Proskynese
(erstellt: September 2016)
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1. Definition
Unter Proskynese verstehen wir im Kontext der Bibel das zeremonielle Sich-Niederwerfen (Prostration) einer untergeordneten Person vor einer höhergestellten oder eines Menschen vor Gott. Meistens ist der Akt in vorausgehende und / oder nachfolgende Gesten eingebettet. Zu der von dieser Definition abweichenden, ursprünglichen Bedeutung des griechischen Wortes s.u. 3.4.
2. Anthropologische Bedeutung der Geste
Das Niederfallen ist im Kern eine Form des Totstellreflexes (freezing), der völligen Unterwerfung vor dem Mächtigeren, wie er etwa bei Wölfen und Hunden im Rudel beobachtet werden kann. Angesichts Gottes, den kein Mensch schauen kann, ohne zu sterben (vgl. Ex 24,22
Das phylogenetisch alte Instinktverhalten der Unterwerfung kann bei Menschen in psychotischen Zuständen gegenüber dem vernünftigen Verhalten an die Oberfläche treten und in diesem Zusammenhang als „Geistesstörung“ wahrgenommen werden (Meyendorf). Das genaue Studium der Ursachen und Begleitumstände der körperlichen oder emotionalen Schockstarre, die der Kern vieler psychosomatischer Krankheiten ist, ist Voraussetzung ihrer erfolgreichen Therapie (Madert). Die pathologischen Formen der „Proskynese“ verweisen indirekt auf die liminale Funktion der Geste im kultischen Ritual oder im höfischen Zeremoniell.
3. Sprachliche Ausdrücke und ihre bildhaften Pendants
3.1. Westsemitisch
Sprachlich findet die Intensität der Geste des Sich-Niederwerfens im Hebräischen ein Echo in einer sehr seltenen, archaischen Hitpalel-Verbform (Hitpael mit verdoppeltem dritten Radikal). הִשְׁתַּחֲוָה hištaḥǎwāh wird abgeleitet von חוה ḤWH. Etymologisch liegen heute noch zwei mögliche Erklärungen vor (für weitere ältere oder unwahrscheinliche Erklärungen siehe Weippert / Weippert; Gesenius, 18. Aufl., unter שׁחה šḥh): 1. Ein Verb חוה ḤWH mit der Grundbedeutung „rund sein“ (bezeugt etwa im Arabischen), das im Št-Stamm (Hitpael) „sich runden / zusammenziehen / zusammenrollen machen“ bedeuten würde. Der Ausdruck nähme dann auf die Körperhaltung Bezug. 2. Eine archaische Verbform חוה ḤWH des Verbs חיי ḤJJ mit der Grundbedeutung „leben“ und der Bedeutung „sich leben machen“ bzw. „um Leben bitten“ im Št-Stamm. Der Ausdruck nähme dann Bezug auf den verhaltenspsychologischen Zweck der Körperhaltung gegenüber der mächtigeren Person.
Der Gebrauch der besonderen Verbform ist im Ugaritischen (→ Ugarit
Wie im Ugaritischen wird auch im Hebräischen „sich niederwerfen“ oft begleitet von weiteren Verben der Bewegung, die die Dynamik des Aktes unterstreichen. In der Reihenfolge ihrer Häufigkeit sind das: „sich auf die Knie werfen“ (קדד QDD; oft vom ganzen Volk oder einer Gruppe gesagt, z.B.: Ex 4,31
3.2. Ägyptisch
In Ägypten sprach man vom „Erdküssen“ (äg. śn-t3) bzw. vom „Boden berühren“ (mit der Stirne) (äg. dhn t3) und vom „sich auf den Boden werfen“ (äg. rdjt ḥr ẖ.t). Das „Erdküssen“ wird oftmals begleitet von den Ausdrücken „beugen“ (äg. ks) und „Gott verehren“ (äg. dw3 nṯr). Viele ägyptische Darstellungen betonen die Bewegung des Aktes durch die Darstellung mehrerer Aspekte, verteilt auf verschiedene Personen einer Gruppe (Abb. 2).
3.3. Ostsemitisch
Auf Akkadisch gibt es für die Proskynese den Ausdruck „den Boden küssen“ (našaqu qaqqaru). Der Ausdruck labānu appa, häufig falsch wiedergegeben mit „die Nase platt machen“ und ebenfalls auf die Proskynese bezogen, bedeutet hingegen „die Nase streichen“ und bezieht sich auf einen Gestus, bei dem die Hand oder ein Zweig über die Nase gestrichen wird. Er kam beim Erscheinen vor Gottheiten in sog. Einführungsszenen zur Anwendung (Gruber).
3.4. Griechisch
In der Septuaginta wird das Wort typischerweise nicht wie sonst bei den Griechen mit Akkusativ („etwas küssen“), sondern mit Dativ („jemandem zuküssen“) verwendet.
4. Biblische Kontexte
Der Begriff הִשְׁתַּחֲוָה hištaḥǎwāh kommt in der Bibel über 170-mal vor, oft in bedeutenden Kontexten. Die intensive Unterwerfungsgeste dient mehrheitlich dazu, den einzigartigen, universalen Autoritätsanspruch JHWHs bzw. Gottes herauszustreichen. Er ist der einzige, dem diese Referenzerweisung unhinterfragt zusteht. Zwischen Menschen ist sie selten und eher problematisch, gegenüber Götzen und Herrschern, die als Gott verehrt werden, wollen wird sie strikt abgelehnt.
