Prüfung
(erstellt: März 2015)
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1. Terminologie und Belege
Die mit dem deutschen Begriff „Prüfung“ in Verbindung gebrachten Sachverhalte sind in der alttestamentlichen Überlieferung überaus facettenreich und erstrecken sich vom Moment der intellektuellen Untersuchung über die Entschlackung bei der Metallschmelze bis hin zur rebellischen Provokation Gottes und zum theologisch eminent bedeutsamen Gesichtspunkt der Glaubensprobe. Dementsprechend haben sich im Wortgebrauch der hebräischen Textgestalt des Alten Testaments verhältnismäßig viele sinnverwandte Ausdrücke etabliert, die dem Kaleidoskop der unterschiedlichen Aspekte des pragmatischen Zusammenhangs und seines Wortfeldes Rechnung tragen. Den besonders hervorzuhebenden Wortgruppen liegen im Hebräischen vier unterschiedliche Wurzeln zugrunde, deren Semantik teilweise je spezifische Konnotationen aufweist, die teilweise jedoch auch im Verhältnis der Synonymie zueinander stehen.
1.1. Die Wurzel בחן bḥn
Die Wurzel ist annähernd 30-mal belegt. Fast alle Nachweise entfallen auf Verbformen. Ein signifikanter Anteil findet sich in poetischen Texten, speziell in den → Psalmen
1.2. Die Wurzel חקר ḥqr
חקר ḥqr tritt im Alten Testament 27-mal als Verb und 13-mal als Nomen in Erscheinung. 13 der insgesamt 40 Nachweise entfallen auf das → Hiobbuch
1.3. Die Wurzel נסה nsh
Sie vertritt im gegebenen semantischen Kontext die Wortgruppe, die am stärksten in der alttestamentlichen Prosa präsent ist. So entfallen allein 18 der insgesamt 39 Nachweise, darunter auch die drei einzigen Nominalbelege, auf den → Pentateuch
1.4. Die Wurzel צרף ṣrf
Lässt man den Ortsnamen Sarepta (→ Zarpat
2. Anthropologische und theologische Schwerpunkte
2.1. Der Mensch als Subjekt der Prüfung
2.1.1. Der Mensch prüft seine Welt und seine Mitmenschen
Der Mensch ist nach alttestamentlicher Vorstellung mit besonderer Würde und herausragenden Fähigkeiten begabt (vgl. Ps 8,5-9
Der → Prediger Salomo
Am Anfang der → Josefserzählung
2.1.2. Menschen prüfen Gott
Äußerst selten begegnet im Alten Testament die Vorstellung, Gott selbst lade Menschen dazu ein, ihn zu prüfen, um ihm dadurch die Möglichkeit zu geben, seine Treue und Zuverlässigkeit unter Beweis zu stellen. Das deutlichste Beispiel dafür findet sich in einem Diskussionswort aus dem → Maleachibuch
Ganz anders verhält sich das freilich bei der Mehrzahl der Belege. Meist bedeutet Gott prüfen, ihn zu versuchen. Bis ins Neue Testament hinein (vgl. Mt 4,7
In Ex 17,1-7
2.2. Gott als Subjekt der Prüfung
Während menschliche Prüfungskompetenz gewissen Beschränkungen unterliegt, vermag Gott nach alttestamentlicher Vorstellung alle mikro- und makrokosmischen Lebenszusammenhänge bis ins letzte Detail hinein vollständig zu erwägen, zu ergründen und zu bewerten. Es gibt in der geschaffenen Welt nichts, was seinem geistigen Zugriff oder seiner Kontrolle entzogen wäre (vgl. Hi 11,7
2.2.1. Gott prüft Absichten und Gesinnungen
Es gehört zu den Grundüberzeugungen des Alten Testamentes, dass Gott, der alles ergründet, auch dazu in der Lage ist, den Menschen in jeder erdenklichen Hinsicht zu prüfen (vgl. Ps 7,10
2.2.2. Prüfungen im Spannungsfeld von Gottes Zorn und göttlicher Pädagogik
Prüfungen dienen grundsätzlich der Interpretation der Wirklichkeit. Als Ergebnis eines solchen Klärungsprozesses wird eine Wahrheit über die Lebensbezüge und das Gottesverhältnis des Einzelnen oder des Volkes Israel manifest, die vorher zur Disposition stand. Im Extremfall zielt das Prüfungsverfahren auf eine Bestätigung des von Gott beschlossenen Gerichts über sein Volk ab und ist in diesem Sinne Ausdruck seines Zorns (vgl. Jer 9,6
Jedoch können Prüfungen durchaus auch im Interesse des Geprüften liegen, etwa wenn, wie in Ps 139,23f
Häufig erscheint die Prüfung als Erziehungsmaßnahme. Erst in der Konfrontation mit dem Willen Gottes und in den kritischen Situationen der Exodus- und Wüstenzeit können sich Glaube oder Unglaube sowie Gehorsam oder Ungehorsam des Gottesvolkes erweisen (vgl. Ex 15,25f
Außerdem hat der Traditionskreis des prophetischen Schrifttums – vorwiegend in vermutlich späten und literarisch sekundären Texten wie Jes 1,24-26
