Deutsche Bibelgesellschaft

Rahab (Person)

(erstellt: Januar 2010)

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1. Name

Der Name Rahab (hebräisch רָחָב rāḥāv, griechisch Ῥαάβ Raab, in Mt 1,5 Ῥαχάβ Rachab) lässt sich von der Wurzel רחב rḥb, „weit machen / öffnen“ bzw. „weit / breit / offen“ ableiten und ist ansonsten nicht belegt. Die genaue Bedeutung ist kaum zu klären: Nach Noth könnte der Ausdruck „Haus der Rahab“ ursprünglich „Haus am öffentlichen Platze“ bedeutet haben und erst später zu einem Eigennamen geworden sein (23; vgl. auch Knauf, der den Namen in Analogie zu rəḥov „öffentlicher Platz / breite Straße“ interpretiert). Ablehnend Bartelmus (452), der dagegen einen derben (Spott-)Namen auf den Beruf der Rahab vermutet. Differenzierter Görg, der den Namen im Sinne von „offen“ als literarischen Symbolnamen für die zunächst namenlose Hure versteht (15), und Fritz, der ihn als einen Satznamen mit der Bedeutung „Er (Gott) hat (den Mutterleib) geöffnet“ (35) liest.

2. Rahab in biblischen Texten

2.1. Rahab im Buch Josua

2.1.1. Die Erzählungen

Die Erzählung über Rahab (Jos 2 und Jos 6) ist Teil der Landnahmeerzählungen des Buches → Josua (→ Landnahme) und gehört nach Noort (144) neben Jos 9 zu den schönsten und eigenwilligsten Erzählungen dieses Buches. Nach Jos 2 machen zwei Israeliten, die von Josua von Schittim im Ostjordanland (= Abel-Schittim → Abel in Ortsnamen) ausgesandt worden waren, um das Land zu erkunden, in Rahabs Haus in → Jericho Station. Die Ankunft der Fremden in der Stadt bleibt nicht geheim, sondern wird dem König von Jericho gemeldet, der sogleich Boten auf den Weg bringt, um Rahab zur Herausgabe der Israeliten zu veranlassen. Rahab jedoch versteckt die Fremden auf dem Dach ihres Hauses unter Bündeln von Flachsstängeln, macht die königlichen Boten glauben, die Israeliten hätten die Stadt bereits wieder verlassen, und lenkt die königlichen Boten so auf eine falsche Fährte; denn sie machen sich sogleich auf, um die Fremdlinge bei den Jordanfurten, also im Osten der Stadt, zu suchen. Die beiden Kundschafter lässt Rahab mit Hilfe eines Seils über die Stadtmauer entkommen, nicht jedoch, ohne ihnen vorher einen Eid abgenommen zu haben, dass sie selbst im Falle der Eroberung der Stadt durch die Israeliten samt ihrer Familie verschont würde. Als Erkennungszeichen solle ein rotes Seil dienen, das Rahab in das Fenster ihres Hauses, das an der Stadtmauer gelegen war, binden sollte. Nachdem die Kundschafter sich auf Rahabs Rat hin drei Tage im Bergland, also im Westen der Stadt, versteckt hatten, können sie unbehelligt zu Josua zurückkehren.

Der Erzählfaden wird in der Erzählung über die Einnahme Jerichos durch die Israeliten (Jos 6) wieder aufgenommen. Unmittelbar vor der Einnahme der Stadt werden die Israeliten aufgefordert, die gesamte Stadt samt allen Einwohnerinnen und Einwohnern zu vernichten – mit Ausnahme Rahabs und ihrer Familie (Jos 6,17). Dies wird nach Jos 6,22f auch ausgeführt: Rahab wird mit ihrer gesamten Familie aus der Stadt geholt und außerhalb des Lagers Israels untergebracht. So kam es gemäß der ätiologischen Notiz in Jos 6,25 dazu, dass Rahab mit ihrer Sippe in Israel wohnen blieb „bis auf den heutigen Tag“.

2.1.2. Literarhistorische Fragen

Dass die Landnahmeerzählungen des Buches Josua und insbesondere die Erzählung über die Einnahme Jerichos keine historischen Berichte über eine tatsächlich so geschehene Eroberung des Landes durch Israel sein können, ist schon seit den archäologischen Ausgrabungen von Ernst Sellin und Carl Watzinger bekannt, die in den Jahren 1907 bis 1909 durchgeführt und deren Ergebnisse 1917, 1922 und 1926 veröffentlicht wurden. Dabei wiesen beide Ausgräber in einer revolutionierenden Revision ihrer (eigenen) Chronologie nach, dass Jericho zur Zeit der „Landnahme“ längst zerstört war und nicht mehr bestand.

Umso schärfer stellt sich dann aber die Frage nach Ursprung und Sinn der nun als fiktiv erkannten Erzählungen des Josuabuchs und damit auch der Rahaberzählung in Jos 2.

Einige Stationen der Forschungsgeschichte sollen im Folgenden skizziert werden.

