Prophetenerzählung
(erstellt: November 2007)
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1. Die „Gattung“ Prophetenerzählung
1.1. Form und Inhalt
1.1.1. Prophetenspruch – Prophetenerzählung
Grundlegend lassen sich Prophetenspruch und Prophetenerzählung unterscheiden (→ Prophetische Redeformen
Die alttestamentlichen Zeugen der prophetischen Auftritte berichten seit dem 8. Jh. v. Chr. nicht mehr vom gesamten Auftritt eines Propheten, sondern halten lediglich den entscheidenden Gottesspruch fest. Mehrere solche Sprüche werden in eigenständigen Sammlungen herausgeben. Damit ist die Vorstellung verbunden, dass jeder Prophet eine in sich einheitliche Sache (dāvār) vertritt, die er in göttlichem Auftrag seinen Hörern verkündet, damit diese die Dramatik ihrer Lage vor Gott verstehen und, falls das überhaupt noch möglich ist, die nötigen Konsequenzen ziehen. Einige Überschriften bringen diese Vorstellung knapp und markant zum Ausdruck: „Wort (dāvār) JHWHs, das geschaut hat N. N. in den Tagen des Königs X“ (Jes 2,1
1.1.2. Die Funktion von Prophetenerzählungen im Kontext
Die Erzählungen von Propheten basieren auf dieser Vorstellung prophetischer Verkündigung in einer bestimmten geschichtlichen Situation, die sie narrativ entfalten. Sie schildern den Propheten als Handlungsträger und überliefern seine Verkündigung teils in direkter Rede. In vielen Fällen muss man davon ausgehen, dass die Erzählungen eine bestimmte Funktion innerhalb der Komposition einer übergreifenden Geschichtsdarstellung erfüllen sollen. Möglicherweise wurden einzelne Prophetenerzählungen sogar eigens für ihren Kontext geschaffen. So oder so ist damit zu rechnen, dass man Figuren erzählerisch ausgestaltete, so dass sie dem Interesse der übergreifenden Geschichtsdarstellung besser dienen konnten. Die Geschichtsdarstellung insgesamt bildet den interpretatorischen Rahmen, in den der einzelne prophetische Auftritt eingezeichnet wird (vgl. den Auftritt des Propheten → Micha ben Jimla
1.1.3. Merkmale der „Gattung“ Prophetenerzählung
Prophetenerzählungen werden als narrative Texte von anderen Formen schriftprophetischer Überlieferung abgehoben. Als entscheidendes Merkmal gilt nicht die Form, sondern ihr Inhalt, insbesondere die Figur des Propheten, insofern handelt es sich nicht um eine bestimmte Erzählgattung im engeren Sinne.
Für die Prophetenerzählung lassen sich drei Ausgangspunkte vermuten:
● erstens der Visionsbericht des Propheten, der, anders als der Prophetenspruch, nicht poetisch, sondern prosaisch überliefert ist (vgl. Am 7,1-9
● zweitens die in der 1. oder 3. Pers. Singular formulierte prosaische Erzählung über eine symbolische Handlung (vgl. Jer 19,1ff
● und drittens die kurzen Erzählungen der Königsbücher, die von prophetischen Auftritten in bestimmten geschichtlichen Situationen aus einem der beiden Reiche berichten (vgl. → Ahija von Silo
1.1.4. Unterschiedliche Prophetenerzählungen
Ausgehend vom Inhalt der Erzählungen lassen sich die Prophetenerzählungen sachlich unterscheiden. Erzählungen, in denen ein Prophetenwort im Mittelpunkt steht (z.B. 1Kön 21,17-20
1.2. Figurenkonstellationen
Die Prophetenerzählung stellt die prophetische Verkündigung innerhalb einer konkreten Konstellation und mit Schilderung konkreter Handlungsvollzüge dar. Hauptakteur ist der Prophet, der in aller Regel ohne Begleiter auftritt. Er kommt fast ausschließlich als Übermittler einer göttlichen Botschaft (Prophetenspruch, Vision, Zeichenhandlung) in den Blick. Ein Interesse an der menschlichen Person besteht nur dann, wenn das für die Einordnung der Botschaft von Bedeutung ist. Die Adressaten sind Einzelne oder Gruppen, fast ausschließlich Männer.
Viele der erhaltenen Prophetenerzählungen dürften auf tatsächliche Auftritte von Propheten zurückgehen, setzen diese aber vermutlich in gattungstypische Figurenkonstellationen um. Eine häufig gewählte paradigmatische Konstellation dieser Erzählungen ist die des Propheten, der dem (in vielen Fällen gar nicht oder erst sekundär namentlich genannten) König gegenübertritt. Diese König-Prophet-Erzählungen reflektieren die geschichtliche Erfahrung der israelitischen Königszeit mit den Propheten.