Im Zusammenhang mit der Suche nach einer pädagogischen Teleologie gewinnt das Motiv zum Teil eine ätiologische Dimension (→ Ätiologie
Schon im Rahmen der ursprünglichen Hiobdichtung versucht → Elifas
Dagegen kehrt die deuterokanonische bzw. apokryphe Weisheitsliteratur wieder zum Konzept der bewährenden und reinigenden Wirkung der Prüfung zurück (vgl. Sir 2,1-6
2.2.3. Genesis 22 als Kulminationspunkt und Bewährungsprobe des alttestamentlichen Prüfungsmotivs
Dass Gott den Erzvater und Verheißungsträger → Abraham
Der Gang der Handlung ist bekannt: Das Geschehen steht gleichsam unter der Überschrift: „Nach diesen Ereignissen, da prüfte der nämliche Gott (Gott mit anaphorisch oder kataphorisch gebrauchtem Artikel) Abraham“ (Gen 22,1a
Wurde die Geschichte – jenseits der Frage nach etwaigen Vorstufen oder Ergänzungen – in ihrer maßgeblichen Erzählform lange Zeit einer bestimmten Pentateuchquelle, und zwar dem so genannten → Elohisten
Unabhängig davon, wie man die Quellen- und Datierungsfrage beurteilt, steht das Eine in jedem Falle fest: Die Extremsituation der Prüfung Abrahams kann nur angemessen eingeordnet und gedeutet werden, wenn dabei das Kaleidoskop des alttestamentlichen Prüfungsbegriffs mit all seinen Facetten und seinem ganzen Reichtum an Aspekten zu Rate gezogen wird.
Folgende Gesichtspunkte können bei der Interpretation eine Rolle spielen:
Abraham ist nicht so sehr Individuum wie Problemträger. Das rückt ihn in eine gewisse Nähe zu → Hiob
Das Ziel der Erzählung ist in verschiedener Hinsicht nur von ihrem Ende her zu verstehen. Nicht allein der Autor, auch die biblisch geschulten Leserinnen und Leser wissen von Anfang an, dass Isaak überleben wird, da er wie Abraham zum Erzvater geworden ist und die Geschichte Gottes mit Israel kein vorzeitiges Ende gefunden hat (vgl. Willi-Plein, 122). Gleichwohl gelingt es dem Autor, eine äußerst sublime, beinahe unerträgliche Spannung aufzubauen. Diese nährt sich aber nicht von der Sorge, ob Isaak gerettet wird, sondern von der voranschreitenden Zuspitzung des Handlungsverlaufes. Immer drängender wird im Leseprozess die Frage: Wie weit wird die Prüfung noch vorangetrieben, und auf welche Weise wird schließlich die Krise gelöst?
Abraham scheitert nicht. Ganz im Gegenteil erweist er sich als wahrhaft gottesfürchtig. Dieser Sachverhalt kann nur durch das ungeheuerliche Ausmaß der Prüfung, die er besteht, mit der hier erreichten Klarheit herausgestellt werden. Abrahams Verhalten während der gesamten Erzählung lässt keinerlei Anzeichen von Unruhe oder Unsicherheit erkennen. Die Antwort auf die Frage seines Sohnes zeigt, dass er keinen Moment daran zweifelt, dass Gott die Prüfung zu einem guten Ende führen wird. Seine Gottesfurcht bewährt sich damit in seinem Gottvertrauen, das er inmitten der größten Gefährdung, als die Lösung noch gar nicht in Sicht ist, seinem Sohne mitteilt.
Endlich, als Abraham bereits das Messer ergriffen hat, schreitet „der Bote des Herrn“ ein und verhindert Isaaks Tod. Hier wird erstmalig in der Erzählung der Gottesname gebraucht. Das wird kaum auf Zufall beruhen, sondern zeigt, dass Gott sich erst in seinem rettenden Handeln als der zu erkennen gibt, der er seinem Wesen nach ist.
Aus dem Gesagten ergibt sich, dass die Schilderung von Abrahams Prüfung vor allem „zum Vertrauen auf den unbegreiflichen, aber immer verlässlichen Gott aufrufen“ (Neef, 134f.) will. Zugleich ist sie ein Vertrauensbekenntnis zu diesem Gott, das hier jedoch, anders als in den → Psalmen
Das tatsächlich verwirklichte Ergebnis der Prüfung ist von Anfang an ihr Ziel und damit auch das Ziel der Erzählung. In einer Situation extremster Ausweglosigkeit, die Gott nicht nur zugelassen, sondern sogar ausdrücklich herbeigeführt hat, geht Abraham das Wagnis ein, diesem Gott kompromisslos zu vertrauen. So und nicht anders wird er für alle angefochtenen Menschen zum Paradigma wahrer Gottesfurcht.
Demnach liegt das Prüfungsmotiv bei Abraham ganz auf der Linie des Traditionsstrangs, der die Prüfung aus dem Blickwinkel der Bewährung betrachtet. Diese Linie gelangt in Gen 22 zu einem unerreichten Höhepunkt. Was „Prüfung“ im Alten Testament bedeutet, wird mit derselben Prägnanz an keiner anderen Stelle greifbar.
Literaturverzeichnis
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