Ernst Sellin (1917; → Sellin), Albrecht Alt (1935; → Alt) und Martin Noth (1938, 1953; → Noth): Für lange Zeit maßgeblich war die ätiologische Erklärung (→ Ätiologie) der Erzählungen des Josuabuches. Sie wurde bereits 1917 von Sellin entwickelt, von Alt aufgegriffen und fand in Noths Josua-Kommentaren ihren wirkmächtigsten Ausdruck. Demnach muss als Ausgangspunkt der ätiologischen Sage von Jos 2 ein als kanaanäisch angesehenes „Haus der Rahab“ in Jericho angenommen werden, das zur Zeit der Entstehung des Textes bekannt war (vgl. Jos 6,25) und einer Erklärung bedurfte. Noth vermutete eine ursprüngliche Version der Erzählung, nach der die Stadt durch einen Verrat der Hure Rahab den Israeliten in die Hände gespielt wurde, etwa indem Rahab ihnen heimlich den Zugang zur Stadt eröffnet oder ihnen durch sonst ein Zeichen die Einnahme ermöglicht habe (22). Diese Version der Stadteroberung war kaum mit der Überlieferung vom wunderbaren Fall der Mauern von Jericho (vgl. Jos 6) zu vereinbaren, so dass die Rahab-Geschichte umerzählt werden musste und der Besuch der Kundschafter nicht mehr direkt zur Einnahme der Stadt, wohl aber zur Rettung der Familie der Rahab führte. Die in Jos 2 überlieferte Erzählung sah Noth als weitgehend literarisch einheitlich an und schied lediglich die Verse Jos 2,9b.10b.14aβ.14b.17b als spätere Zusätze aus.

Johannes P. Floß (1982): Die Annahme einer mündlichen Vorgeschichte der Erzählung wurde auch in der Folgezeit, wenngleich mit Differenzierungen, weiter beibehalten. So rekonstruierte Floß in einer umfangreichen Studie als vorliterarische Stufe die Geschichte einer namenlosen Prostituierten, die ihre Kunden (!) vor Übergreifern schützte und ihnen zur Flucht verhalf (Jos 2,1*.2b.3*.4*.5.6.15.16.22. Erst auf literarischer Ebene sei diese Geschichte zu einer Kundschaftergeschichte geworden und zudem mit Hilfe von Orts- und Personennamen auf die Verhältnisse in Jericho angepasst worden. Weitere Ergänzungen brachten zunächst eine Schwerpunktverlagerung auf die Stadtübergabe durch JHWH selbst (keine Eroberung auf Grund der Auskundschaftung), weitere Präzisierungen der Vereinbarungen sowie schließlich die Eroberung des gesamten Landes (Jos 2,24).

Manfred Görg (1991): Diese Geschichte der Erzählung wird in den Grundzügen von Görg rezipiert: „Aus einer Kurzerzählung über den Besuch von Männern bei einer Dirne und deren geglücktes Versteckspiel ist die Darstellung einer signifikanten Episode zu Beginn der Landnahme geworden“ (15). So belässt Görg als Grundschicht lediglich die Verse Jos 2,1-3.4.5-6.15-16.22-23 und sieht ansonsten vor allem vordeuteronomistische und deuteronomistische Erweiterungen am Werk (→ Deuteronomismus).

Volkmar Fritz (1994): Eine in der Königszeit entstandene lokale Überlieferung, die das Überleben einer kanaanäischen Familie in einer besonderen Tat eines Familienmitgliedes begründet sah, oder auch eine mündlich überlieferte Geschichte vom Verrat der Stadt Jericho durch eine Hure sieht Fritz als möglichen Kern der Erzählung an. Als Grundschicht rekonstruiert er die gegenüber Görg nur wenig umfangreicheren Verse Jos 2,1-3.4b.5-7.15-17a.18.19.21-23 und betrachtet Jos 2,8.9a.10a.11a.12.13.14a.24a als deuteronomistische Ergänzungen (RedD) und Jos 2,9b.10b.11b.14b.17b.20 als weitere redaktionelle Zusätze.

Klaus Bieberstein (1995): Behutsamer geht Klaus Bieberstein in seinen literarkritischen Operationen vor. Eine den größten Teil des heute vorliegenden Textes umfassende Grundschicht C1 (Jos 2,1-9a.[11b?].12-16.[21aβb?]22-24) wurde von einer postpriesterlichen Redaktion um die Verse Jos 2,9b-10a.11a*.(11b?) erweitert und schließlich durch weitere, nicht stratifizierbare Zusätze ergänzt (Jos 2,10b.[11*].17-21aα.[21βb?]). Die Grundschicht habe eine in Jericho ansässige und als nichtisraelitisch geltende Sippe Rahab als Aufhänger gewählt und ihre Eponymin ins Zentrum einer symmetrisch um ihr Glaubensbekenntnis gestalteten Einheit gestellt. Wenn die Einheit in spätvorexilische oder frühexilische Zeit datiert wird, fungiert Rahab „als augenfälliges Exempel für das von Jesaja gut ein Jahrhundert zuvor verkündete und gerade am Vorabend der babylonischen Zerstörung wiederholte (2Kön 18-19) Programm ,glaubet ihr nicht, so bleibet ihr nicht‘, und so wurde sie, die auf Grund ihres Glaubens überlebt hatte, zum lebendigen Denkmal“ (431f). Wenn die Einheit hingegen erst in nachexilische Zeit datiert wird, erscheint Rahab ähnlich wie → Rut in der nachexilischen Rut-Erzählung als eine JHWH bekennende Ausländerin, die mit ihrem Bekenntnis einen Beitrag zu Israels Ringen um kollektive Identität leistet (s.u. 2.1.3). Die Erzählung findet in Jos 6,10.16b.20a sowie Jos 6,22-23 ihre Fortsetzung, wohingegen Jos 6,17-18.25 der (späteren) ätiologischen Redaktion zugeordnet werden.

