder eine Art Hinterbliebenenrente. Der Verstorbene selbst wurde auf Tempelkosten bestattet und erhielt im Falle ranghoher Ämter eine Statue im Tempel.
Als Normalfall wurde die Erbfolge des Sohnes auf den Vater bezüglich des Amtes angesehen, allerdings wurde daneben auch auf persönliche Befähigung geachtet. Aus der Spätzeit sind einige lange Priesterstammbäume überliefert, die diesem Prinzip verpflichtet sind. Daneben konnten jedoch auch Neuernennungen als besonderer Gunsterweis durch den König erfolgen.
Die Ausbildung des Priesternachwuchses folgte einem gewissen Standardcurriculum, zu dem neben unmittelbar religiös-rituellem Wissensgut auch Gesangstechniken, Divination und Medizin gehörten. Letztere Kenntnisse waren jedoch einem Spezialunterricht für die Kinder der ranghöchsten Priester vorbehalten. Tatsächlich dürften alle Zweige der ägyptischen Wissenschaften mit Ausnahme der Mathematik nahezu exklusiv in priesterlicher Hand gelegen haben. Im Rahmen des Amtsantritts durchliefen zumindest die höheren Ränge eine Art von religiöser Initiation, die in den Texten als „Einführung beim Gott“ bezeichnet wird. Dabei dürfte zum Teil auch spezifisches Wissen abgefragt worden sein.
Daneben spielten die Priester einerseits durch die Ämterverflechtung, andererseits durch den teils erheblichen Geld- und Grundbesitz der Tempel auch politisch eine einflussreiche Rolle, die während der 21.-23. Dyn. im sog. Thebanischen Gottesstaat gipfelte, als der Hohepriester des Amun zu einem nahezu unabhängigen König in Oberägypten aufstieg, während offiziell der Gott Amun als Souverän angesehen wurde. Dabei handelte es sich um eine vorübergehende Sonderentwicklung der traditionell verbindlichen Konzeption, dass der König der Priester aller Götter par excellence sei und die realen Priester nur seine Delegierten. Dementsprechend werden auch in den Tempelszenen nur in Festdarstellungen mit mehreren Beteiligten Priester dargestellt, während in normalen Opferszenen mit einem Offizianten immer nur der König in Person gezeigt wird.
Obwohl Idealkonzepte Ausländern den Zutritt zu den inneren Tempelbezirken verbieten, ist aus der griechisch-römischen Zeit eine Reihe von Priestern nicht-ägyptischer Abkunft nachweisbar. Das ägyptologische Konstrukt einer besonderen Fremdenfeindlichkeit der späten Priester als Hüter wahren Ägyptertums ist unter anderem vor diesem Hintergrund nicht haltbar.
Literaturverzeichnis
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