Prophetische Redeformen
(erstellt: Januar 2006)
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1. Allgemeines
Diejenigen Redeformen, die innerhalb der Verkündigung der Propheten angewendet werden, sind zum überwiegenden Teil nicht genuine Schöpfungen prophetischen Sprachgebrauchs. Sie erhalten vielmehr einen gewichtigen Teil ihrer Aussagekraft daraus, dass sie gerade die Konnotationen der häufig profanen Textsorten (z.B. → Botenspruch
Prophetische Texte und damit auch prophetische Redeformen sind dabei nicht auf das corpus propheticum (Jes-Mal) beschränkt; die Prophetenerzählungen des → deuteronomistischen Geschichtswerks
Generell ist die Verkündigung der Propheten des Alten Testaments zum großen Teil Ankündigung bevorstehenden Unheils, nur zum geringeren Teil besteht sie in heilvollen Ankündigungen (Heilsworte). Innerhalb der Unheilsverkündigungen bilden die Gerichtsworte die wichtigste Gruppe. Außerdem richten sich die Propheten zumeist an ihr eigenes Volk, daneben gibt es aber auch Ankündigungen an fremde Völker (Völkersprüche), und zwar sowohl heilvolle als auch unheilvolle. Der Aufbau der Prophetenbücher folgt oft dem sog. „eschatologischen Schema“: 1) Unheilsankündigungen für Israel / Juda, 2) Fremdvölkersprüche und 3) Heilsankündigungen für Israel / Juda (vgl. → Ezechiel
Dass es in der Frage nach der Verwendung vorgegebener Textformen in der Prophetie für heutige Exegese primär um literarische Formen geht, gilt unabhängig davon, ob man es mit der älteren Forschung für möglich hält, zur mündlichen Form prophetischer Verkündigung vorzustoßen („ipsissima vox“) oder ihr zumindest nahe zu kommen („Auftrittsskizze“). Die Mehrzahl der Exegeten rechnet allerdings nicht mehr mit einer solchen Möglichkeit. Die Beschäftigung mit prophetischen Redeformen ist durch die formgeschichtliche Methode initiiert worden (→ Hermann Gunkel
Die Exegese hat für den Bereich der Prophetie eine Reihe von häufiger verwendeten Formen erhoben, die wichtigsten werden in den folgenden Abschnitten einzeln dargestellt.
2. Unheilsankündigungen
2.1. Gerichtsworte
Unheilvolle prophetische Worte treten häufig in einer Form auf, die in der Exegese mit dem Begriff „Gerichtswort“ bezeichnet wird. Sie richten sich in den Prophetenschriften des Alten Testaments in der Mehrzahl gegen Israel / Juda, also gegen ein Kollektiv. Westermann sah den Ursprung des Gerichtswortes in der Unheilsankündigung an eine Einzelperson (z.B. Am 7,16-17
Grundlegendes Vorbild für die literarische Form ist das Gerichtsverfahren, das in der prophetischen Verkündigung in übertragener Verwendung auftaucht – ähnlich wie die Botenrolle in der Botenformel. Das bevorstehende Unheil wird mit Hilfe des Modells des Gerichtsverfahrens gedeutet als richtendes und strafendes Handeln Gottes. Dieses Muster kommt auch in den Gerichtsworten an ein Kollektiv zur Anwendung.
In einigen Untersuchungen begegnen die Begriffe „Drohwort“ und „Scheltwort“, die zwei weitere, voneinander unabhängige Textsorten suggerieren (Westermann, 20). Die Unterscheidung geht auf Hermann Gunkel zurück, der das „Scheltwort“ anders als das Drohwort für eine nicht genuin prophetische Form hielt. Zwischen dem Scheltwort und dem Drohwort gibt es keine durchgängig greifbaren äußeren Formunterschiede, es handelt sich bei ihnen auch nicht um eigenständige Formen (Westermann, 20.46). Die Begriffe bezeichnen zumeist die beiden konstitutiven Bestandteile des Gerichtswortes, Anklage („Scheltwort“) und Schuldankündigung („Drohwort“). Beide sind nur durch ihre Verwendung im Gerichtswort unterschieden. Der öfter angeführte Unterschied, dem „Scheltwort“ sei die Vergangenheit zugeordnet, dem „Drohwort“ dagegen die Zukunft, bezieht sich auf die Semantik, nicht auf eine klare grammatische Differenzierung. Der hebräische Text zeigt an diesen Stellen keine eindeutige formale Prägung hinsichtlich der Tempora.