Ed Noort (1998): So resümiert Noort am Ende seines Forschungsberichts zu Jos 2 sicher mit Recht: „[D]ie von Alt postulierte ursprüngliche Selbständigkeit und Geschlossenheit der Erzählung, unter Abzug einiger Ergänzungen im Bekenntnis der Rahab, braucht nicht bezweifelt zu werden. Diese Ergänzungen verbinden tatsächlich deuteronomistische und (post)priesterliche Vorstellungen. Bei der literarkritischen Analyse hat Floß wohl zu forsch zugegriffen, während Bieberstein mehr Kontinuität mit den früheren Analysen bietet.“ (144)

Allerdings sind, und darauf machen nicht zuletzt auch einige der bislang genannten Autoren aufmerksam, mit der Rekonstruktion des (vor)literarischen Werdens dieser Erzählung längst nicht alle Aspekte der Geschichte und ihrer Hauptfigur in den Blick gekommen.

2.1.3. Eine positive Erzählfigur

Die von Klaus Bieberstein rekonstruierte Grundschicht von Jos 2 erweist sich als eine sorgfältig aufgebaute, symmetrisch gegliederte Erzählung, in deren Zentrum Rahabs Bekenntnis zum Gott Israels und das Versprechen der Männer stehen (Jos 2,9.11d-14). Doch sind die dadurch gesetzten Akzente durchaus noch der überlieferten Endform des Textes anzumerken. So ist die zentrale Begegnung zwischen Rahab und den Kundschaftern dreifach gerahmt: Dem Kommen der Kundschafter von Josua (A: Jos 2,1) entspricht deren Rückkehr am Schluss (A': Jos 2,23-24), der Meldung an den König über das Auftreten der Kundschafter (B: Jos 2,2) entspricht eine Erzählnotiz am Ende über die vergebliche Suche nach ihnen (B': Jos 2,22ef), und Rahabs Suchanweisung an die Verfolger (C: Jos 2,3-5) korrespondiert ihre Fluchtanweisung an die Kundschafter (C': Jos 2,16.21c-22). Das zentrale Bekenntnis der Rahab und Versprechen der Kundschafter (D) wird nochmals von den Bewegungen des Aufstiegs auf das Dach (Jos 2,6-8) und Abstieg (Jos 2,15) gerahmt.

Sichtbar wird eine aktive Hauptfigur der Erzählung, die ab Jos 2,4 als handelndes Subjekt das Geschehen dominiert und vorantreibt, klug auf die Herausforderung durch die königlichen Boten reagiert und durch eine List die Fremdlinge rettet, nicht jedoch, ohne dabei auch für das eigene Überleben und die Sicherheit ihrer Familie gesorgt zu haben. Ihr Gewicht wird erzähltechnisch dadurch verstärkt, dass sie neben Josua als einzige einen Namen erhält und dass sie als Erzählfigur stets alleine steht (und dadurch einen starken Part innehat), während ihre Gegenüber jeweils als Gruppe auftreten (zwei Kundschafter, mehrere Boten) und dadurch als schwach gekennzeichnet werden. Zudem werden ihr eine Reihe von handlungssetzenden Reden zugedacht, was für eine biblische Frauenfigur zumindest bemerkenswert ist.

Damit ist Rahab deutlich aus den übrigen Erzählfiguren herausgehoben, sie handelt eigenständig, klug und unkonventionell und wird mit ihrem Handeln vom Text als positiv dargestellt. Mit ihrem Handeln wahrt sie die Unverletzlichkeit der im Haus aufgenommenen Fremden (Fritz) und wird so zur ersten Anwältin Israels (Görg). Durch ihr pointiertes Erkennen, dass das Land von Gott an Israel übereignet wurde, erhält sie prophetische Qualitäten (Görg; Viola Raheb), und Jos 2,12 kennzeichnet sie als Bekennerin JHWHs (Görg). Ihrer Familie gegenüber erhält sie die Rolle einer Schicksalsfigur (Görg), von deren Handeln das Geschick aller abhängt. Rahab, die durch ihr Handeln und ihr Bekenntnis zum Gott Israels sich und ihre Familie rettet, wird als Abschluss der Erzählungen über die Eroberung Jerichos in Jos 7Achan als Negativfigur gegenüber gestellt, der Gottes Gebot übertritt und sich selbst und seiner Familie den Tod bringt (Ulrich).