Für das Verständnis der Prophetenerzählung ist die Interpretation der Figuren entscheidend, die aus dem Kontext und aus der Einfügung der Erzählung in einen bestimmten literarischen Kontext zu erheben ist. Zu beachten ist dabei eine spezifisch judäische Perspektive der überlieferten Historiographie. Der Gegensatz zwischen dem Propheten und dem König bildet ein durchlaufendes Thema der Prophetenerzählungen in den Königsbüchern. In der deuteronomistischen Geschichtstheologie gipfelt der Gegensatz zwischen König und Prophet im Ruf des Propheten zu Umkehr und zum Toragehorsam (2Kön 17,13
Neben dem Gegensatz zwischen König und Prophet beschreiben die Erzählungen von → Elia
2. Einzelgestalten in Prophetenerzählungen
2.1. Prophetengestalten in Genesis – Deuteronomium
In der Rückprojektion wird der Titel Prophet (nābî’) bzw. Prophetin (nəbî’āh) für die Figuren → Abraham
2.2. Prophetenerzählungen in den Büchern Josua – Richter
Während sich im Deuteronomium, das von der völligen Ablehnung aller nichtprophetischen Formen der Mantik geprägt ist (Dtn 18,10-14
2.3. Prophetenerzählungen in den Büchern Samuel – 2Könige
In die → Samuel-
In einer stark deuteronomistisch durchformten Erzählung wird Davids Rolle als König und die Rolle des Propheten am Hof in der Figur des → Nathan
Einen anonymen Gottesmann nennt 1Sam 2,27-36
Der Prophet → Gad
→ Ahijas
Eine komplexe Folge von Erzählungen bietet die Überlieferung von → Elia
2Kön 18-20
Selbstständige Einzelüberlieferungen bilden 1Kön 13
Der Auftritt des anonymen Gottesmannes in → Bethel
1Kön 20,1f
1Kön 22,1f
Auf der Ebene der deuteronomistischen Redaktoren ist das Prophetenbild in den Erzählungen bestimmt durch die Mahnung zu Umkehr und Toragehorsam (2Kön 17,13
2.4. Prophetenerzählungen in den Werken der Schriftpropheten
2.4.1. Jesaja
Im → Jesajabuch
2.4.2. Jeremia
Besonders stark ist die → Jeremiaüberlieferung
Gezielt werden biographische Einzelheiten des Propheten zum Thema der prophetischen Verkündigung gemacht. Der Prophet wird selbst zum Zeichen durch den Verzicht auf Frau und Kinder (Jer 16,1-9
Großes Gewicht erhalten Erzählungen von Konflikten Jeremias mit anderen Propheten. In Jer 26
Als weiterer Schwerpunkt lässt sich der Konflikt des Propheten mit dem König nennen. Eindrucksvoll erzählt wird, wie der am wärmenden Feuer sitzende König → Jojakim
2.4.3. Amos
Im → Amosbuch
2.4.4. Jona
Das → Jonabuch
3. Die literarische Entwicklung
Die Erforschung der Schriftprophetie widmet sich seit der Mitte des 20. Jh.s, insbesondere unter dem Einfluss von S. Mowinckel (Prophecy and Tradition, 1946), den redaktionellen Überarbeitungs- und Umstrukturierungsprozessen, in deren Verlauf die Schüler des jeweiligen Propheten dessen Erbe aktualisierten. Innerhalb dieser Prozesse spiegeln die Prophetenerzählungen die Auseinandersetzung mit einer prophetischen Gestalt, die sie in die Konfliktkonstellationen ihrer Zeit einzeichnen und mittels der den Rezipienten eine bestimmte Auffassung vom Geschichtsverlauf nahe gebracht werden soll.
Die literarische Entwicklung der Gattung „Prophetenerzählung“ zeigt sich in allen Erzählbereichen und ist durch unterschiedliche Trägerkreise bedingt. Vermutlich wurden in den Samuel- und Königsbüchern ältere Kerne von Überlieferungen, die vom klaren Gegensatz zwischen Prophet und König bestimmt sind, überarbeitet. Ausgehend von einzelnen Episoden wuchsen Erzählkränze, in die spätere Bildungen, z.B. Jugendüberlieferungen (vgl. 1Sam 1-3
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
- Theologische Realenzyklopädie, Berlin / New York 1977-2004
2. Weitere Literatur
- Camp, L., 1990, Hiskija und Hiskijabild. Analyse und Interpretation von 2Kön 18-20 (MThA 9), Münster
- Dietrich, W., 2000, Prophetie im Deuteronomistischen Geschichtswerk, in: Römer, T. (Hg), The Future of the Deuteronomistic History, Leuven, 47-65
- Hardmeier, C., 1990, Prophetie im Streit vor dem Untergang Judas. Erzählkommunikative Studien zur Entstehungssituation der Jesaja- und Jeremiaerzählungen in II Reg 18-20 und Jer 37-40 (BZAW 187), Berlin
- Koch, K., 2. Aufl. 1988, Die Profeten I. Assyrische Zeit, Stuttgart
- Koch, K., 3. Aufl. 1995, Die Profeten II. Babylonisch-persische Zeit, Stuttgart
- Mowinckel, S., 1946, Prophecy and Tradition. The Prophetic Books in the Light of the Study of the Growth and History of the Tradition, Oslo, 1946
- Plöger, O., 1937, Die Prophetengeschichten der Samuel- und Königsbücher, Diss. Greifswald
- Rofé, A., 1988 (hebr. 1982; 1986), The Prophetical Stories. The Narratives about the Prophets in the Hebrew Bible. Their Literary Types and History, Jerusalem
- Wolff, H.W., 2. Aufl. 2003, Studien zum Jonabuch, Mit einem Anhang von Jörg Jeremias: Das Jonabuch in der Forschung seit Hans Walter Wolff, Neukirchen
Abbildungsverzeichnis
- Nathan und David (Jean Colombe, Illustration zu Ps 32, aus dem Stundenbuch des Duc de Berry „Très Riches Heures“; 1485-1489).
- Raben versorgen Elia (Ikone, Nowgorod, 14. Jh.).
- Debora führt den Kampf an (Psalter des Hl. Ludwig; 13. Jh.).
- Samuel salbt David (1Sam 16; Wandmalerei in der Synagoge von Dura Europos; 3. Jh.).
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