Der terminologische Unterschied verweist auf einem Unterschied im Prophetenbild (→ Prophetie
2.2. Weheworte
Weheworte beginnen mit einem Klageschrei הוי (hoj) „Wehe…“ und sind dadurch formal deutlich markiert. Ihren „Sitz im Leben“ haben sie wohl am Grab in der Totenklage (1Kön 13,30
3. Heilsankündigungen
Heilsworte sind im Alten Testament in fast allen prophetischen Schriften überliefert. Sie kündigen dem Adressaten für die Zukunft ein heilvolles Eingreifen Gottes an. Historisch lassen sich Heilsworte sowohl am Anfang als auch am Ende der Geschichte der Prophetie Israels verorten: Zu den frühen Vorstellungen von der Aufgabe des Propheten gehört der Gedanke, dass der Prophet angesichts des erzürnten Gottes für sein Volk eintreten muss, damit Gott von seinem Zorn ablässt und nicht straft. Dieser Linie folgen z.B. die ersten beiden Visionen des Amos (Am 7,1-6
Die spätere Prophetie sieht die geschichtlichen Ereignisse des Untergangs von Nord- und Südreich nicht als endgültiges Vernichtungsgericht, sondern als Läuterungsgericht. Diese Deutung eröffnet einer neuen Heilsverkündigung den Weg. Denn nach dem Gericht kann einem geläuterten Israel – und später teilweise auch den Völkern (Sach 14,16
Heilsworte finden sich häufig am Ende der Prophetenschriften.
3.1. Heilsorakel
Der Begriff Heilsorakel bezeichnet eine in Struktur und „Sitz im Leben“ klar umrissene Form im Alten Testament. Beschrieben wurde sie zuerst 1934 von Joachim Begrich, der sich vor allem auf Texte → Deuterojesajas
Eingeleitet wird das Heilsorakel, das stets als Gottesrede formuliert ist und den Heilsempfänger direkt anspricht, mit der Aufforderung „Fürchte dich nicht!“. Darauf folgt in der Regel die Bezeichnung des Angeredeten. Wenn diese fehlt, folgt das nächste Element unmittelbar auf die Einleitung: Zumeist mit כי „denn“ eingeführt, schließt sich eine Begründung – häufig in Gestalt eines Nominalsatzes – an, die den Vertrauensäußerungen der Klagepsalmen entspricht. Darauf folgt die an den Beter gerichtete Aussage, dass JHWH erhört hat, im hebräischen Perfekt (qatal, Afformativkonjugation). Die das Orakel abschließende Heilszusage formuliert Gottes Eingreifen zu Gunsten des Beters im hebräischen Imperfekt (jiqtol, Präformativkonjugation), also als zukünftiges Geschehen. Die Form tritt gelegentlich erweitert auf, nicht immer folgt sie streng dem Schema. Als Beispiel für ein Heilsorakel wird in Tabelle 2 Jes 43,1-2
3.2. Heilszusagen, Heilsverheißungen, Heilsschilderungen
Der Begriff Heilszusage bezeichnet nicht nur einen Bestandteil des Heilsorakels, sondern in einem weniger präzisen, weiteren Sinn eine Heilsverheißung.
Heilsverheißungen sind, wie die Heilszusagen des Heilsorakels, Vorhersagen künftigen Heils, die den Heilsempfänger in der 2. Person ansprechen, aber nicht in die Form des Heilsorakels eingebunden sind (Jes 60,4-5
Heilsschilderungen sind dagegen nicht in der direkten Anrede formuliert. Sie beschreiben in narrativer Weise, wie das Heil im Einzelnen gestaltet ist (Mi 4,1-4
4. Fremdvölkersprüche
Fremdvölkersprüche kündigen Feinden Israels Unheil und damit implizit Israel Heil an. Sofern das Unheil begründet wird, verweisen sie auf das Verhalten der jeweiligen Völker, auch ihr Verhalten gegenüber Israel / Juda (Am 1-2).
Während späte Propheten eine universale Heilszeit verheißen können, in die auch fremde Völker integriert sind (Jes 55,5
Unter den Fremdvölkersprüchen finden sich auch Sprüche gegen Israel und Juda (z.B. Am 2,4-16
Literaturverzeichnis
- Begrich, Joachim, Das priesterliche Heilsorakel, in: ders., Gesammelte Studien zum Alten Testament (TB 21), München, 1964, 217-231
- Huwyler, Beat, Jeremia und die Völker. Untersuchungen zu den Völkersprüchen in Jeremia 46-49 (FAT 20), Tübingen 1997
- Jeremias, Jörg, Die Vollmacht des Propheten im Alten Testament, EvTh 31 (1971), 305-322
- Jeremias, Jörg, Die Rolle des Propheten nach dem Amosbuch, in: ders., Hosea und Amos (FAT 13), Tübingen 1996, 272-284
- Kaiser, Otto, Grundriß der Einleitung in die kanonischen und deuterokanonischen Schriften des Alten Testaments. Band 2: Die prophetischen Werke, Gütersloh 1994
- Westermann, Claus, Grundformen prophetischer Rede, München 5. Aufl. 1978
- Westermann, Claus, Prophetische Heilsworte im Alten Testament (FRLANT 145) Göttingen 1987.
- Wolff, Hans Walter, Die Begründung der prophetischen Heils- und Unheilssprüche (1934), in: ders., Gesammelte Studien zum Alten Testament (TB 22), München 1973, 9-35
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