Erstaunlich genug: Es ist eine Nichtisraelitin und damit aus der Perspektive des Textes eine → Fremde, der all diese überragenden Qualitäten zugeschrieben werden. Wenn die Erzählung in nachexilische Zeit datiert wird, ergeben sich interessante Perspektiven für ihre Lektüre: Dann fungiert die Erzählfigur der Rahab ähnlich wie → Rut als Paradigma einer JHWH-fürchtigen Ausländerin, und in der Erzählung spiegelt sich wie auch im Buch Rut die im nachexilischen Juda intensiv geführte Auseinandersetzung um die Frage der kollektiven Identität.

2.1.4. Eine schillernde Erzählfigur

Doch Rahabs Handeln lässt sich auch anders betrachten. Immerhin liefert sie ihre Heimatstadt an die Feinde aus und gibt sie wissentlich dem Untergang preis. In dieser Perspektive erscheint sie als Verräterin und Kollaborateurin. Der Text problematisiert dies nicht; wohl aber die Auslegungsgeschichte (s.u.).

Ebenso wenig wertet der Text Rahabs Beruf. In Jos 2,1 wird sie als אִשָּׁה זוֹנָה ’iššāh zônāh bezeichnet. Die meisten Bibelübersetzungen halten sich an die Lexika und übersetzen mit „Hure“ (Luther, Zürcher Bibel), „Dirne“ (Einheitsübersetzung) oder „Prostituierte“ (Gute Nachricht Bibel). Lediglich die Bibel in gerechter Sprache lässt mit der Übersetzung „ungebundene Frau“ den Begriff offener und nimmt die Charakterisierung der Frau im Text ernst: Die Auflistung der Familienangehörigen in Jos 2,12f.18 und Jos 6,23.25 mit Eltern und Geschwistern sowie weiteren Familienangehörigen zeichnet Rahab als eine zwar in eine Großfamilie eingebundene, doch unverheiratete, nicht durch einen Ehevertrag gebundene Frau (vgl. auch Schulte). Die Tatsache, dass die Kundschafter bei ihr einkehren, kann eine Herberge voraussetzen; explizit gesagt wird das nicht. Doch es ist klar: Von einer solchen außerhalb der Gesellschaftsnormen lebenden Frau, bei der Männer einkehren können, ist es nur ein kleiner Schritt zur Vorstellung illegitimer sexueller Beziehungen und Prostitution.

Von Kultprostitution (→ Hure / Hurerei 3.1.) lässt der Text allerdings nichts erkennen. Zwar hielt es Hölscher für kaum denkbar, dass eine solche Erzählung überliefert worden wäre, wenn hier nicht von einer Kultprostituierten die Rede gewesen wäre. Doch den zahlreichen weiteren Versuchen der Auslegungsgeschichte, in ihr eine Hierodule (→ Mowinckel) und / oder eine Priesterin der → Astarte (Hölscher), einer Urmutterreligion (Zink) oder des Mondgottes Men (Heller) zu sehen, fehlen die Anhaltspunkte im Text.

Sozialgeschichtlich betrachtet war Prostitution für viele allein stehende Frauen eine Notwendigkeit, um den Lebensunterhalt verdienen zu können. Es ist bemerkenswert, dass der Text (im Unterschied zur Auslegungsgeschichte, s.u.) Rahabs Beruf nicht wertet, sondern ausgerechnet ihr, der Illegitimen, Fremden und Verräterin der eigenen Stadt, ein bedeutsames JHWH-Bekenntnis in den Mund legt und eine entscheidende Rolle bei der Einnahme der ersten Stadt im verheißenen Land zugesteht. Dies macht subversive Aspekte des Textes sichtbar, der offenbar allzu klare Grenzen zwischen gut und böse, richtig und falsch, hintertreibt, aufsprengt und Leserinnen und Leser irritiert zurücklässt.

So kann es nicht verwundern, dass sich postkoloniale Lektüren oder auch christliche Lektüren im Kontext Palästinas äußerst kritisch mit der Erzählung und ihrer Hauptfigur auseinandergesetzt haben (s.u. 3.4.) oder dass andere zeitgenössische Lektüren die Irritationen aufgriffen und folkloristische, humorvolle oder ironische Aspekte der Erzählung aufzuspüren suchten (Spencer, Zakovitch).