4.1. Proskynese vor Menschen
Unterschiedlichste Autoritäten werden durch Proskynese geehrt: Der zu versöhnende Bruder (Gen 33,3.6.7
4.2. Proskynese vor Gott
Unbestrittener Adressat dieser Intensivform der Huldigung ist aber allein Gott, und zwar nur der einzigartige Gott JHWH, vor dem sich selbst die anderen Götter (Ps 97,7
Die Völker werden aufgefordert, vor JHWH niederzufallen (Ps 96,6
4.3. Proskynese vor dem Sohn Gottes
„Anbeten“ (προσκυνεῖν proskynein) ist ein christologisches Leitwort im Matthäusevangelium und nur in diesem Evangelium. Einerseits verweigert Jesus in der Versuchungsgeschichte dem Satan, Dtn 6,13
4.4. Verweigerte Proskynese vor Götzen und Herrschern
5. Nachleben und Bedeutung in den abrahamitischen Religionen
5.1. Judentum
Im Judentum sind die Praktiken je nach Gegend und Ausrichtung der Synagoge sehr unterschiedlich. Das aschkenasische Judentum kennt die Proskynese nur noch am Versöhnungstag.
Die spezielle Verehrung JHWHs am Neumondtag stellte ein Problem dar, da man im Neumond das Erscheinen JHWHs hätte sehen können. Es gibt daher im Judentum das Verbot, beim Sprechen des Neumondsegens die Knie zu beugen.
5.2. Christentum
5.3. Islam
Literaturverzeichnis
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Abbildungsverzeichnis
- Kanaanäer huldigen einem hohen Beamten in Ägypten, dem sie Tribute bringen. Die in zwei Phasen – (1) Knien mit ausgestreckten Armen und (2) Erdküssen mit angezogenen Armen und niedergebeugtem Rücken – dargestellte Huldigung kann von „Höflichkeitsformeln“ begleitet sein, die die Ausdrücke „preisen“, „die Erde küssen“, „in Verneigung“, „gesenkten Hauptes“ und „in Frieden herbeikommen“ enthalten (Reliefausschnitt aus dem Grab des Hui, Theben; um 1340 v. Chr.). Aus: N.M. Davies / A.H. Gardiner, Ancient Egyptian Paintings, Bd. I, Chicago 1937, Pl. 42
- Proskynese der Fremdvölker in drei Aspekten zur Betonung der Bewegung. Der Charakter der liniensicheren Meisterskizze trifft die Dynamik der Bewegung noch besser als ausgeführte Bilder mit demselben Motiv (Skizze auf Kalkstein, Ägypten, 1570-1085 v. Chr.). © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
- Neun Nichtägypter, die die traditionellen Nachbarn bzw. Feinde Ägyptens vergegenwärtigen, bitten um Asyl. Einer liegt auf dem Bauch, einer sogar in völliger Preisgabe der verletzlichsten Körperteile auf dem Rücken, weitere sind im Gestus des Niederfallens dargestellt, drei aber bereits im Lobpreis für das gewährte Asyl mit seitlich erhobenen Armen (Reliefdetail aus dem Beamtengrab Haremhabs in Memphis 1345-1318 v. Chr.). Aus: H. Greßmann, Altorientalische Bilder zum Alten Testament, Berlin / Leipzig 2. Aufl. 1927, Abb. 87
- Pharao Echnaton (Amenophis IV., 1365-1360 v. Chr.) huldigt in Prostration unter Pavianen seinem einzigen Gott Aton (Bemalter Sandsteinblock aus Karnak). Zeichnung: Hildi Keel-Leu; © Stiftung BIBEL+ORIENT, Freiburg / Schweiz
- Israels König Jehu unterwirft sich dem assyrischen König Salmanassar III. (Schwarzer Obelisk, 9. Jh. v. Chr.). © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
- Männer der Stadt Lachisch in zivilen Hemdgewändern bringen ihre Kapitulation vor dem thronenden assyrischen König Sanherib durch Prostration zum Ausdruck. Die Reliefkünstler haben die Geste verdeutlicht, indem sie die Bewegungsmomente auf sechs Figuren verteilt haben (Reliefdetail, Palast Sanheribs in Ninive, nach 700 v. Chr.). Aus: A.H. Layard, A Second Series of Monuments of Nineveh, London 1853, Pl. 23
- Ein Meder grüßt Dareios I. mit Kusshand (Ausschnitt aus einem Audienzrelief vom Apadana in Persepolis). Aus: Wikimedia Commons; © xiquinhosilva, Wikimedia Commons, lizenziert unter CreativeCommons-Lizenz cc-by-sa 2.0 generisch; Zugriff 21.10.2016
- Ikonographisch wird die Apostasie in frühchristlichen Darstellungen nach Dan 3 dadurch angezeigt, dass die drei Jünglinge vor dem Standbild stehen und den Arm demonstrativ an sich ziehen (Tonlampe aus Zentraltunesien; 5. Jh. n. Chr.). Zeichnung: Barbara Connell; © Stiftung BIBEL+ORIENT, Freiburg / Schweiz
- Titelkupfer des christlichen Gesangbuches der evangelischen Brüdergemeinden von 1735.
- Abfolge der muslimischen Gebetshaltungen: a) Takbīrat al-iḥrām, b) Qirā’a, c) Rukū‘, d) I‘tidāl, e) erster Suğūd, f) Ğulūs, g) zweiter Suğūd, h) Qu‘ūd, i) und j) Salām Takb. Aus: Wikimedia Commons; © public domain; Zugriff 18.10.2016 (Original drawing by Sureyya Aydin, 1992, first published in the educational book Inn i det ukjente, by NRK [Norwegian broadcasting corporation])
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