2.2. Rahab im Neuen Testament

2.2.1. Rahab im Stammbaum Jesu

Gemeinsam mit drei weiteren alttestamentlichen Frauenfiguren wird Rahab im → Matthäusevangelium im Stammbaum Jesu aufgeführt, als Mutter des Boas und – indirekt – Frau des Salmon (Mt 1,5). Alle vier hier genannten Frauen (→ Tamar, Rahab, → Rut und → Batseba) handeln nach den alttestamentlichen Erzählungen höchst eigenständig und unkonventionell und können so – zum Teil mit Hilfe einer kreativen Auslegung der Tora – für sich und ihre Familien eine Zukunft schaffen. Grund für die Zusammenstellung gerade dieser vier Frauen mag aber der Aspekt sein, dass es sich bei allen vier Frauen um Nichtisraelitinnen handelt. Damit wird die brennende Frage des Verhältnisses zwischen Israel und den Völkern von Anfang an ins Matthäusevangelium eingebracht. Es ist ein Thema, das im Verlauf des Evangeliums unter vielerlei Perspektiven verhandelt wird.

Mit der Figur der Rahab werden auch und gerade die unkonventionellen, schillernden, irritierenden und gebrochenen Aspekte ihrer Geschichte in die Jesusüberlieferung eingebracht und fordern zu entsprechenden Lektüren der Jesusfigur heraus.

2.2.2. Rahab als Glaubenszeugin und Vorbild

Weitere neutestamentliche Texte sehen Rahab in ihrem Glauben sowie ihrem Handeln an den israelitischen Kundschaftern als Vorbild. So listet Hebr 11,31 Rahab unter den großen Glaubensfiguren der Geschichte Israels auf, interpretiert ihre Tat, die Kundschafter freundlich aufgenommen zu haben, als Tat des Glaubens und schreibt diesem ihre Rettung zu: Sie kam im Unterschied zu ihren Landsleuten – in der Perspektive des → Hebräerbriefs „Ungehorsame“ – nicht um, sondern wurde gerettet. „So wird Rahab zu einem personenbezogenen Paradigma für das Überleben durch Glauben vor dem negativen Hintergrund des Unglaubens der Bewohner Jerichos“ (Elßner, 103).

Der → Jakobusbrief nennt im Kontext seiner Überlegungen zum Zusammenhang zwischen Glauben und Werken und seiner Forderung, dass sich Glaube auch in entsprechenden Werken äußern müsse, neben → Abraham als einziges weiteres Beispiel die Hure Rahab. Auch sie sei durch ihr Werk – nämlich die Kundschafter aufgenommen und wieder aus der Stadt gebracht zu haben – gerechtfertigt worden (Jak 2,25). Die Aufnahme der Figur der Rahab im Jakobusbrief muss nach Elßner einerseits als geradezu „entkontextualisiert“ und sprachlich „abgerüstet“ angesehen werden; denn weder Josua noch Jericho würden explizit genannt, auch der Tod der restlichen Bevölkerung spiele keine Rolle, und statt des (militärischen) Begriffs der „Kundschafter“ (κατάσκοποι; Hebr 11,31) sei nunmehr von „Boten“ (ἀγγέλοι) die Rede (104). Und während Josua im Neuen Testament nur ein Schattendasein führe, habe die Hure Rahab als Beispiel für rechten Glauben und rechte Werke eine beachtliche Bedeutung erhalten (104).

3. Nachbiblische Rezeption

Sowohl in der jüdischen, als auch in der christlichen Tradition finden sich vielfältige weitergehende Deutungen und Interpretationen der Rahabfigur. Einer der Ausgangspunkte der Weiterentwicklung mag dabei die Diskrepanz zwischen der negativen Bewertung von Prostitution in beiden Traditionen und der fehlenden Wertung des Berufs der Rahab in den biblischen Texten sein. So wurde entweder dieser Beruf uminterpretiert, oder Rahab musste eine entsprechende Bekehrung und Wandlung durchlaufen, oder aber die Geschichte wurde überhaupt allegorisch verstanden.

3.1. Jüdische Rezeption

Flavius Josephus gleicht in seiner Version der Erzählung (Antiquitates 5,1-15; Text gr. und lat. Autoren) nicht nur verschiedene „Defizite“ in militärischer Hinsicht aus, etwa indem er die Kundschafter im Unterschied zur biblischen Erzählung tatsächlich Entscheidendes über das Land herausfinden lässt, sondern macht Rahab – ebenso wie es die Targumim tun – ohne nähere Charakterisierung als Hure lediglich zu einer Gastwirtin, in deren Herberge die Kundschafter einkehren. Er betont die Gefahr, in die sich Rahab um der Kundschafter willen begeben hätte; denn wenn ihr Täuschungsversuch entdeckt worden wäre, hätte ihr zweifellos der Tod gedroht. So wird ihr Verschonung versprochen, wobei das Erkennungszeichen des roten Bandes nicht ins Fenster, sondern in die Tür gebunden wird. Nach der Einnahme der Stadt und ihrer Rettung erhält sie von Josua Ackerland sowie die ihr gebührenden Ehren (Antiquitates 5,28-30).

In der rabbinischen Tradition gehört Rahab neben → Sara, → Abigajil und → Ester zu den vier schönsten Frauen der Welt, wobei sie allein schon durch ihren Namen verführerisch gewesen sei (Babylonischer Talmud, Traktat Megilla 15a). In Megilla 14b wird sie als Speisewirtin bezeichnet. Zu ihren Nachkommen gehören acht Propheten, die Priester waren, sowie die Prophetin → Hulda, nach späteren Traditionen auch → Ezechiel. Rahab habe sich bekehrt und Josua geheiratet. Im Babylonischen Talmud, Traktat Zevaḥim 116a, findet sich die Bezeichnung Hure, und ihr werden weit reichende Kontakte zugeschrieben: Es habe keinen Fürsten oder führenden Mann gegeben, der nicht mir ihr Verkehr gehabt habe. Sie sei zehn Jahre alt gewesen, als Israel aus Ägypten ausgezogen sei, habe über vierzig Jahre, als Israel in der Wüste war, als Hure gearbeitet und sich dann, nach ihrem fünfzigsten Lebensjahr, bekehrt (Zevaḥim 116b).

3.2. Christliche Rezeption

Nach den Untersuchungen von Elßner wird in der frühchristlichen Literatur aus den Landnahmeerzählungen vor allem die Rahaberzählung aufgegriffen (225). Dabei erfährt die Erzählung je nach geschichtlicher Situation verschiedene Interpretationen und Aktualisierungen (Felber).

Seit dem → 1. Clemensbrief (1Clem 12) werden im Anschluss an Hebr 11,31 und Jak 2,25 im Westen und besonders im Osten (außer bei Origenes) der Glaube und die Gastfreundschaft der Rahab herausgehoben und den Gläubigen als Vorbild vor Augen gestellt. Darüber wird Rahab die Gabe der Prophetie zugeschrieben (1Clem 12,8).

Auch die Interpretation des „Roten“ bzw. des roten Seils (Jos 2,18) als Vorausdeutung auf das Blut Christi und die damit verbundene Erlösung ist seit 1Clem 12,8 zu greifen. Dabei werden in typologischer Auslegung Verbindungslinien zum Passageschehen Ex 12,7 gezogen, das sich im neutestamentlichen Passa erfüllt (Justin, Dialogus cum Tryphone 111,4; Bibliothek der Kirchenväter).

Seit Justin (Dial. 111,4) werden vielfach Rahabs Herkunft, ihre Sündhaftigkeit als Hure und in der Konsequenz auch ihre Bekehrung betont und in einen christlichen Deutehorizont gestellt. Rahab verkörpert das sündhafte Heidentum, das sich bekehrt und erlöst wird. Seit Irenäus von Lyon (Adversus haereses IV,20,12; Bibliothek der Kirchenväter) wird ihre Geschichte zur Auslegung der paulinischen Aussage, dass die ungläubige Frau durch den gläubigen Mann geheiligt werde (1Kor 7,14b), herangezogen. Mit ihrem Sündenbekenntnis nimmt Rahab die Rolle des Zöllners aus Lk 18,10-14 vorweg, der ebenso gerechtfertigt von dannen gehen kann (Adv. haer. IV,20,12; IV,36,8). Sie wird zum Beispiel für Mt 21,31: „Zöllner und Dirnen gelangen eher in das Reich Gottes als ihr.“ Vom Motiv der Hure und speziell ihrer Wandlung werden Verbindungslinien bis zu Hos 1,2 sowie zur liebenden und bereuenden Sünderin Lk 7,37-50 gezogen. Dabei wird die ekklesiologische Deutung der Rahabfigur zunehmend ausdifferenziert, oft genug in antijüdischer Stoßrichtung zur Begründung einer bevorzugten Berufung der Heiden(kirche) und der damit verbundenen Verwerfung der Juden. Aber auch im Kampf gegen innerchristliche Schismata erhält die Erzählung eine Funktion: Cyprian von Karthago (De Catholicae Ecclesiae Unitate 8; Epistula 96,4; Bibliothek der Kirchenväter) deutet in seiner Auslegung von Jos 2,18 das Haus der Rahab wie die Arche Noahs und das Haus des Passalammes (Ex 12,46) in antischismatischer Stoßrichtung auf die eine Kirche, außerhalb derer kein Heil ist.

Zum ersten Mal führt Hippolyt von Rom in seinem Kommentar zum Buch Daniel bei der Exegese von Dan 3 das Psalmwort „Ich gedenke Rahab und Babel“ (Ps 86,4 LXX) an. Rahab wird einerseits in Korrespondenz zu Babel als Synonym für Ägypten und damit für die Bedrängnis der Israeliten verstanden, andererseits wird auf Rahabs Errettung nach Jos 6,23.25 zurück gegriffen. Wie Rahab auf Grund ihres Glaubens gerettet wurde, so auch die Jünglinge im Feuerofen (Dan 3,17).

Seit den Josuahomilien des → Origenes explodieren die Motive bei der Deutung der Rahabfigur geradezu. Seine Allegoresen bestimmten in der Folgezeit die Auslegungen vor allem im Westen. Er liest die Erzählung als Weg der christlichen Seele (die nicht mehr Dirne ist) auf dem Weg zur Vollendung (Jos. hom. 1,4-5). Die Kundschafter erscheinen als (Gottes- bzw. Christus-)Boten (Mk 1,2), die von der christlichen Seele aufgenommen werden. In den Flachsstängeln auf dem Dach ist ein Hinweis auf die Priesterkleidung und damit auf das allgemeine Priestertum zu finden (1Petr 2,9). Gegenfigur ist der König von Jericho, der „Herrscher der Welt“ und Versucher, der die gläubige Seele bedrängt (vgl. Mt 4,6). Jericho erscheint als Bild für die Welt, die vernichtet werden wird (Jos. hom. 6,4). Rahab hingegen wird auf Grund ihres Glaubens und Gehorsams gerettet und dem Haus Israel eingegliedert. Aus der einstigen Dirne wird die univira Christi (2Kor 11,2). Mit ihr sind alle Getauften durch das Blut Christi gereinigt und gerettet (vgl. Tit 3,3). Dem entspricht die Ablehnung des Erlösungsgeschehens durch die Juden (Jos. hom. 3,5). Lediglich in Jos. hom. 6,25 kann Origenes einen bleibend-positiven Wert des Judentums anerkennen, indem er unter Bezugnahme auf Röm 11,17-18 das Bild der Wurzel betont. Erstaunlicherweise weiß Origenes über die in Mt 1,5 erwähnte Rahab nichts zu sagen; vermutlich setzt er die hier Genannte, die als Mutter des Boas und damit indirekt als Frau des Salmon bezeichnet wird, nicht mit Rahab aus Jos 2 gleich.

Wie auch schon andere Ausleger vor ihm anerkennt Augustinus Rahab als eine der großen Heilsgestalten des Alten Testaments (z.B. Ep. 140,11,28). Mit seinem Nachdenken über die Bedeutung der Befehlsverweigerung gegenüber den staatlichen Autoritäten bringt er eine brisante Aktualisierung der Erzählung in die Auslegung ein (Brev. coll. 3,13,25). Zudem ringt er, ebenso wie Hilarius, Severin von Gabala, Paulin von Nola und Johannes Cassian, mit dem Problem von Rahabs Lüge, die grundsätzlich zu verwerfen sei und nur deshalb nicht geahndet wurde, weil Rahab Barmherzigkeit übte (Contra mend. 15,32).

Der Durchgang sei beschlossen mit dem Resümée aus Felbers Untersuchungen: „Rahab zählt in der Patristik zu den großen Heilsgestalten der Bibel. Sie ist Prophetin und Patriarchin; ihre Gestalt ist von ähnlicher Komplexität wie Josua in seiner Transparenz auf Christus hin. So verwundert es nicht, daß Josua 2 in der patristischen Zeit als Schriftlesung im Gottesdienst diente“ (167).

3.3. Pilgertraditionen

Pilgerinnen und Pilger, die seit der Antike das Heilige Land bereisten, nahmen offenbar die ätiologische Notiz in Jos 6,25 zum Anlass, das Haus der Rahab in Jericho auch in der realen Topographie zu suchen und zu finden. Als erster lokalisiert der Pilger von Bordeaux im Jahr 333 das Haus der Rahab oberhalb der Quelle von Jericho, an der man → Elisas Wasserwunder kommemorierte, und bezeichnet es als „das Haus der Hure Rahab, in das die Kundschafter eintraten. Sie verbarg sie, und als Jericho zerstört wurde, kam sie allein davon.“ (p. 19; Donner, 60)

Auch Theodosius sieht um 518 das Haus der Rahab bei der Elisa-Quelle (Kap. 1; Donner, 189). Dieses Haus sei um 570 nach dem Bericht des Pilgers von Piacenza wieder eine Herberge gewesen, und an der Stelle des Obergemachs, aus dem Rahab die Kundschafter hinab gelassen habe, befinde sich nun eine Kapelle, die der Maria geweiht sei (Kap. 13; Donner, 255). Der Abt Adomnanus schließlich blickt auf drei Zerstörungen Jerichos zurück, die das Haus der Rahab bis in seine Zeit (um 680) überstanden habe, allerdings ohne Dach (Kap. XIII; Donner, 359).

3.4. Beispiele zeitgenössischer Lektüren

3.4.1. Postkoloniale Lektüren

In postkolonialer Kritik geriet das Buch Josua als eine Geschichte der Eroberung und Kolonisierung eines Landes in den Focus der Aufmerksamkeit. So repräsentiert Rahab nach Lori L. Rowlett die „gute Eingeborene“, die sich sogleich auf die Seite der Eroberer schlägt und allzu bereitwillig ihrem Volk den Rücken kehrt, weil sie von der Überlegenheit der kolonisierenden Kultur überzeugt ist. Als Frau rettet sie die männlichen Eindringlinge vor ihrem eigenen Volk und ermöglicht ihnen damit, sie selbst und ihr Land zu kolonisieren. Mit den sexuellen Konnotationen und dem Bild der Hure werde gleichzeitig die kanaanäische, d.h. indigene Religion massiv abgewertet und verurteilt. Doch werde die Hure domestiziert und den Kolonisatoren fügsam gemacht. Sie gibt ihre eigenen Wurzeln und ihre Identität auf und passt sich in die Kultur der Kolonisatoren ein. Sie bekennt sich zwar zum neuen Gott JHWH; doch hatte sie zuvor nichts über diesen erfahren, und ihr Bekenntnis ist von Gewaltrhetorik geprägt (Jos 2,9f). Während sie also domestiziert wird und einen Platz am Rande der dominierenden Kultur erhält, erscheint ihr Volk in den Geschichten nur, um in blutigen Schlachten ausgerottet zu werden.

Auf ähnliche Weise kritisiert auch Musa W. Dube die kolonisierenden Ideologien, von denen die Rahaberzählung geprägt ist. Rahab erscheint ebenfalls als eine von den Kolonisierern gezähmte Figur, die von der Überlegenheit der Eindringlinge überzeugt ist, deren Herrschaft über das eigene Land und das eigene Volk bejaht und nicht an die Stärke ihres eigenen Volkes glaubt.

In der Interpretation von Judith McKinlay wurde Rahab vom Text zu einer „Anderen“ gemacht, um dem „Wir“ Israels eine Identität zu verschaffen. Kolonisierte Menschen dürften sich nicht zu schnell mit der Figur der Rahab identifizieren, da diese bereits von den Kolonisatoren vereinnahmt worden sei.

In Auseinandersetzung mit solchen Positionen setzt Katherine Doob Sakenfeld die Entstehungszeit des Textes gegen Ende des 7. Jh.s v. Chr. an, als Juda selbst von übermächtiger assyrischer Herrschaft bedrängt war und sich in der Rolle der Kolonisierten befand (vgl. auch Kim). In dieser Zeit, als Juda von der Befreiung der assyrischen Herrschaft träumte oder nach Wegen des Überlebens unter dieser Herrschaft suchte, könnte die Figur der Rahab als Vertreterin der assyrischen Übermacht gelesen werden, die sich mit den Unterlegenen solidarisiert und auch die Verehrung des (unterlegenen) Gottes JHWH propagiert. Die Geschichte wäre eine judäische Widerstandsgeschichte. Obgleich diese Lektüre, wie Sakenfeld selbst zugesteht, nicht ohne Probleme ist, ermöglicht sie modernen Leserinnen und Lesern eine Identifikation mit der Position der Rahab als Vertreterin der überlegenen Macht, die sich aber mit den Unterlegenen verbündet. Sie haben die Bedingungen der Kolonisierten für ein Zusammenleben zu akzeptieren; diese bedeuten – wie für die Rahab des Textes – für die bisherigen Profiteure des Systems nicht die volle Integration.

3.4.2. Christliche Lektüren im Kontext Palästinas

Von besonderer Brisanz ist eine Lektüre der Rahabgeschichte im Kontext Palästinas. Denn Palästinenserinnen und Palästinenser erleben im Konflikt um das Land täglich, wie die Landverheißungstexte des Alten Testaments und besonders das Buch Josua gegen sie eingesetzt werden. Christliche Theologien im Kontext Palästinas haben versucht, sich der Schwierigkeit der Texte zu stellen und produktive Leseweisen zu entwickeln, die es christlichen Palästinenserinnen und Palästinensern ermöglichen, an der Bibel als ihrer Heiligen Schrift und Quelle der Ermutigung festzuhalten. So fordern Mitri und Viola Raheb, einerseits die biblischen Texte im Kontext ihrer Entstehungszeit sowie in ihrer Vielfalt und Widersprüchlichkeit wahrzunehmen und andererseits ihre Auslegungen kritisch zu analysieren und zu kontextualisieren. Für Viola Raheb ist Rahab eine zutiefst ambivalente Figur, Heldin und zugleich Anti-Heldin, deren Verrat und Betrug vom Text und großen Teilen der Auslegung zwar positiv bewertet werden, jedoch im Kontext ihrer eigenen Gemeinschaft tödliche Folgen nach sich ziehen. Zur Gewalt wird weder in der Rahaberzählung noch im Buch Josua eine echte Alternative angeboten. Es bleibt nur die Kapitulation vor der neuen Macht. Schließlich ist das in den Texten gezeichnete Gottesbild zu kritisieren. Für Leserinnen und Leser gilt es, Position zur Gewalt zu beziehen, die in einer Figur wie Rahab ausgemalt wird. Der Text zeigt, „wie Menschen oft kaum eine Wahl haben, wenn erst einmal die Sprache der Gewalt herrscht … Dennoch sind wir eingeladen, über das Zusammenspiel von Gewalt, Krieg und Sexualität nachzudenken und die Funktion von Frauen in diesem Zusammenspiel kritisch zu beleuchten“ (Viola Raheb 2010, 66). Es gilt, Alternativen zur Gewalt zu suchen.

Literaturverzeichnis

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Abbildungsverzeichnis

  • Rahab lässt die Kundschafter über die Stadtmauer entkommen (Handschrift der Nationalbibliothek Florenz; 14. Jh.).

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